Achtmal queer

Nach acht Filmen an acht Donnerstagen in acht Wochen ist die dritte Auflage der queeren Sommerreihe rbb QUEER nun vorbei. An diesem Donnerstag wird statt eines potentiellen queeren Juwels wieder etwas anderes im Spätabend- oder Nachtprogramm des rbb laufen. Wir finden, das ist eine gute Gelegenheit ganz kurz Bilanz zu ziehen und euch darauf hinzuweisen, wo man die Filme doch noch finden kann.

Gezeigt wurden acht sehr unterschiedliche und sehr internationale Filme. In seiner Ankündigung zur diesjährigen rbb QUEER-Reihe sagte der Programmdirektor, Dr. Jan Schulte-Kellinghaus, damals folgendes: „Der Christopher Street Day hat eine lange und stolze Tradition in Berlin. Ein Sommer ohne ihn in gewohnter Form ist kaum vorstellbar. Aber schauen wir doch mal, was sich unsere queere Szene dazu einfallen lässt. Eines bleibt aber auch 2020 gleich: Der rbb zeigt wieder Flagge und die Filmreihe rbb QUEER im Programm. Mit vielen spannenden internationalen Produktionen, die größtenteils zum ersten Mal im deutschen Fernsehen zu sehen sein werden. Vielleicht ein kleiner Trost für die Community und unser Publikum in dieser Zeit.“

Acht Filme – Acht Welten

Nun, wie wir inzwischen wissen, ließen sich einzelne Akteure nicht nur der queeren Berliner Community einiges einfallen, so beispielsweise die Hamburger, mit ihrem CSD auf dem Fahrrad oder die Stuttgarter, mit einem virtuellen Programm, das von hoher Professionalität und echt gutem Planungsmanagement zeugte und dabei noch echt Spaß machte. 

Szene aus „Siebzehn“ / Bild: © rbb/Salzgeber

Spaß machten auch einige der queeren Filme, andere wiederum waren eher aufwühlend, manch einer irritierend oder sogar eher frustrierend. Zuerst hatten wir vor eine Rangliste zu erstellen – vom besten zum am wenigsten guten Film. Den Gedanken haben wir aber verworfen. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens sind acht absolut unterschiedliche Filme mit absolut variierenden Akzenten gezeigt worden. Zweitens würde es den Filmen nicht gerecht werden, denn jeder ist auf seine Weise ansprechend und so dürfte auch für eine.n Jede.n etwas dabei gewesen sein.

Zuerst wurde der preisgekrönte Coming-of-Age-Film Siebzehn der Regisseurin Monja Art gezeigt. In ihrem Regiedebüt zeigt die aus Wien stammende Regisseurin das Teenagersein in der österreichischen Provinz als Achterbahnfahrt der Gefühle und in einer Ansammlung von amourösen Minidramen, in denen lesbisches Verliebtsein für genau so viel Verwirrung sorgt wie heterosexuelles. So die grobe Handlungsbeschreibung. Diesen Film haben wir nicht besprochen, für uns gehörte er durchaus zu den weniger guten Filmen, er war uns, insbesondere auch mir, tatsächlich zu gestellt, zu gewollt authentisch und ich empfand ihn als eher belanglos. Bekannte in meinem Umfeld hätten mich für diese Wahrnehmung allerdings am Liebsten in eine Regenbogenflagge gewickelt und in einen See geschmissen. 

Protest, Stille und Kommerz

In der Woche darauf lief der französische Film 120 BPM. Der Film erzählt fiktionalisiert die Aktivitäten und Lebensgeschichten einiger junger AktivistInnen der AIDS-Selbsthilfe- und Protestgruppe Act Up im Paris der 1990-Jahre. Regisseur Robin Campillo war in den 90ern auch selbst Mitglied der Gruppe. Im Zentrum des mitreißenden Zeitstücks, das in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, steht ein schwules Liebespaar, das der damals weit verbreiteten politischen und gesellschaftlichen Ignoranz gegenüber HIV/Aids mit entschiedener Gegenwehr und einem unbändigen Willen zu leben begegnet. Der Film begeisterte mich schon in mehrfacher Hinsicht im Kino und er gehört nach wie vor zu einem der besten und aufwühlendsten queeren Filme, die ich je gesehen habe. Unsere ganze Besprechung lest ihr hier.

Am Donnerstag, den 2. Juli, lief dann ein ganz anderer Film: Regisseurin Eliza Hittmann erzählt in Beach Rats die Geschichte des schwulen Erwachens eines Teenagers, bzw. jungen Erwachsenen, auf Coney Island. Der stille Film erzählt in düster-schwelgerischen Bildern eine Geschichte von vermeintlicher Perspektivlosigkeit, Zukunftsangst, übertriebenem Machismus und Selbstfindung. Ein Film sicherlich nicht für zwischendurch und kein Film für einen verregneten Abend allein. Aber allemal sehenswert, wahrlich ein kleines Juwel, bedrückend schön. Hier lest ihr mehr darüber.

Der folgende Donnerstag präsentierte uns einen ganz anderen Film. In La belle saison – Eine Sommerliebe der französischen Regisseurin Catherine Corsini, werden die ZuschauerInnen in das ländliche Frankreich der 1970er-Jahre geführt. In strahlenden Bildern schildert die Regisseurin die Liebesgeschichte zweier junger, gegensätzlicher Frauen zwischen Leidenschaft und konservativen Moralvorstellungen in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs. Ein guter Film, aber auch der kommerziellste Film im diesjährigen queeren Sommerprogramm.

Sonne, Musik und Meer

Der sonnendurchflutetste und romantischste Film lief mit Heute gehe ich allein nach Hause am 16. Juli. In dem Film entdeckt der von Geburt an blinde und in seinen besten Teenager-Jahren noch immer ungeküsste Leo, dass er sich zum neuen Mitschüler Gabriel hingezogen fühlt. Wäre das vielleicht eine Kussoption? Ähnliches erwägt aber wohl auch Leos beste Freundin Giovanna. Dieser liebevolle und charmante Film lässt uns das Gefühl des ersten Verliebtseins erneut spüren und zaubert einfach ein Lächeln aufs Gesicht. Ein wunderbar positiver Film, der sensibel mit den Problemen von Teenagern umgeht. Mehr Hintergründe zum Film findet ihr hier.

Der in Havanna auf Kuba spielende und gedrehte Film Viva erzählt die Geschichte des Friseurs Jesus, der nichts lieber möchte, als als Dragqueen im Club von Mama aufzutreten. Die gibt schließlich nach und lässt Jesus als Viva auftreten. Doch direkt beim ersten Auftritt bekommt Viva Schläge – von einem betrunkenem Mann. Es ist Jesus’ Vater, den er seit 15 Jahre nicht gesehen hat. Ungefragt nistet sich Angel bei seinem Sohn ein und verbietet ihm, weiter als Sängerin aufzutreten. Jesus ist hin- und hergerissen: zwischen dem Wunsch, seinen Vater besser kennenzulernen, dessen aggressiven Trinkerlaunen und seinen eigenen Sehnsüchten, wieder Viva zu sein – die hingebungsvolle Diva. Erst als Jesus erfährt, warum sein Vater wirklich zurückgekehrt ist, findet er zu seiner eigenen Stimme. Viva ist ein leidenschaftlicher, berührender Film, der einen durch seine Musik mitreißt und durch seine Authentizität mitfühlen lässt.

Ein weiterer Film den wir hier geschlossen eher schwach und vor allem absolut seltsam und unrund fanden lief dann am 30. Juli. In Lichtes Meer treibt der Ruf der Ferne einen jungen Mann aus Vorpommern auf ein französisches Containerschiff mit Ziel Martinique – und in die Arme eines geheimnisvollen Matrosen. Außerdem gibt es viele Naturbilder, manche besser, manche schlechter; viel Egomanie und vor allem keine taugliche Kommunikation. Wir haben uns hier die Mühe gemacht unsere Ablehnung zu begründen.

Ein Highlight zum Schluss

Den Abschluss machte dann einer der aufregendsten, verstörendsten und doch lebensbejahendsten Filme: Der kenianische Film Rafiki der Regisseurin Wanuri Kahiu erzählt die Liebesgeschichte der beiden Mädchen Kena und Ziki, deren Väter in einem Viertel Nairobis als politische Konkurrenten gegeneinander antreten. Doch das ist nicht das größte Problem, sondern vor allem sind es Homophobie und ein rückständiges Frauenbild, das den beiden zu schaffen macht. Trotz des ernsten Themas ist der Film doch bunt, lebens- und hoffnungsfroh. Wieso Rafiki erst nach erfolgreichen Klage von Wanuri Kahiu überhaupt in Kenia gezeigt werden konnte und welchen Hintergrund die Regisseurin hat, lest ihr hier.

Szene aus „Rafiki“ / Bild: © rbb/Salzgeber

Ihr seht also, ein im wahrsten Sinne des Wortes diverses Programm mit verschiedenen Schwerpunkten. Vom romantischen Liebesfilm, über das Heranwachsen in der Provinz und dem Wunsch nach Meer, zu in mehrerlei Hinsicht leidenschaftlichen Protesten und dem Kampf gegen gesellschaftliche Konventionen und vermeintlichen Traditionen. Diese ausgewählte Vielseitigkeit und liebevolle Zusammenstellung ist tatsächlich etwas Seltenes im linearen Fernsehen im deutschsprachigen Raum und so soll an dieser Stelle ein großes Lob an den rbb für diese Programmreihe gehen, die sie in Kooperation mit der Edition Salzgeber gestalten. Sieben der acht Filme sind im Verleih der Edition Salzgeber und diese sieben Filme könnt ihr bspw. über den Salzgeber Club als Video-on-Demand leihen oder als Digital-Download kaufen. Auf DVD sind sie natürlich auch erhältlich.

Wir sind gespannt auf den kommenden Sommer und halten für euch bis dahin weitere Filmempfehlungen parat. 

AS

Beitragsbild: Szene aus „Beach Rats“ / © rbb/Salzgeber

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