Alles für die Kinder?

Kinder sind in unserer Gesellschaft fast schon sakrosankt. Und in der Tat, eine Gesellschaft, die ihre sozialen Sicherungssysteme auf Generationengerechtigkeit und – eines der Worte dieser Tage – Reproduktion auslegt, sollte sich unbedingt um ihre Kinder kümmern, denn sie sichern deren Zukunft.

Kindeswohl oder elterliches Nervenkostüm?

Was in den letzten Wochen aber oft in der corona-öffentlichen Diskussion zu hören war, ist eine Frage, die das Kindeswohl als Vorwand nimmt, um damit andere Probleme und Ziele zu artikulieren. Eltern mit Kindern sind oft seit sechs Wochen in der heimischen Quarantäne auf kleinstem Raum zusammengepfercht. Während das öffentliche Leben an vielen Stellen langsam wieder Fahrt aufnimmt, wird nun oft beklagt – auch medial in hochrangigen Runden, wie am vergangenen Donnerstag bei Maybrit Illner oder erst gestern im Presseclub und bei Anne Will – dass Kindergärten und Kitas weiterhin nur einen Notbetrieb gewährleisten können und Spielplätze vielerorts geschlossen sind oder waren. Nordrhein-Westfalens Familienminister Joachim Stamp von der FDP kündigte heute früh in Steingarts Morning Briefing gar an, in einem „improvisierten Regelbetrieb“ einen Sonderweg zu gehen und Kitas zeitnah wieder zu öffnen, sollten die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten in dieser Woche keine einheitliche Lösung finden.

Auch über Schulen wird diskutiert. Jedes Bundesland scheint unterschiedliche Vorstellungen zu haben, wann ein regulärer Schulbetrieb – in kleineren Klassen, über mehrere Räume verteilt, nach Klassenstufen gestaffelt – wieder möglich ist. Und trotz bis Mitte Juni verlängerter weltweiter Reisewarnung der Bundesregierung sind auch die Sommerferien sakrosankt (mal sehen, wie lange noch und wie bald sich auch die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände dagegen sträuben werden).

Jeder, der ein oder mehrere Kinder zu Hause betreuen muss, leistet gerade Großes oder sollte es zumindest, wenn er sich für seine Kinder interessiert. Ganz viele Eltern hoffen aber dennoch auf eine schnelle Öffnung der Kitas und dass sie auch selbst bald wieder aus dem Homeoffice ins Präsenzoffice wechseln können.

Aber mal ganz ehrlich: Viele Eltern sind auch einfach genervt von ihren Kindern. Im Freundes- und Kollegenkreis hört man immer wieder, dass sie nicht wissen, wie sie ihre Kinder noch beschäftigen sollen und dass diese sie bei ihren regelmäßigen Arbeiten im Homeoffice stören. Das ist durchaus nachvollziehbar, aber dennoch muss man auch sagen: So ist es halt, wenn man Kinder hat. Da muss man sich dessen bewusst sein, dass Kinder Zeit und Geduld kosten! Und etwas mit den Kleinen spielen, lesen und rechnen üben oder einfach nur etwas malen, das kann man durchaus auch noch weiter und ohne pädagogische Begleitung der Lehrer und Erzieher machen.

Entscheidungen erfordern Verantwortung

Hierzulande hat jeder die Möglichkeit, sich für oder gegen ein Kind zu entscheiden und glücklicherweise ist die öffentliche Diskussion hier weit weniger aufgeladen als beispielsweise in den USA. Und natürlich ist es eine Gewissensentscheidung – eine für oder gegen ein Kind. Und selbst, wenn man sich für das Kind entschieden hat, aber der Verantwortung nicht gewachsen ist, gibt es die zugegebenermaßen traurige, aber vielleicht oft doch bessere Entscheidung, ein Kind in eine Pflegefamilie zu geben.

Wenn man sich für ein Kind entscheidet, entscheidet man sich für Verantwortung. Und dazu gehört auch, dass man mit Situationen wie der aktuellen umgeht. Auch in coronafreien Zeiten haben Kitas Schließzeiten, werden wegen Läusen oder Legionellen geschlossen oder einfach, weil ein Rohr gerade Lust hatte zu platzen. Auch in solchen Situationen passiert es, dass Kitas, Kindergärten und Schulen kurzfristig ersatzlos geschlossen werden (wenn auch zugegebenermaßen in der Regel nicht für mehrere Monate).

Gleichzeitig hat man auch immer eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Es wird erwartet, dass Kinder wesentliche bei uns verbreitete Wertvorstellungen zu Hause vermittelt bekommen, zum Beispiel, dass man sich in coronafreien Zeiten die Hand zur Begrüßung gibt (alles andere wird zumeist als unhöflich empfunden). Genauso ist aber bekannt, dass Kindergärten und Kitas Brutstätten für Keime sind. Mal ganz ehrlich: Man kann keinem Dreijährigen vermitteln, dass er oder sie sich den Sand im Sandkasten, mit dem auch andere Kinder spielen, nicht ins Gesicht schmieren soll. Oder dass ein Kind ein Bilderbuch erst morgen ansehen kann, weil es durch die wenigen Erzieher erst desinfiziert werden muss. Nicht jeder Justin-Denis aus dem Prenzlauer Berg ist ein Wunderkind, das alle Hygieneregeln gleich versteht. Hier muss man einfach davon ausgehen, dass ältere Kinder (aka Jugendliche) die aktuelle Situation besser verstehen, Hygieneregeln besser einhalten und somit zuerst mit Erleichterungen bedacht werden können als die Kleinsten.

Also, an alle Eltern: Kinder können nervig sein. Aber das gehört quasi zur Berufsbeschreibung „Mutter“ oder „Vater“ dazu und da finde ich müsst ihr durch, wenn euch die Zukunft des Landes und der Wirtschaft, die uns ernährt, wirklich wichtig sind. Es ist auch ein Beitrag für die Zukunft eurer Kinder. Das ist die Verantwortung der mittleren Generation – eine für die ihr euch in der Regel selbst und bewusst entschieden habt.

HMS

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