Am Ende gedacht

Beitragsbild: Im Hintergrund das Bundeskanzleramt (MaxBaumann/Getty Images Signatur via Canva), darauf ein Foto zur Dokumentation Angela Merkel – Frau Bundeskanzlerin (Foto: © TVNOW/Andreas Friese)

Die fünfteilige Dokureihe „Angela Merkel – Frau Bundeskanzlerin“ von Stefan Aust und Karin Klocke auf TVNOW ist einerseits informativ, jedoch nicht frei von Fehlern und Ungenauigkeiten. Sie sollte gesehen, dabei aber auch differenziert betrachtet werden.

Angela Merkel ist auf Abschiedstour. Es ist ein langer Abschied mit Ansage, aber dennoch hat sie in den letzten Jahren bewiesen, dass sie alles andere als eine „lame duck“ ist. Es bleibt spannend, wer ihr im Kanzleramt nachfolgen wird: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Armin Laschet (CDU) oder Olaf Scholz (SPD).

Dokumentation in fünf Teilen

Diese Endzeit ist aber auch die Zeit des Rückblicks und im Rahmen dieses dürfte es in nächster Zukunft einige Perspektiven geben. Das erste wesentliche Schlaglicht auf das politische Leben und Wirken Angela Merkels haben nun die beiden Journalisten Stefan Aust und Karin Klocke geworfen. In der fünfteiligen Dokumentationsreihe Angela Merkel – Frau Bundeskanzlerin, die seit 29. Juni auf TVNOW verfügbar ist, illustrieren die beiden die Karriere von „Kohls Mädchen“. Ähnlich wechselhaft wie die Widerstände, mit denen sich Angela Merkel konfrontiert sah, ist aber auch die Dokureihe selbst.

In fünf Teilen von je ca. 55Minuten und ausschließlich auf Grundlage dokumentarischen Materials beleuchten Aust und Klocke die wesentlichen Stationen des politischen und teils auch privaten Lebens von Angela Dorothea Merkel, geborene Kasner. Während die ersten beiden Folgen die Zeit bis ins Jahr 2000 abdecken, dem Jahr, in dem Merkel den Parteivorsitz der CDU übernahm, illustrieren die drei weiteren Folgen erst die Arbeit der Oppositionsführerin und schließlich Bundeskanzlerin bis in die jüngste Vergangenheit. Ganz klassisch ist also von der Geburt bis quasi gestern alles dabei, allerdings mit einer größeren Detailtiefe in den Jahren ab 2015.

Einblicke und Fehltritte

Gerade die ersten zwei bis drei Teile sind aber besonders sehenswert. Sie enthalten eine große Reihe an Filmmaterial, das bislang wohl weniger Beachtung fand. Die Ministerin auf Klassentreffen beispielsweise, wo Angela Merkel offen über ihre Schulzeit spricht, so manche Einblendung ihrer Mutter Herlind Kasner oder auch filmische Schnipsel, in denen die damalige stellvertretende Pressesprecherin des Ministerpräsidenten der DDR herrlich berlinert. „Nüscht“ ist ein Ausdruck, den man heute ganz bestimmt nicht mehr von ihr hören dürfte, zumindest nicht, wenn die Kameras an sind.

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) in der Regierungsbefragung bei der 235. Sitzung des Bundestages.

Aber auch mancher rhetorische Fehltritt – ja, auch solche hat sie sich zu Beginn ihrer politischen Karriere geleistet – wird dokumentiert und zeigt, dass die Ministerin für Frauen und Jugend des ersten gesamtdeutschen Kabinetts eben eine Quereinsteigerin in die Politik war. All das wirkt sehr authentisch und diejenigen, die die Kanzlerin nur aus dem Fernsehen kennen, dürften angenehm überrascht sein.

Abrechnung mit Flüchtlings- und Coronapolitik

Dem entgegen stehen die zweieinhalb bis drei letzten Folgen der Dokuserie. Mit dem Parteivorsitz kam Stück für Stück die Macht und diese macht bekanntlich einsam. So warmherzig Merkel in den ersten beiden Teilen dargestellt wurde, zum Ende der Reihe hin wird sie immer mehr als „Teflon-Merkel“ dargestellt. Das mag an manchen Stellen zutreffend sein, aber wird der Rolle und dem Verdienst Merkels nicht gerecht. Fukushima und der Atomausstieg werden eingehend behandelt und gebrandmarkt und das vor allem um und seit 2015 viele Diskussionen bestimmende Thema Flüchtlinge wird ausgiebig behandelt.

Die Flüchtlingsthematik und Corona nehmen jeweils fast den Raum einer ganze Folge ein. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn der Umgang mit beiden Situationensind vermutlich die großen Vermächtnisse, die die Kanzlerin Angela Merkel Deutschland hinterlässt, aber vor allem bei der Bewältigung von Corona geht vieles doch arg ins Detail – abseits von Merkel. Wir waren alle dabei und haben die Nachrichten und Entwicklungen der letzten Monate fast alle aus Eigeninteresse verfolgt. Daher ist dieser Teil der Dokureihe tatsächlich eher eine Art Recycling der Nachrichten der letzten Monate. Quasi ein unterjähriger Jahresrückblick. Das ist vermutlich einfach und kostengünstig zu produzieren, aber aktuell eher unnötig und hat per se weniger mit der Person und Kanzlerin Angela Merkel zu tun, da die Dokumentation uns hier keine wesentlichen Informationen über Merkels Herangehensweise oder Motivationen liefert (etwas, das das neue Buch des Journalisten Robin Alexanders hingegen schafft – unsere Besprechung lest ihr in der kommenden Woche).

Unnötige Fehler und falsche Einordnungen

Unter diesem übertriebenen Aktualitätsbedürfnis leidet auch das Ende der Dokureihe, an dem die Macherinnen und Macher um Aust und Klocke auf die Auseinandersetzung im Gazastreifen vor wenigen Wochen eingehen. Mit der Kanzlerschaft von Angela Merkel haben diese wirklich nur bedingt zu tun und die Auswirkungen der kurzstreckenballistischen Auseinandersetzung werden sich ohnehin erst in den kommenden Monaten und Jahren zeigen. Darauf hätte man getrost verzichten können. Auch hier leider: Kein Mehrwert in Bezug auf die Person oder Politikverständnis von Angela Merkel, immerhin Namensgeberin der Dokumentation. 

Stefan Aust // Foto: © TVNOW/WeltN24/Oliver Schulze

Genau so sehr kann man auf so manche Worthülse, Plattitüde oder Floskel verzichten, die Aust und Klocke einweben, manchmal auch unterkomplexe Darstellungen und Einordnungen oder schlicht unnötige Fehler. In der letzten Episode heißt es beispielsweise, dass ihre Migrationspolitik „eine rechte Partei ins Parlament gespült“ habe. Das ist doch ein wenig unterkomplex und die Einordnung der AfD und ihres Erfolgs sollte doch in einem größeren Kontext betrachtet werden. Genau wie es enervierend ist, das Aust und Klocke immer wieder von „alternativlos“ reden, so als sei dies fortwährend Merkels wörtliches Mantra gewesen. Ganz im Gegenteil, sie hat dieses Wort später nie wieder verwendet.

Oder zum Thema Corona: Die Bürger seien von sich aus vernünftig und bräuchten nicht so viel Bevormundung, um die Pandemie einzudämmen. Ähm, ja… Wir verweisen trotz seit einiger Zeit anhaltend niedriger Inzidenzen mal auf die Entwicklungen um Delta in Portugal, Russland und Großbritannien, um die Lockerungen der Einschränkungen und das weithin verbreitete „Erfordernis“ in dieser Zeit unbedingt in den Urlaub in die Ferne schweifen zu müssen. Klar, Einschränkungen der Bürger- und Freiheitsrechte müssen sorgsam abgewogen werden, aber gerade in den letzten Tagen zeigt sich, dass die Bürgerinnen und Bürger vielleicht doch nicht immer so vernünftig sind, wie Aust und Klocke suggerieren. Oder einfacher: Klopapier!

Get your facts straight – und zwar in Bild und Ton!

Auch vermeintliche Kleinigkeiten sind ein wenig ärgerlich und müssten nicht sein. 2002 sei beispielsweise die Linkspartei nicht mehr in den Bundestag eingezogen. Das ist relativ klar, denn die Partei wurde erst einige Jahre später gegründet. Zuvor hieß sie PDS und diese schaffte den erneuten Einzug nicht. Und auch der Name des Erfinders der Rote-Socken-Kampagne, Peter Hintze, wurde in den Einblendungen falsch geschrieben. Solche Lappalien sind ärgerlich. Hilfreich wäre es außerdem vor allem bei älteren Aufnahmen gewesen, die Namen von im Bild gezeigten und teils sogar auf der Tonspur erwähnten Personen einzublenden. Das würde an manchen Stellen zu einem tieferen Verständnis der Inhalte beitragen, vor allem bei manch jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauern, die nicht mehr wissen (müssen), wie beispielsweise Rudolf Scharping aussah oder Wolfgang Schäuble bevor er im Rollstuhl saß.

Was hingegen nicht mehr nur ärgerlich, sondern fast schon gefährlich ist, sind Fehler, in denen Bild und darüber gelegte Aussage zu gefährlichen Schlüssen führen. Neben der bedenklichen, bereits angesprochenen Einordnung des Gaza-Konflikts ist das eine Szene aus Folge 5, „Die mächtigste Frau der Welt“, in der Querdenker-Demonstrationen und Demonstranten angesprochen werden und es heißt dort Seite an Seite mit „normalen Bürgern“. Diesem Kommentar wird ein Bild mit die Reichsflagge schwingenden Personen unterlegt – das mutet seltsam bis irreführend an. Hier hätte eine stärkere Trennung erfolgen und ein zusätzlicher Kommentar zu den Gefahren für die Demokratie folgen sollen, ja müssen. Andernfalls entstehen da schnell gefährliche gedankliche Zusammenhänge und mehr Öl gehört nun wirklich nicht ins Feuer gegossen. Gerade Herr Aust sollte sich dessen bewusst sein.

Eine Dokureihe mit Stärken und Schwächen

Alles in allem ist somit zu sagen, dass Stefan Austs und Karin Klockes Dokureihe Angela Merkel – Frau Bundeskanzlerin bei TVNOW zwar einerseits an vielen Stellen, vor allem den länger zurückliegenden (und somit den ersten Episoden) überaus informativ ist und viele spannende Eindrücke in das Leben und Wirken der scheidenden Kanzlerin bietet. Vor allem zum Ende hin mehren sich jedoch die Ungenauigkeiten, die fast schon verurteilenden Einordnungen ihrer Politik und werden der tatsächlichen Verdienste der ersten Frau an der Spitze einer deutschen Regierung nicht mehr unbedingt gerecht.

Hier empfiehlt es sich auf jeden Fall, das eine oder andere Buch zur Hand zu nehmen und sich selbst noch einmal ein Bild von Flucht, Corona-Management oder Europa und der deutschen Außenpolitik zu machen. Was wir aber wirklich an Angela Merkel als Bundeskanzlerin haben, werden wir ohnehin erst wissen, wenn wir sie nicht mehr haben.

HMS, Mitarbeit AS

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