Artikel 3 (GG) ergänzen und gesetzliche und politische Diskriminierung stoppen

Beitragsbild: Einige Gebäude im Zentrum Berlins und das Bundeskanzleramt im Regierungsviertel wurden mit Lichtprojektionen der Forderungen von Grundgesetz für Alle bestrahlt. // Fotos: © All Out

Beschlussempfehlungen des Deutschen Bundestages in Bezug auf die Rechte von LSBTI*-Menschen machen umso deutlicher, wie wichtig die Erweiterung von Artikel 3 des Grundgesetzes um sexuelle und geschlechtliche Identität ist. Queere Menschen benötigen konkreten verfassungsrechtlichen Schutz. +++ AKTUALISIERUNG zur Absetzung der Debatte um die Artikel 3 GG-Erweiterung

Es geht voran im Engagement für eine Erweiterung von Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, der auch den Schutz queerer Menschen miteinbeziehen soll. „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ So lautet der Artikel derzeit. Unter anderem die Initiative Grundgesetz für Alle setzt sich dafür ein, dass der Artikel auch um die sexuelle sowie um die geschlechtliche Identität ergänzt wird.

„Mit guten Argumenten mobilisieren“

Am Montag berichteten wir in unserem Beitrag zum 17. IDAHOBIT*, des Internationalen Tages gegen LSBTIQ*-Feindlichkeit, auch darüber, dass sich die ambitionierte Initiative mit der Aktion #zeigdie3 des mygay Magazine zusammengetan hat und so Ressourcen bündelt. Ebenfalls an diesem Tag hat die Initiative die nächsten Schritte ihrer Kampagne getan: Einige Gebäude im Zentrum Berlins und das Bundeskanzleramt im Regierungsviertel wurden mit Lichtprojektionen der Forderungen von Grundgesetz für Alle bestrahlt (ein Video zum Projekt findet ihr am Ende des Beitrags). 

Das angestrahlte Bundeskanzleramt // © All Out

Darüber hinaus startete die Initiative ihren Grundgesetz für Alle-Messenger, um so den Druck auf einzelne Abgeordnete des Deutschen Bundestages noch einmal deutlich zu erhöhen und zu zeigen: „Wir geben nicht auf und werden weiter mit guten Argumenten mobilisieren, bis wir unser Ziel erreichen“, so Dr. Stana Iliev, Kampagnenmanagerin bei All Out und von Anbeginn Mitglied der Initiative, in einer Pressemitteilung der Kampagne vom Montag. Über den Messenger, den ihr hier findet, können engagierte Bürger*innen ihre Postleitzahl eingeben, um die Bundestagsabgeordneten aus dem jeweiligen Wahlkreis zu finden, anschließend kann die Person der Wahl angeklickt und eine E-Mail mit der Forderung nach einer Erweiterung des Grundgesetztes abgeschickt werden. Der Vorgang kann für alle zutreffenden Abgeordneten wiederholt werden. 

Dem vor knapp drei Monaten gestarteten Appell schlossen sich schnell „über 100 queere Organisationen, hunderte prominente Unterstützer*innen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur wie Udo Lindenberg, Anne Will, Ingo Zamperoni und Carolin Kebekus sowie über 60 Abgeordnete des Deutschen Bundestages an“, wie Josefine Liebing aus dem Koordinationsteam der Initiative anmerkt. Darüber hinaus haben bereits mehr als 82.000 Menschen die Petition hier unterzeichnet. Eine kleine Anmerkung in eigener Sache: Auch wir sind froh, durch kräftige Verbreitung und Aktualisierung unserer Beiträge und ein wenig gesundes Nudging dazu beigetragen zu haben, dass die Zahl steigt und sind unseren Leser*innen dankbar für ihre Unterstützung und die Weiterverbreitung der Kampagne. 

Die Zeit ist knapp

Der FPD-Politiker Jens Brandenburg // Foto: © Tobias Koch

Ein Gesetzesentwurf von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke zur Änderung des Grundgesetzes auf Einfügung des Merkmals der sexuellen Identität liegt der Bundesregierung übrigens seit 2019 vor. Dieser müsste zwar noch um die geschlechtliche Identität zu erweitern sein, doch das dürfte sich als nicht sonderlich problematisch erweisen. Problematischer ist der Unwillen der Bundesregierung, sich mit dem Thema auseinander- und es auf die Tagesordnung der aktuellen Legislaturperiode zu setzen. Einzelne Abgeordnete wie der nordrhein-westfälische FDP-Politiker Jens Brandenburg nudgen ihrerseits: 

„Wenn wir über höchstpersönliche Grundrechte im Grundgesetz diskutieren, gehört dazu auch der Schutz der sexuellen Identität. Ein entscheidungsreifer Gesetzentwurf liegt seit Monaten vor. Auf den letzten Metern legt die Bundesregierung jetzt einen Gesetzentwurf vor, um bereits vorhandene Kinderrechte im Grundgesetz auszuformulieren. Dazu braucht sie eine 2/3-Mehrheit. Die wird es mit uns Freien Demokraten nur geben, wenn sich auch in Artikel 3 etwas tut. Wenn die Koalition ernsthaft an einer Lösung interessiert ist, darf sie die Frage der sexuellen Identität nicht länger aussitzen. Wir sind jederzeit zu Gesprächen bereit.“

Jens Brandenburg, FDP, Sprecher für LSBTI

Dabei wird „die Zeit wirklich extrem knapp, wenn die Ergänzung des Artikels 3 des Grundgesetzes noch in dieser Legislaturperiode Realität werden soll“, wie auch Sören Landmann, ebenfalls Mitglied des Grundgesetz für Alle-Koordinationsteams, feststellt und appelliert: „Aus diesem Grund rufen wir alle Parteien dazu auf, sich jetzt mit vereinten Kräften für diesen Meilenstein der Menschenrechte in Deutschland einzusetzen.“

Die Ergänzung des Artikels um sexuelle und auch geschlechtliche Identität ist übrigens nicht irgendeine Lifestyle-Sache, wie manch eine*r gern behauptet, sondern dringend notwendig, um fortwährend diskriminierte, verfolgte und juristisch schlechter gestellte Personen zu schützen. Die Kriminalisierung schwuler Männer aufgrund des Paragrafen 175 wurde natürlich durch den mangelnden grundgesetzlichen Schutz erst möglich, die langjährige Schlechterstellung lesbischer Frauen unter anderem in Scheidungsverfahren ebenso (beides Punkte, auf die auch Benno Gammerl in seinem Buch anders fühlen ausführlich eingeht) oder die traumatischen „Homo-Heilung“ genannten Konversionstherapien, von den entsetzlichen Auswirkungen des so genannten „Transsexuellengesetzes“ einmal ganz zu schweigen, von denen auch Nora Eckert in ihrer grandiosen Autobiografie Wie alle, nur anders zu berichten weiß.

Ablehnung überall – und die SPD ist dabei

Um dieses wird es übrigens heute aller Voraussicht nach gegen 18:40 Uhr im Plenum des Deutschen Bundestages in einer Debatte gehen. So hat die FDP einen Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung eingebracht (19/20048) und Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzesentwurf zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes (SelbstBestG) (19/19755). Der Abgeordnete Sven Lehmann von Bündnis 90/Die Grünen und queerpolitischer Sprecher der Fraktion (gemeinsam mit Ulle Schauws) schriebt dazu auf Twitter: „40 Jahre Transsexuellengesetz sind mehr als genug. Transgeschlechtliche Menschen verdienen endlich Würde und Anerkennung ihrer Person statt Schikane.“ Dazu wird namentlich abgestimmt, die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat lautet auf Ablehnung (19/29595).

Darüber hinaus wird über die Beschlussempfehlungen und den Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu Anträgen der Parteien Die Linke (19/17791) und Bündnis 90/Die Grünen (19/22214) auf Entschädigungen für unter anderem fremdbestimmte Operationen an trans- und intergeschlechtlichen Menschen beraten. Spoiler-Alert: Die Beschlussempfehlung unter Drucksache 19/29459 lautet auf Ablehnung.

Ebenfalls abgelehnt werden sollen laut Beschlussempfehlung (19/29525) ein Antrag der Fraktion der FDP „Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Europäischen Union schützen“ (19/10553) und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen „Vielfalt leben – Bundesweiten Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“ (19/10224). Auch Anträge zur Stärkung der Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (19/24431) und zu einer bundesweiten Studie zum Sorgerechtsentzug bei und Diskriminierung von Müttern mit lesbischen Beziehungen und ihren Kindern (19/27878) – beide von Die Grünen – sollen abgelehnt werden.

Wenig verwundern dürfte es, dass die Ablehnung der Anträge zwar durch die Stimmen der die Mehrheit im Bundestag stellenden Fraktionen der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD gesichert ist, die AfD jedoch natürlich ebenfalls auf Ablehnung votiert. Und wir verzichten jetzt hier auf eine populistische Aussage wie: Im Grunde bedeutet dass, das auch die SPD mit der AfD stimmt. Aber naja… ihr wisst schon. Im Kopf tut’s weh.

All dies sollte jedoch die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Kampagne Grundgesetz für Alle umso deutlicher machen. So bekräftigt auch Sören Landmann einmal mehr: „Es ist an der Zeit, queeren Menschen endlich einen expliziten verfassungsrechtlichen Schutz zu gewähren. Der im Grundgesetz festgeschriebene Diskriminierungsschutz ist das Fundament für die Wahrung von Freiheit und Würde in Deutschland.“

Genau so ist es.

Eine letzte Anmerkung [aktualisiert, 19.5.2021, 16:08 Uhr]: Der Plenartagesordnungspunkt zur Änderung von Artikel 3 GG wurde am Mittwoch durch den Rechtsausschuss mit den Stimmen der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD abgesetzt. Dazu erklären die queerpolitischen Sprecher von FDP, Jens Brandenburg, Grüne, Ulle Schauws, und Linke, Doris Achelwilm, gemeinsam:

„Wer montags mit der Regenbogenflagge wirbt, sollte der Community nicht mittwochs schon wieder in den Rücken fallen. Seit fast zwei Jahren liegt der Gesetzentwurf von FDP,  Grünen und Linken zur Beratung vor. Er wurde ausführlich debattiert und in der Ausschussanhörung von allen Sachverständigen unterstützt. In der Zeit hätte man sich längst eine Meinung bilden können. Die von der Koalition im Ausschuss durchgedrückte Absetzung ist eine große Enttäuschung. Es ist zudem ein sehr unwürdiges parlamentarisches Verfahren. Union und SPD dürfen jetzt nicht auf Zeit spielen. Die scheinheiligen Geschäftsordnungstricks wie bei der Ehe für alle dürfen sich nicht wiederholen. Noch in dieser Wahlperiode muss die Koalition Farbe bekennen und sich einer Abstimmung stellen. Sonntagsreden gab es genug. Es ist höchste Zeit, den Schutz der sexuellen Identität endlich unmissverständlich in Artikel 3 des Grundgesetzes festzuschreiben.“

Es scheint, als würde die Regierungskoalition alles daran setzen, die Debatte unbedingt in die nächste Legislaturperiode zu verschieben.

Eure queer-reviewer

Die Aktion zum IDAHOBIT // © All Out

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