Bergkarabach: Ein Schwarzer Garten, der nicht zum Picknick einlädt

Als vor wenigen Wochen der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach erneut ausbrach, waren die Medien erst einmal voll mit Berichten und teils auch Hintergründen zu dem Disput. Am heutigen Dienstag wurde nun erneut ein Waffenstillstand zwischen den beiden Staaten bekannt. Alle Zeitungsberichte oder Beiträge im Rundfunk können aber nur einen Ausschnitt aus einem so lange währenden Konflikt zeigen. Es gibt allerdings ein Buch, das mein Bild von dem Krieg während meines Studiums der International Security Studies und der gesamten Region mehr geprägt hat als alle anderen.

Black Garden: Ein Buch voller historischer, politischer und gesellschaftlicher Hintergründe

Der Brite Tom de Waal hat bereits im Jahr 2003 das Buch Black Garden: Armenia and Azerbaijan through Peace and War verfasst, das 2013 in einer überarbeiteten Version noch einmal neu aufgelegt wurde. Das Buch hab ich vor nunmehr fünf Jahren gelesen und dennoch ist es mir aufgrund seiner inhaltlichen Umfänglichkeit, seiner Detailschärfe und seiner relativen Ausgewogenheit bis heute im Gedächtnis. Ich habe Black Garden damals schnell gelesen, im Studium oft zitiert und empfinde es noch heute als eines der mit Abstand besten Werke über einen bei uns viel zu wenig bei uns beachteten Disput.

Tom de Waal arbeitet in Black Garden die historischen, politischen und gesellschaftlichen Hintergründe des Bergkarabach-Konflikts auf heraus. Er geht teils zurück in die Zeit vor der Sowjetunion und illustriert, wie die Völker Armeniens und des heutigen Aserbaidschan über Jahrhunderte in Frieden neben- und miteinander lebten. Während Armeniens Bevölkerung seit Jahrtausenden recht homogen ist, ist Aserbaidschan ein Vielvölkerstaat, der erst vor etwa 100 Jahren zu einer Nation zusammenkam. Nach einer kurzen Zeit der Unabhängigkeit nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Sowjetunion die Kaukasusrepubliken ein und schlug das mehrheitlich armenisch bevölkerte Bergkarabach der aserbaidschanischen Teilrepublik zu, innerhalb derer es nach dem Zerfall der Sowjetunion verblieb. Josef Stalin legte also 1921 den Grundstein für einen Konflikt, der nun 100 Jahre später erneut ausbricht.

Landeskunde und grausame Vorkommnisse veranschaulichen die Situation

Bis hierhin ist das nicht so besonders, findet man das doch auch in jedem anderen längeren Hintergrundartikel. De Waal aber geht weiter. Er hat die Region mehrere Male bereist, mit den Leuten gesprochen und für den Konflikt bedeutende Orte besucht. In Black Garden arbeitet er schließlich seine Erkenntnisse nach hohen wissenschaftlichen Standards auf, streut aber immer wieder Kapitel ein, in denen er auch Schicksale, die Geschichte der einzelnen Regionen oder die Rolle bestimmter Orte in dem Konflikt erläutert. Neben der Geschichte des Kriegs gibt es somit auch ein wenig interessante Landeskunde.

Blick auf eine Befestigungsanlage in Bergkarabach. // © akoppo

Er geht dabei sehr systematisch und detailliert vor und lässt Augenzeugen zu Wort kommen. Dabei schreckt er nicht davor zurück, auch hässliche und grausame Situationen zu schildern. Eine Stelle ist mir besonders in Erinnerung: Ein Soldat im Krankenhaus, dem statt der ihm versprochenen Antibiotika Petroleum gespritzt wird. Der Mann soll daran jämmerlich krepieren. Und die Gegenseite soll es wissen. So wie die vielen Konflikte im Kaukasus abliefen – die Kriege in Georgien um Abchasien und Südossetien, die Kriege in Tschetschenien, wo noch heute Homosexuelle erbittert verfolgt und gefoltert und ermordet werden – hat auch der Krieg um Bergkarabach an vielen Stellen das Schlimmste im Menschen hervorgebracht. Tom de Waal schreibt diese verstörenden Wahrheiten auf und zeigt, wie wichtig eine Lösung dieses Konflikts ist.

Der Krieg hat viele Dimensionen – Black Garden führt diese in einer einmaligen Chronik zusammen

Bei den Kriegen im Kaukasus gibt es aber viele weitere Dimensionen, die uns auch in Europa immer wieder beschäftigen. Es geht um Ressourcen wie Erdöl und -gas, es geht um Flüchtlinge und Vertriebene, es geht um die Konstruktion von Nation und um den Konflikt zwischen Religionen, hier dem christlichen Armenien und dem muslimischen Aserbaidschan. Und gleichzeitig ist der Kaukasus auch eine Region, in der äußere Mächte ihre Interessen haben. Der Iran, Russland und die Türkei sind als unmittelbare Anrainer in die Konflikte direkt involviert und prägen sie mit. Auch die USA und Europa – vor allem Frankreich, das eine große armenische Minderheit hat – mischen mit, wenn auch weniger koordiniert und strukturiert.

All diese Einflüsse, diese Interessen, diese Aspekte arbeitet de Waal mit großer Präzision auf und schafft somit ein konzises Gesamtwerk zum Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan. In seinem Vorwort zur überarbeiteten Ausgabe von 2013 prognostiziert er, dass Aserbaidschan und Armenien Schritt für Schritt, aber schlussendlich mit hoher Wahrscheinlichkeit, wieder in einen Krieg um Bergkarabach abrutschen dürften. Er beschreibt genau die jüngere Geschichte in der Region. Seine Analyse hat somit einen überaus hohen Wert.

Dass das auf Englisch verfasste Buch mittlerweile auch auf Russisch, Armenisch und Aserbaidschanisch erschienen ist, zeigt außerdem, dass es eine der genauesten und im Umfeld des Konflikts meist rezipierten Chroniken ist. Auch wenn Black Garden bereits 2003 bzw. 2013 in überarbeiteter Form erschien, ist es dennoch ein absolut lesenswertes Buch, das wir sehr empfehlen. Denn nur wenn wir die Hintergründe des Konflikts genau verstehen, wird es eine Chance geben, diesen auch zu lösen. Denn die ersten Reaktionen aus Armenien, Aserbaidschan und weiteren Communitys lassen darauf schließen, dass es bis zum Frieden noch ein weiter Weg ist.

HMS

Thomas de Waal: Black Garden: Armenia and Azerbaijan Through Peace and War; September 2013 (10th – Year Anniversary Edition, Revised & Updated); 387 Seiten, Taschenbuch; ISBN: 978-0-814-76032-1; New York University Press; ca. 25,00 €; auch als eBook ca. 18,00 €

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