„Brauchbare Menschen müssen sich fügen“

Kurzkritik – Eine ausführliche Betrachtung folgt.

Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs soll der siebzehnjährige Siggi Jepsen (Tom Gronau) in einer Strafanstalt einen Aufsatz zum Thema „Die Freuden der Pflicht“ schreiben, doch sein Blatt bleibt leer. Also in eine Einzelzelle und ran an die Aufgabe. Siggi beginnt wie besessen zu schreiben. Es geht in seine Kindheit, wo der elfjährige Siggi (nun Levi Eisenblätter) als Sohn des Dorfpolizisten Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) aufwächst. Dieser kennt nichts anderes als die Pflicht und so übermittelt er seinem Jugendfreund, dem expressionistischen Künstler Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti), das aus Berlin verordnete Malverbot. Doch der widersetzt sich und spannt dafür auch Siggi, dessen Patenonkel er ist, ein. Der Konflikt zwischen Jens und Max spitzt sich zu und auch der Druck aus Berlin wächst. Siggi hat Zweifel, steht zwischen den Fronten und über allem steht die Frage: Blinde Pflichterfüllung oder kritischer Widerstand?

Siggi Jepsen (Tom Gronau) in seiner Einzelzelle. Deutschstunde beendet? // © ZDF/Georges Pauly

Die auf dem gleichnamigen Roman von Siegfried Lenz (bei Hoffmann und Campe) basierende Verfilmung von Christian Schwochow (Bad Banks I und aktuell mit Je Suis Karl im Kino) schafft es geschmeidig die beiden Zeitebenen des jungen Erwachsenen und des Kindes Siggi miteinander zu verknüpfen. Nicht zuletzt auch dank des Drehbuchs seiner Mutter, Heide Schwochow, umschifft der Film gerade so noch manch einen überpathetischen Moment und vermittelt stattdessen beinahe ins Mark treffende Dramatik, etwa wenn sich der Vater aus Gründen der Pflichterfüllung gegen die Kinder wendet oder die Bilder Nansens beschlagnahmt werden sollen.

„Ein dekoratives Gleichnis“

Ausgezeichnet auch die Kamera von Frank Lamm, der dafür mit dem Bayerischen Filmpreis prämiert wurde, wenn es auch mit der Symbolik an mancher Stelle ein wenig übertrieben wird, die Kritik richtet sich dann jedoch eher an den Regisseur. Auch dass Deutschstunde zum Ende bei aller nötigen Verdichtung der breiten Thematik den einen oder anderen Haken etwas schnell schlägt, wo der Film sich zuvor Zeit nehmen Konflikte entstehen und sich dadurch erklären zu lassen. Da hatte es Schwochows Drehbuch doch ein wenig zu eilig, lassen sich manche Handlungen kaum mehr oder nur noch durch die Lektüre des Buches (oder seiner Zusammenfassung) nachvollziehbar machen.

Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) überbringt Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti) die Nachricht vom Malverbot // © ZDF/Georges Pauly

Dafür schafft Deutschstunde es zumeist makellos, den in der Handlung beschriebenen Konflikt greifbar zu machen und liefert auch Charaktere, die weder schwarz noch weiß sind (jedenfalls in den Hauptrollen). Die teils recht ausgeprägte Nähe, die die Charaktere zu uns haben, kommt auch durch die wirklich tollen schauspielerischen Leistungen, das gilt durch die Bank. Nicht allen mögen die gezeigten Ambivalenzen zusagen, die es so im Roman wohl nicht gibt (der Rezensent kennt nur die Zusammenfassung…), um dem Film aber auch eine zeitgemäße Relevanz zu geben, sind sie ein probates Mittel. Das Gefühl, all dies ist so fern nicht und manche „Es muss so sein“-Stimme wäre auch heute zu vernehmen, drängt sich jedenfalls auf.

Deutschstunde ist definitiv eine große Empfehlung, mit leichten Abstrichen. Ein wichtiger, spannender und aufwühlender Film bleibt es aber.

Von links: Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen), Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti), Siggi Jepsen (Levi Eisenblätter) // © ZDF/Sammy Hart

Deutschstunde läuft heute um 20:15 im ZDF und ist bis zum 10. November in der ZDF-Mediathek abrufbar

Deutschstunde; Deutschland, 2019; Regie: Christian Schwochow; Drehbuch: Heide Schwochow, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Siegfried Lenz; Produzent: Ulf Israel; Musik: Lorenz Dangel; Kamera: Frank Lamm; Darstellende: Tobias Moretti, Ulrich Noethen, Levi Eisenblätter, Tom Gronau, Sonja Richter, Johanna Wokalek, Maria Dragus, Louis Hofmann, Marek Harloff; Laufzeit: ca. 116 Minuten; FSK 12

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