Wir im Krieg – Bunte Idylle und glühender Hass

Zufriedenheit, Ruhe, Glück und Friede kann man in einigen der Aufnahmen sehen. Wenn zum Beispiel Käthe Höse auf dem Faltboot in die Kamera lächelt, die ihr frisch angetrauter Ehemann Erich hält. Wenn Hans Burscher das idyllisch bürgerliche Leben seiner Familie in Berlin-Schöneberg auf Farbfilm festhält. Wenn die Familie Hachenburg aus Bremen erfährt, dass ein drittes Kind auf dem Weg ist. Wenn der 16-jährige Götz Hirt-Reger beim sommerlichen Rudern in die Kamera lächelt. Wenn Walther Lenger seine spaßigen Filme dreht und zeigt, dass es der Familie gut geht. Das Leben war schön, damals, in Deutschland, in den 30er-Jahren.

Walther Lenger aus Leipzig freut sich auf das Jahr 1939 – aber aus welchen Gründen? @ ZDF & AKH

Wohl auch als Götz filmt, wie er seine aufgehängten Kuscheltiere verbrennen lässt; sicherlich auch als der Sohn der Burschers vom Reichsarbeitsdienst nach Hause kommt und voller Stolz seine Uniform präsentiert, dann den rechten Arm zum Hitler-Gruß streckt. Und ganz sicher als Walther Lenger voller Begeisterung „Kauft nicht bei Juden“-Schilder abfilmt.

„Die Deutschen machen mit, denen geht’s gut, die profitieren davon“, sagt die Historikerin Prof. Isabel Heinemann an einer Stelle der ZDFzeit-Dokumentation Wir im Krieg – Privatfilme aus der NS-Zeit, die vor kurzem im ZDF lief und nun in der Mediathek verfügbar ist. Erschreckend an dieser simplen Aussage ist genau das – die Einfachheit der ganzen Sache. Wieso sollten wir uns gegen etwas stellen, wenn es mir selber doch nicht schadet? Ich kann meine Normalität weitestgehend beibehalten und bestenfalls, ja, gar davon profitieren. Insbesondere Walther Lenger, der Zahlmeister der Wehrmacht werden wird, in ein luxuriöses Haus in Leipzig ziehen kann und dem es an nichts fehlt. Andererseits ist er auch einer derer, die uns sehr schnell als Hitler-Anhänger und Judenfeind erkennbar werden.

Grete Höse aus Leipzig im Faltboot im Sommer 1939. Das junge Ehepaar Höse filmt im August 1939 seine Hochzeitsreise entlang der Oder. Es sind die letzten friedlichen Tage vor Kriegsausbruch am 1. September 1939. © ZDF & AKH

Anders verhält es sich hier beim Ehepaar Käthe und Erich Höse, frisch vermählt verbringen sie ihre Flitterwochen auf einem Faltboot auf der Oder. Wir sehen Bilder aus dem noch unzerstörten Breslau, die einen bedrückt sein lassen. Ihre letzte Station ist dann Stettin – am 31. August 1939. Wir erfahren, dass sie nach Ende des Krieges ihre Leidenschaft fürs Rudern nicht aufgegeben haben werden. Da ist sie wieder, die Normalität. Doch waren sie wie Lenger oder der junge Götz Hirt-Reger, der letzten Endes Filmberichterstatter der deutschen Wochenschau wird, glühende Anhänger? Das wissen wir nicht. 

Von großer Wirkkraft, sicherlich auch dank der Farbe, sind die Bilder aus der idyllischen, im Schwarzwald gelegenen, Kleinstadt Lahr, knapp 18.000 Einwohner, etwa einhundert davon sind Juden. Hier sehen wir Bilder die damals im Auftrag der Stadtverwaltung gedreht worden sind – Flaggen, Aufmarsch, jubelndes Volk. Der Stadthistoriker Thorsten Mietzner sagt: „Ich hatte das Gefühl, dass Lahr in den Jahren zwischen 1933 und 1939 förmlich getränkt worden ist vom Nationalsozialismus.“ 

Das Städtchen Lahr im Schwarzwald in der NS-Zeit. Die Stadtverwaltung beauftragte damals Filmer, das Leben in Lahr von der Machtübernahme Hitlers bis zum Kriegsende zu dokumentieren. © ZDF & AKH

Zum Reichsparteitag 1936 in Nürnberg gibt es erstmals die Möglichkeit das Spektakel in Farbe aufzuzeichnen und diese wird natürlich voll ausgenutzt. Perfekt abgestimmt, wieder jubelnde Menschen, die Stärke des Regimes kann in vollem Glanz präsentiert und festgehalten werden. Dr. Janosch Steuwer von der Universität Zürich dazu: „Die Bilder zeigen die Fähigkeit des NS-Regimes aus ganz Deutschland eine Million Anhänger nach Nürnberg zu bringen. Aber sie zeigen eben nicht die Stimmung wie sie im deutschen Volke insgesamt gewesen ist.“ Das ist natürlich wahr, aber dennoch bleibt hierbei die Frage bestehen – wieso dann das alles? Wie konnte es dann zur Pogromnacht kommen? Zu anderen Bildern, die wir in der Dokumentation sehen? Juden werden bei Fastnachtsumzügen verhöhnt? Jugendliche versuchen in Speyer am Morgen nach der Pogromnacht 1939 einen jüdischen Tabakladen zu plündern. In Esslingen laufen Schaulustige in eine geplünderte Synagoge. Ist das Normalität? Ist das der deutsche Bürger in seiner Idylle anno 1939? Ein immer schon tief verankerter, immer wieder befeuerter Antisemitismus half natürlich, dies wird auch betont. Aber – wäre es 80 Jahre später wieder so?

Hobbyfilmer Walter Hachenburg dokumentiert den Familienalltag in NS-Diktatur und Krieg. Seine Frau und er erwarten 1939 ein Kind. © ZDF & AKH

Auf diesen Gedanken kommt auch Prof. Heinemann noch einmal zu sprechen. Sie wirft die Frage auf, bei all der Begeisterung, dem festlichen, dem Zugehörigkeitsgefühl: „Hätten wir das nicht vielleicht auch großartig gefunden, da drin zu stecken?“

Diese Worte klingen umso mehr nach, wenn man sich überlegt, wie viele Menschen regelmäßig in irgendwelche Gotteshäuser laufen und sich etwas von Nächstenliebe, Fürsorge und Menschlichkeit anhören, dabei begeistert nicken. Am Stammtisch sagen, die Welt muss eine Gute sein. Und sobald man das auf die Probe stellt, nutzen es einige als Vorwand um endlich den rechten Pöbel in Landesparlamente und den Bundestag wählen zu können. Fackeln werden wieder in die Luft gerissen, Parolen skandiert und Hass als Meinungsfreiheit zu deklarieren versucht. Andere könnten ja Normalität und Idylle zerstören.

Hobbyfilmer Burscher hält stolz den Besuch seines Sohnes Hans vom Reichsarbeitsdienst fest, die Mutter bewundert die NS-Uniform. © ZDF & AKH

Die Dokumentation zeigt mit viel technischem Aufwand uralte Aufnahmen, die teils aussehen, als wären sie erst gestern im Dresdner Zwinger gefilmt worden. Die meisten der Kommentare verschiedener Wissenschaftler sind hilfreich, um die Bilder einordnen zu können und sich nicht darin zu verlieren, wie schön man damals doch Gurken einlegen konnte. Nichtsdestotrotz wirkt manch ein Kommentar etwas verloren, als hätte man die zweite Hälfte des Satzes fallengelassen, dies zuweilen an den ungünstigsten Stellen, da dann meist ein harter Schnitt folgt. Möglicherweise soll dort etwas nachwirken, was aber nur dann funktioniert, wenn man sich des Themas schon zuvor angenommen hat. Ansonsten bleibt zu wenig Raum für den Gedanken, denn der nächste Punkt sofort folgt und wieder mit einem harten inhaltlichen Schnitt endet.

Dennoch ist dieser Film absolut empfehlenswert. Es ist gar wünschenswert, dass die Leute ihn sich anschauen und dabei einmal nichts anderes machen, sondern diese knapp 45 Minuten auf sich wirken lassen und sich anschließend ein paar Minuten nehmen und fragen: „Was habe ich da gerade gesehen?“

Außerdem erwähnenswert:

  • Das Lenger Haus ist, wie ich meine, auch Kulisse für das Haus der Seebands in Henckel von Donnersmarcks Film Werk ohne Autor gewesen. Jedenfalls sieht es sehr danach aus, selbst der Baum.
  • „Dank“ Walther Lenger kann man auch einige der wenigen Aufnahmen sehen, die es aus den sog. „Russenlagern“ gibt. 
  • Der Kriegt bricht aus – und man hält Wunderkerzen hoch.
  • Dresden, Juli 1940 – Jubelstimmung. Stalingrad, Januar 1943 – weniger Jubel.

Wir im Krieg – Privatfilme aus der NS-Zeit; Deutschland 2019; Autor: Jörg Müllner; Sprecher: Philipp Schepmann; Kommentatoren: Dr. Tobias Ebbrecht-Hartman (Hebrew University Jerusalem), Prof. Isabel Heinemann (Universität Münster), Prof. Dietmar Süß (Universität Augsburg), Thorsten Mietzner (Stadthistoriker, Lahr), Dr. Janosch Steuwer (Universität Zürich), Prof. Harald Walzer (Sozialwissenschaftler); Laufzeit: ca. 43 Minuten; verfügbar bis 4. Januar 2022

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