Bunte Eindrücke der USA

Beitragsbild, v. l. n. r.: Sundae-Eisbecher, © Kai Blum; USA 151-Buchcover; Pride-Parade und Firefighter, beide © Petrina Engelke

Nach und nach scheint die westliche Welt die Corona-Pandemie alles in allem solide in den Griff zu bekommen und somit ist auch Reisen wieder möglich und vor allem weniger gefährlich. Auch fernere Ziele wie die USA, die Europäer*innen noch immer die Einreise verbieten, dürften mittelfristig wieder erreichbar sein. Und „das Land der unbegrenzten Überraschungen“, wie es im erweiterteren Titel des Foto-Bild-Porträtbandes USA 151 von Petrina Engelke und Kai Blum heißt, dürfte sicherlich insbesondere nach der Abwahl Donald Trumps für viele Reisende interessant geblieben oder wieder geworden sein.

Election Day // © Kai Blum

Aliens, Baseball, Diners und Guns

Das bereits kurz vor der US-Wahl im November des vergangenen Jahres erschienene Buch bietet dabei 151 Momentaufnahmen – in Wort und Bild. Die meisten der Fotografien sind dabei von den fotografierenden Schreibenden Engelke und Blum selber, einige wenige aber auch aus Bilddatenbanken. Die Texte sind allesamt von den beiden Co-Autor*innen, deren „Profilbild“ den jeweiligen Text beschließt, quasi völlige Transparenz für uns Betrachter*innen. 

Ein typischer Diner // © Petrina Engelke

Der hochwertig gebundene Band in schön kräftiger Klappenbroschur (hier trifft es mal zu, wenn ein Verlag mit „Premium-Paperback“ wirbt) ist dabei alphabetisch angeordnet und zu jeder Begrifflichkeit gibt es natürlich die laufende Nummer. Also alles gut sortiert und übersichtlich, ein Inhaltsverzeichnis tut sein Übriges. Somit lädt USA 151 zum spontanen und fröhlich-ziellosen Blättern ebenso ein wie zum gezielten Nachschlagen.

Los geht’s dabei ganz uramerikanisch mit „Aliens“ und wir können gleich zu Beginn lernen, dass sich der Begriff nicht nur auf Lebewesen aus dem All, sondern in der Amtssprache auch auf Nicht-US-Staatsbürger bezieht. Sehr amerikanisch bleibt es auch bei den Beiträgen zu „Baseball“, „Diners“, „Guns“ (Waffen), „Election Day“, „Laundromats“ (Waschsalons) und natürlich „Thanksgiving“  und das Ende ist mit den „Yard Sales“ auch sehr amerikanisch. Das ist natürlich insofern eigentlich blödsinnig formuliert, weil natürlich der ganze Band „amerikanisch“ ist. Nur gibt es eben so manches, das vermutlich jede*r mit den USA assoziiert. Ein wenig wundert es, dass Halloween (auch wenn es „Halloween Dogs“ gibt) oder auch der große Prom fehlen.

Späti? Nee, Waffenladen // © Petrina Engelke

Fingers Crossed, Scabby begegnet dir nicht im Restroom

Je nachdem aber, wie viel man gegebenenfalls schon über das Land des Kapitalismus weiß, gibt es jedoch auch eine ganze Menge Begriffe, die nicht prompt vor dem geistigen Auge aufploppen mögen. „Coed Sports“ zum Beispiel, also gemischte Mannschaften. Oder „Scabby“ – die Gewerkschaftsratte. Die Erläuterung von „Fingers Crossed“, quasi der amerikanischen Variante des Daumen-Drückens oder auch „Lines“, also wie und warum das Sich-Anstellen in den USA so funktioniert. Auch Informationen zu den „Restrooms“, also öffentlichen Toiletten, oder der „Quinceañera“ erwartet man vielleicht nicht unbedingt in einer solcher Länderdokumentation.

Cherry Blossoms 💙 // © Kai Blum

Womit wir schon bei einem ganz wichtigen Punkt wären: USA 151 ist weit mehr oder schlicht gar kein Reiseführer, jedenfalls nicht im klassischen Sinne. Zwar finden sich auch ganz reiseführermäßig teils praktische Ratschläge, wie sich hier und dort zu verhalten wäre und wie man auch in kritischen Situationen glimpflich davon kommen könnte, etwa bei „Rip Currents“. Der herausgebende Conbook Verlag (der gerade erst mit dem Deutschen Verlagspreis 2021 ausgezeichnet wurde) vermarktet das Buch als ein „schonungsloses & liebevolles Gesellschaftsporträt“. Über das Wort „schonungslos“ könnte nun debattiert werden, aber sei’s drum. Es ist jedenfalls kein Buch, das die USA durchweg glänzen ließe und es ist in der Tat eher ein Porträt des Landes als eine Anleitung zum Reisen durch die USA.

Problematisch: Nomadenleben – RV Lifestyle // © Petrina Engelke

Insbesondere auch in den Beiträgen Petrina Engelkes geht es teils sehr kritisch und auch sehr aufklärend, beziehungsweise aufarbeitend zu. Wenn sie zum Beispiel über „Soul Food“, „Mansions“ oder „Reenactement“ schreibt, befasst sie sich dabei auch mit dem Kolonialismus und der Sklaverei. Wenn sie über „Immigrants“ oder „Ivy League“-Colleges schreibt, weist sie dabei auch auf die Ungleichheit in den USA hin. Oder wenn sie auf die wichtige Rolle von Late-Night-Shows aufmerksam macht. Das sind alles wichtige und dankenswerte Punkte, die dem Buch durchaus gesellschaftspolitische Relevanz verleihen. 

Kritik okay, Bashing weniger

Leider übertreibt es Engelke aber an mancher Stelle auch mit ihrer Kapitalismuskritik, die sich manches Mal schon wie eine grundsätzliche Ablehnung der westlichen Welt lesen kann. Beinahe nirgendwo erwähnt sie nicht, wie Kapital etwas ehemals Schönes angeblich den Glanz genommen habe oder es gefährde. Dass aber viele der schönen Dinge ohne böses Kapital auch gar nicht erst vorhanden wären – Flugzeuge, mit denen man in die USA kommt zum Beispiel – lässt sie gern geflissentlich außen vor. Warum es auch überhaupt einen Beitrag zu „Start-Ups“ geben muss, der mit „Goldgräber des 21. Jahrhunderts“ untertitelt ist, fragt sich dann schon.

Beliebt: Food Coop aka Genossenschaftsladen // © Kai Blum

Genauso stellt sich die Frage, was Petrina Engelke dann in den USA hält. Als Einwander*in ist die Verbindung ja ohnehin eine andere als für viele Personen, die im jeweiligen Land geboren worden sind, zu dem sie ein möglicherweise zwiespältiges Verhältnis haben. Engelke könnte ja auch ihre zwei Koffer, mit denen sie 2010 in die USA kam, packen und gehen. Diesen Widerspruch löst sie übrigens auch in der interessanten, teils aber auch frustrierenden Weltwach-Podcast Folge 170 mit Erik Lorenz nicht auf. 

Aber es ist eben auch nicht alles schlecht, so freuen sie und Co-Autor Kai Blum sich in verschiedenen, toll bebilderten Beiträgen zum Beispiel über den „National Park Service“ (Engelke: „Amerikas beste Idee“), die „State Parks“, die „Conservatories“ (etwa Botanische Gärten in Gewächshäusern), „Third Coast“  und „Community Gardens“. Oder auch über die Gemüsevielfalt in den als Fast-Food-Land verschrienen USA, wo allein Gemüsedirektverkaufsstellen am Straßenrand und Bauernmärkte laut Engelke im Jahr 2018 etwa 9 Milliarden Dollar zur US-Wirtschaft beitrugen.

„Amerikas beste Idee“: National Park Service // © Petrina Engelke

Bookstores, Libraries und University Press

Kai Blum geht an diversen Stellen auf Bildung im weiteren und engeren Sinne ein. Er schreibt über „Bookstores“, „Public Libraries“ – hier könnten wir uns in Deutschland, was die Finanzierung und den Ausbau öffentlicher Bibliotheken angeht, mal eine Scheibe abschneiden – genauso was „University Press“, also Universitätsverlage, betrifft! Auch über die berühmten „High Schools“, „Community Colleges“, „Commencement Speeches“ und „Fraternitites & Sororities“ (Studenten*innenverbindungen) schreibt er in den kurzen Beiträgen äußerst gehaltvoll.

Bookstores // © Kai Blum

Wie überhaupt für die platztechnisch maximal einseitigen Texte der Informationsgehalt sehr hoch ist. Bis auf oben die angesprochenen Kritikpunkte, was die Vorschlaghammermethode in puncto bösem Kapitalismus angeht, sind die Texte von Engelke und Blum immer eine feine Mischung aus kleiner Anekdote, wenn nötig knapper historischer Einordnung und einem Ist-Zustand. So lassen sich also locker viele Kleinigkeiten lernen und bei Bedarf dank Internet (hierzulande kaum in den wenigen öffentlichen Bibliotheken zu finden) und weiterführender Lektüre vertiefen. 

Amerikas Binnenküste: Third Coast // © Kai Blum

Auch finden sich kleine rote Linien, wie bei den Parks oder auch Gebäuden und Höhen – da geht es um „Skyscraper“ und die sehr hoch wachsenden „Redwoods“, die mit Wolkenkratzern verglichen werden, um „New Bauhaus“ in Chicago und „Rooftop Bars“. Das sind so kleine Feinheiten, die uns beim Lesen dann auch mal genüsslich seufzen lassen.

Persönliche Pride-Parade-Highlights

Pride! // © Petrina Engelke

Nicht zuletzt noch ein, zwei unseres Highlights, so wir sie nicht bereits nannten: „Cherry Blossoms“ (wer liebt sie nicht!), „Porch“, „Parades“ (wenn es hier und auch an anderer Stelle ein wenig stutzig macht, dass zum jeweiligen Bild keine örtliche oder situative Erläuterung anbei ist), „Leftovers“ (mittlerweile auch bei uns gängig), „Drive Thru“ (mit einem der Info-Highlights des Buches, ach Las Vegas…), „Ghost Towns“ und natürlich fehlt auch „Pride“ nicht. Zu letzterem erläutert Engelke auch noch kurz die Abkürzung LGBTQ* und geht allgemein in ihrem kurzen Beitrag auf die Stonewall Riots und die ursprüngliche Regenbogenflagge von Gilbert Baker ein. Wie sie überhaupt an verschiedener Stelle immer mal wieder sexuelle und geschlechtliche Identität Platz finden lässt.

Unterm Strich steht hier also eine große, fette Empfehlung für USA 151. Der Band ist zumeist toll bebildert, reich an Informationen zu den verschiedensten, die USA betreffenden Themen, dabei wechseln sich schmunzeln, nicken und nachdenken wunderbar geschmeidig ab und es spielt keine Rolle, ob bereits eine engere Verknüpfung zu den USA besteht oder nicht. 

QR

PS: Wenn wir es uns recht überlegen: Doch Informationen zu „Restrooms“ erwarten wir auch in regulären Reiseführern.

PPS: Wenn wir „Petrina“ eingeben will die Autokorrektur daraus „Betrink“ machen.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Petrina Engelke und Kai Blum: USA 151 – Das Land der unbegrenzten Überraschungen in 151 Momentaufnahmen; 1. Auflage, Oktober 2020; 288 Seiten, mit über 160 Fotos; Klappenbroschur mit Fadenheftung; ISBN: 978-3-95889-324-5; Conbook Verlag; 16,95 €

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