„Das Unterlassen der eigenen Homosexualität ist keine schauspielerische Qualität“

Bilder oben: Daniel Noël Fleischmann in einem Porträt-Bild von Rana Farahani und rechts im Tatort: Hetzjagd als Ludger Rehns mit Ulrike Folkerts als Lena Odenthal // © Rana Farahani / © SWR/Jacqueline Krause-Burberg.

Gut eine Woche ist vergangen seit sich im SZ-Magazin vom 5. Februar 2021 185 Schauspieler*innen als lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, queer, inter und nicht-binär geoutet, beziehungsweise noch einmal ein #wirsindschonda betont haben. Unter denen, die mit dieser Aktion eine Debatte anstoßen oder viel mehr sichtbarer machen und weiterentwickeln wollen, ist auch Daniel Noël Fleischmann. Fleischmann, 1993 in Nürnberg geboren, ist Schauspieler und Autor und spielt im Ludwigshafener Tatort Hetzjagd, der an diesem Sonntag ausgestrahlt wird, den Antagonisten der von Ulrike Folkerts gespielten Kriminalhauptkommissarin Lena Odenthal. Folkerts, die im Jahr 1999 ihre Liebe zu Frauen öffentlich machte, ist ebenfalls Teil der #ActOut-Kampagne.

Wir haben in einem Chat-Interview mit Daniel Noël Fleischmann über seine Rolle als Rechtsextremist Ludger Rehns im Tatort, seine Motivation zur Beteiligung an #ActOut und seine Standpunkte in Bezug auf internalisierte Homophobie und die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Austauschs gesprochen.

Nach unserer gegenseitigen Begrüßung und der beiderseitigen Freude, dass wir es zu einem Online-Gespräch geschafft haben, wollen wir mit dem „Tatort“ beginnen. Natürlich möchten wir von der „the little queer review“ wissen, ob es während der coronabedingt unterbrochenen Drehzeit einen Austausch zwischen Daniel Noël Fleischmann und Ulrike Folkerts zu #ActOut gab.

[Anmerkung: Wir haben die von Daniel Noël Fleischmann gegebenen Antworten in dem von ihm gewählten Stil belassen, da er wie erwähnt auch Autor ist und wir dies als seine Freiheit des Schreibens betrachten.]

the little queer review (TLQR): Wie war es mit Ulrike Folkerts, der legendären Lena Odenthal, zu drehen? Wohl auch wissend, dass der Tatort in der Zeit um den Start der #ActOut-Kampagne erscheinen würde?

Daniel Noël Fleischmann (DNF): also während der dreharbeiten, die ja im märz 2020 coronabedingt unterbrochen und dann auf juli umverlegt werden mussten, hatte ich von actout noch gar nichts gehört!

deshalb gab es dahingehend jetzt keinen austausch zwischen ulrike und mir oder so. mit ihr zu arbeiten war sehr toll. ich hatte mir zur vorbereitung natürlich ein paar folgen mit ihr als kommissarin angesehen – plötzlich steht sie vor dir und man probt kurz und legt los. eine tolle erfahrung war das!

TLQR: Wann haben Sie von #ActOut gehört oder wann sind Sie angesprochen worden?

DNF: von actout hörte ich über einen schauspielerkollegen, der mir das manifest schickte und fragte, ob ich mitmachen möchte. das war, einen augenblick … am 19. dezember genau. vor weihnachten – ein schöneres geschenk hätte man mir nicht machen können.

Das finden wir sehr schön formuliert und ohne dass wir ihm gegenübersitzen, nehmen wir ihm diese Freude prompt ab. Im Vorfeld unseres Chats hatte sich Daniel Noël die Mühe gemacht, ein persönliches Statement zu seinem Engagement bei #ActOut zu verfassen. Die Bedeutung, die die Kampagne für ihn hat, entfaltet sich darin ganz wunderbar. Zu diesem intimen Statement kommen wir später, vorerst brennen uns noch ein, zwei Fragen zum „Tatort“, den wir vorab gesehen haben, auf der Seele.

In „Hetzjagd“ spielt er den rechtsextremistischen Ludger Rehns, der unter Verdacht steht, den Organisator von „Rock gegen Rechts“-Konzerten, Tillmann Meinecke, ermordet zu haben und anschließend auf der Flucht einen fatalen Schuss auf Polizeioberkommissarin Katja Winter abfeuert.

TLQR: Die Rolle des Ludger Rehns fordert viel: Als Zuschauer*innen spüren wir den Hass, die Wut, die tief sitzende Überzeugung, aber auch die Angst, Panik und Zweifel. Manchmal verändern Sie Ihren Ausdruck im Bruchteil einer Sekunde, ihre Augen spielen mit unseren Erwartungen. Wie lief der Vorbereitungsprozess? Sich in die Figur hineinzuversetzen dürfte keine leichte Aufgabe gewesen sein.

Daniel Noël Fleischmann als Ludger Rehns im Tatort: Hetzjagd (Sonntag, 14.2.2021 um 20:15 Uhr im Ersten). // © SWR/Jacqueline Krause-Burberg

DNF: das freut mich sehr zu hören, danke. mit anne marie lux (die hedwig joerges spielt, die freundin von ludger rehns) telefonierte ich oft, weil wir uns über diesen „inneren motor“ viele gedanken machten, auch sprach ich mit dem regisseur tom bohn darüber. was mir wichtig war: es geht hier nicht nur um blinde wut, um permanentes schreien und um sich toben – es geht auch wirklich um eine ernstgemeinte lebensauffassung, es geht um angst, um traumata, um den wunsch nach „sicherheit und ordnung“ – ich fand es richtig, dass man bei ludger da verschiedene strategien sichtbar werden lässt: freiheit durch anerkennung im internet, freiheit durch gewalt, freiheit durch flucht nach frankreich, freiheit durch „sich wehren“, durch kooperation etc. am ende ist er total gefangen in seinen gedanken und dreht sich im kreis.

das hineinversetzen klappte also durch diesen wunsch nach freiheit bzw die angst vor kontrollverlust.

TLQR: Uns kam es beim Anschauen von Hetzjagd so vor, als hätte es noch eine weitere Szene mit Ihrer Figur Ludger Rehns geben können. Halten Sie die Geschichte des Charakters in dieser Tatort-Folge für auserzählt?

DNF: ich glaub schon, dass das dem so richtig den boden unter den füßen weggezerrt hat. das ist ja das absurde: menschenleben bedrohen, gar töten, lässt ihn kalt. aber dieser freiheitsentzug – und wohl auch die tatsache, dass er hedwig nicht mehr so schnell sehen wird, sprich: dass dieser wahnhafte traum jetzt mit einem mal zerplatzt ist – das hätte ich schon gerne noch gezeigt. die art konsequenz, wohin diese art hass und ausgrenzung führt: nämlich in die eigene totale einsamkeit.

Damit gibt Daniel Noël unserer „fehlenden Szene“ eine Form. Mehr zu allem, was uns fehlte und was nicht, könnt ihr in unserer Besprechung von Lena Odenthals mittlerweile 73. Fall lesen. So viel sei schon einmal gesagt: Es ist eine sehr ambitionierte Folge. 

Nach dieser Form von Ausgrenzung möchten wir nun mehr über das Verhindern einer anderen Ausgrenzung sprechen und kommen wieder zu #ActOut. Es gab, ganz wie wir es in unserem Kommentar vermutet hatten, sehr verschiedene Reaktionen auf die im SZ-Magazin veröffentlichte Story. Natürlich nicht nur in den Medien direkt, sondern auch durch die Nutzer*innen in den sozialen Netzwerken. 

TLQR: Wie betrachten Sie die Reaktionen auf den SZ-Beitrag und die #ActOut-Kampagne als solcher? Haben Sie sich eine breitere Resonanz gewünscht oder sind Sie zufrieden damit, dass an mancher Stelle darüber diskutiert wird?

DNF: hm. also mir gratulierten ein paar, die nürnberger nachrichten fragten mich im interview auch, ob mich das mut gekostet hätte, was ich verneinte, weil ich mut ja nur brauche, wenn ich vor etwas angst habe. und da meine leute eh wussten, dass ich homosexuell bin, kam jetzt auch nicht die riesen welle auf mich zu a la „DAS HÄTTE ICH JA NIE GEDACHT! DU?!?!“ 

was mich aber wundert, ist der diskussionsGEGENSTAND, der nun teilweise auftaucht, zB hier auf facebook. da tauchen dann kommentare auf so in die richtung „das ist doch schon lange stinknormal/die wollen sich nur wichtig machen/na solange ich nicht eines tages erklären muss, warum ich heterosexuell bin“ – das zeigt einem schon, wie wichtig und dahingehend tatsächlich mutig dieser artikel war!

Fleischmann, der Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes ist, nimmt hier mit seiner Antwort einen Teil unserer folgenden Frage vorweg. In einer Facebook-Gruppe hatte eine Nutzerin ein vom MDR erstelltes Bild der Schauspieler Karin Hanczewski (Karin Gorniak im Dresdner „Tatort“) gepostet. Auf dem Bild war auch ein Zitat von Hanczewski zu lesen („Sichtbarkeit zu erschaffen für marginalisierte Gruppen, zu denen wir gehören, ist immer wichtig“), welches einem Gespräch mit dem MDR entnommen war, in dem es um ihre Beteiligung bei #ActOut ging. Das Bild erhielt einige Likes in verschiedenen Formen, die Kommentare jedoch waren eher negativ geprägt und fielen ziemlich genau in die von Daniel Noël Fleischmann erwähnte Kategorie.

TLQR: Zu lesen war dort unter anderem warum „Schauspieler“ sich denn alle outen und das jedem auf die Nase binden müssten. Ob es jetzt schick sei, „lesbisch, homo, oder div. zu sein?“ Aber auch der gern variierte Klassiker, dass man sich als Hetero ja fast als Aussenseiter fühle. Was dieser Humbug solle. Ob man „denen“ jetzt immer den roten Teppich ausrollen solle, wenn sie um die Ecke „gehomot“ kämen. Das sei den Leuten doch scheißegal.

DNF: da bleibt einem echt die spucke weg, oder?

Ebenso wurde unter dem Facebook-Beitrag einfach mal festgelegt, dass gerade im künstlerischen Bereich Homosexuelle sicherlich keine Nachteile zu ertragen hätten (was nachweislich falsch ist). Auf den Hinweis, vor solchen Behauptungen doch einmal das SZ-Interview zu lesen und vor allem Personen nicht einfach ihre persönlichen Erfahrungen abzusprechen, wird dann erwidert, diese Nachteile seien nur Behauptungen, mehr nicht. Der Userin, die das Bild gepostet hatte und versuchte eine sachliche und nachfragende Unterhaltung zu führen, sich gar dafür entschuldigte, wenn sich jemand in seiner Heterosexualität verletzt fühlte, wurde dann noch die Verbreitung von „populistischem Blödsinn“ unterstellt.

Wir haben Daniel Noël Fleischmann darüber hinaus gefragt, was er von dem Frankfurter Allgemeine Zeitung-Kommentar von Sandra Kegel halte, die in diesem zumindest indirekt die Notwendigkeit der Aktion in Frage stellt: „Natürlich lassen sich Gegenbeispiele von Hollywood bis ‚Soko‘ finden, und dass Unterzeichner wie Ulrich Matthes, der natürlich ungezählte Familienväter spielte, oder auch Udo Samel, Mavie Hörbiger oder Maren Kroymann an Unterbeschäftigung litten aufgrund verschlossener Türen, hat ihre Dauerpräsenz nicht vermuten lassen. Womöglich sind ja die Türen, die sie ‚aufmachen wollen‘, bereits sperrangelweit offen. Vielleicht aber quietschen sie auch noch gehörig.“

„wir sind schon da. und es geht darum, dass gleichgeschlechtliche liebe beispielweise neue und vor allem MEHR narrative findet“ // Foto: © Rana Farahani

DNF: ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. mich erinnern diese meinungen an den unsäglichen wdr „beitrag“, der nun durch DIE BESTE INSTANZ gott sei dank eine super gegenantwort erlebt hat. [Er bezieht sich mit dem „beitrag“ auf die Sendung „Die letzte Instanz“ vom 29.1.2021, Anm. d. Red.]

vielleicht nun also eine gegenantwort von mir, was mich „nervt“ als homosexueller: zb dass es in fünfzehn ländern darauf die todesstrafe gibt, bzw. sie droht, in 72 (!) ländern gleichgeschlechtliche liebe verboten ist und mit haft bestraft wird. dass armin laschet einen offen homophoben berater [Nathanael Liminski, Anm. d. Red.] hat. dass die katholische kirche, der papst selbst, für unsere heilung betet bzw. uns mit der hölle gedroht wird. dass die zeugen jehovas bücher rausbringen, in denen erklärt wird, dass homosexuelle allesamt als kinder vergewaltigt wurden und sie so „auf den falschen weg“ kamen. dass tausende nicht-heterosexuelle in den kzs umgebracht wurden, circa 10000 verhaftet. dass der paragraph 175 erst 1994 gestrichen wurde. genannter paragraph zu ca 64000 verurteilungen führte. dass merkel sich gegen die homoehe ausgesprochen hat. das sind so beispiele, die mich „nerven“. der neueste beschluss, dass diese anti-homo-therapien verboten werden – das ist ja keine zehn jahre her. also von welchen sperrangelweiten türen spricht man da gesellschaftlich?

nun speziell im bezug auf film/fernsehen. es geht da um ein vorkommen. um die art und weise, WIE und WIE OFT wir uns mit diesen themen befassen. wie wir diversität heute erzählen, spiegeln und zeigen. dazu gehört auch mut, doch wie im artikel eben beschrieben: wir sind schon da. und es geht darum, dass gleichgeschlechtliche liebe beispielweise neue und vor allem MEHR narrative findet.

Der Berater von Armin Laschet, Nathanael Liminski, ist der Sohn des Journalisten und Autoren Jürgen Liminski, der bis zu seinem Renteneintritt am 1. August 2015 als Redakteur und Moderator für den Deutschlandfunk arbeitete. Dort hatte er auch Sendungen wie das Diskussionsformat „Kontrovers“ moderiert, mindestens einmal zum Thema „Homosexualität in der Gesellschaft“, hierfür wurde er vielfach für seine als einseitig und indirekt homophob geprägt empfundene Gesprächsführung kritisiert, die Einschätzung teilen wir. Ebenso wurde er 2014 von der Deutschlandfunk-Geschäftsführerin Birgit Wenzin für seine „affirmative Gesprächsführung“ in einem Interview mit dem konservativen Europapolitiker Tobias Teuscher gerügt. Dieser unterstellte den Grünen, bewusst pädophile Umtriebe zu fördern und behauptete weiter, einige Parteien würden Homosexualität als Leitkultur in der EU vorschreiben wollen. Jürgen Liminski ist regelmäßiger Autor und Kolumnist u. a. der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ und der „Jungen Freiheit“.

In seiner Antwort bezieht sich Fleischmann auch auf sein Statement, zu welchem wir gleich kommen wollen. Vorab aber noch eine Frage zur Wahrnehmung bei Caster*innen, hierbei mussten wir auch an das kurz zuvor veröffentlichte Statement des offen schwul lebenden Produzenten Nico Hofmanns denken.

TLQR: Wenn Sie sagen, ein paar Leute gratulierten Ihnen zu #ActOut und Ihre Leute wüssten eh Bescheid, ist das Outing ja nicht mit Befürchtungen verknüpft gewesen. Haben Sie den Gedanken, dass infolge dessen mehr, andere, Caster*innen & Co. auf bestimmte Namen aufmerksam werden? Mit einem anderen Bewusstsein schauen?

DNF: ich hoffe, dass es sich die film- und fernsehlandschaft zur aufgabe macht, diverser zu erzählen. insofern dient unser artikel also vielleicht als inspiration im sinne von „schaut mal wie viele gesichter das hat“ – und die 185 sind erst der anfang. mit einem roten teppich hat das aber überhaupt nichts zu tun. wir nutzen die position, die wir haben, um auf ein thema aufmerksam zu machen. und die angst sich zu outen und dadurch nachteile zu erleben beispielsweise IST ein thema – das kennen wir ja auch aus anderen bereichen wie dem fußball. drum sagte ich „kreis durchbrechen“ raus aus den ängsten, aus dem kopf und gesicht zeigen: wir sind da. es gibt uns und wir können das. actout ist keine einschränkung, die irgendwem was auf die nase bindet und sagt „ab jetzt nur noch wir“ – sondern eine erweiterung – künstlerisch, gesellschaftlich – die es schon gibt, aber in den narrativen eben oft noch gar nicht vorkommt oder wenn, dann oft eben noch stereotypisiert.

An dieser Stelle machen wir eine kurze Pause. Daniel Noël Fleischmann braucht Zigaretten und wir müssen Kaffee in der French Press vorbereiten. 

Daniel Noël Fleischmann wurde 1993 in Nürnberg geboren, arbeitet als freischaffender Schauspieler und Autor und lebt in Berlin.
Nach dem Schauspielstudium an der ADK Ludwigsburg, bei welchem er den Förderpreis beim SKS 2018, sowie das Stipendium der Studienstiftung erhielt, folgten Engagements am Staatstheater Stuttgart und Theater Heidelberg, sowie erste TV-Rollen u. a. bei der SOKO Stuttgart und nun dem Tatort Ludwigshafen.
2012/13 erschienen die ersten Lyrikbände B3 Süd, Und die Mauern riefen sich, sowie der Roman C wie Zukunft, welcher beim federleicht Literaturwettbewerb den 1. Platz in der Kategorie Roman gewann. 2020 wurde Daniel Noël Fleischmann mit seinem Stück TRAUMALTAR [achtlose Tage. verschwinde, Kümmernis!] für den Retzhofer Dramatikerpreis 2021 nominiert.
Im April diesen Jahres verwirklicht er seinen ersten Kurzfilm Dämonen als Regisseur.

Kurzbiografie von Daniel Noël Fleischmann

Zu dem von ihm angesprochenen „ab jetzt nur noch wir“ passt die Debatte, ob denn (für eine gewisse Zeit) nur noch queere Schauspieler*innen queere Rollen übernehmen sollten. Es gibt da innerhalb der LSBTIQ*-Community sehr viele verschiedene Ansichten. So wurde die Aussage vom britischen Produzenten Russell T Davies, er werde nur noch so besetzen als zu absolut betrachtet. Wobei die wahrscheinlichste Lesart, dass es ihm vor allem um das Sichtbarmachen eines Problems, der Marginalisierung queerer Schauspieler*innen und einer oft noch immer klischeebeladenen Rollengestaltung, gehen könnte von den meisten prompt verworfen wurde.

Fleischmann ist zurück und ihm ist noch etwas eingefallen:

DNF: ich musste grad nochmal über das rote teppich bild nachdenken. ist schon ne frechheit. da tut man so als hätten wir uns jetzt alle ne goldkette umgelegt und würden uns damit vor die kameras stellen und „wie immer“ dadurch irgendwelche vorteile genießen. dabei geht es doch um aufklärung. das ist arbeit, kein luxus. und wenn homophobie zum beispiel als nervig oder anstrengend erlebt wird – ja stell dir mal vor wie es für betroffene ist. schon krass…

Wir merken, wie sehr er die Probleme durchdenkt und durchdringt, sie aber auch in ihn dringen. Was auch seinem Statement „über mein actout“ zu entnehmen ist, zu welchem wir nun noch zwei Fragen vor dem Ende unsere Chat-Interviews haben.

TLQR: Sie schreiben dort von den Erfahrungen in der Grundschule, später am Gymnasium, „schwul“ als Schimpfwort, und dem „unterhaltungsklischeeabbild“, das erinnert in Teilen an die Geschichte von Édouard Louis, der sich schließlich nach Paris in die Welt der Schreibens flüchtete, erst hart und dann ein wenig sanfter auf seine Geschichte zurückblickte. Würden Sie sagen, dass Sie ins Schauspiel und ja auch ins Schreiben, in die Lyrik (wofür Sie sogar von einem Rezensenten [Holger Doetsch, der unregelmäßig auch für the little queer review Kommentare und Besprechungen verfasst, Anm. d. Red.] mit Arthur Rimbaud verglichen worden sind), geflohen sind? Und, zweite, daran anknüpfende Frage: Haben Sie in dieser Flucht etwas über den Umgang mit dem Hass gegen Sie und Ihre Sexualität gelernt?

„man bekommt dieses gift mit – in den nachrichten, in der politik, bei so manchen aussagen der religiösen, aber eben auch schon in der schule.“ // Foto: © Rana Farahani / DNF auf Instagram

DNF: nein, flucht ist das falsche wort. umgang würde ich es nennen. man bekommt dieses gift mit – in den nachrichten, in der politik, bei so manchen aussagen der religiösen, aber eben auch schon in der schule. schreiben und spielen war ein weg, dieses gift auch wieder loszuwerden. und auch der wut darüber einen geschützten raum zu bieten sich auszudrücken und stattzufinden.

TLQR: Weil im Statement auch einmal „ich flüchtete mich schnell wieder in eine theaterfamilie“ steht.

DNF: naja das meine ich so: schreiben und spielen, sprich künstlerischer ausdruck an sich, wurden zwei enge freunde, auf die ich glaub gar nicht mehr verzichten kann oder mag. aber es bleibt ein UMGANG, ein dialog mit den spannungen, die ich auf der welt innerlich und äußerlich erlebe – keine flucht vor ihnen.

genauso wie actout ja nicht sagt „wir sind jetzt die queere bubble, tschüss ihr loser“, sondern in klaren kontakt geht und den austausch sucht

umso wichtiger sehe ich diesen austausch, dieses stattfinden dürfen. in den nachrichten, in den medien, in den geschichten. solange es keinen gleichgestellten platz in der gesellschaft hat IST es ein thema.

An dieser Stelle verabschieden wir uns voneinander. Die Freude über dieses interessante, persönliche und sehr offene, ebenso lehrreiche Gespräch ist groß. Als der Kaffee gezogen und auf Trinktemperatur gekommen ist und wir an den Tisch zurückkehren, ist Daniel Noël Fleischmann doch noch etwas in den Kopf gekommen.

DNF: ha! jetzt fällt mir doch noch eine sache ein. ein bekannter lobte meine arbeit insofern, dass er meinte, ich sei im tatort „überhaupt nicht mehr schwul“ – das fand ich als kompliment schon sehr eigenartig, dass nicht das verkörpern eines rechtsradikalen, sondern sozusagen das „unterlassen der eigenen homosexualität“ als schauspielerische qualität gesehen wird. aber es zeigt mir auch wie homosexualität anscheinend noch verstanden wird: als weich, schrill, feminin, whatever. männlichkeit (ernst, aggressiv, laut etc) aber ist automatisch heterosexuell und ich glaube dieses bild gilt es zu ändern. weil es nunmal heutzutage weder dem bild von männlichkeit noch dem bild von homosexuellen gerecht wird. kurzum: es wird zeit, dass wir alle facetten zeigen. nicht nur zwei.

Und wir hatten gedacht „solange es keinen gleichgestellten platz in der gesellschaft hat IST es ein thema“ sei ein schönes Schlusswort gewesen. Da wurden wir eines besseren belehrt, tja.

Eure queer-reviewer

❤️🧡💛💚💙💜

Hier findet ihr noch das Statement über mein actout von Daniel Noël Fleischmann.

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