Dem Frieden und der Demokratie verpflichtet – und dem Bürokratiedschungel

Wahlen bieten immer wieder entscheidende Weichenstellungen für Demokratien. Wenn heute ein neuer US-Präsident gewählt wird, wird es spannend zu sehen sein, was passiert, falls Donald Trump abgewählt werden sollte. Debatten um Wahlfälschung und vor allem die Briefwahl prägen bereits seit Monaten den Diskurs, denn Trump hält sie für überaus fehleranfällig.

Das ist die Zeit der Wahlbeobachter. Demokratische Wahlen werden öffentlich abgehalten und internationale Organisationen wie die Europäische Union (EU) oder die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entsenden internationale Wahlbeobachtungsmissionen, um die Einhaltung demokratischer Standards bei Wahlen zu gewährleisten. Doch wie wird man Wahlbeobachter? Ich habe selbst Interesse an dieser spannenden Aufgabe und habe mich daher informiert. Es folgt somit ein Essay der etwas anderen Art: Ich schreibe über den Bewerbungsprozess für internationale Wahlbeobachtungsmissionen und meinen eigenen Erfahrungen hierbei.

Das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze wählt Wahlbeobachter aus

Zuständig für die Auswahl von Wahlbeobachtern ist das Auswärtige Amt. Dieses hat das Auswahlverfahren an das Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF) mit Sitz in Berlin delegiert. Das ZIF hat hierfür einen Expertenpool eingerichtet, aus dem regelmäßig für Kurz- oder Langzeitwahlbeobachtungen Personen ausgewählt werden, um die Bundesrepublik Deutschland bei internationalen Missionen zu vertreten.

Um in diesen Pool zu kommen, ist leider ein recht langwieriges Verfahren erforderlich. Nichts gegen ein gründliches und intensives Auswahlverfahren, doch hier gibt es so einige vermeintlich unnötige Hürden. Es beginnt mit einer Online-Bewerbung immer zum Stichtag, der einmal jährlich ist (i. d. R. Ende Juni). Bis dahin hat man Zeit, ein Onlineprofil zu vervollständigen, persönliche Daten einzutippen und eine Reihe von Unterlagen einzureichen.

Sitz der OSZE in Wien

Wer schon einmal eine Onlinebewerbung gemacht hat, weiß, dass es sehr nervig sein kann, hier alle Felder auszufüllen. Das ist auch beim ZIF nicht anders, zumal die Software eher der Optik und Benutzerfreundlichkeit von Windows 95 entspricht. Allerdings ist das Eingeben der Daten hier dann doch im Vergleich wenig Arbeit. Weit aufwändiger ist das Zusammenstellen aller Unterlagen.

Viele, viele (kostspielige) Unterlagen erforderlich

Die wichtigsten davon sind ein Motivationsschreiben, ein Lebenslauf, Referenzen und nach Möglichkeit ein Foto. Vor allem die selbst erstellten Dokumente (Motivationsschreiben und Lebenslauf) müssen dabei auf Englisch verfasst sein, bei den anderen Dokumenten und Referenzen wird hierzu keine Angabe gemacht. Die Abwägung bei mir war, dass das ZIF eine deutsche Agentur ist und somit eigentlich deutschsprachige Referenzen in Ordnung sein sollten. Oder doch nicht? Werden sie ggf. aufbewahrt und bei Bedarf an weitere Institutionen (OSZE, EU) weitergegeben und werden daher auf Englisch benötigt? Leider wird dies auf der Homepage des ZIF nicht klar. Im Zweifel daher lieber auf Englisch, auch wenn es in der Regel für Bewerber/innen erheblichen Mehraufwand bedeuten dürfte, denn von Zeugnissen ordentliche Übersetzungen anfertigen zu lassen kostet a) Zeit und b) nicht selten auch viel Geld.

Beim Motivationsschreiben soll man, ähnlich einer Jobbewerbung, ausführlich darlegen, warum man Wahlbeobachter/in werden möchte, was den/die Bewerber/in qualifiziert und welche Eigenschaften er/sie dafür mitbringt. Außerdem wird seitens des ZIF darum gebeten, dass der/die Bewerber/in regionale Präferenzen für Einsatzgebiete angibt, ebenso wie thematische Einsatzfelder. Leider kommen diese Bitten aber erst, wenn die eigentlich vollständigen Unterlagen bereits eingereicht wurden.

Da ich meine Bewerbung bereits einige Tage vor Ende der Frist hochgeladen habe, konnte ich noch nacharbeiten. Dennoch werden solche Bewerbungen gerne erst in den letzten Tagen oder Stunden finalisiert, weshalb eine Reaktion hier oft nicht mehr möglich ist. Zumindest gibt es aber die Möglichkeit überhaupt nachzubessern. Gleichwohl, diese Information kann man getrost auch gleich auf der ersten Infoseite geben, was vielen Bewerberinnen und Bewerbern ggf. ein wenig Fluchen ersparen könnte.

Auch der Lebenslauf muss auf Englisch sein. Seitens des ZIF wird angegeben, dass man den CV im Europass-Format einreichen kann, aber nicht muss. Dazu gibt es einen Link zu einer Word-Datei aus 2003 (!). Auch hier die Abwägung: lieber den eigentlich vorhandenen, halbwegs auf Hochglanz polierten, eigenen Lebenslauf nehmen oder das alte Word-2003-Dokument? Beim eigenen Lebenslauf hat man sich ja in der Regel viele Gedanken über Struktur und Inhalt gemacht. Aber wenn schon eine Vorlage zum Download verlinkt ist, vielleicht sind dann ja doch die Chancen höher, wenn man als Bewerber/in die unhandliche Datei verwendet? Der/die Bewerber/in muss hier eine Entscheidung treffen – wir haben uns für die unhandliche 2003er-Datei entschieden.

Referenzen erfordern auch viel Aufwand

Nun zu den Referenzen. Bei einer normalen Jobbewerbung würde man die relevanten Arbeits-, Studien- und Ausbildungszeugnisse zusammenstellen. Aber ist das wirklich das, was hier gewollt ist? Oder soll es eher ein Referenzschreiben sein, so, als würde man sich beispielsweise während des Studiums auf ein Stipendium bewerben? Das wird an keiner Stelle klar, ich habe mich hier für die Referenzschreiben für Stipendien entschieden und füge die Studienzeugnisse hinzu.

Wer solche Referenzen schon einmal einholen musste, der weiß, welch ein Aufwand hierin steckt. Man sollte sich Gedanken machen, wen man fragt, diese (in der Regel ja durchaus vielbeschäftigten) Referenzgeber ansprechen, ein paar Stichpunkte liefern, was man tun will (also was das Wahlbeobachtungsprogramm ist) und welche persönlichen Aspekte man einbringen kann. Klar, solche Referenzen werden dann von den angesprochenen Personen oder ihren Assistenzen gerne geschrieben, aber auch diesen Personen ist sehr geholfen, wenn man einige Stichworte liefert. Und natürlich ist es auch sinnvoll, in dem eigenen Motivationsschreiben einen klugen Bezug zu den Referenzen herzustellen. Das alles ist viel Arbeit und sollte auf keinen Fall auf die lange Bank geschoben werden.

Friedliche Wahlbeobachtung aus der Luftperspektive

Auch diese Dokumente muss man in langen Prozessen zusammensammeln, zusammenfügen, hochladen (Achtung: lediglich maximal 5 MB!) und erst nach Versand der Bewerbung wird auch hier seitens des ZIF spezifiziert, dass auch Arbeitszeugnisse sehr sinnvoll seien. Also habe ich meine (überwiegend nur auf Deutsch vorhandenen) Zeugnisse zusammengesucht, an die vorhandene Datei angefügt und so hoffentlich noch ein paar Punkte in letzter Minute gesammelt. Dennoch hätte das ZIF bereits viel früher die Information herausgeben können, welche Unterlagen es hier genau benötigt und welche nicht. Das könnte den Bewerberinnen und Bewerbern oft viel Zeit ersparen.

Nachdem das Bewerberprofil vollständig ist, muss man es offiziell freischalten. Das ist nur ein Klick und geht relativ schnell. Nach wenigen Minuten kommt eine Mail, in der die Freischaltung bestätigt wird (und eben auf die Bewerbungsunterlagen hingewiesen wird – welche Unterlagen und Angaben das ZIF im weiteren Prozess benötigt, siehe oben). Was nicht explizit bestätigt wird, ist, dass die Bewerbung auch geprüft wird. Rückblickend kann ich sagen, dass das so ist, aber hier wäre eine explizite Aussage direkt mit der Eingangsbestätigung hilfreich.

Danach muss man laaaaange warten

Danach sollte für den/die Bewerber/in erst einmal Ruhe sein. Bis Ende Oktober – also vier Monate später – fällt beim ZIF eine Entscheidung und man soll darüber benachrichtigt werden. Im positiven Fall ist das aber nicht die finale Entscheidung über die Aufnahme in den Expertenpool. Zuerst  wird der/die Bewerber/in im nächsten Schritt zu einem Wahlbeobachterkurs zugelassen, der einmal jährlich in Berlin stattfindet und 100 Euro Teilnehmerbeitrag kostet. 2020 fand dieser Ende September statt – also etwa ein Jahr nach der Entscheidung über die Bewerbungen der Personen, die sich zum 30. Juni 2019 beworben hatten. Jedenfalls sofern er unter Corona-Bedingungen überhaupt stattfinden konnte.

Seit die diesjährigen Teilnehmer/innen begonnen haben, ihre Unterlagen zusammenzustellen, sind bis zu dem Kurs also bereits knapp anderthalb Jahre vergangen. Das erscheint selbst im bürokratieaffinen Deutschland eine extrem lange Zeit zu sein. Hier würde man sich wünschen, dass vielleicht doch Prozesse ein wenig mehr gestrafft werden können oder der Kurs zumindest zweimal im Jahr angeboten wird (oder eben nicht erst ein Dreivierteljahr nach der Zusage durch das ZIF).

Mit der Teilnahme an dem Kurs ist aber – so zumindest die Vermutung nach intensivem Studium der ZIF-Homepage – noch immer keine Aufnahme in den Pool der Wahlbeobachter erfolgt. Nach Bestehen des Kurses entscheidet das ZIF über die Aufnahme oder Ablehnung. Nach welchen Kriterien dies geschieht, bis zu welchem Zeitpunkt, das ist erst einmal noch völlig unklar. Ich kann nur vermuten, dass das im Lauf des Prozesses kommuniziert wird, aber demokratische Transparenz auch für die Bewerber/innen würde es gebieten, diese Informationen den Interessierten zur Verfügung zu stellen. Vermutlich könnte man die/den eine/n oder andere/n Bewerber/in mehr für einen Einsatz zur Wahlbeobachtung interessieren, wenn von Beginn an klar wäre, wann ein erster Einsatz nach der Bewerbung tatsächlich erfolgen könnte und wie lange das Auswahlverfahren etwa dauert.

Natürlich kann man dem entgegenhalten, dass potentielle Bewerber/innen mit all diesen Fragen auch auf das ZIF zukommen und eine E-Mail schreiben können. Ich habe tatsächlich auch Kontakt mit den Mitarbeiter/innen aufgenommen als es um die Freischaltung des Accounts ging – hier hatte ich leider auch einige Probleme und es wurde mir in der Tat sehr zuvorkommend geholfen.

Aber bei einem so aufwändigen Prozess kommen Fragen immer und immer wieder, nach und nach. Es ist nicht so, dass man sich einen Abend lang hinsetzt und alle Fragen auf einmal da sind. Bewerberinnen und Bewerber wollen auch nicht dazu verleitet sein jede Woche eine Mail mit immer wieder neuen Fragen an das ZIF zu schicken, wenn sie nicht Gefahr laufen möchten, die Mitarbeiter/innen dort zu nerven und dadurch ggf. ihre Chancen zu mindern, am Ende tatsächlich für den Wahlbeobachtungskurs ausgewählt zu werden.

Ein zu optimierender Prozess

Der Aufwand ist hoch, die Infos zu oft spärlich, aber Überzeugungstäter schreckt das kaum ab. Insgesamt war ich mit dem Einsammeln der Referenzschreiben sowie der Erstellung des Lebenslaufs und der Motivationsschreiben mehr als zwei Monate beschäftigt – und das während Job und Alltag natürlich weiterliefen. Dank Corona fielen andere Aktivitäten wie Ausflüge, Freunde treffen, Restaurantbesuche, etc. für eine Weile aus, aber in „normalen Zeiten“ muss man schon sehr viel Zeit übrighaben, um sich dieses Projekts anzunehmen.

Das ZIF wiederum könnte es seinen Bewerberinnen und Bewerbern erheblich erleichtern und weit detaillierter öffentlich darstellen, welche Unterlagen in welcher Form und an welchem Punkt benötigt werden (sprich: was muss rein, Leitfragen formulieren, Deutsch oder Englisch, etc.). Auswahlkriterien könnten transparenter gemacht werden, Fristen nach Möglichkeit verkürzt und die Wahlbeobachtungskurse zumindest zweimal im Jahr angeboten werden.

Das Bundesverteidigungsministerium hatte vor einiger Zeit die Affäre um zu viele und zu hohe Beraterleistungen. Dem ZIF kann man empfehlen, sich bei Gelegenheit einmal zum Thema Benutzerfreundlichkeit beraten zu lassen – das wären sicherlich gut investierte Euros. All das würde es den Bewerber/innen erheblich erleichtern, ihre Unterlagen zusammenzustellen und ggf. den oder die eine/n oder andere/n zusätzlich motivieren, sich für den Expertenpool zu bewerben.

Am Ende kam Mitte Oktober leider eine Absage auf meine Bewerbung. Angesichts der Zeit, die ich in die Vorbereitung hierzu gesteckt habe, war meine Enttäuschung wohl wenig überraschend hoch, zumal es sich (natürlich) um eine Standardmail handelte. Vermutlich ist es eine tolle Sache und eine gute Gelegenheit, der Gesellschaft in einer globalisierten Welt etwas zurückzugeben und sich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freie Wahlen rund um die Welt einzusetzen. Wer es wirklich will, wird sich hier durch den Passierschein-A 38-Dschungel hindurchkämpfen. Aber wollen muss man es eben wirklich. 

HMS, Jahrgang 1988, hat Internationale Sicherheitspolitik studiert, war für längere Zeit im Deutschen Bundestag tätig, u. a. als Büroleiter, und arbeitet nun seit geraumer Zeit in der freien Wirtschaft und berät v. a. Öffentliche Auftraggeber.

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