Der erste Kuss mit der ersten Liebe

Heute gehe ich allein nach Hause läuft im Rahmen der Filmreihe rbb QUEER am 16. Juli um 23:30 Uhr im rbb.

Es gibt diese Filme, die strahlen ein unglaublich positives Lebensgefühl aus, das sich dann auch direkt auf einen selbst überträgt. So als würde man bei leichtem Wind in der Sonne sitzen, die Welt um sich herum einfach ihren Welt-Kram machen lassen, ganz bei sich und doch ein wenig entrückt und einfach nur zufrieden sein. Der preisgekrönte Heute gehe ich allein nach Hause ist bei allem durchaus vorhandenen Konfliktstoff ein solcher Film.

Leonardo, von allen nur Leo genannt, ist von Geburt an blind, aber ein ganz normaler Teenager mit den üblichen Sorgen und Nöten. Seine Eltern lieben ihn sehr, sind jedoch so überfürsorglich, dass es Leo gehörig auf die Nerven geht; so sehr, dass er überlegt ein Auslandsjahr einzulegen. Mit seiner besten Freundin Giovanna, die irgendwie heimlich in ihn verliebt zu sein scheint, verbringt er die Nachmittage gern an deren Pool, wo sie über alles Mögliche reden. Auch darüber, dass Leo noch ungeküsst ist, was er schon gern ändern würde. Nur mit wem? Als Lockenkopf Gabriel neu in die Klasse kommt, freunden sich die beiden schnell mit ihm an, ein besonderes Band entsteht allerdings zwischen Leo und Gabriel. Der bringt dem klassikverliebten Leo zu einem Belle & SebastianSong zum Tanzen, arbeitet mit ihm an einem Schulprojekt und beschreibt ihm eine Mondfinsternis. Giovanna wird zunehmend eifersüchtig, Leo seinen Eltern gegenüber rebellischer und bleibt schließlich nach einer seltsamen Party nicht ungeküsst…

Das sexuelle Erwachen fühlen

Heute gehe ich allein nach Hause ist zwar ein Coming-of-Age-Film, allerdings kein – typischer – Coming-Out-Film. Dazu wird die Homosexualität von Leo und Gabriel zu sehr als ein Spannungsfeld am Rande behandelt. Im Fokus steht vor allem die Blindheit Leos und wie diese sich auf seinen Alltag auswirkt. Sei es in Form der überfürsorglichen Eltern, speziell seiner Mutter, oder einiger typisch dämlicher Mitschüler, die aufgrund von Langeweile und mittelschwerem Samenstau vermeintlich schwächere, definitiv stillere, Klassenkameraden hänseln. Zwar gibt es da auch ein paar Kommentare in Richtung der beiden Jungs, als sie ständig Zeit miteinander verbringen, doch derbe Homophobie sieht anders aus.

Tanzen im richtigen Licht. // © Edition Salzgeber

So war es auch die Absicht des Regisseurs und Drehbuchautors Daniel Ribeiro das homo-sexuelle Erwachen eines Teenagers ohne eine der wesentlichen, für die meisten selbstverständlichen Komponenten, zu erzählen, wie er in einem Gespräch mit dem deutschen Verleih Salzgeber erläutert. Wie funktioniert es, wenn Aussehen und visuelle Reize keine Rolle spielen? Wie läuft das bei jemandem ab, der noch nie eine Frau oder einen Mann gesehen hat?

Durch seine sichere Inszenierung und die gekonnte Kameraführung von Pierre de Kerchove erreicht Ribeiro dieses Ziel dann auch. Es gibt immer wieder Einstellungen, in denen eine räumliche Distanz spürbar wird, ohne dass damit eine emotionale einhergehen würde. Ebenso spielt der sehende Ghilherme Lobo den blinden Leo absolut glaubwürdig und ohne Übertreibung. Sehr schön nachzuvollziehen ist das in einer Duschszene während einer Klassenfahrt. Leo und Gabriel sind allein unter der Dusche und während Gabriel Leo natürlich ansehen kann – und wir ihm dabei seine wachsende Lust ansehen – kann Leo im Grunde nur eine Anziehung fühlen, er kann den Geruch Gabriels wahrnehmen und sich eine Person denken. Das ist stark gemacht und lässt eine sonst eher klischeebelastete Duschszene mal recht fein sein.

Gut sortierte Konfliktfelder

Das Drama um ein quasi Dreiecksverhältnis zwischen Leo-Gabriel-Giovanna köchelt auf eher kleiner Flamme. Als Zuschauer.in kann man sich nicht so sicher sein, ob Giovanna in Leo verliebt ist, sich unglaublich für Gabriel interessiert (was in einer Szene durchaus sehr möglich erscheint) oder letztlich in erster Linie sauer ist, weil sie recht zügig, wenn auch beinahe versehentlich, zum dritten Rad am Fahrrad wird.

Idioten gibt es überall, so muss auch Leo mit ihnen leben. // © Edition Salzgeber

Auch die Auseinandersetzung, die Leo einigermaßen konstant mit seinen Eltern führt, verläuft an und für sich seicht, aber es muss eben auch nicht immer ein sinnbildlicher Fausthieb in den Magen sein, wenn es um Spannungen geht. Sehr schön sind übrigens auch zwei Szenen, die Leo mit seiner Großmutter zeigen. Manch einen mag es jedoch stören, dass die meisten Menschen in diesem Film allesamt gute und eher vernünftige Menschen sind, es keine düsteren Charaktere gibt. Ist halt nicht alles Hannibal.

Die Annäherung zwischen Leo und Gabriel wird sehr feinfühlig und romantisch-sensibel vermittelt, auch kleine Eifersüchteleien Leos sind glaubwürdig und nicht übertrieben. Da spielen eben ungekannte, unerwartete Gefühle, Unsicherheit, Pubertät, Begeisterung und Sorge ein verrücktes Spiel in Kopf, Herz und Bauch. So scheint der innere Konflikt sich dann auch nicht um die Frage „Bin ich schwul?“ zu drehen, sondern eher um die Angst vor Zurückweisung und der eigenen nicht klar zu definierenden Erwartungshaltung.

Der zauberhafte Charme der ersten Liebe

Heute gehe ich allein nach Hause basiert übrigens auf dem hochgelobten und prämierten Kurzfilm Ich möchte nicht allein zurückgehen von Daniel Ribeiro. Die gleichen drei Darsteller.innen spielen auch hier Leo, Gabriel und Giovanna. Auch der Langfilm konnte einige Preise einheimsen, so unter anderem 2014 den Teddy Award als bester Spielfilm.

Nicht unerwähnt lassen wollen wir die wirklich tolle Musik, u. a. von wie bereits erwähnt Belle & Sebastian, das sehr schöne Stück Spiegel im Spiegel vom Klangkünstler Arvo Pärt, Schuberts Piano Trio No. 2 oder auch David Bowies Modern Love; das passt perfekt zur Stimmung der jeweiligen Szenen, ohne dass die Musik alles dominieren und den Film an sich reißen würde. Ebenso positiv anzumerken ist, dass die deutsche Untertitelung sehr sauber gemacht ist; das auf Portugiesisch Gesagte passt absolut zu den deutschsprachigen Untertiteln.

Daniel Ribeiros Film ist ein ansteckend süßer, unglaublich lebens- und liebesbejahender Film, der perfekt zum Sommer passt (und sicherlich aber auch bei einer Winterdepression helfen kann) und allein schon der schönen Bilder und des zauberhaften Charmes wegen sehenswert ist. Er sei herzlich allen empfohlen, die fühlen können, egal ob homo-, bi- oder heterosexuell. 

AS

Plakat // © Edition Salzgeber

Heute gehe ich allein nach Hause läuft im Rahmen der Filmreihe rbb QUEER am 16. Juli um 23:30 Uhr im rbb.

Heute gehe ich allein nach Hause (Hoje Eu Quero Voltar Sozinho); Brasilien 2014; Regie & Drehbuch: Daniel Ribeiro; Kamera: Pierre de Kerchove; Darsteller: Ghilherme Lobo, Fabio Audi, Tess Amorim, Lúcia Romano, Eucir de Souza, Isabela Guasco, Selma Egrei; Laufzeit: 95 Minuten; FSK: 6; Edition Salzgeber; portugiesische Originalfassung mit dt. Untertiteln, erhältlich auf DVD (ca. 15 €) und als VoD

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Hier der Trailer:

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