Der Ku’damm singt und schwingt


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Im März 2016 traten vier Frauen mit dem Nachnamen „Schöllack“ in das Leben von einigen Millionen Menschen: Die von Grimme-Preisträgerin Annette Hess erdachte und geschriebene Serie Ku’damm 56 sorgte, als eine UFA Fiction Produktion, für nicht nur für glanzvolle Quoten im ZDF, sondern brachte auch eine jüngere Zuschauer*innenschaft dazu, sich für das Berliner Leben der Mitte der 50er-Jahre zu interessieren. Dass manch ein interessanter Charakterpunkt von Mutter Caterina Schöllack und ihren Töchtern Helga, Monika und Eva da dem soapigen Moment geopfert wurde, war schnell verziehen, zu einnehmend war das ganze TV-Event. Es folgten die Fortsetzungen Ku’damm 59 und Ku’damm 63, das die Trilogien-Trilogie vermutlich zu einem einigermaßen passenden Abschluss brachte. 

Vom Bildschirm auf die Bühne?

Na, nicht ABBA – Peter Plate, Annette Hess und Ulf Leo Sommer // © Ferran Casanova

Aber die Vergangenheit kommt immer zurück und so feiert am 28. November 2021 Ku’damm 56 – Das Musical von Annette Hess, Peter Plate und Ulf Leo Sommer am Berliner Stage Theater des Westens Premiere. Sicherlich eines der, nicht nur Berliner-, Kulturevents des Jahres 2021. Die Erwartungen sind hoch, nicht nur an die Klangkomponente im Musical des musikalisch dauerkreativen Duos Plate und Sommer, sondern auch dahingehend, ob es zu schaffen ist, den Charme, Frust und Wandel der Serie auf die Musical-Bühne zu übertragen. Aber mal im Ernst: Was, wenn nicht eine Serie über eine Tanzschule und singende Menschen ist geeignet, um als Musical adaptiert zu werden?

Ob die Erwartungen an die Geschichte von Auf- und Ausbruch, Selbstbestimmung, Anderssein und (Selbst-)Akzeptanz auf der Bühne nun erfüllt werden oder nicht, werden wir natürlich vor dem 28. November nicht wissen können. Was wir aber bereits wissen, ist, wie ein großer Teil der Geschichte klingt und wie Cast und Ensemble akustisch auf uns wirken, denn ein Album mit 18 Titeln gibt es bereits. Das haben wir uns natürlich angehört und, nun – den „überschäumendem Enthusiasmus“ aller Beteiligter, den die zugehörige Pressemitteilung proklamiert, meinen wir zu hören.

Holprig, aber passend

Der Einstieg in das Album geriet für uns dabei allerdings holprig (was irgendwie auch wieder zur Serie passt): Zwar kommt der erste Song „Monika“ mit einer tollen Aussage und der Kurzzusammenfassung des Lebens einer Unangepassten, doch ins Ohr geht er eher leidlich, Text und Komposition wollen nicht recht zusammenpassen. Womöglich ist es eines jener Lieder, das auf der Bühne weit besser funktioniert.

Macht aber nichts – „Liebes Universum“, was die Kurzbiografie nun in den Worten Monikas ergänzt und gleichsam ihre eigenen Zweifel an ihr, die es auch zu überwinden gilt, verdeutlicht, sitzt besser, die Stimme von Sandra Leitner trägt uns in die Geschichte und das Lied beinhaltet den feinen Teil: „Liebes Universum / Ist das alles was du kannst / Liebes Universum / So strengst du dich doch auf für jeden an.“ 

Mithören und mitfühlen

Überhaupt ist die Anordnung beziehungsweise Auswahl der Tracks auf dem Album fein gelungen, da wir zwischen Reflexion und Party, andächtiger Melancholie und augenzwinkernder Heiterkeit wechseln. In „Rumba“ wird’s nämlich dank Isabel Waltsgott als Eva Schöllack ganz heiß und im anschließenden, von Rudi Reschkes Timbre bedrohlich getragenen Stück „Zügellos“ füllen Plate und Sommer unseren Bullshit-Aggregator. 

Dem schließt sich der bereits als Single bekannte und ebenso – WERBEOPFER – zu einer Spreequell-Werbung passende Song „Berlin, Berlin“, den David Jakobs als Freddy eingängig, leicht rockig und routiniert schmettert, an. Krasser Kontrast dann mit einer packenden, tragischen Ballade, gesungen von David Nádvornik als Joachim Franck, die kaum jemanden kaltlassen dürfte. In „Ich will nicht werden wie mein Vater“ singt er nicht nur gegen das Augenscheinliche an, sondern auch gegen Krieg, Vernichtung und Ignoranz auf verschiedenen Ebenen. Ein Highlight.

Kälte trifft Glückwünsche

Nachdenklich und auch drängelnd geht es weiter mit „Ich lass nicht zu, lässt du dich geh’n“, der, nach einer Vergewaltigung angesetzt ist, die Kenner*innen der Serie noch gut im Kopf haben werden. Hier singt Muttchen aka Caterina Schöllack (Elisabeth Ebner) zu ihrer Tochter Monika vom Leid, das alle zu ertragen hätten und es kaum Zeit für Traurigkeit gebe und das „Blaue Flecken vergeh’n / Das was bleibt, das sind die Narben und selbst die will keiner seh’n.“ Im Grunde ist der Song das Sein und die Motivation der Mutter in a nutshell. Wir fühlen uns leidvoll an Antje Rávik Strubels in diesem Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman Blaue Frau erinnert.

„Mutter Brause“ von Jakobs und „Alles wird gut“ (hier schwingen ein paar „My Girl“-Vibes) von Tamara Pascual (Helga) und jeweils dem Ku’damm 56-Cast performt, wirken wie kleine Lückenfüller zur Mitte des Albums und Musicals, lassen ein wenig durchatmen, stören niemanden, wirken aber auch nicht so nach wie andere Titel des Musical-Albums. „Herzlichen Glückwunsch“, womit der zweite Teil der Story beginnt, lässt uns die Gefühle dreier Männer (Freddy, Joachim und erstmals Wolfgang von Boost, gesungen und gespielt von Dennis Hupka) erfahren und klingt ein wenig, als könnte es derzeit auf einem Deutsch-Pop-Album irgendeines gerade geyhpten Musizierenden sein; die Lyrics sind allerdings extrem fein und weit tiefer als der semi-nachdenkliche Pop-Durchschnitt.

Muttchen, dieses Soubrettchen

Zurück zu „Muttchen“, die findet, dass „Früher“ alles besser gewesen sei und ankündigt, dass es „elegant bei Galant“ bliebe und Rumba sucks und das am Ende alles auch nur Tripper und Syphilis mit sich brächte. Wo sie recht hat, hat sie recht, was? Der Song erinnert tonal nicht nur an einer Stelle, und das dürfte einige freuen, an „Soubrette werd’ ich nie“ vom gleichnamigen Rosenstolz-Album aus dem Jahre 1992. Und weil keine Aufforderung zu mehr Zügelei unerwidert bleiben kann, fordert der nächste Song dann auch gleich „Heute Nacht“ solle man sich mal wiedersehen.

Nach weniger Sichtbarkeit klingt wiederum das von Dennis Hupka wunderbar sanft-verzweifelt vorgetragene Stück „Ein besserer Mensch“, bei dem wir auch ohne zuvor über die Intention des Titels gelesen zu haben sofort die verkappte Sehnsucht im Sinne der Homosexualität heraushören konnten. Viele Farben, die nicht leuchten, sind einigermaßen konkret zuzuordnen; der Track lässt sowohl tonal als auch inhaltlich eben den Konflikt des Wolfgang von Boost unglaublich greifbar werden.

Flieg Vogel, flieg

Als würde sie ihm und nicht wem anderen, sich eingeschlossen, antworten singt. Sandra Leitner als Monika nun in „Wenn du dich auflöst“: „Wenn du dir Leid tun willst / Dann tu dir Leid / Aber zieh keinen andern / Mit rein.“  In „Wer war nochmal Anika?“ Wird’s mit Freddy dann nochmals heiter Hörner-abstoßend und direkt wieder melancholisch und suchend mit Monika und Eva in „Ich werd mich nur umdreh’n“, um nun sehnsuchtsvoll zu fragen: „Was wäre wenn“?

Am Schluss des Albums steht der Titel „Ich tanz allein“ einer inzwischen recht offen emanzipierten Monika (wobei diese Emanzipation, sollte das Musical mal der TV-Serie folgen, ja durchaus volatil ist), die selbstbewusst und von gefühlvollen, hart an der Grenze des Kitschs stehenden Streichern ihrer Zukunft entgegensieht und -singt. Natürlich sind wir begeistert dabei, wenn sie trällert: „Ich heb vom Boden und flieg wie ein Vogel / In die sternenklare Nacht.“

F*ck me, wir sind dabei

So sitzen wir hier eine Stunde später, wollen die meisten der Titel gleich nochmal hören; zwei, drei sind deutlich im Kopf und Herzen geblieben. Wir mögen, ja schätzen das Konzept, das sich ganz eindeutig der Reflexion von Anderssein und der durchaus auch heiteren Darstellung der Herausforderungen, ein Leben außerhalb – zumeist willkürlich – festgesetzter Normen führen zu wollen, verschrieben hat. 

Das größtenteils einheitlich hohe Niveau der Texte, wie auch die zumeist ausgereiften und selbst auf dem Album schon ineinandergreifenden Kompositionen der Stücke machen wirklich Laune auf das Bühnen-Musical. Kurzum: Peter Plate und Ulf Leo Sommer haben uns mit gut abgestimmter Vielfältigkeit vollends überzeugt, förmlich, ja, begeistert. 

Eure queer-reviewer

Hier findet ihr das Album, die Möglichkeit Tickets zu bestellen, einen Shop und die weiteren YouTube-Videos.

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