Der Staat bin ich, die Welt will ich sein

Beitragsbild: Dezember 2017: Eine Ladenbesitzerin hängt zum neuen Jahr 2018 ein Poster des Präsidenten Xi Jinping an einem Warenmarkt in der Stadt Gaobeidian in der chinesischen Hebei Provinz auf. // © Imagine China/Photononstop

So wie einst unter den Europäern und später den Amerikanern und Sowjets gibt es ein stetiges Streben nach regionaler und globaler Hegemonie. Hegemonien kommen und gehen, wie beispielsweise der US-Amerikaner Robert Gilpin bereits in den 1980er-Jahren schrieb, aber die Geschichten von Auf- und Abstieg wiederholen sich.

So sehen wir das aktuell in China, das sich anschickt, seine hegemoniale Stellung in Asien und der Welt auszubauen. Verantwortlich dafür ist Parteichef Xi Jinping, Wie China unter Xi dabei vorgeht, wird in der empfehlenswerten Dokumentation Die neue Welt des Xi Jinping von Sophie Lepault deutlich, die am 13. Juli um 20:15 Uhr auf arte ausgestrahlt wird und bereits jetzt (bis 11. August 2021/ erneut bis 30. Mai 2022) in der Mediathek verfügbar ist.

Xi und die Macht

Die Dokumentation setzt dabei bei der Person Xis an, schafft aber relativ schnell den Sprung auf die Geopolitik des gesamten chinesischen Apparats. Xi, Sohn einer Familie aus der politischen Elite, wird als Jugendlicher wie so viele seiner Generation aufs Land verschickt (Daniel Leese berichtet in Maos langer Schatten auch hiervon) und muss sich früh von seiner eigenen Familie distanzieren. Er schafft es dennoch an die Spitze von Partei und Staat und wie sein persönliches Schicksal als junger Mann und ab etwa 2000 mit der Kommunistischen Partei verwoben ist, wird in der Dokumentation eindrücklich dargestellt.

Der chinesische Präsident Xi Jinping, seit 2012 auch Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas sowie Vorsitzender der Zentralen Militärkommission, richtet sich in einer Rede am 29. November 2013 an das Militär in Jinan // © dpa/Photononstop

Gleichzeitig bleibt die Zeit dazwischen (fast wie in Fang Fangs Weiches Begräbnis, nur ohne Amnesie) in großen Teilen eine Black Box und liefert nicht allzu viele Informationen über den heute starken Mann in Beijing. Auch so manche Äußerung zum Verhalten Xis irritiert leider ein wenig, denn es wird beispielsweise nicht erläutert, warum er sich laut Aussage der Sprecherinnen und Sprecher zwischen der Partei und seiner Familie entscheiden musste, nur dass es so war.

Geopolitik im Fokus

Jenseits der Person Xis geht es aber in Die neue Welt des Xi Jinping vor allem um die geopolitischen Initiativen, die China unter Xis Herrschaft angestoßen hat. Das sind erstaunlich viele und sich all diese in dieser Kompaktheit bewusst zu machen, ist eine grandiose Leistung der Macherinnen und Macher. Im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“ (Belt and Road Initiative) baut China vor allem zu Land und auf maritimen Handelswegen die Infrastruktur der gesamten Welt aus oder kauft sich in strategisch wichtige Häfen ein, beispielsweise in Griechenland oder Sri Lanka.

24. Mai 2018: Die deutsche Bundeskanzlerin und damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel wird bei einer zweitägigen Chinareise vom Präsidenten Xi Jinping in Peking // © dpa/Photononstop/Kappeler

Damit sichert es sich wesentlichen Einfluss dies- und jenseits der Chinesischen Mauer, je nach Perspektive. Selbst bis in die EU ist Beijing damit bereits vorgedrungen und kann das Abstimmungsverhalten einzelner Staaten beeinflussen, indem es sich stille oder offene Beteiligungen an Unternehmen sichert. In Deutschland schreckte vor einigen Jahren der Fall des Roboterherstellers KUKA die Öffentlichkeit auf.

Neo-Kolonialismus in Nah und Fern

In anderen Erdteilen aber geht China weit rabiater vor, fast neo-kolonialistisch. Sri Lanka konnte seine Schulden nicht mehr bedienen und muss im Rahmen einer „Umschuldung“ einen strategisch wichtigen Hafen für 99 Jahre an Beijing verpachten. Oder viele afrikanische Staaten, die China als großen und gutmütigen Investor betrachteten und nach und nach merken, dass Beijing auch Härte zeigen kann. In diesem Teil arbeiten die Macherinnen und Macher sehr eindrucksvoll heraus, wie skrupellos China seine wirtschaftliche Macht einsetzt, um sich politischen Einfluss zu sichern. Von Militärbasen wie im afrikanischen Djibouti einmal gar nicht zu sprechen.

30. Juli 2017: Der chinesische Präsident Xi Jinping, seit 2012 auch Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas sowie Vorsitzender der Zentralen Militärkommission, bei einer Überprüfung der bewaffneten Streitkräfte // © dpa/Photononstop

In seiner geografischen Nachbarschaft wird das schon länger deutlich. Sophie Lepault und Team illustrieren den Konflikt um Einfluss im Südchinesischen Meer, der China in seiner Nachbarschaft keine Freunde brachte und beispielsweise mit Australien zu einer Art kleinem Wirtschaftskrieg führte. Auch Taiwan und Hongkong werden nicht ausgespart. Taiwan ist ohnehin ein Thema, das seit dem Jubiläum der Kommunistischen Partei Anfang Juli immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rückt und auch hierzu gibt es direkt im Anschluss an die Ausstrahlung von Die neue Welt des Xi Jinping eine aufschlussreiche Dokumentation auf arte, die vor allem auf die junge Generation in Taiwan eingeht (Taiwan – Demokratielabor im Schatten Chinas, bis 11.9.2021 in der Mediathek). Hongkong wiederum kann sich aufgrund geografischer Gegebenheiten immer weniger dagegen wehren, in das chinesische „Festland“ integriert zu werden.

Ein paar blinde Flecken

Was allerdings erstaunlich wenig thematisiert wird, ist die chinesische Innenpolitik. Ja, die Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren, man kann fast von Genozid sprechen, findet zum Glück ausdrücklich und ausführlich Erwähnung, ebenso das umstrittene Sozialkreditsystem. Aber vor allem die Machtstrukturen innerhalb der Kommunistischen Partei – was verschafft und erhält Xi seine Macht, wer könnte ihm zur Gefahr werden – sind Themen, die ebenfalls im Unklaren bleiben. Das liegt daran, dass hierzu tatsächlich wenig Erkenntnisse vorliegen (wie die Dokumentation auch offenlegt), aber sie liefert in diesem Aspekt eben leider selber keine neuen Informationen.

Reklamewand in der Qinghai Provinz in Zentralchina: Präsident Xi Jinping wirbt dafür, sich für bessere Lebensbedingungen der Menschen einzusetzen // © AGE/Photononstop

Ebenfalls erstaunlich abwesend sind die anderen großen Machtpole, denen China ihren Einfluss streitig macht. Russland kommt quasi gar nicht vor, obwohl es ein direkter Nachbar und langjähriger Verbündeter Chinas ist (in der hierzulande völlig unbekannten und in der Dokumentation ebenfalls erläuterten Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit ist Russland Mitglied, hat aber nicht wirklich das Sagen). Und die USA, die bereits unter Barack Obama einen Schwenk der Aufmerksamkeit in den asiatisch-pazifischen Raum vollzogen, finden auch nur kurz im Rahmen der Konsultationen zwischen Außenminister Anthony Blinken und der chinesischen Führung statt; ebenso die EU, die noch am meisten Aufmerksamkeit erfährt. Ansonsten sind die bisherigen hegemonialen Mächte kaum in Die neue Welt des Xi Jinping vertreten.

Der Propagandakrieg ist bereits in Gange

Clive Hamilton und Mareike Ohlberg haben in Die lautlose Eroberung bereits darauf hingewiesen, wie China seine Macht einsetzt, um das Chinabild im Westen positiv zu beeinflussen. Und gleich zu Beginn von Die neue Welt des Xi Jinping wird darauf hingewiesen, welch negatives Bild in China vom Westen gezeichnet wird, welcher Propagandakrieg dort bereits abläuft. Wir bekommen nur nichts davon mit, weil er auf Chinesisch geführt wird.

Peking, 8. Januar 2018: Der chinesische Präsident Xi Jinping (2.v.r.) und seine Frau Peng Liyuan (re.) posieren für ein Gruppenfoto mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron (2.v.l.) und dessen Frau Brigitte Macron (li.) im Staatsgästehaus Diaoyutai // © dpa/Photononstop

Das ist gefährlich und genau deshalb sind so aufrüttelnde Dokumentationen wie diese so wichtig. Erst sie öffnen uns die Augen für die Gefahr, vor der wir uns aktuell befinden (und die auch gern kleingeredet wird). Deshalb wäre es trotz kleinerer Schwächen sehr wünschenswert, würde Die neue Welt des Xi Jinping breit gesehen werden. Die Struktur der globalen Hegemonie wandelt sich gerade massiv und uns täte gut daran, dieser Entwicklung nicht mit offenen Augen zuzusehen. Die Zukunft der liberalen Demokratie könnte davon abhängen.

HMS

Die neue Welt des Xi Jinping läuft am Dienstag, 13. Juli 2021, als Erstausstrahlung um 20:15 auf arte (Wdh.: 6.8.21 um 09:35 Uhr und 22.8.21 um 02:05 Uhr) und ist bis zum 11. August in der Mediathek verfügbar.

Am 12. August 2022 zeigt ZDFinfo eine gekürzte Version der Dokumentation, die bis zum 30. November 2022 in der Mediathek sein wird.

UPDATE, 11.10.2022: Der Film ist in voller Länge bis zum 9. November 2022 in der arte-Mediathek verfügbar.

Die neue Welt des Xi Jinping; Ein Film von Sophie Lepault; Frankreich, 2019; Laufzeit ca. 92 Minuten

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