Die Abwesenheit von Verständnis

Mit „Lola und das Meer“ begeben wir uns auf einen emotionalen Roadtrip, der trotz bekannter Ausgangslage voller feiner Überraschungen und sehr viel Menschlichkeit steckt.

Ein gestörtes Vater-Tochter-Verhältnis, das auf einem ungeplanten Roadtrip in vielen Auseinandersetzungen aufgearbeitet wird. So weit, so klischeehaft. Aber nun ja, so bekannt eine solche Formel klingen mag, so charakterlich unberechenbar setzt der belgisch-französische Film Lola und das Meer sie um. Lola hat die Trauerfeier ihrer Mutter verpasst, denn ihr Vater Philippe kommt nicht damit zurecht, dass Lola trans ist. Mutter Catherine wünschte sich jedoch, dass ihre Asche an der belgischen Küste verstreut wird. Also schnappt Lola sich die Urne und los geht’s.

Kennen wir uns?

Aus der Story könnte Regisseur und Drehbuchautor Laurent Micheli sicherlich auch locker eine komödiantisch geprägte Geschichte machen, die voller unangenehmer Missgeschicke stecken könnte. Hat er aber nicht, stattdessen erzählt er einen Charakterfilm sondergleichen, der seine beiden Hauptfiguren respektiert und uns Zuschauer*innen durchaus in die Bredouille bringt. Natürlich ist Philippes (klasse: Benoît Magimel) Verhalten gegenüber Lola (zurecht ausgezeichnet: Mya Bollaers), die er weiterhin beständig als „mein Sohn“ bezeichnet, einigermaßen schlimm. Doch ist seine Lebenswelt eben ein andere; dass seine verstorbene Frau und Lola ihn auch irgendwie ausgeschlossen haben, macht es natürlich nicht leichter, sich in Toleranz zu üben.

Lola und Philippe haben viel zu klären // © Salzgeber

Das ist eines der Grundthemen des in Deutschland von Salzgeber veröffentlichten Films: Toleranz und Akzeptanz können gelernt werden. Was ordentlich Arbeit ist. Inwieweit jemand bereit ist, sich diese Arbeit zu machen und wo die Person ihre Grenzen erreicht sieht, ist natürlich nicht vorhersehbar. So geht es hier auch nicht nur um die mangelnde Toleranz des Vaters, sondern auch Lola muss erkennen, dass sie Philippe kaum sieht, gar nicht weiß, wer der Mann eigentlich ist. Im Grunde verbringen hier zwei einander scheinbar völlig fremde, nur durch Blut verbundene Menschen Zeit miteinander.

Dass da schon in der Kindheit einiges verquer lief und Philippe schon immer überfordert mit ihr schien, tut natürlich sein Übriges. Wenn die Chefin eines Amüsierbetriebs (tolle Rolle, klasse gespielt: Els Deceukelier) mehr Verständnis für das 18-jährige Mädchen aufbringt als der eigene Vater, der sich noch wütend, aber doch zusammenhanglos rechtfertigt, lässt dies tief blicken. Und es zeigt, wie schwierig es ist, wenn Menschen mehr Zeit in die Ablehnung einer Sache oder einer Person investieren als darein, sich mit dieser auseinanderzusetzen.

Flämisch schlafen // © Salzgeber

Asche zu iPod

So liegt die große Stärke des Films auf den Dialogen zwischen Philippe und Lola, die von Benoît Magimel und Mya Bollaers ganz fantastisch zu echten Menschen gemacht werden. Dass Mya Bollaers für ihre Darstellung mit dem belgischen Filmpreis Magritte ausgezeichnet wurde, liegt bei der einfühlsamen Kraft ihres Spiels nur nahe; dass sie die erste offene trans Schauspielerin ist, die den Preis erhielt, ist natürlich umso feiner. Dieses Spiel spiegelt sich ganz famos an Benoît Magimel, der den überforderten, etwas aggressiven, dezent toxischen und weltbildlich vielleicht simplen Vater ebenso kraftvoll, aber nie boshaft spielt.

Dass Lola und das Meer sich dann noch einer beinahe zwischenweltlichen Ebene bedient, kann man mögen, muss man aber nicht. Wir fanden das charmant, zumal es für eine gute Pointe herhält, es mag jedoch ein wenig vom Kern des Grundkonflikts ablenken. Der wiederum ohne konkrete Auflösung, aber doch mit ein wenig menschlicher Erklärung sein nachvollziehbares Ende findet. 

© Salzgeber

So ist der Film definitiv eine Empfehlung, macht er aus seiner bekannt klingenden Ausgangslage doch etwas ganz Wunderbares; dass er zusätzlich noch dabei helfen mag, für ein wenig mehr Erkenntnis in Bezug auf Trans*personen zu sorgen, ist natürlich erst recht schön. Das zweite Jahr in Folge bringt rbb QUEER also eine trans*bezogene Vater-Tochter-Geschichte, die durch ihre schöne Eigenheit zu beeindrucken weiß.

JW

Lola und das Meer (OT: Lola vers la Mer); Belgien, Frankreich, 2019; Regie und Drehbuch: Laurent Micheli; Kamera: Olivier Boonjing; Musik: Raf Keunen:  Darsteller*innen: Mya Bollaers, Benoît Magimel, Els Deceukelier, Sami Outalbali, Jérémy Zagba; Laufzeit ca. 85 Minuten, OmU; als VoD, Download und auf DVD

Lola und das Meer lief am 8. Juli um 23:25 Uhr im Rahmen von rbbQueer.

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