Die Länge ist nicht alles: Das FDP-Wahlprogramm

Im Rahmen des Superdupermegawahljahres 2021 lesen wir neben noch mehr politischen Büchern natürlich auch die Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien, jedenfalls jener, die dem demokratischen Spektrum zugeordnet werden können. Dazu gehört unserer Meinung nach trotz einiger bedenklicher Punkte auch die Partei Die Linke; die Alternative für Deutschland (AfD) hingegen in keinem Fall. Dazu empfehlen wir auch dieses Gespräch mit dem Journalisten Michael Kraske

Heute beschäftigen wir uns mit dem Programm der Freien Demokratischen Partei (FDP) oder nach ihrer Eigenbezeichnung der Freien Demokraten an. Alle Programme sehen wir uns unter der gleichen Maßgabe an und schauen nach Schwerpunkten. Außerdem haben wir mit dem queerpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Jens Brandenburg, gesprochen. Neben der Queerpolitik geht es dabei auch um Bildung, Zukunft und einiges mehr.

Das Programm – die Eckdaten

Titel: Nie gab es mehr zu tun.

Erster Satz: „Wie es ist, darf es nicht bleiben.“

Die Länge: 91 Seiten als .pdf im A4-Format

Wie lesbar ist es?

Das nicht um knackige, wenn auch teils phrasenhafte Sätze verlegene Programm ist eine solide Mischung aus vielen konkret programmatischen und inhaltlich aufgeladenen Momenten und eben jenen knackigen, also auflockernden Einschüben. Nach einer Einleitung ist das Programm in drei große Teile gesplittet, diese Aufteilung erschließt sich jedoch nicht so ganz. Dankenswerterweise verzichtet es aber größtenteils auf Füllmaterial, ist weder Parteichronik noch Essaysammlung. 

Was sind die Schwerpunkte?

Neben der Wirtschaftspolitik, die mit einigen sehr guten („Negative Gewinnsteuer“, Forschung und Entwicklung steuerlich fördern, Solidaritätszuschlag komplett abschaffen, Bagatellsteuern (z. B. Schaumweinsteuer) abschaffen, Mitarbeiterkapitalbeteiligung) und manchen lückenhaften (Regulierung von Gatekeeper-Unternehmen, Tilgungsturbo für die Corona-Schulden) Ideen ums Eck kommt, gibt es einen sichtbaren Schwerpunkt auf den Bereichen Bildung und Forschung (worüber wir auch mit dem Bundestagsabgeordneten Jens Brandenburg gesprochen haben). 

Das passt, da der Titel natürlich auch im Sinne der Zukunftsfähigkeit und -orientierung zu lesen sein soll und beinahe alles im Programm der FDP schaut in diese Richtung. So finden sich auch klimapolitische Forderungen und Ideen im Programm. Vieles möchte die FDP in diesem Bereich durch Innovation und weltweite Zusammenarbeit bewältigen. Ebenso will sie die EEG-Umlage (Erneuerbare-Energien-Gesetz) abschaffen und die „Aufkommensneutralität durch die Rückzahlung eines jährlich zu berechnenden pauschalen Betrages, also einer Klimadividende, an jede Bürgerin und jeden Bürger gewährleisten“ (vgl. S. 59). Also auch hier das Bemühen, Klimapolitik sozialverträglich zu gestalten.

Zu guter Letzt liegt ein Fokus auf der Außenpolitik und im weiteren und ganz liberal-hauseigenen Sinne auch der Menschenrechtspolitik. Im Vergleich mit den Programmen der anderen Parteien, jedenfalls jenen, die über außenpolitisches Know-How verfügen, fällt, auch unabhängig davon, ob einzelne Ideen von den Lesenden unterstützt würden, dieser Teil im Programm der FDP am schlüssigsten aus, die Punkte greifen ineinander, harmonieren mit den entwicklungspolitischen Ideen und so weiter. Dass die Freien Demokraten auch noch einmal dezidiert fordern, das „demokratische Taiwan“ zu unterstützen und „Hongkong im Kampf um Freiheitsrechte nicht allein“ zu lassen, freut (vgl. S. 70/71).

Wie steht es um Queerpolitik?

Erwartungsgemäß recht gut. Bereits im Punkt „Moderne Arbeitswelt“ findet sich die Forderung, Aufstiegschancen sollten „unabhängig von Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft, Behinderung, sexueller Orientierung oder Religion“ gegeben sein (vgl. S. 32). Auch im Bereich Diversity-Management finden sich einige Vorschläge. 

Ganz wichtig bleibt den Freien Demokraten der Nationale Aktionsplan gegen Homo- und Transfeindlichkeit, ebenso wie die Erweiterung des Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz um die sexuelle Identität, wenn auch nach wie vor nicht um die geschlechtliche Identität, was bedauerlich ist, zumal sich die Partei im Programm durch Formulierungen durchaus dem nicht-binären Geschlechtersystem zuwendet (siehe „Noch was…?!). 

Ebenso fordert die Partei die „Stärkung von LSBTI-Rechten“ weltweit. So wünschen sie sich auf Ebene der Vereinten Nationen „eine Konvention für LSBTI-Rechte nach dem Vorbild der Frauenrechtskonvention“, bei Strafverschärfungen gegen queere Menschen in anderen Ländern solle die Entwicklungszusammenarbeit auf den Prüfstand gestellt werden und u. a. in Bezug auf die angeblichen „LGBT-freien Zonen“ in Polen müsse klargemacht werden, dass so etwas nicht mit europäischen Werten vereinbar sei (vgl. S. 73).

Über diese Themen haben wir bereits an mancher Stelle berichtetet und natürlich auch mit dem queerpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion gesprochen.

Noch was…?!

Ja, zwar wird im FDP-Wahlprogramm nicht gegendert, dafür aber gendersensibel geschrieben, teils geschlechtsneutral formuliert, es werden also bspw. Doppelformen verwendet. Ebenso ist auf Seite 52 unter „Liberaler Feminismus“ noch folgende Formulierung zu finden: „Der liberale Feminismus strebt die Selbstbestimmung aller Individuen frei von gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen aufgrund ihres gewählten oder biologischen Geschlechts an.“ Also wieso nicht doch die geschlechtliche Identität in den Artikel 3 des Grundgesetzes packen? Wir fragen nochmal nach.

Und, so zwecks Zukunftsfähigkeit und Generationengerechtigkeit: Die FDP fordert ein flexibles Renteneintrittsalter und sagt, wer „früher in Rente geht, bekommt eine geringere, wer später geht, erhält eine höhere Rente“ (vgl. S. 87). Mehr zum Thema Finanzierung der Rente auch in unserem erwähnten Interview.

Eure queer-reviewer

In der übernächsten Woche befassen wir uns mit dem Programm von Bündnis 90/Die Grünen und veröffentlichen ebenfalls unser Gespräch mit den queerpolitischen Sprecher*innen Ulle Schauws und Sven Lehmann.

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