Die Liebe zu und von gefiederten nicht-menschlichen Freunden

Kükenschreddern, Hühnermast, Käfig- und auch Bodenhaltung: Wir gehen mit unseren gefiederten „Freunden“ nicht gerade zimperlich um und feiern es als Riesenfortschritt, dass die Käfighaltung ja nur noch in Kleingruppenkäfigen erlaubt sei. Na, Juchhe! Vollgepumpt mit Antibiotika und körperlich ohnehin geschunden ist bei Hühnern und Hähnen, die wir als Nutztiere definieren, zumeist kaum von artgerechter, geschweige denn von lebensfreundlicher Haltung zu sprechen.

In den USA sieht das natürlich nicht wesentlich anders aus. Dort werden ebenso sehr Eier gegessen, Hühnerbrüste gebraten und Hähnchenschnitzel auf den Grill gehauen, von den tonnenweise Chicken Wings zum Super Bowl ganz zu schweigen. Außerdem ist es doch wahnsinnig spaßig, Hahnenkämpfe zu veranstalten. Immer wieder kommt es dazu, dass die Tiere nicht mehr benötigt werden, dass Höfe pleitegehen oder Gruppen, die Kämpfe veranstalten, aufgedeckt werden. Nun gälte es, die Tiere zu retten, was häufig ein Ding der Unmöglichkeit ist, nicht zuletzt auch wegen des erbärmlichen Zustands, in dem sich die gefiederten nicht-menschlichen Tiere befinden.

Herein! Winnie in Nest. // Foto: © Janet Holmes

Ausgenutzt, objektiviert und ihrer Natur beraubt

Doch dank des Einsatzes von Tierretter*innen gelingt dies immer öfter und die Tiere werden nicht nur gerettet, sondern gar als Haustiere aufgenommen, vornehmlich von Frauen. Einige dieser Frauen und auch junge Familien hat die Tierschützerin und Fotografin Janet Holmes besucht und ihre Hühner in ihrem neuen Zuhause fotografiert. Herausgekommen ist der hervorragende und so schöne wie erschütternde Bildband Nest. Rescued Chickens at Home. Ergänzt werden die Bilder um Texte einiger der vornehmlich vegan lebenden Frauen, in denen sie die Erfahrungen mit und Empfindungen gegenüber ihren neuen Begleiter*innen beschreiben.

Penelope, Vanessa, Alicia und Jenny in Nest. // Foto: © Janet Holmes

Janet Holmes, eigentlich Juristin, habe, so schreibt sie in ihrem Vorwort, eine Parallele zwischen Menschen, speziellen Frauen, und Hühnern dazu bewogen, das Projekt zu realisieren: Viele Frauen rängen darum, geeignete und bezahlbare reproduktive Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen zu können und letztlich seien wir dazu sozialisiert worden, die reproduktiven Systeme von Hennen auszunutzen. Mit ihren Fotografien wolle sie so auf die Verbindung zwischen den Hühnern und ihren Retterinnen aufmerksam machen. 

Holmes, die auch noch einen Text über die Manipulation von Hühnern zu Eierlegemaschinen geschrieben hat, ist nicht die einzige, die in Nest. auf die Ausbeutung der Tiere eingeht. Die aus Puerto Rico stammende Michelle Carrera vergleicht den Umgang mit Hühnern mit der Kolonialisierung. Hühner „sind gezüchtet, gefangen gehalten, objektiviert, entpersönlicht, kommodifiziert und ihrer Natur beraubt worden“, schreibt sie, die sich ebenfalls dagegen ausspricht, dass Menschen sich in einer Erlösermentalität ergehen, da diese Muster der Kolonialisierung wiederholen würde.

Ollie, Michelle und nd Silencio in Nest. // Foto: © Janet Holmes

Hühner fühlen wie Kinder

Der Text von Maddie Cartwright erzählt in allen unschönen Details von der Rettung diverser Hühner von einem Konkurs gegangen Großbetrieb: „Der Gestank traf uns bevor wir den Stall betreten haben. Zehntausende von Vögeln füllten drinnen den gesamten Platz aus. Es sah aus wie jedes Undercover-Video, das ich jemals gesehen hatte. Da war ein Huhn vor mir mit einem großen, blutigen Riss am Bein, darum ringend, laufen zu können. Zu meiner linken, drei kleine Hennen, zusammengekauert, schwach und bleich, neben dem Körper eines Freundes, der bereits tot war.“ Andere Hühner pickten hungrig den toten Leib einer anderen Henne auf, mehr Tiere mit tiefen, klaffenden Wunden, kurz vor ihrem Ende, „sie starben überall um uns herum“, schreibt Maddie weiter. 

Sie retteten so viele wie möglich, was durch die parallel arbeitende sogenannte Killing Crew und die strengen Bestimmungen einiger Gegenden zur Haltung von Hähnen erschwert wurde. Dank Einrichtungen wie dem Catskill Animal Sancturary oder dem Wild Bird Fund gelingt es jedoch, verschiedenen „Nutztieren“ zu helfen, ihnen ein neues Zuhause zu geben oder manches Mal wenigstens das Lebensende weniger qualvoll zu gestalten.

Nest. im Chicago Chicken Rescue // Foto: © Janet Holmes

Die Gründerin und Geschäftsführerin des Catskill Animal Sanctuary, Kathy Stevens, schreibt nicht nur, wie sie ihr Leben lang mit Tieren lebte und zu tun hatte, sondern auch, dass zehn Hühner genau so individuell und eigen seien, wie zehn Kinder. Schmerz, Leid und Schrecken fühlten sich für Hühner nicht anders an als für Kinder. Nur weil wir in einer Welt lebten, in der diese offenbaren Wahrheiten bestritten würden, seien sie noch nicht unwahr. 

Die kurzen Geschichten sind so anrührend wie aufrüttelnd, was natürlich bequem zu sagen ist, wenn man das Buch gemütlich im Warmen durchblättert und sich dabei zuerst auf die wunderschönen, teils prächtigen, sehr aufrichtigen und den nicht-menschlichen Tieren, wie es in dem Buch oft heißt, zugewandten Bilder fokussiert. 

Sully ist in Nest. gelandet. // Foto: © Janet Holmes

Prächtige Bilder voller Liebe

Da steht Dualla vor der Waschmaschine und schaut gebannt hinein. Jon Snow steht nicht auf seiner Wall, schaut aber dafür aus dem Fenster. Penelope, Vanessa, Alicia und Jenny springen durch das Wohnzimmer. Camille und Bree scheinen eine Unterhaltung zu führen. Jose und Rachel liegen aneinander gekuschelt auf der Couch. Rose tapst neugierig über das Bett. Leonard Crowen (bester Name!) schreitet die Treppe herab. Und Valencia Jayne scheint eine stolze Drag-Queen zu sein. Ach ja, und Cluckey schaut in den Kühlschrank wie wir alle es tagtäglich wohl mehrmals machen dürften. 

Jon Snow, Watcher on the Window in Nest. // Foto: © Janet Holmes

Den Bildern ist deutlich anzumerken, dass Holmes den Hühnern auf Augenhöhe begegnet, wie Janelle Lynch vom International Center of Photography schreibt. Sie hebt ebenfalls hervor, dass die Titel der Bilder, auf denen Frauen und Hühner gemeinsam abgebildet sind, keinen Hinweis darauf enthielten, wer wer ist. Was auch dazu führen solle, dass wir unsere Verbindung und unser Verhältnis zu den Tieren hinterfragen. Das auf jeden Fall ist Janet Holmes und ihren Mitstreitenden auf ansehnlichste und eindringlichste Weise gelungen.

Valencia Jayne (Foto: Janet Holmes) auf dem Cover von Nest. Rescued Chickens at Home – erschienen im Kehrer Verlag

Nest. Rescued Chickens at Home von Janet Holmes ist voller Liebe, prächtiger und unmittelbarer Bilder, gefühlvoller und aufrüttelnder Texte und geprägt von dem tiefen Glauben daran, dass Empathie und Vernunft nicht verloren sind. 

AS

Einen Blick ins Buch gibt es hier.

Janet Holmes: Nest: Rescued Chickens at Home; 2020; Festeinband; 120 Seiten; 24 x 22 cm; 54 Farbabbildungen; Englisch; Texte: Michelle Carrera, Maddie Cartwright, Janet Holmes, Janelle Lynch, Julia Magnus, Rocky Schwartz, Ashley Snyder, Kathy Stevens; Design: Kehrer Design (Loreen Lampe); ISBN: 978-3-86828-987-9; Kehrer Verlag; 35,00 €

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