Die Linke fordert mehr Unterstützung für queere Menschen in Corona-Zeiten

Die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke hat einen Antrag (19/24002) mit dem Titel Queere Menschen und ihre Infrastrukturen während der COVID-19-Pandemie besser schützen und unterstützen in den Bundestag eingebracht. In ihrem Antrag fordert die Fraktion mehr Unterstützung und Schutz für „queere Menschen unter dem Sammel-Label LSBTIQ* (u. a. Lesben, Schwule, Bi- sexuelle, trans* und intergeschlechtliche Menschen).“ Wir haben ihn inklusive Forderungen zusammengefasst und am Enden ein wenig mittelscharfen Senf dazuzugeben.

Die Bedürfnisse queerer Menschen rücken in den Hintergrund

Die Fraktion stellt fest, dass durch die Corona-Pandemie die LSBTIQ*-Community erheblich betroffen ist. So unterliegen „Infrastrukturen und Schutzräume wie z.B. Beratungsstellen, aber auch Kneipen, Jugendtreffpunkte, Selbsthilfe-Gruppen und Clubs starken Einschränkungen.“ Als ein vermeintliches „Minderheitenthema“ rückten die Bedürfnisse queerer Menschen in den Hintergrund.

Doch seien queere Menschen durch gesellschaftliche Strukturen besonders von der Pandemie betroffen und hätten besonders mit verschärften Nachteilen zu kämpfen, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt. Die Fraktion bezieht hier eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Universität Bielefeld mit ein, in welcher aufgezeigt wird, dass LSBTIQ*-Personen „überproportional von Diskriminierungen in der Arbeitswelt betroffen sind.“

Ebenso verweist der Antrag auf die drohende Zunahme häuslicher Gewalt in Familien, in denen laut einer Studie der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, „LSBTIQ*-Personen wegen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität nicht akzeptiert werden.“ Sowohl Stiftung – die Fraktion spricht sich außerdem für eine höhere institutionelle Förderung aus – als auch Die Linke-Fraktion sehen hier queerpolitische Handlungsbedarfe. Weiterhin merkt die Fraktion an, dass die derzeitigen an „heteronormativen Vater-Mutter-Kind-Konstellationen“ ausgerichteten Regelungen zu Kontaktbeschränkungen an den Lebensrealitäten von „Wahl-, Patchwork- oder Regenbogenfamilien“ vorbeigingen. Hier sei bei familienpolitischen Hilfen die vielschichtige Realität von Familienmodellen zu berücksichtigen, so die Forderung an die Bundesregierung. 

Essentielle Branche von Ausfällen betroffen

Durch die Ausfälle von CSD-Paraden und Demonstrationen und anderer Feste und Veranstaltungen fehlten nicht nur Plattformen, um Gehör zu finden und politische Sichtbarkeit zu erreichen, sondern auch Einnahmen; „Erwerbsquellen im sogenannten ‚purple collar‘-Dienstleistungssektor“ versiegten. Darunter litten auch insbesondere „Solo-Selbständige, die sich ihre berufliche Nische über Jahre mit performativem Mut, eigenen Netzwerken, permanenter Initiative und ungesicherten Investitionen aufgebaut haben und in der Regel nicht ohne Weiteres in andere Berufe oder Ziel- gruppen wechseln können […].“ Die Fraktion vergleicht deren Situation mit der anderer Kulturschaffender, fügt aber hinzu, dass „exponiert queere Akteur*innen gesellschaftlich oder saisonbedingt eingeschränkte bzw. sehr spezialisierte Auftritts- und Verdienstmöglichkeiten“ hätten.

Es wird auf das Engagement und die „Solidaritätsaktionen“ zur Rettung von queeren Medien und gastronomischen wie auch Club-Angeboten innerhalb der Community hingewiesen. Privat organisierte Fürsorge und solidarische Kleinspenden würden auf Dauer aber nicht reichen, um diese Bereiche aufrechtzuerhalten. So fordert Die Linke einen Unternehmerlohn in Höhe von monatlich 1.200 Euro, der rückwirkend ab dem 1. März 2020 beantragt werden können solle. Ebenso seien „passgenaue Zuschüsse und Nothilfefonds für Clubs, Bars und Festivals bereitzustellen“, um die Branche vor flächendeckenden Schließungen zu bewahren.

trans* Menschen leiden zum Teil enorm

Schließlich widmet sich der Antrag auch der Situation der „physischen und psychischen Gesundheitsversorgung“ queerer Menschen, der besonders stark trans* Menschen betreffe, „die sich in einer Transition befanden und akzeptieren mussten, dass langwierig geplante OP-Termine als elektive Maßnahmen verschoben werden.“ Auch Therapien und Verfahren zur Vornamens- und Personenstandsänderung würden laut dem Bundesverband trans* ausgesetzt sein.

Prekär sei auch die Situation queerer Geflüchteter, die unter der Einstellung vieler Rechtsdienstleistungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und gleichsam zunehmender LSBTIQ*-Feindlichkeit in Sammelunterkünften litten. Ebensowenig schütze der „Pandemie-bedingte Ausnahmezustand queere Minderheiten vor rechten Übergriffen“, als Beispiel nennt die Fraktion u. a. einen queerfeindlichen Übergriff in Pinneberg auf ein lesbisches Paar.

Internationale Politik darf nicht blind sein

Zum Schluss weist Die Linke noch auf internationale Vorkommnisse hin und fordert die Bundesregierung mit Blick auf zum Beispiel Viktor Orbans queer- und insbesondere trans*-feindliche Initiativen auf, Menschenrechte nicht aus dem Blick zu verlieren und deutliche Signale gegen autokratisches Verhalten zu setzen. Die Bundesregierung solle sich im „Rahmen der deutschen EU-Präsidentschaft [sic!] für die Rechte queerer Menschen“ einsetzen und über die Aktivitäten entsprechend Bericht erstatten.

Um den Herausforderungen entgegenzuwirken, fordert die Bundestagsfraktion neben den oben bereits genannten Maßnahmen, die Deutsche Bundesregierung unter anderem auf, einen Runden Tisch mit queeren Verbänden und Organisationen und Vertretern aus Politik, Gesundheit, Verwaltung und der Veranstaltungs-Wirtschaft einzuberufen, „der bereichsübergreifend über die spezifischen Problemlagen queerer Menschen und Infrastrukturen in der Corona-Pandemie berät.“

Sichtbarkeit ist oberstes Anliegen

Weiterhin wird gefordert „Kinder- und Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit und Jugendsozialarbeit mit einem Investitionsprogramm für queere Jugendliche auszustatten“ und „eine qualifizierte Studie zur Erforschung intersektionaler Diskriminierungsformen und geschlechtsspezifischer Gewalt gegen LSBTIQ* zu beauftragen.“ Es sollen weiter mehrsprachige Beratungs- und Hilfsangebote für queere Geflüchtete sichergestellt sein, wie auch die Mittel der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aufgestockt werden, um eine Kampagne zur Information für querere Menschen einzuleiten. 

Eine ausführliche Aufstellung und ein ebenso ausführlicher Forderungskatalog. Ob nun jede angedeutete Maßnahme vonnöten ist und jede Problematik ihre Ursache oder verstärkte Wirkung in der Pandemie hat, sei dahingestellt. In puncto mangelnder Sichtbarkeit und Wahrnehmung queerer Menschen und Themen ist der eingehend begründete Antrag absolut zutreffend und es ist nach unserem Dafürhalten nichts dagegen einzuwenden, in diesem Rahmen auf manche Lücken oder gleich gänzliche Ausfälle queerer Politik der Bundesregierung aufmerksam zu machen. 

Gleichzeitig stellt sich uns die Frage, warum die Linksfraktion ihre Beispiele und kritisierte Sachverhalte gefühlt ein wenig willkürlich auswählt. Klar, die queerfeindliche Politik Viktor Orbans oder auch Donald Trumps sind absolut kritikwürdig und es ist gut, dass die Linke die Bundesregierung auffordert, hierauf ihre Aufmerksamkeit zu lenken. Gleichzeitig gäbe es aber beispielsweise in Russland und vor allem der dortigen Teilrepublik Tschetschenien genügend Fälle, in denen die Rechte von Queers systematisch verletzt werden. In der SED-Nachfolgepartei scheint man aber auch heute noch wegzusehen, wenn es Kritik am Großen Bruder zu üben gäbe.

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Eure queer-reviewer

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Comments

    1. Hallo Frank Laubenburg,

      vielen Dank für den Kommentar und den Hinweis. Schade, dass er sich nur auf diese Anmerkung bezieht, haben wir doch durchaus angemerkt, dass viel Gutes in dem Antrag steht und steckt. Dass Russland und Co. nicht erwähnt werden, ist eben schlicht Fakt und das darf kritisch festgehalten werden.

      Wir schreiben in unserem Beitrag daher auch nicht, dass Die Linke sich nicht mit Queerfeindlichkeit in Russland und Tschetschenien auseinandersetzt, sondern nur, dass im Rahmen dieses Antrags nicht auf die Thematik eingegangen wird. Dass die Partei sich in der Vergangenheit – zugegeben, in der schon etwas weiter zurückliegenden Vergangenheit (der jüngste Beitrag ist ja von Ulla Jelpke und ist etwas mehr als ein Jahr alt und geht nicht auf die Lage in Tschetschenien ein, sondern kritisiert, dass das BAMF Asylanträge aus Tschetschenien nicht anerkenne, um die Lage in Tschetschenien geht es allerdings nicht unmittelbar) – hierzu geäußert hat, ist korrekt, aber im letzten Jahr hat sie das scheinbar erstaunlich wenig getan. Dieser Antrag wäre somit eine mehr als passende Gelegenheit, das Thema wieder aufzugreifen, denn scheinbar haben Frau Jelpke oder andere zwischenzeitlich keinen anderen Anlass dazu gefunden oder sehen die Problematik doch nicht als so wichtig an. Zumal sie Miteinreicherin des Antrags ist.

      Ach ja: Kommunismus per se stehen wir übrigens mehr als kritisch gegenüber, genau wie jeglicher anderer Gesellschaftsform, die nicht auf volle Selbstbestimmung des Individuums ausgerichtet ist. Anitkommunismus finden wir also alles andere als dümmlich, sondern vielmehr notwendig in einer Gesellschaft mit offenem Meinungspluralismus.

      Einen schönen Sonntag wünschen wir
      Love & Peace
      Die queer-reviewer

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