Die Rote Null

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz robbt sich leise aber stetig in den Umfragen nach vorne. Wieso eigentlich? Finanzpolitisch, also qua Amt sein Kerngebiet, hat er nur Negatives hinterlassen, das aber perlt an ihm ab. Auch Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Ein Kommentar.

Eines muss man dem SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz lassen: Wie nur wenige andere versteht er es, seine Fehler an sich abperlen zu lassen. Vor allem in seinem scheinbaren „Fachgebiet“, der Finanzpolitik, hat Scholz einerseits erstaunliche – und teure – Fehler gemacht, andererseits scheint das die Wählerinnen und Wähler nicht zu kümmern.

Cum-Ex: Wegschauen bei Steuererstattungen

Beginnen wir bei den Cum-Ex-Geschäften. Hierbei geht es um aufwändige Betrügereien mit Steuererstattungen. Kurz gesagt haben verschiedene Banken Dividenden aus Aktiengeschäften so oft und so lange hin- und hergeschoben, dass die Finanzämter keinen Überblick mehr hatten. Die Institute konnten sich so mehrfach die auf die Dividenden zu entrichtenden Steuern erstatten lassen und damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um viele Millionen Euro betrogen.

Besonders hervorgetan hat sich dabei die Hamburger Privatbank M. M. Warburg. Olaf Scholz, damals noch in seinem früheren Job als Erster Bürgermeister von Hamburg, wollte dieser Sache aber nicht so recht nachgehen und mögliche Rückforderungen von mehr als 47 Millionen Euro verjähren lassen. Sein Nachfolger Peter Tschentscher, ebenfalls SPD, verhielt sich nicht anders. Im Bundestag gab es zu der Sache sogar einen Untersuchungsausschuss (2016/17), aber Scholz will von verschiedenen Sachverhalten und Treffen mit dem Chef des altehrwürdigen Hamburger Kreditinstituts nichts gewusst haben. Eine „einfache“ Finanzbeamtin wurde als Hauptschuldige identifiziert. Klingt stark nach Sündenbock (oder in ihrem Fall eher „Sündengeiß“ – auch hier kann mensch sich um eine geschlechtsneutrale Sprache bemühen).

Wirecard: Wegschauen beim Zusammenbruch

Zweiter Punkt ist der Wirecard-Skandal. Viele deutsche und internationale Investorinnen und Investoren verloren bei der größten deutschen Pleite eines Kreditinstituts – weit bedeutender als die Pleite der Kölner Herrstatt-Bank, die in Goldjungs grandios verfilmt wurde – Millionen Euro; Kernakteure sind noch heute auf der Flucht (die vermutlich über das wunderschöne Belarus führte).

Auch hierzu gab es einen Untersuchungsausschuss im Bundestag (2020/21) und auch hier will Scholz von nichts gewusst haben. Banken unterliegen jedoch einer strengen Kontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), einer nachgeordneten Behörde des von Scholz geführten Bundesfinanzministeriums. Diese scheint aber im Fall von Wirecard alles andere als streng gewesen zu sein und nur so konnte es zur ersten Insolvenz eines DAX-Konzerns kommen. Vermutlich trifft Scholz kein unmittelbares Verschulden, die politische Verantwortung für das Desaster – der Finanzplatz Deutschland war und ist durch den Zusammenbruch von Wirecard der internationalen Lächerlichkeit preisgegeben – aber trägt er als zuständiger Minister.

Zinsen: Wegschauen, weils keinen interessiert

Punkt drei: Vor wenigen Tagen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Zinsen auf Steuernachzahlungen oder -erstattungen unrealistisch hoch angesetzt und somit verfassungswidrig seien. Seit der Finanzkrise von 2008 (!) leben wir nun in einem Umfeld von fast weltweit niedrigen Zinsen, weil die Zentralbanken die Märkte mit Geld fluten. Das Finanzministerium beharrt aber auf einem stolzen Zins von bis zu sechs Prozent der jeweiligen Steuerforderung. Angesichts von niedrigsten oder sogar negativen Zinsen – zunehmend auch für private Sparguthaben – erscheint das einfach nur weltfremd und im Grunde auch undemokratisch.

Die Oppositionsfraktionen – allen voran die FDP – hatten dies im Lauf dieser Wahlperiode mehrfach kritisiert, waren bei der Regierung um Scholz aber auf taube Ohren gestoßen. Für sie ist das Urteil aus Karlsruhe somit ein Erfolg, für Scholz nur ein weiteres Debakel in seinem Amt.

Scholz hat wirklich nichts erreicht – außer Teflon

Rein objektiv fällt es tatsächlich schwer, sich an eine finanzpolitisch sinnvolle und wohltuende Initiative von Scholz während seiner Zeit als zuständiger Minister zu erinnern. Wolfgang Schäuble (CDU), heute Bundestagspräsident und Scholz‘ Amtsvorgänger, war der erste, der seit 1969 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen und Schulden zurückzahlen konnte – Stichwort: Schwarze Null. Peer Steinbrück (SPD), Vorgänger von Schäuble, war es, der mit der Bundeskanzlerin 2008 eine Garantie für die Sparerinnen und Sparer gab, und damit die Turbulenzen um die bereits angesprochene Finanzkrise ausbremste. Von Scholz hingegen bleiben – zugegeben coronabedingte – steigende Staatsschulden und Haushaltslöcher, eine miserable Finanzwirtschaft und ein unglaubliches Missmanagement seiner eigentlichen Kernaufgabe.

Als wir Markus Feldenkirchens Buch Die Schulz-Story über den missglückten Wahlkampf des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz von 2017 besprachen, merkten wir an, dass die SPD aus ihren Fehlern des damaligen Wahlkampfs lernen solle. Auch wenn die Umfragewerte für Scholz aktuell eher ansteigen, sie befinden sich dennoch immer noch auf dem niedrigen Schulz-Niveau. Und dennoch scheint die SPD in ihrer Kampagnentätigkeit aus den Fehlern gelernt zu haben. Chapeau an das Willy-Brandt-Haus. Wer jedoch einen Blick auf die politische Leistung des Vizekanzlers und Bundesfinanzministers seit 2018 wagt, der oder die muss feststellen: Scholz‘ Kompetenz in diesem Fachgebiet scheint begrenzt zu sein. Ob man das Kreuz bei der Bundestagswahl also bei ihm machen sollte, sollte auf jeden Fall stark hinterfragt werden.

HMS

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