Ein Baerbock-Buch, schlechter als Baerbocks Buch

Diese Rezension ist neben der regulären Besprechung politisch geprägter Bücher auch Teil unserer Kategorie Superdupermegawahljahr 2021.

Annalena Baerbock hatte vor einem Monat bekanntermaßen ein wenig Ärger wegen ihres vor der Bundestagswahl veröffentlichten Buchs Jetzt (unsere Besprechung folgt). Plagiatsvorwürfe, schlechtes Krisenmanagement et cetera. Aber auch bei Büchern von anderen über sich scheint sie nicht gerade Glück zu haben. Die laut riva Verlag als „freie Wissenschaftsjournalistin“ tätige Anita Partanen hat nämlich dort ein Buch über die Kanzlerkandidatin der Grünen veröffentlicht, das ganz schlicht den Titel Annalena Baerbock – Die Biografie trägt. Das Ergebnis lässt sich allerdings eher mit einem Wort beschreiben, das Baerbock beim Abgang von der Bühne am Ende des Parteitags im Juni entwich und wofür sie – zu unrecht – ebenfalls kritisiert wurde.

Was macht nun Anita Partanen in ihrem Buch? Sie zeichnet, ganz typisch einer Biografie, die wesentlichen Lebens- und Karriereschritte der heutigen Kanzlerkandidatin nach. Von der Kindheit und dem Parteieintritt, was sie dazu bewog und wie sie sich innerparteilich hocharbeitete. Dies rundet sie ab mit Kapiteln über manch Persönliches wie ihren Ehemann oder die aktuelle Kampagne – sogar die „Affäre“ mit den verspätet gemeldeten Nebeneinkünften findet noch Platz und wird erläutert, die eingangs angesprochene Buchthematik allerdings nicht mehr.

Ein aktuelles Buch – das war’s aber auch

Anita Partanen legt also mit ihrer Biografie ein Buch vor, das bis in die jüngste Vergangenheit reicht und auch wegen der Bundestagswahl in etwa einem Monat von einer hohen Aktualität geprägt ist. Sie hat Interviews über Annalena Baerbock herangezogen ebenso wie einzelne Statements wie Baerbocks erste Rede im Plenum des Deutschen Bundestags oder ein Phoenix-Interview, das sie anlässlich ihrer Kandidatur für den Parteivorsitz 2018 gab.

Das ist allerdings auch das einzig Gute, was sich über ihr Buch sagen lässt – und letzteres ist ohnehin eher eine Feststellung. Denn was sie mit den Interviews, Statements, Bundestagsreden et cetera macht, ist keine Analyse, sondern einfach nur eine Nacherzählung. Von der Tiefe der Biografien beispielswiese von Tobias Blasius und Moritz Küpper über Baerbocks Kanzlerkonkurrenten Armin Laschet, von Kristina Dunz und Eva Quadbeck über die gescheiterte Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, von Michael Bröcker über den vielleicht künftigen Kanzlerkandidaten Jens Spahn oder ganz frisch das Buch Ursula Weidenfelds über die Epoche Angela Merkels jedenfalls ist hier nicht im Ansatz etwas zu spüren.

Nacherzählung und Zusammenfassung

Anders als Annalena Baerbock das im Rahmen von Jetzt unterstellt wird, wissen wir somit, dass Anita Partanen in der Lage ist, Quellen anzugeben und die indirekte Rede bzw. indirekte Zitate anzuwenden (was heutzutage leider auch nicht selbstverständlich ist), aber ihre Kapitel ergehen sich seitenweise über Nacherzählungen und Zusammenfassungen von Reden und Statements, die zumeist öffentlich verfügbar sind.

Ein Beispiel: Als sie die Arbeit der frisch gewählten Abgeordneten Annalena Baerbock anspricht, geht es sieben Seiten lang nur darum, wie die Rede selbst verläuft – inklusive einer Zwischenfrage. All dies ist in der Mediathek des Bundestags verfügbar und in weniger als elf Minuten hat sich das jeder und jede Interessierte selbst angesehen. Eine reine Nacherzählung ist aber alles andere als Analyse.

Im Gegenteil: Wenn hier die Arbeit der frisch gewählten Abgeordneten und dem späteren Shooting Star ins Licht gerückt werden soll, dann müssen doch ganz andere Punkte genannt werden: In welchen Ausschüssen saß Baerbock, welche Anträge und Gesetzesentwürfe hat sie mit verfasst, wie fand sie sich im politischen Alltag zurecht, wie hat sie umstrittene Positionen durchgeboxt. Aber nein, davon hören wir auch im Rest des Buchs nichts, gar nichts.

Füllmaterial wie Dämmwolle

Stattdessen macht Partanen vollkommen unwichtige Nebenschauplätze auf. Es geht anfangs lange Seiten um die Geschichte der Grünen (noch halbwegs nachvollziehbar, um die Zusammenhänge und Geschichte zu verdeutlichen) oder auch das Kapitel um Baerbocks Ehemann Daniel Holefleisch. Hier steht eigentlich auch nur, dass er früher Kampagnen für die Grünen organisierte und jetzt als Senior Manager Public Affairs bei der Deutschen Post DHL arbeite.

Der Begriff „Lobbyismus“, den dies bedeutet, taucht allerdings nicht auf, nur verklausuliert wird hier dargestellt, welchen Zweck sein Engagement hat. Und genau hier wäre es doch spannend zu wissen, welche Schwerpunkte er setzt, mit wem er verbandelt ist und welche Aktivitäten er bei seiner seit nun schon vier Jahre bestehenden Tätigkeit umsetzte. Aber nein, davon hört man bei Partanen nichts. Genau wie so viele andere Kapitel erscheint das lediglich ein Füllmaterial zu sein, um ansatzweise in die Nähe des Umfangs von 150 Seiten für das Buch zu kommen.

Hier läuft was falsch

Neben diesen intellektuell alles andere als anspruchsvollen Nacherzählungen reihen sich aber auch tatsächliche Fehler aneinander und das ist im Gegensatz zu der bisher gezeigten geistigen Faulheit einfach nur noch dumm. Der Tag der Bundestagswahl 2009 wird beispielsweise auf den 27. Dezember gesetzt. Unabhängig davon, dass um die Weihnachtsfeiertage nur im äußersten Ausnahmefall Wahlen in Deutschland stattfinden, ist das einfach falsch. Die Wahl fand am 27. September statt und das hätte spätestens im Lektorat auffallen müssen.

Nach dem Frankfurt-Słubice-PRIDE Anfang September 2020 noch kurz am Büro von Annalena Baerbock in Frankfurt an der Oder vorbeigeschaut. // © the little queer review

Solche Fehler treten leider auch gehäuft auf. Auf Seite 110 beispielsweise heißt es: „Bei der Bundestagswahl am 24. September 2018 erhielt sie 8,0 Prozent der Erststimmen, was dazu führte, dass sie erneut als Abgeordnete der Grüne [sic!] in den Bundestag einzog.“ Das mit den 8,0 Prozent ist korrekt, aber der Zusammenhang mit dem Einzug in den Bundestag ist nicht korrekt. Das Direktmandat in Potsdam (Baerbocks Wahlkreis) errang Saskia Ludwig von der CDU mit 24,9 Prozent. Baerbock hingegen zog über die Landesliste ihrer Partei in den Bundestag ein.

Partanen verwechselt also Erst- und Zweitstimme und führt somit völlig falsche Zusammenhänge aus. Entweder kennt sie sich mit dem Wahlsystem der Bundesrepublik nicht aus oder sie hat auch hier so sorgfältig wie Franziska Giffey oder Karl-Theodor zu Guttenberg bei ihren jeweiligen Dissertationen gearbeitet. Oder eben wie Baerbock in ihrem Buch. In jedem Fall ist so ein Fehler ein Zeichen von mehr als minderwertiger Qualität und verstärkt den Eindruck, dass das Buch noch schnell als Stückwerk vor der Wahl zusammengeschustert werden musste.

Wie hältst du’s mit der AfD?

Eine letzte inhaltliche Anmerkung: Auf den letzten Seiten eröffnet Partanen die Farbenspiele, also Koalitionsoptionen nach der Bundestagswahl. Sie zitiert Baerbock mit den Worten, dass „man ‚alle demokratischen Parteien‘ zu Gesprächen einladen“ wolle – je nach den Mehrheitsverhältnissen. Dem fügt sie den vollkommen unnötigen Hinweis an, dass Baerbock damit nicht alle demokratischen Parteien meinen würde, denn „eine Zusammenarbeit mit der AfD schlossen die Grünen und damit auch Baerbock immer wieder kategorisch aus.“

Wer die Grünen kennt, der müsste wissen, dass diese Ausführung gar nicht gemacht werden müsste. Die Grünen betrachten die AfD (wie die meisten anderen Parteien übrigens auch, ebenso wie wir) nicht als „demokratische“ sondern allenfalls als „demokratisch legitimierte“ Partei. Die Frage ist somit, ob sich Partanen wirklich mit den Grünen, ihrer Politik und ihren Werten auseinandergesetzt hat. Oder ob die Autorin gar die AfD relativieren wolle.

Anita – who the fuck is Anita?

Dies erstaunt umso mehr, als dass sie im Buch als Person beschrieben wird, die Klima- und Umweltwissenschaften studiert habe. Sie berichte über Bündnis 90/Die Grünen, beobachte Baerbocks Aufstieg seit 2009 und habe 2019 ein Buch über Greta Thunberg veröffentlicht. Mehr ist über Anita Partanen allerdings nicht bekannt – auch gängige Online-Suchmaschinen geben nicht mehr über die Autorin her. Mir drängt sich also der Eindruck auf, dass hier eine Person unter einem Pseudonym dieses Buch in großer Hastigkeit schrieb, die von Baerbock und ihrer Partei höchstens angelesenes Wissen besitzt, aber fachlich und methodisch nichts vom Handwerk des Abfassens einer politischen Biografie versteht.

Wer heute auf die Idee kommt, sich erstmalig mit „dieser Annalena Baerbock“ auseinanderzusetzen, der findet in Annalena Baerbock – Die Biografie vielleicht sogar ein paar Denkanstöße, wo er oder sie anfangen könnte zu recherchieren. Für alle anderen gilt: Finger weg von diesem Buch, jeder Cent und jedes Gramm CO2, dieses (wenigstens nachhaltig produzierten) Buches, der und das in den Äther geblasen wird, ist eine Verschwendung von Ressourcen – Zeit, Geld und Papier.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Anita Partanen: Annalena Baerbock – Die Biografie; Hardcover; 176 Seiten; 1. Auflage, Juli 2021; riva Verlag; ISBN: 978-3-7423-1959-3; 16,00 €

Hinweis I: Im Rahmen des Superdupermegawahljahrs 2021 haben wir auch ein Sommerinterview mit den beiden queerpolitischen Sprecherin und dem queerpolitischen Sprecher der Grünen, Ulle Schauws und Sven Lehmann, geführt. Das werdet ihr in circa zwei Wochen bei uns lesen können.

Hinweis II: Das Beitragsbild zeigt das Buchcover auf der Stadtbrücke Frankfurt (Oder). Die Grenzbrücke bildet den innerstädtischen Grenzübergang zwischen Frankfurt und Słubice und bedeutet Baerbock viel, wie sie im vergangenen Jahr im ZDF-Sommerinterview erläuterte. Das Foto haben wir beim Besuch des ersten Frankfurt-Słubice-PRIDE Anfang September 2020 aufgenommen. Auch in diesem Jahr findet er wieder statt.

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