JAPAN: Ferne Kultur im Großformat

In Tokio laufen nun mit einjähriger Verspätung die Olympischen Spiele, allerdings nicht unumstritten, denn Corona ist auch dort alles andere als „vorbei“. Wie so häufig hat die leider zuschauerfreie Eröffnungsfeier einen vermutlich nur kleinen Einblick in die Kultur des Gastgeberlandes Japan gegeben.

Einen solchen Einblick in das Land und die Kultur gibt auch der primär als Fotograf tätige und seit einigen Jahrzehnten in Japan lebende Hans Sautter. Sein bei Frederking & Thaler erschienener Bildband mit dem einfachen Namen Japan ist schon allein ob der Größe und des Gewichts schwere Kost. Er bietet aber gleichzeitig einen hervorragenden Einblick in das heutige Japan, fokussiert sich allerdings sehr stark auf die Kultur des Landes.

Japan in sechs Kapiteln

In sechs Kapiteln – jeweils eingeleitet von einem ca. zweiseitigen Essay von Landeskennerinnen und -kennern – stellt Sautter eine ganze Reihe von Facetten Japans dar. In „Metropolis“ geht es zu Beginn gleich um die vielen Städte und Bauwerke, um die Betonwüsten, die Millionen von Menschen beherbergen. Im Kontrast dazu steht das nächste Kapitel, „Natur“. Hier gibt es eine Reihe von Abbildungen aus der weiten und wilden Landschaft der japanischen Inselgruppe und der Macht, die die Natur ausübt. Taifune, Vulkane und Tsunamis prägen das Leben in Japan und das wird hier sehr deutlich illustriert.

Japan ist modern, vielfältig und bunt, so wie hier an der Shibuya-Kreuzung in Tokio // © Hans Sautter

Es folgt ein Dreiklang der Kapitel „Kostüm“, „Ritual“ und „Heiliges“, die thematisch an vielen Stellen ineinandergreifen. Kostüme sind auch jenseits von Uniformen und Arbeitskleidung ein wichtiger Bestandteil japanischer Kultur und werden beispielsweise für viele rituelle Handlungen verwendet. Letztere wiederum sind in vielen Punkten eng mit der buddhistisch-shintoistischen Religion verknüpft, sodass diese drei Kapitel ein großes Konglomerat ergeben. Abgeschlossen wird der gesamte Band durch das Kapitel „Ästhetik“, der Elemente aus allen vorherigen Kapiteln enthält und diese in einer Gesamtschau moderner japanischer Kultur überaus gekonnt zusammenführt.

Durchdachte Struktur

Das nämlich sollte gleich zu Beginn klargestellt werden – auch Hans Sautter macht das in seinen einleitenden Worten: Japan ist kein Reisebuch. Es ist ein Buch, das von dem Land in Fernost erzählt und dafür das Medium Bild (mit mancher Erläuterung) verwendet. Es gibt keine Reisetipps oder Ähnliches, nein, viele Regionen, Bilder und Landschaften können als Touristin oder Tourist auch gar nicht besucht werden. Die Bilder entstanden extra für dieses Buch und manche konnten nur durch Recherche, Kontakte oder aufwändige Planung entstehen, wie Sautter schreibt. Nicht zuletzt aufgrund des großen Formats des Bandes entfalten die Bilder aber eine grandiose Wirkung auf die Betrachterinnen und Betrachter, anders als bei Bänden in „Normalgröße“. Kleines Manko allerdings: Mancher Text enthält noch immer den einen oder anderen Tippfehler, was bei einem Band in dieser Preiskategorie schon etwas ärgerlich ist.

Nichtsdestoweniger ist Japan ein Kunstwerk, in dem Hans Sautter eine große Anzahl von erstaunlichen Bildern versammelt und sorgfältig kuratiert, ähnlich wie Roger Eberhard dies in seinem Band Human Territoriality geschafft hat. Die Abfolge der Kapitel ist ebenso wenig zufällig wie ihre Binnenstruktur. Das bereits erwähnte Konglomerat der Kapitel „Kostüm“, „Ritual“ und „Heiliges“ zum Beispiel baut aufeinander auf und hin und wieder ein wenig zurückzublättern lohnt sich, um so manche Überschneidung oder so manches Muster bereits an einer früheren Stelle zu finden – kein Zufall.

Am Kumano-Nachi-Taisha-Schrein in Nachisan, Wakayama, begegnen sich Natur, Kultur und heilige Rituale // © Hans Sautter

Manche Kapitel beinhalten kleine Bildstrecken, die sich über zwei, drei oder vier Seiten erstrecken und ganze rituelle Festivals, Zeremonien, Abläufe, Blütezeiten zeigen. Hans Sautter erzeugt so das Gesamtbild einer Kultur oder vermutlich auch nur einen kleinen Ausschnitt aus einem viel komplexeren gesellschaftlichen System.

Kultur siegt hier über die Natur – oder?

Ein durchdachtes System findet sich aber auch zu Beginn: Das Kapitel „Natur“ folgt auf „Metropolis“, um den Kontrast von Grün, Blau und Braun zum Grau des Betons zu illustrieren und an manchen Stellen sogar zu zeigen, wie der Mensch Hänge in Waffelmuster verkleidet oder Reisterrassen anlegt, um sich die Natur untertan zu machen. Das nämlich legt den Grundstein für die folgenden Kapitel: Der Mensch und seine Kultur stehen im Mittelpunkt und der unbändige Wille der Japanerinnen und Japaner, immer wieder über die Natur siegen zu wollen, zeigt sich hier ganz eindrücklich.

Mt. Aso in Kyushu ist der größte aktive Vulkan in Japan und mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von 24 km sowie einer Ost-West-Ausdehnung von 18 km der größte Krater der Erde auf 1592 Metern über Normalnull. // © Hans Sautter

Und dennoch holt sich die Natur immer wieder zurück, was ihr gehört. Der Tsunami von 2011 hat das ganz auf bedrückende Art und Weise bewiesen (Bilder von neugebauten Deichen dürfen bei Sautter natürlich nicht fehlen) und auch uns wurde das durch die Hochwasser im Westen Deutschlands jüngst deutlich vor Augen geführt. Gleichzeitig wird deutlich, wie sehr die Japanerinnen und Japaner auf wenig Raum leben – nur 15 Prozent der Landesfläche sind für Wohn- und Landwirtschaft nutzbar.

Leben: allein in der Gesellschaft

Interessanterweise wird das auch in den Bildern der Kapitel um „Ritual“ noch einmal deutlich. Kaum ein Bild, auf dem Menschen abgebildet sind, zeigt nur eine Person – und wenn, dann hat das einen Grund, zum Beispiel, weil er oder sie eine exponierte Rolle hat. Fast alle Bilder mit Menschen zeigen Paare oder Gruppen. Auch wenn Japan als eher individualistische Kultur bekannt ist, hier zeigt sich, welche Bedeutung eben Kultur und Rituale in der dortigen Gesellschaft haben und warum wir sie ganz allgemein wertschätzen sollten. Die Enge in der japanischen Landschaft wird somit durch die fast nur gruppenweise Abbildung von Menschen also subtil und dennoch wirkungsvoll verdeutlicht.

Die Skyline von Tokio mit dem heiligen Berg Mt Fuji im Hintergrund // © Hans Sautter

Die Ausnahme hierfür sind eben die einleitenden Kapitel „Metropolis“ und „Natur“. Das erwähnte Grau des Betons und das Grün, Blau und Braun der Natur wird zumeist durch eine Leere an menschlichem oder tierischem Leben kontrastiert oder dadurch, wie sich Alt und Neu symbiotisch zusammenfügen. Obwohl es in einem kurzen Text heißt, dass es in Japan viele Biotope und Lebensräume für endemische Vogelarten gibt, Hans Sautter hat nur ein einziges Bild mit Vögeln dem Band beigefügt. Einerseits ist das nur konsequent, passt es doch in die große Linie, die das Buch vorgibt, nämlich das menschliche Wirken, die Kultur und wie diese über die Natur obsiegen soll, zu illustrieren. Andererseits wäre vielleicht genau dies, die Disruption dieser Erzählung durch mehr Leben auch eine zusätzliche Facette gewesen, um dieses ansonsten sehr ausgewogene Buch noch um einen Aspekt zu bereichern.

Ein facettenreicher und wertvoller Bildband

Alles in allem ist aber zu sagen, dass Japan ein überaus informativer und anschaulicher Bildband ist, der Nichtkennerinnen und Nichtkennern der japanischen Kultur eine Reihe von neuen Facetten zeigt. Nicht alles ist wirklich schön, aber alles birgt eine gewisse Ästhetik und eine Fremdheit, die uns neue Eindrücke gewinnen lässt. Hans Sautters Bildband ist überaus sorgfältig kuratiert und erzählt von Anfang bis Ende eine durchdachte und bemerkenswerte Geschichte.

Kein Reisebuch, aber eines, das gut illustriert, wie Natur und Kultur in Japan ineinandergreifen – so wie hier an den Meoto-Iwa-Felsen bei Futami (Mie-Präfektur) // © Hans Sautter

Wie eingangs angemerkt, ist es alles andere als ein Reisebuch und schon rein physisch eines der größten und schwersten Bücher, die wir hier haben. Es ist aber auch eines der eindrücklichsten und für Liebhaberinnen und Liebhaber der japanischen Kultur ist es auf jeden Fall eine große Bereicherung. Gerade an heißen Sommertagen oder auch an so manch kaltem Tag um die Weihnachtszeit (ja, auch dieses Jahr wollen wieder Geschenke besorgt werden) ist Japan ein Bildband, in den man eintauchen kann und mag, um noch mehr über die Kultur in Fernost – jenseits des vielbehandelten China – zu erfahren.

HMS

Hans Sautter (Fotografie & Konzept): Japan; Hrsg.: Eugene Tharsis; Texte: Peter Tasker, Azby Brown, Holly Thompson, Stephen Mansfield, Charles T. Whippel, Hans Sautter; 320 Seiten; ca. 250 Abbildungen; Hardcover mit Leineneinband; Format: 29,7 x 37,5 cm; ISBN: 978-3-95416-339-7; Frederking & Thaler Verlag; 98,00 €

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