Gewissheit im Superdupermegawahljahr 2021: Nüscht ist sicher

Beitragsbild: links: Reichstagsgebäude/Bundestag (Foto: AndreySt/Getty Images), rechts: Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (Foto: MichaelUtech/Getty Images Signature) // Bildkomposition mit Regenbogenflagge: the little queer review

Im Superdupermegawahljahr 2021 scheint nichts sicher, schon gar nicht, wie wir alle stattfinden werden. Wir plädieren für ein gewisses „Unbubbling“ und laden eure Stimmen herzlich ein.

In der vorvergangenen Woche ging im politischen Berlin nicht nur der reguläre bundespolitische Parlamentsbetrieb in die übliche Sommerpause – samt der beinahe obligatorischen ein bis zwei Hardcore-Sitzungswochen vor selbiger – sondern es ist viel dramatischer: Im Grunde endete die 19. Legislaturperiode, das vierte Kabinett Merkel sagte Tschöö mit Ö und da lässt sich nüscht jegen machen, wie eine Prä-Kanzlerinnen-Merkel manches Mal sprach. Wie es im November weitergeht, ist offen. Wessen Namen nach der Bundestagswahl am 26. September 2021 hinter dem Wort „Kabinett“ steht, ist derzeit ebensowenig vorhersehbar wie die Zusammensetzung nicht nur dieses Kabinetts, sondern auch die einer Koalition.

Volatile Stimmungen

Streng genommen ist die Legislatur- oder amtlich-sprachgebräuchlich formuliert Wahlperiode natürlich noch nicht zu Ende und wenn die Luft brennen sollte, sind alle noch genau dort, wo sie die letzten vier Jahre gewesen sind. Abgesehen von den Zurückgetretenen, Ausgeschiedenen, Verstorbenen, die sich insbesondere zuletzt irgendwie anhäuften. Jedenfalls: Die Wahlperiode endet natürlich de jure erst mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages.

Nichtsdestoweniger befinden wir uns ein einer so aufreibenden wie spannenden Zeit: Angela Merkel, im Guten wie im Schlechten die „Mutti“ der Nation (sorry, Frau Beimer), tritt nicht noch einmal an. Corona hat nicht nur die Bevölkerung, sondern auch unsere Politiker*innen ordentlich durchgeschüttelt, manche auch gerührt. Erstmals seit 1949 kandidiert bei der Bundestagswahl kein*e Amtsinhaber*in für das Kanzleramt. Teils vermeidbare politische Schwierigkeiten und schlicht Blödheiten, von Egoismen einmal ganz zu schweigen, haben sicher geglaubte Verhältnisse erst recht ins Wanken gebracht (mit diesen sicher geglaubten Dingen ist es aber ohnehin so eine Sache…). Umfragen schienen noch nie so wackelig, Stimmungen selten so volatil.

Zusätzlich findet in diesem Jahr nicht nur die Bundestagswahl statt, sondern wir befinden uns in einem sogenannten „Superwahljahr“. Das heißt, neben der ohnehin schon weg- und zukunftsweisenden Bundestagswahl finden und fanden in diesem Jahr noch verschiedene Landtags-, Abgeordnetenhaus- und Kommunalwahlen statt. Bereits am 14. März wurde in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt. Bei allem Tamtam im Vorfeld und manch leichten, jedoch teils voraussehbaren, Erschütterungen blieb dort im Grunde alles beim Alten – große Wechselstimmung herrschte nicht. 

Klischee ohne Substanz

Als wesentlich galt die Wahl am 6. Juni in Sachsen-Anhalt. Lange Zeit hieß es, dort würde es zum großen Duell zwischen CDU und AfD, zwischen konservativer Mitte und rechten Extremisten kommen. Das fanden wir, bei allem was es zu bedenken galt – etwas, das wir auch in einem ausführlichen Gespräch mit Michael Kraske behandelt haben – ein wenig übertrieben. Beinahe erschreckend fanden wir es, wie einzelne Journalist*innen großer Tages- und Wochenzeitungen, die über die dortige Region berichten, gefühlt schon einmal vorwegnehmend erklärten, wieso dort rechts gewählt werden würde und warum die Wähler*innen dafür nichts könnten. Das setzte einer Berichterstattung, die sich manches Mal zu wünschen schien, dass es „im Osten“ zum Äußersten käme, die unrühmliche Krone auf. 

Die Sachsen-Anhaltiner jedoch taten, was ihnen kaum ein Ost-Spezialist zuzutrauen schien: Sie entschieden sich vorrangig für demokratische Werte. Damit ist die neurechte, fette, faulige, faschistische Gefahrenkuh noch lange nicht vom Eis. Das Eis ist aber eben auch nicht so dünn, wie gern suggeriert wird. Die Querdenker*innen und viele Anhänger*innen antisemitischer Verschwörungsmythen kommen übrigens aus Baden-Württemberg, da haben wir erstaunlich wenig Panik gelesen, dass dort im März die Demokratie hätte verenden können. Nun ja.

Parallel zur Bundestagswahl am 26. September wählen dann auch noch Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und vermutlich auch Thüringen ihr Abgeordnetenhaus beziehungsweise ihre Landesparlamente neu. Das dürfte alles ziemlich spannend werden (es ist kein Söder’scher Versprecher, wenn wir „spannend“ schreiben, meinen wir es auch und verbessern uns nicht auf „schwierig“). 

Es ist ernst…

Im vergangenen Jahr haben wir die Kategorie Parlamentarische Pause ≠ politische Pause eingeführt. In der hatten wir in der semi-unpolitischen Sommerlochphase weiterhin politische Bücher besprochen, dieses oder jenes kommentiert und sehr ausführlich (und mit einem Kernteam von zwei Leuten teils enerviert) die ARD– und ZDF-Sommerinterviews analysiert. Übrigens damals von mancher Seite viel Schelte für unsere Wahrnehmung des Gespräches zwischen Shakuntala Banerjee und der Grünen Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock bekamen; als sie kürzlich zur Kanzlerkandidatin gekürt wurde, gab es hingegen Lob für den Beitrag von damals. Volatile Stimmungen und so.

In diesem Jahr haben wir uns – bereits vor einiger Zeit – entschieden, die Kategorie Superdupermegawahljahr 2021 zu erstellen. Zum einen, weil wir meinen, dass das Wort „Superwahljahr“ allein so abgedroschen wie unnötig ernst und gleichsam zu sehr nach Infotainment klingt. Zum anderen finden wir es nicht nur in Hinblick auf queerpolitische Themen wichtig, immer ein offenes Ohr, waches Auge und aufmerksames Hirn für Politik zu haben. Siehe oben erwähnte Panikmache vs. Gefahrenkuh. Es gibt sehr viel dazwischen und dieses „Dazwischen“ geht manches Mal verloren.

Alle regen sich über Polemik auf und re-tweeten sie doch. Keine*r will Vorverurteilung, außer es geht um die politische Konkurrenz. Ach was, nee – Gegner*in! Nein! Feind*in! Jede*r möchte gehört werden, aber keine anderen anhören müssen. Dabei verliert sich noch jedes Gefühl für Zwischentöne, Ironie leider sowieso. Aufmerksamkeit wird ohnehin überschätzt, ist sie doch viel zu wenig aktiv. Kein Wunder also, dass einige meinen, eine demokratische Mitte gäbe es nicht mehr. Ebenso wenig verwundert es kaum, dass extreme Elemente durch so etwas gestärkt werden. Was wiederum den Eindruck einer nicht existenten Mitte verstärkt und so weiter und so fort…

In diesem Sinne wollen wir mit unserer Kategorie, zu der sich bereits diverse Einträge finden, versuchen zumindest an mancher Stelle zu zeigen, dass Einseitigkeit nicht gut und permanentes Beharren auf nur die eigene Sicht der Dinge im demokratischen Sinne mindestens schwierig ist.

…aber nicht bitter

Wir werden bis zur Bundestagswahl vermehrt politische Sachbücher (und sicherlich ein paar Romane) besprechen. Wir werden Interviews mit den queerpolitischen Sprecher*innen aller derzeit im Bundestag vertretenen Parteien im demokratischen Spektrum führen; sollte eine Partei keine*n Sprecher*in haben, wenden wir uns an den Arbeitskreis für Familienpolitik. Wir werden ebenso mit den queerpolitischchen Arbeitsgemeinschaften der jeweiligen Parteien sprechen, so es denn welche gibt. Weiterhin mit einigen anderen gesellschaftspolitischen Akteur*innen auf diesem Feld. Kommentare und Berichte zu aktuellen politischen Kernthemen und Debatten gibt es sowieso.

Unser Fokus liegt zwar auf queeren Gesichtspunkten, aber Politik, wie erläutert, geht uns allgemein alle etwas an. Klima-, Renten-, Fiskal-, Sicherheits-, oder auch und unbedingt Gesundheitspolitik. Wir leben in keiner Bubble und wir sollten Politiker*innen und anderen Menschen auch nicht das Gefühl geben, dass wir das so sähen. Raus aus der Nische, rein in die Realpolitik.

Somit ist dieser Beitrag auch als eine Einladung an euch zu verstehen: Bringt euch gern ein. Wir sind sehr offen für Vorschläge und Anregungen, was Gesprächspartner*innen und Themenbereiche angeht (im Rahmen zeitlicher und personeller Möglichkeiten – erneut ein Kernteam aus zwei Personen, plus Gastautor*innen); ebenso für Kommentare und Gastbeiträge von euch. Dabei gilt wie immer, auch im Sinne einer Unbubble-it-Haltung: Ihr müsst nicht selber LSBTIQ* sein, solltet aber unsere Community ein wenig kennen und schätzen.

Wir fühlen uns der ausgewogenen Debatte verpflichtet. Dazu gehört es für uns, eure Meinungen zu hören und in den Diskurs einzutreten. Denn nur durch eine ausgewogene Debatte ist es in der liberalen Demokratie möglich, qualifizierte Entscheidungen zu treffen. Und die Entscheidung an der Wahlurne sollte die qualifizierteste sein, die wir alle treffen.

Eure queer-reviewer

PS: Gern könnt ihr das auch via Instagram mit uns begleiten.

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