Nur ein wenig Fummelei unter Freunden?!

Zugegeben, als ich den Trailer zu Giant Little Ones gesehen hatte, war ich mir nicht ganz sicher was daraus zu machen sei. Ein weiterer Coming-of-Age trifft etwas Teenage-Angst-Film mit einer Portion Queerbaiting?! Diesem ersten Eindruck zum Trotz habe ich mir den Film, der inzwischen zumindest in den englischsprachigen Ländern zum Kritikerliebling geworden ist, angesehen und, nun ja… 

Im Kern geht es um den 17-jährigen Franky, der erfolgreich im Schwimmteam seiner Schule, recht attraktiv und beliebt, auch bei den Girls, unterwegs ist. Er wohnt mit seiner älteren Schwester bei seiner Mutter Carly, der Vater ist vor einiger Zeit ausgezogen. Er hat die Familie verlassen, um mit einem Mann zusammenzuleben. Sein bester Freund Ballas, ebenfalls nett anzusehen, ebenfalls im Schwimmteam, ebenfalls solide mit einer hübschen Freundin aufgestellt, jedoch etwas selbstbewusster und forscher als Franky, übernachtet nach dessen Geburtstagsparty bei ihm – und plötzlich kommt es unter der Decke zu Bewegungen, Geräuschen, recht eindeutig sexuell geprägt. Franky sagt etwas, Ballas springt aus dem Bett und verlässt schweigend und irritiert das Haus. Kurz danach wird an der Schule das Gerücht gestreut, dass Franky homosexuell sei. Nun ist nichts mehr, wie es war. Franky ist auf einmal Außenseiter, es gibt auf die Fresse und Fahrräder werden in Mitleidenschaft gezogen.

Best Buddies?! Franky und Ballas / © EuroVideo Medien GmbH

Über Giant Little Ones zu schreiben, ohne einige interessante Wendepunkte der Charaktere zu spoilern ist gar nicht so einfach. Etwas Wichtiges ist damit aber schon gesagt – es gibt solide Charaktere, die, obwohl wir sie nur kurz erleben, vielschichtig genannt werden und sogar eine Entwicklung durchmachen dürfen.

Der Vorfall in der Nacht nach Frankys Geburtstag wird zuerst von Ballas und Franky, vor allem allerdings Ballas, als einmaliger Fehler zwei Betrunkener High-School-Boys abgetan. Doch schon kurz danach meidet Ballas Franky, Ballas’ Freundin Jess giftet Franky an, offenbar wird die Schuld, auch das Initiieren der nächtlichen Aktivitäten völlig auf Franky abgewälzt, somit Ballas’ absolute Heterosexualität unterstrichen und Franky wird zu dem Homo. Wobei es an der Schule zumindest noch einen weiteren schwulen Mitschüler gibt, der es auch im Schwimmteam nicht immer leicht hat. Da zeigen sich in zwei Szenen, die recht leicht im Schwuler-Schüler-wird-vom-obligatorischen-Tyrannen-gequält-Klischee hätten enden können, sehr subtil interessante Dynamiken innerhalb des Teams, aber auch zwischen Franky und Ballas.

Franky und nun-doch-gute Freundin Natasha / © EuroVideo Medien GmbH

Giant Little Ones ist ohnehin ein eher stiller Film, der es vermeidet Gefühlsbombast aufzufahren, sondern auch in eher intensiven, gefährlich nah am melodramatisch balancierenden Szenen sensibel bleibt. So freundet sich im Trubel der Tage die ebenfalls als Außenseiterin geltende Schwester von Ballas, Natasha, mit Franky an. Die Intensivierung der Freundschaft, die Neuordnung der Verhältnisse und der Hintergrund ihres Charakters müssen in vergleichsweise wenigen Szenen glaubhaft abgebildet werden, was im Großen und Ganzen auch gut gelingt, auch sehr zum Dank der talentierten Taylor Hickson.

Besetzt ist der Film durchweg gut. Da sind nicht nur die in Nebenrollen als Frankys Eltern Carly und Ray glänzenden Maria Bello (die auch als Produzentin am Film beteiligt ist) und Kyle MacLachlan. Josh Wiggins spielt Franky angenehm zurückgenommen, ohne passiv zu wirken. Man merkt Franky an, wie es in ihm brodelt, wie er mit sich hadert und versucht seine Welt und vor allem sich selber zu verstehen und das nicht erst in einem der späteren Gespräche mit seinem Vater. Mit Darren Mann als Ballas ist ein guter, etwas mysteriös wirkender, vermutlich an sich selbst ver-zweifelnder Charakter treffend besetzt worden. Auch Niamh Wilson als Franky vielleicht-vielleicht-auch-nicht-Transgender Freundin Mouse trifft den Ton, wobei es hier eine zwar sehr witzige aber äußerst unpassend getimte Szene gibt. 

Maria Bello als liberale, aber besorgte Mutter Carly / © EuroVideo Medien GmbH

Timing, beziehungsweise Zeit als solche, ist dann auch das größte Problem des Films – wir wissen nicht, in welchem Zeitraum sich der Film abspielt, ebenso wissen wir nicht, wie lange es her ist, das Ray die Familie „verlassen“ hat. Was interessant wäre, ist doch Carly als Mutter wahnsinnig entspannt und easy-going mit ihren Kindern. Ist sie diese Person oder ist sie diese Person jetzt, weil Franky seinem Vater nun ablehnend gegenübertritt? Wann wurden die Gerüchte gestreut? So wirkt dann auch manch ein Konflikt etwas aus dem Nichts kommend, andererseits, so ist das Leben dann wohl auch. Womöglich war es das Konzept von Regisseur und Autor Keith Behrman uns einfach in die Handlung zu werfen und die Lücken selbst auszufüllen.

Ballas – immer ganz glatt / © EuroVideo Medien GmbH

Waren meine Bedenken also berechtigt? Eher nein. Giant Little Ones lässt uns an dem Wachsen von Menschen teilhaben, vermeidet Klischees so gut es geht, nimmt seine Protagonisten ernst genug, um ihre Konflikte glaubwürdig erscheinen zu lassen und tatsächlich betreibt der Film kein Queerbaiting, auch wenn das Ende ein wenig ambivalent ist. Aber es geht ja auch ums Werden und nicht ums Sein.

Fazit: Empfehlenswert! (Ich empfehle die englischsprachige Version.)

AS

© EuroVideo Medien GmbH

Giant Little Ones; Kanada 2018; Regie & Drehbuch: Keith Behrman; Musik: Michael Brook; Darsteller: Josh Wiggins, Darren Mann, Maria Bello, Kyle MacLachlan, Taylor Hickson, Niamh Wilson, Peter Outerbridge; Laufzeit: ca. 93 Minuten; seit dem 27.03.2020 auf DVD erhältlich; verfügbar via Amazon Prime

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Vorschaubild: © EuroVideo Medien GmbH

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