Ich bin die Fußnote

In den Münsteraner Tatorten wird es gerne einmal dreckig. In der polarisierenden Folge Limbus aus dem November 2020 beispielsweise landet Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) mit seinem Auto im brach liegenden Acker und anschließend in einer Zwischenwelt, aus der er ermittelt. Auch dieses Mal geht es im Tatort: Rhythm and Love wieder unsauber zu – und zwar in mehrerlei Hinsicht.

Sauber arbeiten zahlt sich aus

Boerne sieht sich mit einem Fall unsauberen Zitierens, aka Plagiarismus, konfrontiert, Silke „Alberich“ Haller (Christine Ursprung) verschusselt die DNA-Probe eines Verdächtigen (auch wenn hierfür primär Boerne die eigentliche Verantwortung trägt) und auch in dem Mordfall um den Lebenscoach und -künstler Maik Koslowski (Matthias Zera) geht nicht alles mit sauberen Dingen zu.

Koslowski wird erschlagen in einem Moorgebiet aufgefunden und als Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) sich den Auffinder vornehmen will, ist der auf einmal weg. Umwege führen den Kommissar aber zum Erlen-Hof, auf dem Koslowski gelebt und gelehrt hat. Sein polyamorer (nicht polygamer!) Lebensstil könnte ihm zum Verhängnis geworden sein, denn auch wenn es in seiner Kommune natürlich üblich ist, alle Eifersüchteleien in intensiven Gesprächen oder Trommeleien zu klären, bleibt sie dennoch ein mögliches und allgemein nicht unübliches Tatmotiv. Die Frage ist nur, welche der vielen Liebschaften von Koslowski der oder die Täter/in gewesen sein könnte…

Johannes Hagen (August Wittgenstein, rechts) ist Pressesprecher der Münsteraner Polizei. Mit seiner Frau Marion (Patrycia Ziolkowska, links) schaut er, was es vor ihrem schicken Haus zu entdecken gibt. // © WDR/Martin Valentin Menke

Oder war es gar der katholische Geistliche Tobias Flügge (bedächtig undurchschaubar: Nikolai Kinski), der mehr über den Fall zu wissen scheint, sich aber hinter dem Beichtgeheimnis verschanzt? Zudem ist er eng mit Johannes Hagen (immer gern gesehen: August Wittgenstein, Das Boot), dem Sprecher der Münsteraner Polizei und Sohn der früheren Ermittler-Koryphäe Kurt Hagen („Wie, mein Fisch ist nicht frisch?“ – Peter Harting) befreundet. Achso, und dass der junge Hagen mit Koslowski ins Bett gestiegen war – ebenso wie seine Frau Marion (stilvoll und erhaben, sich am Glase labend: Patrycia Ziolkowska) – steht vermutlich auch nicht im Zusammenhang mit dem Mord, oder?

Ein Netz von Verwirrungen

Es ist also recht schnell klar, dass es in diesem Tatort eine Reihe von Verdächtigen gibt, die durchaus ein Motiv hätten und zudem untereinander irgendwie verbunden sind, allerdings nicht immer in tiefer Sympathie zueinander. Thiel und Boerne stehen daher vor einem wirren Geflecht an Beziehungen und Gefühlen, das es zu entwirren gilt, wenn der Fall zur Auflösung gebracht werden soll. Und wie es dieses Dickicht an Beziehungen und Verwirrungen so mit sich bringt, tritt die Lösung des Falls selbst irgendwie ein wenig hinter das Spektakel zurück. Was nicht nur an Trommelkursen liegt.

Wie wir es mittlerweile schon in hoher Regelmäßigkeit beobachten dürfen, ist der Fall auch dieses Mal eher das Vehikel, um das herum die Macherinnen um Elke Schuch (Drehbuch) und Brigitte Maria Bertele (Regie) andere Geschichten stricken. Das führt dazu, dass der Fall gleichzeitig irgendwie dahinplätschert und sich gefühlt ein wenig zieht, sich aber dennoch nicht wirklich als langweilig herausstellt. Auch wenn die Täterschaft relativ schnell klar zu sein scheint – oder liegt etwa eine Vorverurteilung durch Thiel vor? – bleibt das Unterhaltungserlebnis doch relativ hoch.

Im Beichtstuhl: Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, rechts) mit Pfarrer Tobias Flügge (Nikolai Kinski, links). // © WDR/Martin Valentin Menke

Homo oder bi?

Der übliche Slapstick und Wortwitz kommt dabei natürlich auch nicht zu kurz und zündet deutlich mehr als noch in der letzten Münsteraner Folge Es lebe der König. Gleichzeitig finden sich die Figuren immer wieder in eher unerwarteten Situationen. Sei es Professor Boerne, der fleißig und dennoch nicht unbedingt rhythmisch auf die erwähnte Trommel haut – obwohl „er doch die Note ist“ – Silke Haller und Thiel-Assistent Mirko Schrader (Björn Meyer), die mit ihren ganz eigenen kleinen Unrein-, äh Ungereimtheiten, kämpfen und sich dabei freundschaftliche annähern, oder Johannes Hagen, dessen Garagentor scheinbar mal mit homophoben Sprüchen beschmiert war und das, obwohl er – wie er klarstellt – nicht homo– sondern bisexuell sei.

Apropos Homophobie: Nein, weder in Bezug auf die Katholische Kirche (die hier eher charmant als boshaft den einen oder anderen Seitenhieb verpasst bekommt) noch auf die Bisexualität von Hagen gibt es unmittelbare Töne der Ablehnung im Drehbuch. Allerdings ist die Unbedarftheit, die Thiel an den Tag legt, wenn es um die Homosexualität seines Ermittlers geht, doch ähnlich deplatziert wie so manche Ermittlungsmethode oder zumindest unsensibel, selbst wenn in der betreffenden Szene dann eher nonchalant darüber hinweggegangen wird, dass er möglicherweise gerade seinen Kollegen geoutet hat. Trotz aller Heile-Welt-Unterhaltung wäre ein Quäntchen mehr Sensibilität an der einen oder anderen Stelle doch wünschenswert, auch wenn hier natürlich alle ganz cool reagieren und sich schon vorab einig waren, dass Homophobie innerhalb der Polizei ein Problem sei. Also – gut gemeint?! 

Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann, vorne) ist im Gespräch mit Kommissar Thiel – dessen Assistent Mirko Schrader (Björn Meyer, hinten) sorgt für Kaffee (mit Schuss?) und Tee und wird nebenher geoutet. // © WDR/Martin Valentin Menke

Als störend erweist sich übrigens die mögliche Plagiatsaffäre um Boerne. Der Witz, den dieser Teil beinhalten soll, zündet nicht; der verzweifelte Charme den Jan Josef Liefers hier vermutlich vermitteln soll, kommt nicht rüber und als Anspielung auf den repetitiven Wissenschaftsbetrieb, der sich manches Mal nur noch um sich selbst und die Egos seiner Protagonistinnen und Protagonisten dreht, ist sie zu wenig fein ausgearbeitet. Auch wenn es angesichts der zumindest aktuellen vermeintlichen Dichte in Jan Josef Liefers’ Kopf so gesehen witzig ist, „ihn“ wegen vielleicht unsauberem wissenschaftlichen Arbeitens verzweifeln zu sehen.

Gleichwohl bietet der Tatort: Rhythm and Love einerseits zwar einen mehr oder weniger spannenden und fesselnden Fall, andererseits verkämpfen sich Thiel, Boerne & Co. an mancher Stelle auch ein wenig auf Nebenkriegsschauplätzen. Das tut der Unterhaltung zwar kaum Abbruch, aber einen Kriminalfall oberster Güteklasse sollte dennoch niemand erwarten.

HMS

Tatort: Rhythm and Love wird erneut am Pfingstsonntag um 20:15 Uhr im Ersten gezeigt, um 1:40 Uhr auf one und ist anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Rhythm and Love; Deutschland 2021; Regie: Brigitte Maria Bertele; Drehbuch: Elke Schuch; Kamera: Timon Schäppi; Darsteller: Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Christine Urpsruch, Mechthild Großmann, Björn Meyer, Claus D. Clausnitzer, Patrycia Ziolkowska, August Wittgenstein, Nikolai Kinski, Peter Harting, Maëlle Giovanetti, Matthias Zera; Laufzeit: ca. 88 Minuten; Eine Produktion der Bavaria Fiction GmbH (Niederlassung Köln) im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks Köln für das Erste

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