„Ich würde mein homosexuelles Kind in den Arm nehmen und es drücken“

Dieser Text erscheint im Rahmen unserer neuen Reihe Parlamentarische Pause ≠ politische Pause. Wir werden in der sommerlichen Zeit weiterhin politische Bücher besprechen, uns mit den Sommerinterviews von ARD und ZDF beschäftigen, selber Schwerpunktthemen setzen, Interviews führen und uns einiges Spannendes einfallen lassen. Am Ende steht ein Fazit, wie wir den Sommer mit und für euch erlebt haben.

In diesem Jahr ist durch die Corona-Situation einiges anders, auf vieles müssen wir verzichten, auf eines allerdings nicht: die traditionellen Sommerinterviews während der parlamentarischen Sommerpause. Gestern ging es in der ARD mit den Bericht aus Berlin-Interviews los und zum Auftakt begrüßte ARD-Fernseh-Chefredakteurin im Hauptstadtstudio Tina Hassel auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses die Vorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer.

Fast ein Überraschungsgast

Und begrüßt wurde sie dann auch so unterhaltsam wie wahr: als ein Gast, „mit dem wir gar nicht mehr gerechnet hatten, aber noch ist die Verteidigungsministerin eben auch die CDU-Vorsitzende.“ Nach diesem Aufschlag ging es dann auch fix um die Kür des CDU-Vorsitzenden, die aller Voraussicht nach im Dezember diesen Jahres ansteht. Es stellt sich die Frage, ob es zu einer Kampfkandidatur kommen wird, was anfangs durch Absprachen vermieden werden sollte. Hierzu sagt AKK, dass sie  nach wie vor mit allen Kandidaten – Armin Laschet, Friedrich Merz, Norbert Röttgen – im Gespräch sei, aber von niemandem vernommen habe, er wolle sich zurückziehen. Also kommt es wohl zu einer sogenannten Kampfkandidatur (auch wenn es ein unsägliches Wort, für einen sinnvollen und sauberen demokratischen Prozess innerhalb einer Partei ist…); vermutlich wäre das aber auch bei einem Parteitag im April der Fall gewesen, Friedrich Merz hatte nie wirklich Anstalten gemacht, sich da irgendwie irgendwem zu fügen.

Weiter gefragt, ob dann „nur“ über den Vorsitz oder auch über den Kanzlerkandidaten entschieden würde, sagte die Noch-Vorsitzende, dass wer sich dort bewerbe, wohl auch an das Kanzleramt denke. Sehr interessant war aber auch, wie AKK ihre Antwort einleite: „Es ist vollkommen klar, dass derjenige oder auch diejenige, die Kandidatenliste ist ja noch nicht geschlossen, laut CDU-Satzung ist es möglich, das man auch noch auf dem Parteitag kandidieren kann […].“

Einen kleinen Hieb gegen Söder gab es dann auch noch. Der sagte am Wochenende, der Unionskanzlerkandidat müsse sich in der Corona-Krise bewährt haben. Klar, sagt die CDU-Vorsitzende und Bundesverteidigungsministerin da: „Krisenmanagement gehört dazu“. Aber es gehöre auch dazu, „wann die Weichen nach vorne gestellt werden müssen, wann man für die Zukunft stehen muss. Es gehört dazu ein festes Fundament. Und es gehört dazu die Fähigkeit, auch in schwierigen Zeiten seinen eigenen Kurs beizubehalten und zum Beispiel nicht der Versuchung des Populismus zu unterliegen.“

Keine Zusammenarbeit mit dem „politischen Arm des Rechtsextremismus“

Zum Bereich Rechtsextremismus und das Verhältnis zur AfD musste natürlich auch gefragt werden. Könne sich so etwas wie in Thüringen wiederholen? Beispielsweise in Sachsen-Anhalt, wollte Tina Hassel wissen, schließlich gebe es dort Stimmen, die es nicht schlimm fänden, sich durch die AfD tolerieren zu lassen. Kramp-Karrenbauer sagte, dies seien Einzelstimmen und Reiner Haseloff als Ministerpräsident und „unser Repräsentant in Sachsen-Anhalt“, von dem sie sehr hoffe, dass er wieder antrete, sei da glasklar. In diesem Moment dürfte der Innenminister und CDU-Vorsitzende Sachsen-Anhalts, Holger Stahlknecht, wohl recht aufmerksam zugehört haben. 

Auch machte AKK noch einmal deutlich, dass man die AfD politisch bekämpfen müsse, aber definitiv nicht mit ihr zusammenarbeiten dürfe. „Die AfD ist der politische Arm dessen, was wir an Extremismus, an Rechtsextremismus, erleben“, sagte sie dazu so überzeugt wie überzeugend.

Parität – ja, nein, jein?!?

Zur Repräsentanz von Frauen gab AKK unumwunden zu, dass es sich da durchaus um eine paradoxe Situation innerhalb der CDU handle. In den Parlamenten seien die Frauen stark unterrepräsentiert; doch stelle man Kanzlerin, die zweite Verteidigungsministerin in Folge, die Präsidentin der Europäischen Kommission und sie selber sei erste Innenministerin eines Bundeslandes (bitte keine Saarland-Witze jetzt, ja?!) gewesen. Nichtsdestotrotz könne die derzeitige Situation nicht befriedigend sein, daher arbeite auch eine Satzungskommission daran, wie man mit schärferen Vorgaben und verbindlicheren Regelungen arbeiten könne. Sie selber sei auch für Parität zu haben, ist allerdings nicht Teil der Satzungskommission. Also heißt es: Ergebnisse abwarten. Machen wir, wir sind mindestens genauso gespannt wie sie.

KSK & große verpuffte Initiativen

Annegret Kramp-Karrenbauer bei ihrer Eidesleistung und Regierungserklärung. Ihre Lieblingsfarbe ist blau. // © Deutscher Bundestag / Achim Melde

Nun zum heißesten Thema: Bundeswehr, KSK, rechte Umtriebe. Gefragt, ob ihr „eiserner Besen“ genauso schnell wieder vergessen sein könne, wie er nun rausgeholt wurde, antworte die Verteidigungsministerin, dass da nicht nachgelassen werde, es sei unserer aller Aufgabe, denn wer seinen Diensteid missbrauche und in den eigenen Reihen gegen die Verfassung kämpfe, gefährde die Stabilität der gesamten Demokratie. Daher werde nun ermittelt und das würde dann auch zu entsprechenden Ergebnissen führen. 

Ebenso wurde die Kritik geübt, dass sie viele „große Aufschläge für Initiativen gemacht“ habe, diese aber auch gern verpufft seien. Hier formuliert dann auch der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, in einem Einspieler deutliche Kritik in Kombination mit einem einigermaßen süffisanten Lösungsvorschlag. Das größte Problem sei die fehlende Abstimmung gewesen, so Wüstner, aber er gehe nun davon aus, dass alles, was jetzt noch komme, besser abgestimmt sein werde als in den letzten Monaten. Boom.

Wie halten wir’s mit China und den Menschenrechten?

Schließlich ging es um eine Konferenz zum Thema Menschenrechte, die Annegret Kramp-Karrenbauer an diesem Dienstag im Rahmen des Vorsitzes im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen leiten wird und an der auch China teilnimmt. Da stellt sich schon die Frage: Wird sie, also wird Deutschland, dann auch Kritik an China üben? Und falls ja, wie deutlich? Das möchte auch Tina Hassel wissen und in ihrer Antwort verweist AKK erst einmal darauf, was für ein großer Erfolg es sei, dass Christoph Heusgen, Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen, es schaffte, dass man das Thema Menschenrechte überhaupt einbringen konnte. Das habe es länger nicht mehr gegeben.

Eine direkte Antwort bleibt sie dennoch schuldig, sagt aber, dass es universelle Rechte gebe, die man weder aus politischen, religiösen oder kulturellen Gründen einschränken dürfe. Das sei auch eine ganz wichtige Botschaft „an alle diejenigen, die glauben, sie könnten sich auch von Menschenrechten ein Stück weit distanzieren“. Das unterschreiben wir mal so, auch wenn wir denn Satz ein wenig anders strukturieren würden.

Es lohnt sich, sich das gesamte Gespräch anzusehen, also wörtlich, es sich anzusehen. Viele Feinheiten in Gestik und Mimik, die durchaus einiges sagen, geben hier und da Anlass zu wenigstens unterhaltsamen Gedankengängen und Vermutungen. 

Frag selbst – aber keinen Stuss!

Außerdem macht es dann noch viel mehr Freude, sich im Anschluss das neue Format Frag selbst zu geben. Hier werden Fragen von Zuschauer.innen beantwortet und es bietet sich die Gelegenheit manch einen Punkt zu vertiefen. 

Das sieht dann auch alles gleich anders aus: statt Sessel nun Stehtische und Tina Hassel siezt die Zuschauer.innen nicht mehr, sondern wir sind nun „ihr“ und „euch“. Cool, fancy. Das Format wird übrigens auch u. a. via Facebook-Live direkt nach der Aufzeichnung des eigentlichen Sommerinterviews am Nachmittag gezeigt, also Neuland-Erfahrung. Fragen kann quasi ein Jeder mit Internetzugang, aber: „Alle vernünftigen Fragen versuchen wir dran zu nehmen, alle Fragen, die eigentlich nur irgendwie, ja, ich sag jetzt mal, nichts Echtes zu fragen haben, die haben bei uns auch keine Chance dranzukommen“, sagt die Tina Hassel zu Beginn und nun möchte ich gern ein Glas Wein mit ihr trinken gehen.

Tina Hassel. Sie trägt auch blau. // © ARD-Hauptstadtstudio/Thomas Kierok

Dennoch ist direkt die erste Frage eine die auszulassen gewesen wäre, denn sie ist schon so, so, so, so, … oft gestellt worden. Nämlich: wie es denn sei mit diesem Maschinengewehrkürzelnamen unterwegs zu sein. Naja.

Ansonsten werden in dem neuen Format noch einmal die Themen Bundeswehr, Rassismus, Notwendigkeit einer europäischen Armee, Klimawandel und Tierschutz, Breitbandausbau, vermeintlicher Links-Ruck der CDU, Konservatismus der Jungen Union, etc. aufgegriffen und/oder vertieft. 

Kreuz machen, nicht kiffen und Homosexualität akzeptieren

Ganz kurz zwei, drei Highlights hieraus. Tina Hassel fragt in einer Schnellfragerunde, ob Annegret Kramp-Karrenbauer einen Kandidaten im Rennen um den CDU-Vorsitz unterstützen werde. Antwort: „Ich werde mein Kreuz an der richtigen Stelle machen.“

Legalisierung von Cannabis – ist das nicht überfällig? Hier sagt sie, dass jetzt, wo man strengere Regelungen für Tabakwerbung einführt und (noch) legale Drogen stärker in den Fokus nehme, solle man nicht illegale ins Regal stellen und: „Wehret den Anfängen“. Ja, hat sie so gesagt. Ziemlich drüber, äußerst unglücklich, nicht fein. Buh.

Dann kommt die Frage, was sie ihrem Kind sagen würde, wenn es ihr mitteilte, dass es homosexuell sei. Antwort: „Ich würde es in den Arm nehmen, ich würde es drücken und ich würde ihm wünschen, dass es einen Partner findet, mit dem es so glücklich werden kann, wie ich mit meinem Mann.“ Und Tina Hassel freut sich drüber: „Das ist ne schöne Antwort.“ Mensch, toll. Einige nennen das nun auch direkt wieder scheinheilig. Ich würde mal sagen: Abwarten. Menschen, auch Politiker, können sich weiterentwickeln und letzten Endes ist sie es nun die, wenn auch unter anderem auf massiven Druck insbesondere Einzelner aus der FDP, als Verteidigungsministerin eine Entschädigung homosexueller Soldaten, die diskriminiert und/oder entlassen worden sind, durchsetzen möchte.

Also auch dieser Teil ist sehenswert, die insgesamt fünfzig Minuten lohnen sich durchaus. Und von dem „Wehret den Anfängen“-Mist und dem einen oder anderen arg verschwurbelten Satz abgesehen, wobei zumindest das ja schon fast wieder charmant anmuten kann, stelle ich fest, dass sie sich inzwischen weit besser in derlei Situationen macht als noch vor einigen Monaten. Nun könnte man sagen: Gegebenenfalls sollte sie sich doch nicht zurückziehen. Oder liegt es eben genau daran? Zu wissen, hier ist ohnehin bald Ende und daher ist sie nicht mehr so angespannt und kommt nicht nur authentischer, sondern auch unverkrampfter und dennoch bedachter, da eher mit sich selbst im Reinen, rüber? Möglich. Zwei Fragen des Interviews gehen übrigens auch in diese Richtung. Also – ansehen. 

AS

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