„Ihr könnt auf uns zählen!“ – Wieder so eine Balkon-Aktion?

Mit der Aktion „Ihr könnt auf uns zählen!“ wollen das Magazin „11 Freunde“ und 800 Fußballspieler*innen homosexuellen Spieler*innen irgendwie den Rücken stärken. Das ist schön. Und doch erstmal kein solches Fest, wie es vielerorts proklamiert wird. Ein Kommentar. 

Nach dem groß angelegten Coming-Out unter dem Motto #ActOut von 185 Schauspieler*innen als lesbisch, schwul, bisexuell, queer, nicht-binär und trans* im SZ-Magazin – begleitet von einem starken Manifest – vor exakt zwei Wochen, legt nun der deutsche Fußball mit der vom „Magazin für Fußballkultur“ 11 Freunde initiierten „Ihr könnt auf uns zählen!“-Kampagne nach. Könnte oder sollte man wohl jedenfalls meinen. In der Tat sind das aber zwei völlig unterschiedliche Geschichten.

Mit der Kampagne, die bereits am Mittwoch vor der Veröffentlichung des März-Heftes heftig gefeiert wurde, unterstützen 800 Fußballer*innen (oder Fußballbeteiligte) der ersten und zweiten Bundesliga und der großen Vereine der dritten Liga homosexuelle Spieler*innen und ermuntern diese indirekt zum Coming-Out. In der zugehörigen Erklärung wird allerdings auch drauf hingewiesen, dass diese nicht als Aufforderung verstanden soll: „Niemand soll zu einem Coming-out gedrängt werden. Das ist die freie Entscheidung jedes Einzelnen.“ Na dann ist ja gut.

Endlich dürfen Spieler*innen queer sein, oder?

In den nicht nur von queeren deutschsprachigen Medien freudigen, meist begeisterten, Vorabmeldungen (zuerst berichtete die Bild darüber) wurde erwähnt, dass Spieler wie Max Kruse und Christopher Trimmel (1. FC Union Berlin), Dedryck Boyata und Niklas Stark (Hertha BSC), Jonas Hector (1. FC Köln), Bakery Jatta (Hamburger SV), die Nationalspielerinnen Almuth Schult und Alexandra Popp (VfL Wolfsburg) an der Aktion beteiligt seien, Auszüge ihrer im Beitrag auftauchenden Statements inklusive. Einige von ihnen sind auch für die sechs verschiedenen Cover des Magazins, die alle gemeinsam den Regenbogen bilden würden, fotografiert worden.

In der Tat ist der Beitrag und die Beteiligung so vieler Fußballerinnen und Fußballer begrüßenswert. Dass „Ihr könnt auf uns zählen!“ beinahe überall ein wenig übergroß als der DURCHBRUCH für Queers im Fußball zelebriert wurde, ist hingegen völliger Quatsch. Da vermengen sich Wunschdenken, die mit Wunsch kombinierte Ahnung, was der bis dahin noch unbekannte Beitrag eigentlich aussagen sollte und wohl das Gefühl, wir, als queere Menschen, sollten nun ungemein dankbar sein.

800 Personen ohne 800 Namen

Zum einen ärgert es bei dem sonst interessanten und lesenswerten Beitrag, der die gewünschte Utopie der Blatt-Macher*innen schön beschreibt, dass die Liste der 800 bei weitem nicht 800 Namen enthält, sondern oftmals Kapitäne und Kapitäninnen und Mannschaftsräte lediglich stellvertretend für die jeweilige Mannschaft unterzeichnen. Wenn Beteiligung dann doch richtig oder gar nicht… Und überhaupt: Was ist die ganze Mannschaft? Da bleibt wieder reichlich Raum für Wunschdenken durch Inkonsequenz in der Ausführung einer löblichen Aktion.

Ebenso beteiligen sich Clubs wie der FC Bayern München, Borussia Dortmund oder auch der FC Schalke 04 nicht an der Aktion. Dies allerdings erläutern die Macher*innen des Blattes im Beitrag: Manche Klubs hielten von solch einer Aktion nichts, andere planten eigene Aktionen, einige wollten den Gruppendruck nicht (siehe „stellvertretend für die Mannschaft“…) und so weiter und so fort. Hier kann den 11 Freunden also schon mal keine mangelnde Transparenz unterstellt werden. Dennoch ist es bedauerlich, dass sich so viele Klubs der Aktion eben nicht angeschlossen haben.

Ein Grund mehr, warum diese Aktion nicht als das große Ding betrachtet werden sollte, das manch eine Berichterstattung daraus machen wollte. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Kampagne bei allem guten Willen erst einmal ohne jede Konsequenz bleibt. Auch weil dieses Engagement letztlich doch mit einem großen – und nachvollziehbaren – „Aber…“ einhergeht, wie sich den Statements einiger Beteiligter deutlich entnehmen lässt. Zwar würden sie als Individuum das Coming-Out von Teamkolleg*innen unterstützen, sie gegen Anfeindungen verteidigen, doch ob diese sich dem Druck, dem Ärger, den vermutlich heftigen öffentlichen Reaktionen würden aussetzen wollen, das sei natürlich die schwierige Frage.

Der Lahm, auch so ein Ewiggestriger, oder was?

Damit liegen die Aussagen sehr, sehr, sehr nah, bei dem, was der ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft Philipp Lahm in seinem neuen Buch Das Spiel (wir besprechen als alsbald) schreibt und bei dessen Online-Vorstellung am Mittwoch erwähnt hat. Er stellt die nachvollziehbare und begründete Frage: „Wer würde das aushalten? Und wenn ja, wie lange würde er es aushalten?“, wenn es „gebrüllte Beleidigungen, Beschimpfungen und diffamierende Äußerungen“ gäbe.

Philipp Lahms Buch Das Spiel: Die Welt des Fußballs erscheint am 22. Februar 2021 im C.H. Beck Verlag

Zwar möge es Vereine und Städte geben, wo solch ein Coming-out eher möglich wäre als anderswo. Berlin, Freiburg und den FC St. Pauli nennt er als Beispiele. „Aber gegenwärtig schienen mir die Chancen gering, so einen Versuch in der Bundesliga mit Erfolg zu wagen und nur halbwegs unbeschadet davonzukommen.“ Ebenso nennt der die Entscheidung Thomas Hitzlspergers, der sich erst nach dem Ende seiner Profikarriere im Jahr 2014 als schwul outete, „lebensklug“.

Für diese Äußerungen wurde Lahm nun weithin kritisiert, er habe nichts dazu gelernt, schrieb eine queere Website in ihrem geistigen Nebel von Ignoranz. Die Zeit sei weiter und es wurden natürlich die Vorberichte zur 11 Freunde-Kampagne als Gegenbeweis angeführt. Seid’s ihr alle deppert?, frag ich mich da. Niemand schien auf den Beitrag warten zu wollen. Was nicht nur unprofessionell ist, sondern schnell auch etwas peinlich sein kann.

Denn in dem Beitrag sagen einige Beteiligte fast eins zu eins das, was Lahm auch meinte. Ebenso wird Thomas Hitzlsperger zitiert, der sagt, ganz so einfach sei das eben nicht. Zwar führt er als positives Beispiel das Coming-out von Robbie Rogers aus dem Jahre 2013 in den USA an, der sich verabschiedete, outete und dann von seinem Club zurückgeholt wurde. Der nett gemeinte Vergleich ist allerdings im Großen nicht sinnvoll, da Fußball in den USA mit Fußball in Deutschland eben nicht vergleichbar ist. Hitzlsperger müsste für einen adäquaten Vergleich deutschen Fußball mit American Football vergleichen. Der amerikanische Fußball, also Soccer, ließe sich eher mit dem Stellenwert von Volleyball in Deutschland vergleichen. 

Verhallendes Klatschen

Was bleibt also? Eine Kampagne mit Geschmäckle. Was auch daran liegt, wie vorab über sie berichtet wurde. Das mag alles schön gemeint gewesen sein, hat aber aufgrund der Unvollständigkeit keine Substanz. Dass dabei noch einer der klügsten, emphatischsten und selber von reichlich Anfeindungen betroffenen deutschen Fußballprofis runter geschrieben und zumindest indirekt als homophob bezeichnet wurde, macht das Ganze erst recht ärgerlich und hochnotpeinlich.

Und die Aktion als solche? Hat etwas vom Klatschen von Balkonen und aus offenen Fenstern für Beschäftigte in Pflegeberufen: Nett, aber leer. Ein wenig Wertschätzung, ohne die Gefahr in Haftung genommen zu werden. Und wir hier sind am besten noch dankbar, dass sich nun auch mit uns unter die Dusche getraut wird. Auch die Frage, was ist mit den Sponsoren ist, bleibt im Raum stehen.

Wer weiß, vielleicht hilft es. Womöglich bringt die Vielfalt-Kampagne des Deutschen Fußball-Bunds auch etwas (dem Beitrag ist eine ganzseitige, regenbogenfarbene Anzeige „Für Alle“ des DFB-Vielfalt vorangestellt und Fritz Keller und Christian Rudolph haben auf dfb.de ein Interview gegeben). Oder es ist einfach Geklatsche, das vorerst verhallt. Wir warten und haben gern Unrecht. 

Eure queer-reviewer

Ach ja: Lest doch unbedingt noch diesen aktualisierten Beitrag zum „Fall Fashanu“ auf der 11 Freunde-Page.

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Comments

  1. Während der Vorberichterstattung über die 11Freunde Aktion hatte ich noch ähnliche Zweifel, wie Du/Ihr.
    Nach der Veröffentlichung komme ich für mich nun zu dem Schluss, dass sich die Positionen der Kampagne und Phillip Lahms nicht ausschließen. Am Ende bleibt jede Entscheidung zum oder gegen das Outing ja ohnehin eine Individuelle. Dabei kann man in beiden Statements Bestärkung finden.
    Das daran nicht alle Vereine teilnehmen ist bedauerlich (insbesondere das Fehlen einiger Branchengrößen) aber aus meiner Sicht zu vernachlässigen. Sie hatten Gründe für ihre Absagen, die mich nur am Rande interessieren. Bekannt ist aber, dass es auch in mindestens zwei Fanlagern der Genannten Unterstützer*innen der wichtigen Initiative gegen Homophobie im Fußball gibt/gab.
    Gern möchte ich aber auf zwei Nebeneffekte hinweisen.
    Profis, die sich gegen ein Outing entscheiden, wird nun möglicherweise etwas von der permanenten Angst vor den Konsequenzen einer Entdeckung genommen. Unter diesem schwer vorstellbaren massiven, permanenten Druck sollte jede denkbare Unterstützung für diesen Fall entlastend wirken. Vielleicht hilft es Einzelnen, sich zumindest Mitspielern gegenüber zu Öffnen.
    Wichtig ist mir außerdem, wie wertvoll die Aktion als Signal an die Fankurven Fußballdeutschlands wirken kann.
    Als schwuler Dauerkarteninhaber habe ich zwar mehr als zwanzig Jahre die funktionierenden Selbstreinigungskräfte innerhalb der Anhängerschaft verfolgt. Homophobe Sprüche gehören lange nicht mehr unweigerlich zu jedem Spieltag. Vielerorts taugt das Thema schwule Spieler auf den Rängen allenfalls als unterhaltsames Ratespiel mit den Jungs und Mädels in der Halbzeitpause.
    Richtig ist aber auch, dass derlei Beleidigungen in Richtung Spielfeld oder Auswärtsfans gelegentlich noch immer vorkommen und längst nicht jedes Mal widersprochen wird.
    Wenn sich also einige meinungsstarke Fanlieblinge, von denen man das teilweise nicht erwartet hätte (wie z.B. Max Kruse) so deutlich positionieren, wird das sicherlich Folgen im Verhalten des kleinen Teils der Kurven haben, der es aus vielschichtigen aber keinesfalls entschuldbaren Gründen noch immer für nötig hält, die eigene Sexualität durch Abgrenzung von anderen Sexualitäten zu manifestieren.
    Damit würden Outings im Profifußball nicht gleich leicht, aber etwas weniger schwer.

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