Joe Biden: Der unterschätzte Wetterhahn

Joe Biden: Seit dem 20. Januar 2021 ist er der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Mit 78 Jahren der älteste jemals vereidigte Präsident, auch wenn er stets bemüht ist, jugendlichen Schwung und geistige wie auch inhaltliche Frische und Flexibilität an den Tag zu legen. Viele Demokraten jedoch lehnten ihn als nicht progressiv genug oder zu alt ab, jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt. Die Stimmung drehte sich zu seinen Gunsten. Was war geschehen? Die Nominierung von Kamala Harris? Die Unterstützung durch Pete Buttigieg? Fragen, die sich auch einige bei uns in Deutschland stellen dürften. Und nicht nur diese.

Denn: Wer ist „dieser“ Joe Biden? Was hat er bisher gemacht? Ist er einfach nur altes, weißes Washingtoner Establishment? Nur der „war-mal-Vize-von-Obama“-Kerl? Wofür steht er? Lediglich für eine Hauptsache-nicht-Trump-Strategie? Was ist von ihm zu erwarten und wird er es schaffen, nicht nur die demokratische Partei, sondern womöglich gar die USA wieder zu einen? Kann mit Biden wieder eine parteiübergreifende Zusammenarbeit möglich sein? Oder wenigstens weniger Zwist? Diesen Fragen und teilweise Vorurteilen geht der Buchautor und Journalist (The New Yorker) Evan Osnos in seinem kurzweiligen und informationsreichen Buch Joe Biden – Ein Porträt (erschienen im Suhrkamp Verlag)nach und versucht durch intensive Recherche fundierte Antworten zu geben.

Das Leben und der ewige Wahl-Kampf

Das Buch, welches im englischen Original den passenden Titel Joe Biden. The life, the run, and what matters now (etwa: Joe Biden. Das Leben, der Lauf [Wahlkampflauf] und worauf es jetzt ankommt) trägt, ist in der Tat ein sehr kompaktes, offenes und lehrreiches Portrait von Leben und Wirken eines Mannes, der schon lange dabei ist, unter vielen Kolleg*innen und diversen Bürger*innen immer beliebt war und in der Öffentlichkeit und von der Presse doch häufig unterschätzt wurde. 

Das mag aber auch daran liegen, dass vielen das vielfältige Engagement des offenen Mannes Joe Biden nicht hinreichend bekannt ist, auch weil es natürlich oft im Klein-Klein des politischen Alltags stattfand und nicht unbedingt für große Aufmacher taugt. Das ist in europäischen Ländern und speziell in Deutschland noch ausgeprägter, da sich hier zumeist ja doch nur Political Animals regelmäßiger mit derlei Dingen auseinandersetzen.

So dürfte Leser*innen mit einem gewissen Hintergrundwissen von und ausgeprägtem Interesse an amerikanischer Politik manch bekanntes Ereignis und der eine oder andere geläufige Name unterkommen. Sowohl die dramatischen persönlichen Verluste, die Joe Biden zu verkraften hatte, wie auch sein anfangs schwieriges Verhältnis zu Barack Obama, seine politischen Rückschläge und Fehlentscheidungen (Anita Hill!) und die Namen mancher Weggefährt*innen und zum Buch befragten Personen werden nicht gänzlich neu sein, den Blickwinkel aber noch einmal erweitern.

Eine Ein- und Weiterführung

Gerade deshalb ist Joe Biden – Ein Portrait eine Empfehlung sowohl für jene, die Amerikas Politik schon länger und nicht nur wegen Obama oder Trump interessiert verfolgen und für jene, die sich ein erstes ausgewogenes Bild des neuen Präsidenten machen wollen. Evan Osnos schafft es, beide Gruppen anzusprechen. Er erläutert Zusammenhänge und Ereignisse im typisch essayistischen The New Yorker-Ton nachvollziehbar und unterhaltsam, ohne in lange Hintergrunderläuterungen zu gehen, die den Rahmen – und womöglich die Geduld mancher Leser*innen – sprengen würden. 

Osnos verknüpft gekonnt aktuelle und zeitgeschichtliche Ereignisse mit der persönlichen Biografie und politischen Laufbahn Bidens, was das Buch keine rein chronologische Aufzählung oder einen besseren Wikipedia-Beitrag sein lässt, sondern ein anschauliches Portrait, das Geschichte, Gegenwart und Individuum wunderbar miteinander verbindet. Dies gelingt ihm auch dank vieler, gesprächsbereiter Quellen.

Seine reichhaltigen Quellen erläutert er zum Schluss und auch im Laufe des Buches, welches im Spätsommer vor der US-Wahl am 3. November 2020 endet, ausführlich und anerkennend, so dass nicht Gefühl entsteht, er hätte dieses Buch nur für sein Ego geschrieben. Ganz im Gegenteil lässt er die Wertschätzung für Kolleg*innen immer wieder deutlich anklingen und lädt Interessierte zur weiteren Vertiefung ein.

Joe Biden – Ein Portrait von Evan Osnos ist eine tolle Stütze, um sich einen kompakten und vielseitigen, kritisch-ausgewogenen und an verschiedenen Stimmen reichen Eindruck von Joe Biden und der derzeitigen Situation in den USA zu verschaffen. Osnos erläutert das Verhältnis Bidens zu Weggefährt*innen, Wähler*innen, Kontroversen, der Lage seiner Partei und der seines Landes und erlaubt es den Leser*innen die Haltung und Herangehensweise des 46. US-Präsidenten kennen- und verstehen lernen zu können. Eine Empfehlung für Political Animals und grundsätzlich Interessierte.

Evan Osnos portraitiert den 46. US-Präsidenten Joe Biden in seinem Buch ausgewogen, kurzweilig und im Kontext der Welt und des Amerikas von heute. Joe Biden – Ein Portrait ist etwas für Neulinge und Experten der amerikanischen Politik.

AS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Evan Osnos: Joe Biden – Ein Porträt; 3. Auflage 2020; Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff und Stephan Gebauer; 263 Seiten; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-518-42999-0 ; Suhrkamp; 18,95 €; eBook 15,99 €

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