Junge Liebe rast nicht: „Love, Victor“ ist der glaubwürdigere Simon

Nachdem aus dem sehr erfolgreichen Buch Simon vs. the Homo Sapiens Agenda (dt. Nur drei Worte) der sehr erfolgreiche Film Love, Simon wurde, war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis es irgendwie weitergehen würde. Sehr zu unserer Freude gibt es den neuen Stoff nun auch in Deutschland über Star bei Disney+: Die Autoren des Films Isaac Aptaker und Elizabeth Berger entwickelten einen frischen, etwas ernsteren, aber doch nicht gänzlich anderen Stoff.

Handlungsort ist erneut die Creekwood High School in Georgia, wo einst Simon (Nick Robinson, hier als Erzähler und Gastdarsteller und Co-Produzent der Serie) seine (Homo-)Sexualität entdeckte und seine Liebe mit Bram (Keiynan Lonsdale, Work It!) fand. In der Serie zieht der Teenager Victor Salazar (Michael Cimino) mit seiner Familie in den Ort und hadert mit seiner Sexualität. Alle reden immer von diesem tollen Simon und seiner aufregenden Geschichte. Also wendet Victor sich ratsuchend an den inzwischen in New York lebenden Kleinstadt-Helden.

Lake, Felix, Victor und Mia. Doppeldate oder doch nur Freundschaft? // © Disney

Victor – schwul, bi oder hetero oder…?! 

Die Prämisse der Serie ist also nur unwesentlich anders als die des Films, wobei es deutliche Unterschiede gibt. Lebte Simon im Film beispielsweise in einer sehr offenen, linksliberalen Familie, so kommt Victor aus einem streng gläubigen Umfeld, in dem Homosexualität ein größeres Problem zu sein scheint. Und Victors Familie ist um einiges größer als die von Simon und somit auch weit mehr mit ihren eigenen Schwierigkeiten beschäftigt.

Ebenso sieht Victor sich mit gleich zwei vermeintlichen Problemen des Herzens konfrontiert: Neben der hübschen, von allen begehrten, Mia (Rachel Hilson) hat es ihm auch sein offen schwuler Barista-Kollege Benji (George Sear, Alex Rider) angetan. Es gibt noch eine Reihe von äußerst interessant wirkenden Nebencharakteren, wie Victors etwas verschrobenen Nachbarn Felix (Anthony Turpel) und Mias beste Freundin Lake (Bebe Wood, The Real O’Neals – wir vermissen euch, O’Neals!). Dazu ein paar Gastauftritte von Charakteren aus dem Film, auf die ohnehin immer wieder angespielt wird. Natürlich spielt die Seite creeksecrets hier ebenso eine Rolle wie das aus dem Film unvergessene Riesenrad.

Felix und Victor: Beste Freunde. // © Disney

Simon taucht als Erzähler auf, wenn es um die Nachrichten geht, die er Victor schreibt, ansonsten erzählt Victor seine Geschichte aus dem Off, ebenfalls in Form von Nachrichten an Simon. Das ist ganz witzig und verleiht der Serie noch einen ganz anderen Schwung, da beide Erzähler mit uns quasi im Trialog sind (auch wenn hier nicht drei monotheistische Religionen aufeinandertreffen). 

Viele echte Charaktere

Schwung ist überhaupt ein gutes Wort, sind doch alle zehn Folgen der ersten Staffel mindestens ebenso kurzweilig wie der Film und haben im Vergleich zu diesem ein wie wir finden großes Plus: Love, Victor ist nicht ganz so zuckersüß wie Love, Simon es dann doch auch ist. Die Serie fühlt sich ein wenig mehr nach einer zwar geschönten, aber nicht ganz so unwahrscheinlichen Realität an. Man fühlt sich unwillkürlich an den ebenfalls aus Georgia stammenden Arthur erinnert, einen der beiden Hauptcharaktere von Becky Albertallis und Adam Silvera Buch Was ist mit uns?. Dass Albertalli auch Autorin von Love, Simon ist und die Geschichte der Serie mitentwickelt hat, ist vermutlich jetzt keine Überraschung mehr.

Aber zurück zu Love, Victor: Hier spielen sich noch einige anderen Geschichte und Dramen ab. Die Ehe der Salazars kriselt, was auch Victors Schwester Pilar kräftig rebellieren und durchaus hier und da boshaft sein lässt. Mia kämpft mit ihrem Status und um ihr Selbstbild und irgendwie auch ihre Selbstbestimmung, nicht so recht wissend, wie das alles ineinander greifen soll. Als ihr Vater noch eine neue Freundin mit nach Hause bringt, ist auch da Ärger vorprogrammiert. Andrew, der auf Mia steht, ist geprägt durch toxische Männlichkeit, verhält sich ebenso, auch weil er meint, es müsse so sein. Und noch einige andere Nebenschauplätze, die sich zwar nicht immer so ganz fügen wollen, aber doch reichlich Stoff für weitere interessante Geschichten bieten und nicht alle außer Victor wie Staffage wirken lassen.

Nachhaltiges Date: Lass uns über Umwelt und Klimawandel reden. // © Disney

Natürlich bekommt auch der Schwarm Benji eine vernünftige Geschichte samt schwieriger Beziehung und einer ebenfalls nicht ganz einfachen Familiensituation. Hier bleibt auch vieles angedeutet und wir können hoffen, dass es in der bereits bestätigen zweiten Staffel mehr dazu geben wird. 

Love, Victor ist dazu noch eine ideale Serie für das junge und das ältere Publikum, da sie es schafft, das Thema der sexuellen Selbstfindung sowohl glaubwürdig als auch humorvoll aus der Sicht eines verunsicherten Teenagers zu zeigen, wohlgemerkt ohne Klamauk und gleichsam die Aufmerksamkeit derer, die das bereits hinter sich haben, konstant aufrechtzuerhalten. Nicht nur, weil wir uns rückblickend auch noch einmal selber auf das eigene Verhalten hin „untersuchen“ können, sondern auch weil die Art, wie Victor diese Zeit durchlebt, so wunderbar menschlich und wenig affektiert ist. Da ist dem diversen Autorenteam um Isaac Aptaker und Elizabeth Berger wirklich einiges gelungen.

Charmant und sensibel

Natürlich fehlt es auch nicht an den dringend benötigten Seifenoper-Elementen, auch wenn die hier so pfiffig geformt sind, dass es manchmal gar nicht so sehr auffällt und wenn doch, lässt sich das auch genießen. Dennoch verlässt die Story nie unser Universum, bleibt bei allem Unterhaltungswert immer recht nah am Boden und unterhält somit umso besser. Romantik fehlt natürlich ebensowenig und nach den zehn Folgen stellt sich ein wunderbares „Hach“-Gefühl ein, trotz so mancher Wendung und einem ordentlichen Cliffhanger am Schluss.

Benji und Victor: Überraschendes Knistern? // © Disney

Love, Victor ist so charmant wie Love, Simon, entwickelt aber eine greifbarere Geschichte, die so sehr berührt, wie sie unterhält. Die Frage der sexuellen Orientierung geht die Serie so offen wie sensibel an und ist für Jung und Alt eine absolute Empfehlung.

Plakat zur ersten Staffel Love, Victor

Love, Victor; Staffel 1; USA 2020; Idee: Isaac Aptaker & Elizabeth Berger; Musik: Siddharta Khosla; Darsteller*innen: Michael Cimino, Rachel Hilson, Anthony Turpel, Bebe Wood, George Sear, Mason Gooding, Isabella Ferreira, James Martinez, Ana Ortiz, Mateo Fernandez, Nick Robinson, Mekhi Pfeifer, Sophia Bush, Ali Wong, Keiynan Lonsdale, Tommy Dorfman; 10 Folgen, jeweils circa 30 Minuten; ab 23. Februar auf Star von Disney+

Hier noch der deutschsprachige Trailer zur ersten Staffel:

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert