Klimadialog

Diese Rezension ist neben der regulären Besprechung politisch geprägter Bücher auch Teil unserer Kategorie Superdupermegawahljahr 2021.

Lasst uns über das Klima reden. Fridays for Future und manch andere Bewegung hat das Thema in den letzten Jahren überaus prominent im gesellschaftlichen Diskurs verankert und vermutlich einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass manche Maßnahme in die Wege geleitet wurde. Dennoch muss die Problematik weiter im Gespräch bleiben und genau das macht Luisa Neubauer, das Gesicht der deutschen Fridays for Future-Bewegung, in ihrem neuen Buch mit dem Zeit-Journalisten Bernd Ulrich.

Noch haben wir die Wahl heißt ihr im Tropen Verlag erschienenes Buch und wie der Untertitel verrät handelt es sich um einen mehr als 200-seitigen Dialog „über Freiheit, Ökologie und den Konflikt der Generationen“. Mit einem unverhohlenen Fingerzeig auf die bevorstehende Bundestagswahl haben Neubauer und Ulrich einen Dialog über die Klimakrise und ihre gesellschaftlichen Implikationen geführt und hier in schriftlicher Form festgehalten.

Klima und seine vielen Verknüpfungen

Sie sprechen dabei eine ganze Reihe von Themen an, die mit der Klimaproblematik mehr oder auch weniger unmittelbar zusammenhängen. Die verschiedenen Perspektiven beider Generationen – Neubauer wurde 1996 geboren, Ulrich 1960 -, die Herangehensweisen der unterschiedlichen Parteien, die Repräsentanz in den Medien, aber auch Corona und dessen Zusammenhang mit der Klimakrise dürfen natürlich nicht fehlen.

Darüber hinaus gibt es Kapitel – also Gesprächsabschnitte -, die sich mit einzelnen eher übergreifenden Fragestellungen befassen. Dazu gehören der angesprochene Generationenkonflikt, Wissenschaft, Moral und Geopolitik in Zeiten der Klimakrise. Oder es geht generell über Fridays for Future und die Ziele und Hintergründe der Bewegung.

Das Buch ist dabei von einer recht hohen Aktualität geprägt, verweist es doch an einigen Stellen auf das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem April 2021 oder – ganz prophetisch – auf die Gefahr zunehmender Umweltkatastrophen. Die Überflutungen im Westen Deutschlands ereigneten sich um das Erscheinen des Gesprächsbands herum, fanden also keinen Eingang mehr. Sie hätten aber nicht plastischer darstellen können, wie sehr uns der Klimawandel auch hierzulande zu schaffen macht und weiter machen wird.

Zwei Generationen – zwei Rollen

Die umfassende Natur der Klimaproblematik bringt es mit sich, dass Neubauer und Ulrich wie illustriert eine Reihe von Themen abhandeln. Diese greifen auch immer wieder schön ineinander, führen aber gleichzeitig immer mal wieder zu Wiederholungen und Redundanzen. Die Generationenproblematik taucht beispielsweise häufiger auf, manchmal mehr, manchmal weniger offen. Das ist bei dem inhaltlichen Design aber auch nicht unbedingt anders zu erwarten beziehungsweise wohl gar gewollt.

Dennoch fällt auch auf, dass sich eine gewisse Rollenverteilung zwischen Neubauer und Ulrich herauskristallisiert – auch das nicht überraschend. Während Neubauer mit Verve ihre Ziele bzw. die von Fridays for Future vorbringt und sich davon auch nicht abbringen lässt, übt sich Ulrich immer wieder in der einen oder anderen größeren Einordnung. Ob es nun die Perspektive „seiner“ Generation ist, das bisschen zwischenmenschlicher Respekt, den er trotz aller Kritik (zurecht) immer wieder erwartet, oder das Aufzeigen größerer politischer oder gesellschaftlicher Zusammenhänge.

Für Die grüne Macht sprach Ulrich Schulte mit Luisa Neubauer und auch da ist der Generationenkonflikt offenbar.

Es ist auch nicht ganz überraschend, dass Ulrich sich öfter mal in der erklärenden und einordnenden Position befindet – ohne dabei in die Defensive zu geraten -, während Neubauer eben immer tendenziell mit Inbrunst ihre Positionen vorträgt. An einer Stelle, als es darum geht, dass Journalismus sich mit keiner Sache gemein machen solle und dürfe und die Verteidigung der Demokratie die einzige Ausnahme hiervon sei, ist die knappe Reaktion Neubauers übrigens auch ein wenig fragwürdig.

Weiterhin kompromisslos

Hier zieht sich also ein Muster durch, das wir bereits öfter beobachtet haben: Fridays for Future und ihre hierzulande wohl bekannteste Vertreterin verstehen sich als wenig kompromissbereite Bewegung, nicht zuletzt, weil sie ihre Forderungen (vermutlich auch zurecht) für so essentiell befinden. Das haben wir bereits an anderen Stellen kritisiertund nicht nur wir. Ein richtiger Dialog mit Menschen, die weniger verständnisvoll und einsichtig sind als Neubauers journalistischer Gesprächspartner kann sich auf diese Weise aber vermutlich auch nicht unbedingt entspinnen. Die Rede- bzw. Textanteile fallen daher gefühlt deutlich zugunsten der jungen Hamburgerin aus.

Das soll bitte nicht falsch verstanden werden: Inhaltlich hat Luisa Neubauer sehr gute und präzise Punkte und Argumente, aber sie zu deterministisch vorzutragen, ohne andere Argumente und Bereiche einer komplexen und heterogenen Gesellschaft einzubeziehen, ist schwierig. Ähnliches hatten wir bereits bei der Besprechung ihres ersten Buchs Vom Ende der Klimakrise (gemeinsam mit Alexander Repenning) kritisiert und dieses Muster scheint sich hier weiter durchzuziehen.

An einigen Stellen wird das allerdings ein wenig anstrengend oder sogar fast gefährlich, da es den Blick auf die Realität trüben kann. Im Kapitel zur Geopolitik beispielsweise leitet Ulrich sehr schön mit der Bedeutung fossiler Rohstoffe für globale Geopolitik ein, aber Neubauer dreht dies in eine Debatte über den Lobbyismus und die Interessen von Großkonzernen. Sie verweist unter anderem auf das lesenswerte (wenn auch nicht unkritisierbare) Buch Die Klimaschmutzlobby der Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres, dessen auch wir uns im vergangenen Oktober angenommen haben. Gleichzeitig lenkt sie damit den Diskussionsschwerpunkt auf ein Thema, das auf jeden Fall wichtig ist, aber die eigentliche Frage nach den geopolitischen staatlichen Implikationen bleibt am Ende in Teilen unbeantwortet.

Individualisierung ist nötig

Noch unangenehmer oder vielmehr fragwürdiger sind die damit verwandten Ausführungen zum Thema Individualismus beziehungsweise Strategien der Individualisierung. An mehreren Stellen bemängelt vor allem Neubauer, dass es „die fossile Industrie“ (sinngemäß) geschafft habe, beispielsweise durch fossile Fußabdrücke, Pro-Kopf-CO2-Budgets oder ähnliche Maßnahmen die Verantwortung weg von den Unternehmen hin zu den Köpfen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu lenken. Anstrengungen zur individuellen Reduzierung des eigenen CO2-Verbrauchs oder ähnliche Punkte würden daher als Scheindebatten im Vordergrund geführt, wohingegen die eigentlich schlimmen Umweltsünden nicht betrachtet würden.

Das mag so sein, aber deshalb die Debatte um individuelle Verantwortung zu kritisieren scheint nicht der Erfolg versprechende Weg zu sein, um gegen den Klimawandel anzukämpfen. Die Wirtschaft ist schon ein wenig komplexer und am Ende sind es die Verbraucherinnen und Verbraucher, die mit ihrem Konsumverhalten Produktion und Produktionsketten mitbestimmen. Wer also Aufmerksamkeit für eine Sache – zum Beispiel den Klimawandel – erzeugen möchte, der muss sehr wohl Debatten über individuelles Verhalten führen und zwar neben denen, wie Produktionsstandards aussehen, wer wie viele fossile Brennstoffe verbraucht und welches Produkt umweltschädigender ist als das andere.

Alles in allem ist Noch haben wir die Wahl also ein Buch, in dem zwar viel Richtiges steht, aber vieles auch nicht mehr richtig neu ist. Luisa Neubauer tritt mit der gewohnten Kompromisslosigkeit auf, die Fridays for Future kennzeichnet und leider verrennt sie sich an manchen Stellen aus unserer Sicht ein klein wenig. Bernd Ulrich gibt oft gute, wichtige und einordnende Impulse, räumt ein, dass er und seine Generation oder sein Berufsstand manch einen Fehler begangen hätten. Bei Neubauer scheint dies aber leider nicht so viel Respekt oder Verständnis hervorzurufen, wie es in einer offenen Debatte manchmal wünschenswert wäre. In Summe also die Aufzeichnung eines langen Gesprächs, von dem die Frage bleibt, ob es auf beiden Seiten so viel bewirkt, wie sich alle Seiten wünschen könnten, würden und müssten.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Luisa Neubauer und Bernd Ulrich: Noch haben wir die Wahl – Ein Gespräch über Freiheit, Ökologie und den Konflikt der Generationen; 1. Auflage, Juli 2021; 240 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-608-50166-7; Tropen; 18,00 €

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