Kluge Konsumkritik kommt klasse

Es gibt mindestens zwei Arten, sich ertappt zu fühlen: eine gute und eine schlechte. Die schlechte ist die, bei der man ganz genau weiß, dass man etwas falsch gemacht hat. Wenn man in flagranti erwischt wird zum Beispiel und es natürlich nie das ist, wonach es aussieht (oftmals aber attraktiv 😉). Besser fühlt man sich, wenn man den Spiegel vorgehalten bekommt und dabei merkt: „Ups, da habe ich wohl etwas verkehrt gemacht. Mist! Aber jetzt will ich das ändern.“

Katarina Schickling ist es gelungen, ein Buch zu schreiben, das ganz überwiegend letzteres Gefühl vermittelt. In Der Konsumkompass – Was Sie wirklich über Plastikverpackungen, Neuseelandäpfel & Co. wissen müssen – Gut und nachhaltig leben muss nicht kompliziert sein hält die Münchener Journalistin Konsumentinnen und Konsumenten den Spiegel vor – also jedem von uns. Und das macht sie recht gekonnt, wie wir finden.

Von Müll über Mobilität bis Mode

Bei uns kuscheln die krummen Gurken romantisch in Löffelchen-Stellung. // © the little queer review

Schickling geht dabei auf eine Reihe verschiedener Lebens- und Alltagsbereiche ein und gibt zahlreiche Tipps, wie man ökologisch nachhaltiger leben und konsumieren kann. Im Kapitel zum Thema Müll geht es beispielsweise um den (später öfter zitierten) Wegwerfbecher für Kaffee, um Recycling und Mehrwegsysteme oder die zurecht in Verruf geratene Kaffeekapsel. Im Kapitel zum „ökologischsten Verkehrsmittel“ kommen u .a. das Auto und der Kreuzfahrtdampfer auf ihre Kosten und natürlich geht es auch um Flugscham.

Im Stromkapitel widmet sie sich der Erzeugung des Steckdosenprodukts, alten Stromfressern oder eher weniger beachteten Themen, wie dem Energieverbrauch von Online-Suchmaschinen. In „Richtig essen“ diskutiert Schickling die Ökobilanz des bereits im Untertitel erwähnten Neuseelandapfels, fragt, ob bio wirklich besser ist und betrachtet auch den gerne vergessenen Wasserverbrauch. Im Kapitel „Politisch korrekter Konsum“ schließlich geht es u. a. um Online-Shopping, Textilproduktion und Lieferketten. Ebenso geht die Autorin der ebenfalls berechtigten Frage auf den Grund: „Ist putzen böse?“ (aus meiner Sicht ist es das ganz eindeutig, weil nervig 😉).

Konsum ist vielfältig – so wie das Buch und die Argumentation

Es ist offensichtlich, dass Katarina Schickling damit eine große Reihe von Themen anspricht, die unseren täglichen Konsum betreffen. Das ist sehr gut, denn so wird der Leserin oder dem Leser deutlich, wie umfänglich das Thema „Nachhaltig leben“ gedacht sein muss – manch ein/e Fridays for Future-Aktivist/in, der/die von Papi im SUV zur Demo gefahren wird oder sich bei Zalando alle paar Wochen neue Schuhe kaufen muss, dürfte hier wohl auch Nachholbedarf haben.

Schickling klärt dabei auf eine sehr frische Art und Weise über die unterschiedlichen Themen auf. Einerseits argumentiert sie äußerst faktenbasiert, recherchiert Studien, guckt sich genau an, wie die Untersuchungsdesigns jeweils sind und warum die Ergebnisse auf andere Bereiche übertragbar sind oder warum eben nicht. So entzaubert sie gerne mal auch den einen oder anderen Mythos und häufig steht am Ende einer Diskussion, ob nun A oder B besser ist, die Antwort: Es kommt darauf an (nämlich auf die jeweiligen Umstände, die Jahreszeit, die Nutzungsdauer, etc.). Das arbeitet sie stets nachvollziehbar heraus und die Leserinnen und Leser merken, dass Schickling mit der Thematik durchaus vertraut und ihr die Aufklärung hierzu ein wichtiges Anliegen ist.

Sympathisch: Der erhobene Zeigefinger taucht nicht auf

Salbei, Thymian und andere Kräuter bauen wir nun selber an; ideal für unsere Lunch-Pausen-Salate & Co. // © the little queer review

Andererseits fällt äußerst positiv der nicht vorhandene erhobene Zeigefinger auf. Schickling will nicht missionieren, nicht überreden oder Wissen einhämmern. Sie will mit ihrer Argumentation überzeugen und das tut sie. Das tut sie vor allem deshalb, weil sie regelmäßig auch aus ihrem Alltag berichtet und wie schwierig es teils ist, einen vollständig nachhaltigen Konsum wirklich umzusetzen, bzw. welche Abwägungen zu treffen sind. Soll sie lieber die Plastikgießkanne aus dem Gartenmarkt kaufen und damit noch ein Stück mehr Plastik im Garten stehen haben? Oder besser doch noch ein paar weitere Märkte abfahren auf der Suche nach einer (ökologischeren und möglicherweise langlebigeren) Zinnkanne – dafür aber zusätzlich Abgase emittieren? Das ist eine Abwägung, die sie konkret beschreibt und die jeder und jede sich vor Augen führen sollte, wenn es um die nachhaltige Anschaffung von Gartengerät geht.

Auch beschreibt sie, welche teils nur geringen Änderungen im Lebensstil zu einem nachhaltigeren Konsum beitragen. Frischen Orangensaft gibt es zum Beispiel bei ihr nur noch im Winter, wenn es Zitrusfrüchte aus Europa gibt, nicht von der Südhalbkugel (wo sie im Sommer herkommen). Hier hilft übrigens der in die Umschläge eingedruckte Saisonkalender für Obst und Gemüse.

Schickling räumt ein, selbst nicht perfekt zu sein, selbst nicht immer nur ökologisch nachhaltig zu leben. Aber sie und ihre Familie versuchen es. Sie zeigt auf, wie es gehen kann. Und dass sie selbst nicht perfekt ist und dazu auch ganz unprätentiös steht, machen sie und ihre Argumentation nur sympathisch und glaubwürdig. Als überaus praktisch erweisen sich übrigens auch die Kästchen am Ende jedes Abschnitts, in denen sie in wenigen Stichpunkten die wichtigsten Punkte zusammenfasst und Konsumhinweise gibt.

Die Leserinnen und Leser werden zum Nachdenken angeregt

Sie gibt an vielen Stellen auch konkrete Hinweise, welche neuartigen Produkte es mittlerweile gibt, um einen nachhaltigeren Konsum umzusetzen. Hin und wieder gibt es Links und Hinweise auf Apps und Start-ups, die Nachhaltigkeit zu ihrem Markenkern oder zumindest einem Teil ihres Geschäftsmodells gemacht haben. Hier gäbe es an manchen Stellen durchaus noch das eine oder andere junge Unternehmen, das sie hätte erwähnen können, beispielsweise ein Berliner Start-up, das Waschmittel in Tabs zum zu Hause aufgießen vertreibt. Das spart viel Verpackung und den hektoliterweisen Transport von Flüssigkeit, die jeder selbst zu Hause am Wasserhahn fast kostenfrei zapfen kann.

Grün ist eine schöne Farbe. // © the little queer review

Allerdings ist Der Konsumkompass ja auch nicht die Nachhaltigkeits-Edition der Gelben Seiten. Jeder Konsument und jede Konsumentin soll ruhig selbst ein wenig reflektieren und sich (idealerweise mittels ökofreundlicher Suchmaschinen – siehe das entsprechende Kapitel ab Seite 185) über weitere Möglichkeiten eines nachhaltigeren Konsums informieren und sukzessive ihren/seinen Lebensstil anpassen. Vielleicht fühlt sich der bzw. die eine oder andere ja auf die eingangs erwähnte zweite Art ertappt – Der Konsumkompass scheint darauf abzuzielen, dieses Gefühl hervorzurufen.

Im Fazit zerstört sie leider einen Teil ihrer Argumentation

Allerdings gibt es dennoch einen Wermutstropfen und zwar das abschließende Fazit. Man kann durchaus vertreten, dass Schickling zum Ende dazu aufruft, dass Konsumentinnen und Konsumenten, Wählerinnen und Wähler, ihre Macht nutzen sollen, um die Politik zu strengeren Rahmenbedingungen und mehr nachhaltiger Produktion zu zwingen. Aber ihre dortige Argumentation oder vielmehr ihr zunehmendes „Gefühl, dass wir Bürger an der Nase herumgeführt werden“ (S. 314), ist genau das: ein Gefühl und somit nicht rational.

Ja, es ist noch viel zu tun, vor allem vonseiten der Politik. Ganz dicke Bretter sind die CO2-Emissionen der Energieversorger, der Industrie und des Verkehrs. Diese Bretter müssen gebohrt werden, ganz dringend und die Politik muss an vielen Stellen viel entschiedener handeln als bisher. Aber mit Sätzen wie „[m]anchmal scheint mir, dass wir ruhiggestellt werden sollen“ (S. 315), lenkt sie zum Abschluss den Blick völlig weg von ihren eigenen Empfehlungen. Stattdessen entsteht der Eindruck, dass alles Müllgetrenne, alles Ökobewusstsein, aller Verzicht für die Katz sei, weil so irrelevant ob der schieren Größe des Problems.

Als Journalistin müsste sie eigentlich wissen, dass die Autoindustrie essentiell für Deutschlands Wohlstand ist und dass die Energiewende nicht zuletzt wegen vieler Anwohnerinitiativen, dem Juchtenkäfer und wichtiger, aber langwieriger, demokratischer Beteiligungsprozesse stockt. Hier gibt sie ihre bis dahin so sorgfältige und überzeugende Argumentation auf und schreibt vollkommen gegen ihre eigenen Beispiele aus den mehr als 300 Seiten davor an. Im allerletzten Absatz versucht sie dieses Argument noch ein wenig einzufangen – aber das gelingt ihr nur bedingt. Schade!

Ansonsten ist Der Konsumkompass aber ein tolles Buch, das in den heutigen Zeitgeist passt. Jung und Alt, Städter wie Landbewohnerin, Ökoterroristin wie Klimaleugner: Jeder und jede kann durch ein wenig Nachdenken und Reflexion die Verhaltensweisen in Bezug auf den eigenen Konsum hinterfragen und zumindest Kleinigkeiten ändern. Wir haben das getan. Wir kaufen jetzt mehr als zuvor bio und krummes Obst und Gemüse ein, nutzen künftig Holzzahnbürsten und bauen unsere Kräuter auf dem Balkon an. Das allein wird die Welt nicht retten, aber es hilft dennoch ein wenig, Müll und Transportwege zu vermeiden und gleichzeitig unsere Mahlzeiten mit Koriander und Salbei aus eigenem Anbau zu verfeinern.

HMS

Der Konsumkompass von Katarina Schickling

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Schickling, Katarina: Der Konsumkompass – Gut und nachhaltig leben muss nicht kompliziert sein; 1. Auflage, April 2020; Hardcover mit Schutzumschlag, 336 Seiten; ISBN: 978-3-442-17866-7; Mosaik Verlag; 20,00 € (eBook: ISBN: 978-3-641-25503-9; 14,99 €)

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