Kultur und Community

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Und wenn mensch dann noch so viel erlebt, wie unser Reporterteam in Brüssel, dann kann aus einem angedachten Einzelbericht auch schon mal eine Serie werden. Wir fanden die Erlebnisse von Frank mit seinem Angetrauten Sascha und Fiete so unterhaltsam, dass wir keinesfalls davon auch nur etwas streichen wollten. Also haben wir uns freudestrahlend dazu entschlossen, Euch in drei Teilen von diesen unglaublichen Tagen in der Hauptstadt Europas zu berichten. Heute gibt es den dritten und letzten Teil (Teil eins findet ihr hier und Teil zwei hier).

Tag IV

Heute muss aber jetzt mal wirklich ordentlich Kultur her. Und so gehen wir den Tag an. Berichtete ich schon von dem grandiosen Hotelfrühstück? Nicht umsonst erhalten wir ja bei allen Ernährungstipps immer den gut gemeinten Rat, dass man den Tag wunderbar beginnen soll. Also ich kann mal sagen, bei der Qualität, die man dort auf den Teller bekommt, da fängt der Tag ganz richtig an. Sagte ich schon? Na gut… dann eben halt zur Wiederholung… Grins. 

In der Villa mit Pierre et Gilles

Das Kulturprogramm beginnt. Wir machen uns auf zur Villa Empain. Diese beeindruckende Villa ist ein wirklich traumhaftes Musterbeispiel für ein Luxusgebäude im Art Deco Stil mit Einflüssen des Bauhaus. Allein der Eingangsbereich macht schon klar, was für ein großartiges Kunstwerk man hier betreten darf. Durch die Boghossian Foundation wird die Villa nun als Ausstellungsraum genutzt und so hat man die beinahe unfassbare Gelegenheit Kunst in Kunst zu genießen. 

Eintritt? Fehlanzeige, wenn man die Brussels Card hat, kommt man hier ganz ohne zu bezahlen rein.

Wir haben Glück und die Ausstellung „Icons“ läuft noch. Wirklich bemerkenswerte Bilder und Objekte zum Thema werden perfekt inszeniert der Betrachtung dargeboten. Man möchte sich in einzelnen Ausstellungsstücken verlieren und sich einfach hingeben. Kaum verwunderlich, dass es auch zwei Werke der queeren Ausnahmekünstler Pierre et Gilles in diese Ausstellung geschafft haben. Wobei das etwas untertrieben ist, denn das Madonnenbild dominierte in seiner Inszenierung gleich die ganze Eingangshalle. 

Im Anschluss direkt in die zweite Ausstellung des Hauses: „Trees for Memory“. Lange Beschreibung spare ich mir. Nur so viel: Gib vielen Künstlern nur einen einfachen Holzwürfel gleicher Größe und lass ihnen die Freiheit, mal was draus zu machen. Die Bandbreite der für diese Ausstellung entstandenen Kunstwerke würde der Engländer in mir einfach nur mit „marvellous“ betiteln. 

Nur am Ackern, irgendwie

Noch nicht ganz im Hotel sind wir auch schon wieder auf Tour. Wir haben eine Abendeinladung zu einem Privatbesuch… Ähm nein, nicht, das was Ihr gerade denkt. „Visit particulaire“ ist eine Gruppe von queeren Menschen, die sich einmal monatlich zusammenfinden, um Kunst und Kultur oder einfach nur Besonderes in ihrer Heimatstadt Brüssel zu entdecken. Das Ziel des heutigen Tages ist der „Gare Maritime“ ein alter Umschlagbahnhof im Hafengelände. Hier wurde die historische Bahnhofhalle mit einer wahren Holzschlacht in ein anheimelndes Eventcenter umgebaut. Nun gut, in wie weit einen diese Corona Regeln irgendwann wieder Großevents machen lassen können, das mag dahin gestellt sein. Aber die Pläne für dieses Konzept stammen ja auch aus der Zeit lange davor. 

Frank und Sascha in der Villa Empain; Pierre et Gilles: „Madonna“; Straßenkunst; Pierre et Gilles: „Forever – Stromae“; Elefant im Gare Maritime; Sascha und Frank vor der Villa Empain; Ausstellungsstück „Trees of Memory“; Pasta aus der Santa Maria // © Frank Hebenstreit/the little queer review

Und so heißt einen dieser helle und großzügige Bahnhof willkommen und lädt zum Verweilen ein. Wir schlendern durch die Halle, bestaunen kunstvolle Einbauten und erspähen ein Kunstwerk am Ende, das seinesgleichen sucht. Dieser Elefant war garantiert keine Mücke. Aber Spaß macht er. 

Wir erfahren vom kundigen Führer, dass hier im hinteren Bereich auch noch Flächen für Eventgastronomie-Küchen frei blieben. Hier sollen zukünftig die Sterneköche der Stadt bei Events Fingerfood anbieten können. Klingt spanend. 

Aber es geht schon weiter. Auf dem Weg zu einer kleinen Bierbrauerei nebenan, laufen wir an einer Fernsehküche vorbei. Ein belgischer Fernsehkoch zeichnet dort gerade auf. Nach einem mahnenden Blick meines Mannes habe ich mir die Frage ob ich mal in den Topf gucken dürfte geschenkt. 

Brüsseler Bier? Lecker…

…aber das Beste kommt noch. Wir besuchen einen absoluten Geheimtipp der Brüsseler Restaurants. Die Pasta Bar „Santa Maria“ in der Rue Haute 146 lockt mit rustikaler Gemütlichkeit und einer frisch zubereiteten Küche. Hinter der Bar werden all die kleinen und großen Köstlichkeiten unter den Augen der Gäste frisch zubereitet und finden den ganz direkten Weg auf Tisch, Teller und natürlich in den Mund des Gastes. 

Während schon die Vorspeisen das Wasser im Mund zusammen laufen lassen, verheißen die Düfte, die kurz nach der Bestellung des Hauptganges durch den Raum schweben, wahre Gaumenfreuden. Mit diesem Gedanken schmilzt delikater Käse auf der Zunge, rinnt bester Rotwein durch die Kehle und es verkürzt eine letzte köstliche Olive die Wartezeit. Die Teller, die dann vor den Gästen landen, bestechen durch ihre Einfachheit. Sie könnten so auch auf der abendlichen und von der Sonne des Tages erwärmten Terrasse eines italienischen Landgasthofes von der Mamma selbst serviert werden. Kein Chichi, kein Brimborium, simple Pasta auf Weltklasseniveau. 

Und so weiß ich beim weinseligen Verlassen dieses Ladens: Hiervon müssen alle erfahren. Sowas gibt es soooo selten. Seufz. 

Den ganzen Abend sitzt ein wirklich netter Mann neben uns und der begleitet uns auch noch ganz höflich bis zur letzten Abzweigung vor dem Hotel. Erst als wir im Zimmer sind merken wir, das war Philippe de Wulf ein wohl recht bekannter belgischer Schwimmer. Nun vielleicht war es für ihn entspannt, dass wir ihn nicht erkannt haben. Wir haben den Abend sehr genossen.  

Ein letzter Blick aus dem Dachfenster des Hotels und wir schlafen tatsächlich schon unserem letzten Tag entgegen. Selig und süß schlummern wir ein. 

Tag V – Für die Community

Der Tag, der eigentlich durch die Abreise dominiert ist, soll sich zu einer Überraschung entwickeln. Das Frühstück… ja schon gut. Danach haben wir einen Termin mit „unserem Hoteldirektor“ Olivier Lallement. Zurückhaltend und freundlich mit einem Hauch von Stärke, so kann man den ersten Eindruck von ihm am Besten bezeichnen. 

Leger in Jeans und Polo kommt er zu uns an den Tisch. Moment, Dich habe ich doch gestern Abend schon gesehen? Er stimmt mir zu. Er ist Mitglied in der Gruppe von „Visit particulaire“. Ach richtig, da war das. Wir hatten so viel Spaß in der Gruppe. Und nun steht er heute Morgen in der wirklich geschmackvoll dekorierten Hotelhalle und erzählt uns. Von sich, seinem Mann, mit dem er zusammen in Nizza lebt und seinem Job als Hoteldirektor…

Moment? Nizza? Das ist Südfrankreich. Ja klar, aber auch nur 1 1/2 Flugstunden weg. Wenn man vom äußeren Brüssel in die Innenstadt will, dann ist man teils länger unterwegs. Da geht das mit dem Fliegen ganz einfach… zumindest jetzt… in den Corona Lockdowns war das schon eher eine Herausforderung. Aber auch die hat er gemeistert. 

Und schon ist er im Fluss und erzählt. Manchmal hat er mehrere Stunden gebraucht, um nach Brüssel zu kommen, mal mit dem Zug oder auch mit dem Auto. Aber er war immer da, mit und für seine Mitarbeiter. Als sie gemerkt haben, dass das mit dem Lockdown etwas länger dauern wird, haben sie angefangen mit Zustimmung des Eigentümers die Lebensmittellager zu räumen. Aber nur spenden in die große trübe Masse, das wollten sie auch nicht. Ein Zeichen sollte es sein. Für die Community und den Zusammenhalt in schweren Zeiten. Für viele andere gab es spezielle Hilfsorganisationen aber nicht in der Community. So war der Gedanke geboren. 

Olivier Lallement im 9Hotel Sablon und Impressionen des Abschieds in zwei Reihen (nein, kein Titel eines Lieberman-Gemäldes) // © Frank Hebenstreit/the little queer review

Unter der Facebook-Seite Brussels Rainbow Support haben sie sich organisiert und Termine gemacht, die Verteilung organisiert und sich um einander gekümmert. So konnten die Mitglieder aus der Community aufgefangen werden, die eben nicht durch einen Partner, Arbeitgeber oder anderweitig abgesichert waren. Es gab Lebensmittelausgaben, Hilfstermine und soviel mehr im Zeichen des Regenbogens und der Community, was sich zu echten Hilfen und einem wahren Zusammenrücken auswuchs. 

Über die ganze Corona-Lockdown Zeit hat das Hotel alle Angestellten behalten und mit all diesen Angestellten auch direkt aufmachen können, als es endlich wieder losgehen konnte. Und das merkt man allen Mitarbeitern des Hotels an. Sie sind jederzeit freundlich, zuvorkommend und man merkt allen, vom Direktor bis zur Frühstückskraft, vom Concierge bis zur Reinigungskraft, an, dass sie in ihrem Hotel angekommen sind und es wirklich lieben, ja dort zu Hause sind. 

Mit diesen liebevollen und bewegenden Momenten schließen unsere Stunden in Brüssel. Mit einer letzten Tour über einen Chocolatier (Natürlich musste eine ganze Menge echte belgische Schokolade mit) streben wir langsam dem Bahnhof zu. 

Zwei Seelen in unseren Brüsten

Und irgendwie wohnen plötzlich zwei Seelen in der Brust. Einerseits wirkt ein bisschen Wehmut auf die Seele, denn man könnte sicher noch sooooviel erleben. Andererseits warten in diesem charismatisch roten Zug diese gemütlichen plüschigen Sessel auf uns, um uns sanft der Heimat entgegen streben zu lassen. 

So legen wir also die letzten Schritte auf Brüsseler Boden zurück und steigen wieder in den Thalys, der auf dieser Tour den Eindrücken von der Hinfahrt in nichts nachsteht. Von der Gemütlichkeit erfasst, lassen wir die Eindrücke der letzten Tage Revue passieren. 

Wir haben eine weltoffene Stadt erleben dürfen, in der das queere Leben an vielen Stellen ganz „nomaler“ Alltag ist. Natürlich gibt es auch hier noch viel zu tun und gerade deshalb sind die vergangenen und erst recht die kommenden Pride-Veranstaltungen so wichtig. Aber Brüssel umarmt seine queeren Bewohner und Besucher ebenso wie alle Anderen und das macht ein herrliches Willkommensgefühl. Wer sich die Mühe macht, und offenen Auges und Herzens in die Straßen geht, kann an jeder Ecke kleine und große Geschichten erleben, ganz besonders und ganz alltäglich. 

Als wir dann am Ende des Trips erstmals wieder ins eigene Bett sinken, gilt einer der letzten Gedanken dem Wunsch, bald, ganz bald und am besten zu einer der anstehenden Pride-Veranstaltungen wiederzukommen. 

Frank Hebenstreit

Die Reise wurde unterstützt durch visit.brussels und Thalys.

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