„Kunst ist urewig“ – Egon Schiele

Egon Schiele, einer der berühmtesten und gewagtesten Expressionisten seiner Zeit, wirkte nicht nur weit über Wien und die kurze Zeitspanne seines nur achtundzwanzig Jahre währenden Lebens hinaus, sondern gilt vielen aus gutem Grund als der Inbegriff eines Künstlers. Der Maler und Dichter starb heute vor 102 Jahren an der Spanischen Grippe, nur drei Tage nach dem Tod seiner schwangeren Frau Edith. So begehen wir seinen Todestag also während die zweite Welle der zweiten die Welt innerhalb von etwa 100 Jahren in ihrem Griff haltenden Pandemie über uns hereinbricht. Da sage einer Kunstgeschichte und Medizinhistorie seien nicht ironisch miteinander zu verknüpfen.

Kompakte, vielseitige Analyse

Im Mai diesen Jahres, am 12. Juni war sein 130. Geburtstag, ist im Prestel-Verlag im Rahmen der Reihe Große Meister der Kunst ein Band zu Egon Schiele erschienen, der sich neben einer kompakten, aber an Informationen reichen, Beschreibung von Schieles Biografie auch mit dessen Werk auseinandersetzt. Dies geschieht exemplarisch durch eine jeweils kurze Analyse von 35 seiner Bilder, die zwischen den Jahren 1909 bis 1918 entstanden sind.

Männlicher Akt, Selbstporträt, 1910 // Albertina, Wien // The Yorck Project

Die Analyse wird mit weiteren Hintergrundinformationen zu Schiele, seinen Aktivitäten für die Wiener Secession, den Hagenbund oder der Neukunstgruppe verwoben. Außerdem mit Einordnungen der ihn umgebenden Freunde und Förderer, wie seinem großen Vorbild Gustav Klimt, seinen Freund und späterem Schwager Anton Peschka oder seiner langjährigen Vertrauten und Partnerin Wally Neuzil.

Die Kunsthistorikerin Dr. Isabel Kuhl vermittelt dabei einen guten Eindruck von Schieles Leben im Ganzen sowie seiner Wandlung und Entwicklung als Künstler vom Jugendstil über den für ihn sehr definierenden Expressionismus hin zum Realismus, wie auch seiner Motivation und seinen Prioritäten. So wird auch mehrmals verdeutlicht, wie überzeugt Egon Schiele nicht nur von seinen eigenen Fähigkeiten als Maler und Künstler war, sondern auch wie sehr er sich von der starr konservativen, bürgerlich bis bigotten Gesellschaft missverstanden fühlte.

Walburga „Wally“ Neuziel, 1912 // Leopold Museum, Wien // The Yorck Project

Nicht ganz zu Unrecht. Landete er doch 1912 wegen eines erotischen Aktes für gut drei Wochen im Gefängnis. Ein Aufenthalt, der ihn nachhaltig traumatisierte, was er in Zeichnungen, die im Gefängnis entstanden, festhielt. Eine der düstersten Zeichnungen aus der Zeit ist im Buch zu finden. Auch hier kommt wieder Schieles Haltung zum Ausdruck, missverstanden worden und gar ein Märtyrer zu sein.

„Wer nur das obszöne Nackte sieht, dem ist nicht zu helfen…“

Arthur Roessler

Neben dieser einschneidenden Episode im Leben des künstlerischen Tausendsassas finden auch noch viele andere Anekdoten, Zusammenhänge und Erläuterungen Raum in dem hochwertig gemachten Buch. So wird ausführlich Schieles Verhältnis zur Aktmalerei, auch in Form von Selbstporträts beschrieben; dass er entgegen geltender Sexualmoral und der Strafbarkeit von Homosexualität dennoch auch gleichgeschlechtliche Paare zeichnete; seine Landschafts- und Naturbilder finden ihren Platz und unter anderem am Beispiel von Tod und Mädchen (1915) oder Porträt Edith Schiele (1917/1918) wird auch der Entstehungs- und Veränderungsprozess manch seiner Bilder beschrieben.

Tod und Mädchen, 1915 // Belvedere, Wien // The Yorck Project

Die Texte von Frau Dr. Kuhl sind leicht zugänglich und dürften auch für Leserinnen und Leser von Interesse sein, die nicht die Hälfte ihrer Freizeit in Museen und Archiven zubringen. Die abgedruckten Bilder, sowohl Zeichnungen und Gemälde Schieles als auch einige Fotografien, sind allesamt in bester Qualität zu bestaunen und machen Schiele erst so richtig rund. Ein Fehler stieß mir allerdings recht sauer auf: An einer Stelle ist die Rede davon, dass das Ende des Zweiten Weltkriegs im Herbst [1918] kurz bevorstehe. Bei solch einem sensiblen Thema ist das schon eher unschön.

Der kleine Band ist nicht nur als ein Überblick zu Egon Schiele und seinem Werk ganz hervorragend, sondern kann ebenso wunderbar als kunstgeschichtliches Nachschlagewerk genutzt werden. Denn natürlich lässt sich Schiele nicht ohne Zeitgenossen und den historischen und gesellschaftliches Kontext erklären.

Cover: Schiele von Isabel Kuhl

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Kuhl, Isabel: Schiele; 1. Auflage, Mai 2020; Klappenbroschur; 112 Seiten; 17 x 21 cm; ca. 55 Abbildungen; Deutsch; ISBN: 978-3-7913-8630-0 ; Prestel Verlag; 10,00 €

AS

Beitragsbild: Schiele-Cover auf einer abstrakten Zeichnung von Steve Johnson.

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