Lasst uns über bunte Diskriminierung sprechen

Beitragsbild: Illustrationen und Cover von You Don’t Look Gay // © Julius Thesing/Bohem Verlag

Viele von uns erleben Diskriminierung und Homophobie im Alltag – und nein, das ist nichts, womit wir einfach mal klarkommen müssen. Julius Thesing beschreibt in seinem erstklassig illustrierten Buch „You Don’t Look Gay“, was es mit einem macht, mit „Schwuchtel“ doch gar nicht gemeint zu sein und immer damit rechnen zu müssen, auf die Fresse zu kriegen. Auch, aber nicht nur, für Jugendliche interessant. [Und Achtung: Es geht in der Besprechung teilweise recht herb zu.]

„So etwas ist doch Privatsache.“, „Ich weiß nicht, warum man das allen auf die Nase binden muss“, „Könnt ihr das nicht woanders machen“ – solche Sätze dürfen sich Homosexuelle und Queers recht häufig anhören, ob im direkten Alltag oder auch immer beliebter in sozialen Netzwerken. Zuletzt durften wir das ganz wunderbar im Zuge der #ActOut-Kampagne beobachten, bei der beinahe der Eindruck zu gewinnen war, manch heterosexuelle Person wäre vom Verbot heteronormativer Lebensweisen bedroht. Hinzu kommt ein Anwachsen der Zahlen LSBT*-feindlicher Übergriffe, wie beispielsweise das Schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin Maneo in seinem letzten Bericht festhielt. Da nehmen sich die pöbelnden, primär schwulenfeindlichen Sprüche irgendwelcher Testosteron-geschwängerter Gruppen, gern kombiniert mit Alkohol und meist von einem „so meinen die’s ja gar nicht“ begleiteten Verständnis, beinahe als Nebensache aus. 

Diskriminierung ist Diskriminierung ist Diskriminierung

Dass weder das eine noch das andere eine Kleinigkeit ist, sondern jede Form von LSBTIQ*-feindlicher Diskriminierung und auch Homophobie im Besonderen schmerzt, wütend macht, das Leben der Betroffenen direkt beeinflusst und niemals mit einem „Hab dich mal nicht so…“ wegzuschmunzlen ist, macht der Designer und Illustrator Julius Thesing in seinem sehr persönlichen, im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit entstanden, Buch You Don’t Look Gay klar. Thesing, Jahrgang 1990, vereint in dem Buch zwei Dinge ganz hervorragend: Sein offensichtlich sehr großes Talent und Können und seine Fähigkeit, einen persönlichen und sensiblen Text ohne überzogene Gefühligkeit zu schreiben. 

Sein im Bohem Verlag erschienenes, sehr variantenreich illustriertes, auf kräftigem rosafarbenen Papier gedrucktes Buch ist dabei in neun Teile gegliedert, von denen sich acht mit jeweils verschiedenen Vorurteilen gegen Queers und Varianten von Diskriminierung auseinandersetzen, teils sogar aus der eigenen Community, dazu später mehr. Gleich vorweg stellt Thesing ein Problem dar, das nicht deutlich genug gemacht werden kann: Das gegeneinander Abwägen und Ausspielen von Diskriminierungserfahrungen im Speziellen und das diskriminierter Gruppen im Allgemeinen. Ein Mittel, das natürlich gern von Freunden gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit angewendet wird, wie es Wolfgang Thierse seit geraumer Zeit anschaulich demonstriert. Ob er denn überhaupt das Recht dazu habe über Diskriminierung zu schreiben, „wenn es doch noch viel schlimmere, brutalere Erfahrungsberichte gibt“, fragt Julius Thesing sich und irgendwie auch uns. Ja, unbedingt.

Genau wie wir alle, sind auch die Erfahrungen, die wir mit Diskriminierung machen, individuell. Gemein ist ihr jedoch, dass sie verletzt und mindestens an die Grenzen der Meinungsfreiheit stößt. // © Julius Thesing/Bohem Verlag

So macht er weiterhin direkt zu Beginn klar, dass es sich in dem Buch um seine Erfahrungen mit Aussagen handelt, die ihm immer wieder im Alltag begegnen und darum wie sich „alltägliche Diskriminierung anfühlt. […] Es geht um diskriminierende Sprache, um traditionelle Geschlechterrollen und um die Angst vor Gewalt und Hass.“ Die eigenen Erfahrungen ergänzt der Illustrator und Autor um einige Zahlen aus Forschungsprojekten und Untersuchungen, wie auch einschneidenden Zitaten, unter anderem von Jair Bolsonaro oder Reinhard Kardinal Marx. Etwas, das an You Don’t Look Gay positiv auffällt, ist, dass Thesing nicht in die Falle tappt, verschiedene Formen der Diskriminierung oder von Ängsten abzustufen und somit eben genau jenes Abwägen und Rationalisieren von Übergriffen vermeidet. Er spricht, wenn auch aus eigener Erfahrung, niemandem die individuelle Erfahrung und den damit einhergehenden Schmerzwert ab.

Was nun auch deprimierender klingt als es ist, denn im Grunde ist es ein positives Büchlein, das nicht zuletzt auch Hoffnung macht und festhält, es würde vorangehen. Auf das Beschreiben von unschönen und teils gefährlichen Situationen kann aber eben dennoch nicht verzichtet werden. Und für Thesing fing das auch mit ihm selber an, brauchte er doch sehr lange, um zu seiner Sexualität zu stehen, auch sie zu verstehen und sich zu outen. Für ihn war das sehr scham- und makelbehaftet, was interessanterweise nicht nur an fehlenden Vorbildern in der Medienlandschaft oder einer vermuteten schwierigen Umgebung lag, sondern auch an seiner Interpretation einer nur auf Sexualität und nicht auf Gefühlen basierenden Wahrnehmung von Homosexualität.

Appell zum Austausch

Vieles beschäftigt sich auch mit Diskrimierung aufgrund der eingangs beschriebenen Haltung von Menschen, die meinen, es reiche nun, mit all diesen Coming-Outs, der Repräsentation von Homosexualität, der vermeintlichen Wichtigtuerei von „Schwuchteln“, aber auch dem penetranten aufs Auge drücken der Sexualität: ekelhaftes Händchenhalten und Küssen in der Öffentlichkeit beispielsweise. Die meisten der von Thesing genannten Beispiele dürften vielen der queeren Leser*innen des Buches nicht unbekannt sein. Ich jedenfalls habe niemandem (!) im Bekannten- und Freundeskreis, der nicht schon mindestes einmal einen dämlichen Spruch auf der Straße oder einen abschätzigen Blick beim Einkaufen abbekommen hätte. Von derberen Erfahrungen, bei denen es dann auch körperlich wurde, mal nicht zu reden; hier ist die Quantität zwar geringer, dafür die Schmerz-Qualität umso höher, im wörtlichen wie übertragenen Sinne. Julius Thesing berichtet auch über einen körperlichen Übergriff, wenn auch „nur“ einen von dem er gehört habe, was aber durch den Kontext, in dem er das wiedergibt, nichts von der Wucht nimmt, ganz im Gegenteil. Schwuleklatschen ist halt cool, kannste nix machen.

Gewalt gegen queere Personen und dazu: „Dem Risiko solltest du dir doch bewusst gewesen sein, als du dich entschieden hast, offen homosexuell zu leben.“ // © Julius Thesing/Bohem Verlag

Thesing beschreibt auch sehr gut und zumindest für uns bei der the little queer review sehr nachvollziehbar, wie die Angst eine ständige Begleiterin ist, die sich mal besser und mal weniger gut unterdrücken oder einhegen lässt (dazu auch: Benno Gammerl: anders fühlen, welches wir bald besprechen). Aber ja, doch, sich umzuschauen, wenn die Hand der Partnerin oder des Partners genommen wird, ist beinahe ein Reflex. Mit mindestens einem abschätzigen Blick zu rechnen, wenn es im Supermarkt mal einen Schmatzer gibt, weil zufällig die leckere, etwas zu teure Schokolade im Korb landet. Oder der Gedanke zumindest abends nicht in dieser oder jener Gegend zu offensichtlich gay unterwegs zu sein. Das reden wir uns doch nicht ein, das provozieren wir auch nicht, das schlachten wir auch nicht aus. Zahlen, die auch Julius Thesing zum Teil anführt, sprechen da eine deutliche Sprache. Er warnt aber auch davor, sich in diesen zu verlieren und rät dazu, mit anderen über diese Erfahrungen und die Ängste zu sprechen, ein wenig Ballast abzuwerfen. Und so ausgelutscht das im ersten Moment klingen mag, es ist wahr und wir beachten es zu wenig. 

Auch hier ziehe ich wieder meinen Kreis als Vergleichswert heran und stelle fest: Wenn nicht gerade eben etwas geschehen ist, schütteln die meisten von uns homophobe Erfahrungen – ob doofe Sprüche, Blicke oder abgefuckte Kommentare in den sozialen Netzwerken – eher ab, beinahe als sei es zu akzeptierender Standard und wir ein wenig zu abgeklärt und resigniert. Natürlich regen wir uns mal auf, aber der Austausch darüber, was es mit uns macht und wie und wo es wehtut, der findet kaum statt. Thesings Buch kann hier auch als Appell zu mehr Selbst-Bewusstsein und Kommunikation verstanden werden.

„Keine Tucken. Keine Fetten.“

Ein Teil des so klasse illustrierten Buches geht schließlich auch auf die Diskriminierung innerhalb der Community ein: „Keine Tucken. Keine Fetten. Keine Asiaten. Sorry nicht böse gemeint, aber ist nicht mein Typ“ zieht er da exemplarisch raus. Etwas, das viele von uns schon in verschiedenen Varianten auf diversen Dating- und Sexportalen gelesen haben dürften. Julius Thesing stellt dazu die Frage, wie es sich für Menschen, „die schon von der heteronormativen Gesellschaft nicht akzeptiert werden“ anfühlen muss, „innerhalb der eigenen Community ausgegrenzt und diskriminiert“ zu werden. Ich muss zugeben, selber niemals von derlei Diskriminierungen betroffen gewesen zu sein, gleichsam sowas auch nicht getan zu haben, das würde mir schon aus Gründen simpler zwischenmenschlicher Umgangsformen und Höflichkeit nicht einfallen. Dennoch kenne ich das natürlich, hinterhergeschoben wird gern, es sei eben schon mal eine Vorauswahl und es ginge doch nur um Körperlichkeit und Sex. Wenn man diese ignorante und einigermaßen (unbewusst?) menschenverachtende Argumentation mal auf die Spitze triebe, müsste Vergewaltigung mittelfristig nichts Umproblematisches mehr sein. Zumindest in der Hetero-Ehe war sie es lange Zeit auch nicht.

„Keine Tucken. Keine Fetten. Keine Asiaten. Sorry ist nicht böse gemeint.“ – diskriminiert wird auch in der LSBTQ*-Community. // © Julius Thesing/Bohem Verlag

Soweit wollen wir aber gar nicht gehen, sondern beim Kern dieses Problems bleiben: Hier macht Thesing den Diskriminierenden einen deutlichen Vorwurf: „Dass aber mehr oder weniger schwules Aussehen und Auftreten innerhalb der diskriminierten Minderheit als Qualitätsmerkmal herhält, stimmt doch sehr nachdenklich. Klar, Arschlöcher gibt es überall und toxische Männlichkeit macht auch vor Homosexuellen nicht automatisch Halt. Traurig ist es dennoch, dass diese Arschlöcher die Orte infiltrieren, die als Safe Space herhalten können.“

Verbrämte Arschlöcher allenthalben?

Apropos Arschlöcher: Um diejenigen, die immer mal wieder eine „Straight Pride Parade“ fordern oder sie, wie 2019 in Boston abhalten, geht es auch. Hier wird’s einigermaßen süffisant, was die ärgerliche und schmerzhafte Absurdität solcher Veranstaltungen von Menschen, die, wie Thesing schreibt, Angst davor hätten, andere Stimmen zuzulassen und ihre „weiße, cis-männliche, heterosexuelle Welt“ nicht teilen wollen, ein wenig erträglicher macht.

Die leidende, arme, unterdrückte Mehrheit. // © Julius Thesing/Bohem Verlag

Auch um Stereotype geht es – „Wer ist denn die Frau?“ – und nicht zuletzt das Stigma mit dem der sexuelle Teil der Homosexualität noch immer stärker behaftet ist. Sogar so stigmatisiert, dass Thesing sich mit seinem Freund nur auf einer Auslandsreise in einen Sexshop traut und dann feststellt, dass der nicht nur sehr aufgeräumt und sauber sei, sondern dass dort vollkommen normal wirkende Menschen einkauften (etwas, das auch in der bald startenden queeren ARD-Serie All You Need schön beiläufig thematisiert wird). Wie sehr Sex als solcher ein Problem und ein Tabu ist, wird hier also mal wieder deutlich. Und weil über Sex nicht gesprochen wird, scheint es eben alles so unnormal, ist das Coming-Out ein Problem, denken sexuell repressive Heten in sogenannten klassischen Rollenbildern und onanieren lieber heimlich und verdruckst auf dem Klo im Büro, statt ihrem trainierten Heimchen vielleicht auch mal zu sagen „Du, lass mal ne Maske kaufen“. Ja, das war überspitzt und doch – es ist nicht unwahr. 

Julius Thesing schließt sein wunderbar illustriertes und einnehmend geschriebenes You Don’t Look Gay da weit vermittelnder. Er stellt noch einmal fest, dass homophobe Diskriminierung nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun habe und der Kampf gegen Diskrimierung und Gleichberechtigung von heterosexuellen Personen nicht als Kampf gegen die eigenen Privilegien verstanden werden solle, sondern als einer für die Rechte aller. Sein Buch sei ein Gesprächsangebot, kein Manifest. Stimmt, und es sollte von verschiedenen Seiten wahr- und angenommen werden.

Die Altersempfehlung ab 12 Jahren ist übrigens vorbehaltlos zu teilen und Eltern sollten nicht davor zurückschrecken, sich dieses vielfältige und kritisch-unterhaltsame Buch mit ihren Kindern anzusehen und offen zu behandeln.

Cover You Don’t Look Gay von Julius Thesing

Julius Thesing: You Don’t Look Gay – Eine Auseinandersetzung mit homophober Diskriminierung; 1. Auflage, 2020; 96 Seiten, vollfarbig, durchgehend illustriert; 16 x 22 cm; Flexcover mit rosa Papier; ISBN: 978-3-95939-094-1; Bohem Verlag; 14,95 €

Ach ja: In Ihrem neuen Podcast kommen auch Fiete & Kefir auf das Buch zu sprechen. Reinhören lohnt sich also gleich noch mehr!

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