Mein Fahrrad, mein Haus, meine Tote

Die Schwaben sind für Häuslebau und Innovation bekannt. Und für Sparsamkeit und Maultaschen. Aber nur die ersten beiden tun wirklich was zur Sache im Tatort: Das ist unser Haus aus Stuttgart, der heute Abend im Ersten läuft. Ganz innovativ haben sich nämlich neun Leute zusammengetan, um im vermutlich beschaulichen Ostfildern gemeinsam ihre „Oase“ zu errichten – so der Name ihres Wohnprojekts.

Kuscheln in der „Oase“

Nur wenige Wochen nach dem Einzug „haben wir aber den Salat“ – erst mal baulicher Art. Denn der sauteure Ökobaustoff, aus dem das Fundament gemacht ist, ist undicht. Es muss aufgebaggert werden und, hoppala, da wird eine Frauenleiche mit ausgegraben. Und nun geht der wahre Zwist erst los:

Na wer ist die Mörderin oder der Mörder? Das herauszufinden wird nicht einfach für Lannert (Richy Müller, li.) und Bootz (Felix Klare). // © SWR/Benoit Linder

Wer ist der Mörder oder die Mörderin? Wer ist überhaupt die Leiche am Haus? Ist es die während des gruppenkuschligen Bewerbungsprozesses verschwundene Beverley, die so manchen heutigen Oasenbewohnerinnern und -bewohnern den Kopf verdreht hat? Vermutlich, denn sie trägt ja ihre Schuhe. Und wer hat sie denn ermordet? Kann doch keiner aus der Gruppe gewesen sein, denn sie haben ja im aufwändigen Bewerbungsprozess festgestellt, dass sich einander alle lieb haben und so eine innige Freundschaft zwischen allen entstand. Es muss doch bestimmt irgendein nicht zum Zuge gekommener Bewerber gewesen sein. Oder einer der Nachbarn, die das Wohnprojekt kritisch beäugen. Würde passen, denn – auch das wird ja zum Problem – durch die Leiche ist die gesamte Aura des Hauses jetzt verseucht. Wie perfide, die Oase so trockenlegen zu wollen!

Unfuck the Hausgemeinschaft

Inmitten dieser Gemengelage finden sich die Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) bei der Aufklärung des Falles wieder. Der tatsächliche Fall gerät aber fast zur Neben- oder Rahmenhandlung, denn die soziale Dynamik zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern ist das eigentlich Spannende an diesem Tatort. Es gilt erst einmal die Strukturen und die Geschichte zu ergründen, jeder Charakter bekommt auch wunderbar eine persönliche Geschichte. Und wenn alle zusammenkommen: Eieiei, dann wirds lustig.

Demokratie im Wohnprojekt – gewaltfrei und die Finger zeigen nach oben, nicht auf andere! // © SWR/Benoit Linder

Denn wie gesagt, eine so enge – sich die Regeln selbst auferlegt habende – Gemeinschaft hat eigene Dynamiken. Und mit gewaltfreier Kommunikation lässt sich bestimmt so manches Problem sehr gut lösen – Waldemar Zeiler hat dies in seinem Buch Unfuck the Economy, das wir demnächst auch besprechen wollen schön beschrieben – aber eben nicht jedes. Am Ende kommen selbst in einer so kleinen Gated Community nicht selten archaische Verhaltensweisen ans Licht.

Ressentiments und Zivilcourage

Selbst wenn sich alle im Prinzip gut verstehen, Ressentiments gibt es doch immer. Und vorschnelle Urteile. Und zwischendurch führt das sogar in eine perfide Form der Selbstjustiz als nämlich die Gruppe den Mörder ausfindig gemacht zu haben glaubt und ihm gleich mal einen freundlichen Besuch abstattet. Nicht so schön und auch nicht besser als – was ist das Gegenteil von Gutmenschen? – agieren, wenn sie Menschen einschüchtern oder noch schlimmer.

Gleichzeitig zeigt der Tatort: Das ist unser Haus aber auch, wie gut der Mensch sein kann. Die Mitbewohner helfen einander und zeigen am Ende viel Zivilcourage. Ein solches Sozialexperiment kann also funktionieren, aber trotz allem sollte man sich nicht davon blenden lassen, dass es Schwierigkeiten gibt, wo Menschen in Gesellschaft zusammen leben. Sie brauchen einander, schaffen sich durch ihre Gemeinschaft aber auch immer neue soziale Probleme.

Witz und Charme und Scham

All dies wird von den Machern dieses Tatorts überaus witzig inszeniert. Schon der Stuttgarter Tatort-Folge Stau (2017) lag ein kleines Sozialexperiment zugrunde und mit Das ist unser Haus gehen Dietrich Brüggemann (Regie und Drehbuch) und Daniel Bickermann (ebenfalls Drehbuch) noch einen Schritt weiter. Sie erzählen die Geschichte einer kleinen Gemeinschaft mit selbst gegebenen und recht modernen Regeln. Sie betonen deren Stärken und arbeiten gut die Schwächen heraus, ohne sich dabei lustig zu machen.

Ringelpiez mit Anfassen oder…?! // © SWR/Benoit Linder

Gleichwohl spinnen sie überaus witzige Dialoge, bringen abstruse Namen wie „Apachenfeder“ ein und schaffen es, den Spannungsbogen hochzuhalten, während der Fall an manchen Stellen über die charmante Sozialstudie in den Hintergrund tritt. Die Auflösung des Falls wiederum beinhaltet übliche Tatort-Twists, Hinweise, die bereits früh gestreut werden und fast schon in Vergessenheit geraten. Aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass Das ist unser Haus einer der witzigsten Tatorte seit Langem ist und sich gleichzeitig mit Fremdscham und aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen schmückt.

Tatort: Das ist unser Haus: Heute um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Das ist unser Haus; Deutschland, 2020/2021; Regie: Dietrich Brüggemann; Drehbuch: Dietrich Brüggemann und Daniel Bickermann; Kamera: Andreas Schäffauer; Musik: Dietrich Brüggemann; Darsteller*innen: Richy Müller, Felix Klare, Jürgen Hartmann, Christiane Rösinger, Oliver Gehrs, Nadine Du Bois, Eike Jon Ahrens, Anna Brüggemann, Joseph Bundschuh, Michael Kranz; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion des Südwestrundfunks

HMS

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