#MeTukur

Beitragsbild: Ada (Daniela Golposhin) „verziert“ ein Festspielplakat mit ihrem Kommentar zu Stardirigent Marius Atterson (Ulrich Tukur) // © SWR/ORF

„Retten Sie den Don Giovanni!“ fleht Festspielpräsidentin Hedi Gebetsreuther die Regisseurin Beate Zierau am Telefon an. Gerade hat sich ihr ursprünglicher Regisseur David Roth nämlich durch einen selbst im Rahmen des Salzburger Festspiel-Zirkus (100 Jahre Salzburger Festspiele gar!) als unmöglich geltenden Ausraster ins Aus befördert. Zierau sagt nur widerwillig zu: Ist der weltberühmte Dirigent des Stückes, Marius Atterson, ein Schüler Herbert von Karajans, doch ihr Ex-Mann. Neben Allüren ist auch dieser nicht unumstritten – es eilt ihm der Ruf des Frauenverführers voraus. So hat sich auch die Journalistin Franziska Fink vorgenommen, den Dirigenten endlich als #MeToo-Täter zu entlarven.

Kunst imitiert Leben imitiert Kunst…

Nein, nein, das ist nicht etwa eine Enthüllungsgeschichte der Bunten oder der politisch geprägten Illustrierten Spiegel, sondern der Satire Die Unschuldsvermutung, die heute Abend im Ersten gezeigt wird und bereits in der Mediathek verfügbar ist. Inszeniert und geschrieben wurde dieser sehr selbstironische, in machen Momenten gar bitterböse Blick auf die Salzburger Festspiele, Attitüden und Allüren, Leistungswillen, Macht und deren Missbrauch von Michael Sturminger, der in diesem Jahr für den Jedermann in Salzburg verantwortlich ist. Jener Aufführung, die auch in die Schlagzeilen kam, weil Schauspielerin Verena Altenberger, die die Buhlschaft verkörpert, sich vor allem auf Twitter diverser sexistischer und verachtender Anfeindungen ausgesetzt sah. 

Karina Samus (Laura de Boer) leitet die Proben, bis der Maestro eintrifft – oder wartet hier ihre große Chance? // © SWR/ORF/David Steinbach

Wenn auch soziale Medien in der Unschuldsvermutung nur eine untergeordnete Rolle spielen, passt es doch: Kunst imitiert Leben, das Kunst imitiert, die Leben imitiert, … Hier ist das Imitat dabei sehr vielseitig, deckt einiges ab, ohne sich zu verrennen. Ob es um Eitelkeiten geht, die von erwähnter Festspielpräsidentin Hedi Gebetsreuther (ganz klasse: Michou Friesz) und Festspielintendant Christoph Winterblum (August Zirner) gestreichelt, aber auch kontrolliert werden müssen. Oder die eindeutigen, wenn auch manches Mal nur dezenten, Übergriffigkeiten Attersons, den Ulrich Tukur glänzend spielt, gegenüber Frauen. Auch die Motive der Frauen, Atterson zu Fall zu bringen, sind vielseitig, liegen nicht bei allen ganz so klar auf der Hand, wie es anfangs den Anschein hat.

Im Taktstock der Entsetzlichkeiten

Insbesondere die Jungdirigentin Karina Samus (Laura de Boer), Meisterschülerin des Dirigenten und schwanger von ihm, sieht ihre gemeinsame Vergangenheit nicht unbedingt als Ergebnis von Übergriffen. Von ihm befreien muss sie sich dennoch. An seiner Agentin Ada Lubovsky (stark: Daniela Golpashin) arbeitet er sich ab, sie wendet sich ab. Angesprochene Reporterin Franziska Fink (Marie C. Friedrich) scheint vor allem eine Story zu wollen. Oder doch den Frauen der Welt einen Dienst erweisen? Ihre Motive bleiben eher unklar, ihre Figur leider blass, obwohl ihr und Atterson ein großer und entscheidender Moment gehört, der aber auch zu den überzogensten und dümmsten des sonst gut strukturierten Films gehört.

Festspielpräsidentin Hedi Gebetsroither (Michou Friesz, links) und Festspielintendant Christoph Winterblum (August Zirner, rechts) gehen bei der Pressekonferenz souverän darüber hinweg, dass ihre Stars, Maestro Atterson (Ulrich Tukur) und Opernregisseurin Beate Zierau (Catrin Striebeck) einander nicht grün sind. // © SWR/ORF/David Steinbach

Ulrich Tukur brilliert nahezu als Dirigent Atterson, der sich während einer Pressekonferenz – die tatsächlich auf der Presseterrasse gefilmt wurde – auch einmal in der Tukur eigenen spielerischen Arroganz als alter, weißer Mann bezeichnet, der „als Vertreter einer völlig überkommenen Tradition die Rechnung für meine anachronistische Weltsicht in täglichen Schlägen bekomme.“ In der Tat gab es kurz zuvor eine blutige Nase für den charmanten und klebrigen Dirigenten. Normalerweise würde so etwas, um nochmals auf die sozialen Netzwerke zu kommen, wohl viral gehen.

Regisseurin Zierau, von Catrin Striebeck, vermutlich an eigenen Erfahrungen mit schwierigen Regisseurinnen und Regisseuren nicht arm, wunderbar ins Leben geholt, ist dabei nicht weniger schlimm als ihr Ex-Mann. Im Gegenteil agiert sie zuweilen nicht nur boshaft und arrogant, sondern frei von jeder Empathie und gar sadistisch, von Selbstbezogenheit müssen wir gar nicht sprechen. Was aber „Frau Wagner“ nicht daran hindert, sie später zur Rettung Bayreuths zu rufen – „Es muss wehtun“ gilt überall. Nur ein letzter feiner Piekser eines gut ausgelegten Fingerzeig-Netzes. Auch Striebeck hat eine überzogene Szene mit Tukur gegen Ende, die sich aber am satirischen Wahnsinn orientiert und vor allem zu den beiden passt, der gewachsenen Arschlöchin und dem wimmernden Muttersöhnchen. Mutter Clarisse Atterson verleiht der Satire durch das fabelhafte Spiel und die gelungene Betonung jeder piksenden Silbe von Christine Ostermayer noch eine weitere feine Facette.

Mutter Clarisse (Christine Ostermayer) hat immer einen guten Rat für ihren Marius // © SWR/ORF

Bravo, Bravo und ein kleines Buh

Das ist überhaupt ein großer Vorteil von Die Unschuldsvermutung: Autor und Regisseur Sturminger weiß, wie er all das Chaos, das Furchtbare, das entsetzlich Menschliche satirisch spiegelt ohne es kreischend zu karikieren. Natürlich auch immer mit einem Blick auf die Inhalte der zu inszenierenden Mozart-Oper „Don Giovanni“. Hilfreich für ein Gefühl von „Ach, was…?“ ist es auch, dass Sturminger wie angedeutet an Originalschauplätzen drehen konnte: in den echten Büros des Intendanten, der Präsidentin, in den echten Garderoben und auf den Probebühnen. Ebenso wurden Teile des Bühnenbildes seiner zu Drehzeit noch entstehenden „Tosca“-Inszenierung verwendet (Ende August wurde sie ausgestrahlt). 

Der Film unterhält gewitzt, allein die schauspielerische Gewalt weiß zu erfreuen und begeistern; dass Die Unschuldsvermutung am Ende doch hinter der von ihr in der ersten Stunde aufgebauten Erwartung zurückbleibt, irritiert etwas. Ganz konsequent ist das nicht, dafür aber versöhnlich. Empfehlenswert bleibt die Satire allemal.

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Die Unschuldsvermutung ist bereits vorab verfügbar und wird am Mittwoch, 8. September 2021, um 20:15 Uhr im Ersten gezeigt und am 12. September (Sonntag) ebenfalls um 20:15 Uhr auf One. Nach der Erstausstrahlung ist der Film für drei Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Die Unschuldsvermutung; Österreich, Deutschland, 2021; Regie & Drehbuch: Michael Sturminger; Musik: Kyrre Kvam; Kamera: Wolfgang Thaler; Darstellende: Ulrich Tukur, Laura de Boer, Marie-Christine Friedrich, Daniela Golpashin, Catrin Striebeck, Michou Friez, August Zirner, Robert Stadlober, Christine Obermayer; Laufzeit ca. 89 Minuten; Eine Produktion der Superfilm im Auftrag von ORF und SWR

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