Politiker:innen – keine unerreichbaren Wesen

Von Protestwählerinnen und -wählern, Querdenkerinnen und Querdenkern oder vielen anderen politisch Enttäuschten ist immer wieder zu hören, dass sie sich von der Politik nicht repräsentiert fühlten. Ob sie bei einem Wunsch nach Repräsentation ausgerechnet bei der AfD glücklich würden – diese buhlt stark um diese Wählergruppen – ist eher unwahrscheinlich.

Was viele nämlich nicht wissen, ist, wie groß die tatsächlichen Möglichkeiten sind, sich selbst und dem eigenen Anliegen Gehör zu verschaffen, bzw. sich auch selbst über demokratische Prozesse zu informieren, die für pragmatisch erachtete Lösungen zu durchlaufen sind. Hans-Peter Bartels, der frühere Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages und SPD-Mitglied, hat hierzu vor wenigen Monaten ein knappes Übersichtsbüchlein geschrieben, das sich als Einstieg lohnt. Und natürlich gibt es ohnehin sehr viel Literatur, Interviews und Lesestoff, die mensch sich zu Gemüte führen kann, um sich ein wenig über Politik und Demokratie zu informieren – innerhalb wie auch außerhalb von Wahljahren. Heute konstituiert sich der 20. Deutsche Bundestag und das wollen wir zum Anlass nehmen, über ein paar Möglichkeiten zu informieren.

Politiker:innen darf und soll man ansprechen

Das aber wohl Einfachste ist, mit der oder dem Abgeordneten aus der Region in Kontakt zu treten (das geht natürlich auch, wenn ihr sie oder ihn nicht gewählt habt). Es gibt aktuell 299 Wahlkreise in Deutschland und der Bundestag besteht aus mindestens 598 Abgeordneten, also doppelt so vielen. In Wirklichkeit sind es durch Überhangs- und Ausgleichsmandate derzeit 736, aber das nur am Rande. Rein rechnerisch gibt es also aus jeder Region mindestens zwei Personen, die sich um die Belange der Bürgerinnen und Bürger kümmern – und mindestens diese beiden sollten immer angesprochen werden können, wenn es darum geht, mehr über die Politik zu erfahren oder ein Anliegen, ein Problem vorzubringen.

Während der Wahlkämpfe ist es ohnehin relativ einfach, an eine:n Abgeordnete:n (oder eine:n Kandidatin:en) zu kommen: In dieser Zeit stehen sie auf Marktplätzen und an Bahnhöfen, klingeln an Haustüren oder richten Veranstaltungen aus, um über ihre Politik und Ziele zu informieren. Corona einmal außen vor gelassen kann man bei solchen Gelegenheiten leicht mit den örtlichen Volksvertreter:innen in Kontakt treten.

Und selbst wenn das nicht gehen sollte: Jeder und jede Abgeordnete hat sowohl ein Büro in Berlin als auch im jeweiligen Wahlkreis. Die Abgeordneten sind dort in der Regel oft anzutreffen oder zumindest deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und können Termine vereinbaren. Die Mitarbeiter:innen unterstützen ihre:n Abgeordnete:n in der täglichen Arbeit, recherchieren zu verschiedenen Themen, die von den Bürgerinnen und Bürgern an sie herangetragen werden.

Kanäle sind vielfältig, Positionen auch

Jede:r Bürger:in hat das Recht, sich an ihre oder seine Abgeordneten zu wenden. Das geht auf ganz vielen Wegen: per Post, E-Mail, telefonisch, über soziale Netzwerke oder eben auch über die persönliche Ansprache. Die Themen sind eigentlich unbegrenzt, von Rente über Subventionen, Klimaschutz und den örtlichen Bolzplatz bis hin zu der Frage, wie Gleichberechtigung im Karneval aussehen kann: Jegliches Thema kann an die Abgeordneten herangetragen werden und in der Regel erhält man auch innerhalb einer gewissen Zeit eine Antwort zu einer solchen Anfrage. Nur Beleidigungen oder beleidigend verpackte Anfragen werden von den meisten Abgeordneten nicht beantwortet (nicht zu Unrecht, denn eine gewisse respektvolle Kultur sollte unter zivilisierten Menschen einfach dazugehören).

In der Zwischenzeit informiert sich der oder die Abgeordnete über den Sachverhalt, die Position der eigenen Partei und Fraktion und wägt auf dieser Basis ab. Und ja, nicht jede Anfrage wird positiv beantwortet. Nicht alles kann möglich gemacht werden. Das liegt aber auch daran, dass immer wieder verschiedene Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen. Und genau das ist der Job von Abgeordneten, dafür sind sie gewählt und von diesem Recht kann und sollte jede:r Bürger:in Gebrauch machen.

Besuch in Berlin

Am einfachsten, wie gesagt, ist natürlich der persönliche Kontakt – und es ist ja nicht dauerhaft Wahlkampf. Was viele Menschen leider nicht wissen, ist, dass jede:r Abgeordnete ein gewisses Kontingent an Besuchergruppen in Berlin zur Verfügung hat: Es gibt die Möglichkeit, für Gruppen ab zehn Personen Fahrtkostenzuschüsse zu beantragen (knapp 200 Plätze jährlich pro Abgeordneter:m) sowie etwa drei größere Besuchergruppen von jeweils ca. 50 Personen auf eine Fahrt des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung zu buchen. Diese dauern – je nach Anreise – zwischen einem und fünf Tagen und beinhalten in der Regel Unterkunft, Mahlzeiten und ein fertig durchgeplantes Programm zur politischen Bildung in und um Berlin. Sie sind in einigen Bundesländern sogar als Bildungsurlaub anerkannt. Und unabhängig von der „Art“ der Fahrt ist stets ein Gespräch mit der oder dem jeweiligen Abgeordneten Pflichtprogramm einer solchen Reise.

Abgeordnete dürfen außerdem eine quasi unbegrenzte Zahl an Personen zu Gesprächen empfangen, für sie Besichtigungen im Berliner Reichstag organisieren und ihnen kostenfreie Vorträge über die Funktionsweise des Parlaments buchen – ebenso kann jede Bürgerin und jeder Bürger für sich eine Besichtigung von Teilen des Bundestages organisieren, ohne die oder den Abgeordneten zu informieren.

Demokratie bedeutet auch Eigeninitiative

Die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter:innen verwalten all diese Informations- und Bildungsangebote und leider wissen zu viele Menschen nicht, dass es sie überhaupt gibt. Hier müssen die interessierten Bürgerinnen und Bürger selbst die Initiative ergreifen, die Scheu ablegen und einfach offensiv auf die Abgeordneten oder ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugehen (wobei es auch wünschenswert wäre, dass Abgeordnete und der Deutsche Bundestag mehr auf diese Möglichkeiten aufmerksam machen würden). Sicherlich kann – wie erwähnt –  nicht jeder Wunsch erfüllt werden, gewisse Kontingente sind irgendwann auch ausgeschöpft. Dann gibt es aber beispielsweise die Möglichkeit von Wartelisten oder eben den Kontakt anderweitig aufzunehmen.

Anders als oft kolportiert ist es also zumeist nicht so, dass „die da oben“ sich nicht für „uns“ interessieren. Klar, das mag es auch geben, aber die meisten Abgeordneten kümmern sich um die Bürgerinnen und Bürger ihres Wahlkreises. Ein bisschen in Bewegung kommen müssen aber auch letztere, denn wenn sie ein Anliegen haben, müssen sie dieses ihren Volksvertreterinnen und -vertretern mitteilen und den Kontakt erst einmal aufnehmen. Davon lebt die Demokratie: Dass jede:r mitmacht, sich aktiv am Diskurs beteiligt und den Kontakt zur oder zum Parlamentarier:in auch sucht. Viele wären wohl erstaunt, wenn sie sähen, wie offen die Ohren der meisten doch sind.

HMS

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