Queere Held:innen mit Lücken

Sichtbarkeit im Jugendzimmer: „Queer Heroes“ präsentiert fein illustriert und zumeist gut erläutert 53 Geschichten von Held:innen aus der weltweiten LSBTIQ*-Community. Ein beachtlicher und inhaltlich wertvoller Band mit kleinen Einschränkungen.

Wann und wo beginnt Sichtbarkeit? Das ist für viele Gruppen eine gute und wichtige Frage, die sich ihnen nicht nur in besonderen Fällen, sondern auch und vor allem im Alltag stellt. Und die schnell zu einem Problem wird, wenn einzelne Personen, die einer Gruppe zugeordnet werden, der Vorwurf gemacht wird, „sie“ stünde oder stünden zu sehr im Vordergrund, würden sich aufdrängen, nähmen anderen etwas weg. Das ist mindestens gruppenbezogene Intoleranz, von Ignoranz mal ganz zu schwiegen; wie schnell Hass daraus wird, ist bekannt. Personen der LSBTIQ*-Community dürfen sich das sehr gern anhören, wie wir auch kürzlich hier und hier nochmals festgehalten haben. 

So ist es löblich, wenn Einzelne mehr Sichtbarkeit schon in Kinder- und Jugendzimmern ermöglichen wollen und so vielleicht nicht nur die Jüngeren, sondern auch die Erziehungsberechtigten ein wenig mehr an ihnen vermeintlich „fremde“ Themen heranführen wollen. Das schaffte Marlon Bundo schon ganz ausgezeichnet und etwas augenscheinlicher gibt es nun für ältere Kinder und Jugendliche den Band Queer Heroes. 53 LGBTQ*-Held*innen von Sappho bis Freddie Mercury und Ellen DeGeneres, der eine bunte und toll illustrierte Mischung von Menschen bereithält, die allesamt auf die eine oder andere Art Bewegung und Sichtbarkeit für LSBTIQ*-ler*innen geschaffen haben.

Sichtbarkeit erweitern

Ob Schauspieler*innen, Politiker*innen, Sportler*innen, Aktivist*innen, Schriftsteller*innen oder Künstler*innen verschiedener Bereiche – breit aufgestellt sind die 53 Held*innen, die die amerikanische Autorin Arabelle Sicardi hier zusammengestellt allemal. Dazu wunderbar fließend und farblich gefühlt in jedem Fall zur jeweiligen Person passend von Hand gezeichnet von der britischen Illustratorin Sarah Tanat-Jones. 

Und auch wenn das Gros der Personen aus der englischsprachigen Welt kommt, gibt es dennoch einige internationale Ausnahmen von den Italienern Michelangelo und Leonardo DaVinci über die Mexikanerin Frida Kahlo und die Finnländerin Tove Jansson zu dem Spanier Pedro Almodóvar und der Uganderin Kasha Jacqueline Nabagesera. Sehr, sehr fein ist ebenfalls, dass wir nicht nur mit den ohnehin sehr prominenten und präsenten Namen, die dennoch reichlich vorhanden sind, beworfen werden, sondern auch mit Personen in Kontakt kommen, die nicht nur nicht jeder jüngeren Person etwas sagen dürften. Wie der Choreograph Matthew Bourne oder die pakistanische Wissenschaftlerin Nergis Mavalvala.

So ist es also zu begrüßen, dass es mit Queer Heroes nun einen lehrreichen, unterhaltsamen und alles in allem vielfältigen Band für junge Jugendliche gibt, die ganz gleich, ob queer, queer-interessiert oder eher einfach neugierig auf Minibiografien, sicherlich gefallen an dem Band finden dürften. Die Altersempfehlung sagt ab 14 Jahren, je nach Interessenlage und Verständnismöglichkeiten des Kindes sollte das Buch aber auch für 12-Jährige unproblematisch sein. Verfänglich ist es jedenfalls nicht und dass es Ungerechtigkeiten auf der Welt gibt, ebenso wie Personen, die sich diesen entgegenstellen, wissen sie ohnehin seit frühester Kindheit aus diversen anderen Bänden (wie beispielsweise Marlon Bundo), Filmen (Mit Siebzehn, der ab 12 ist) und Serien (Love, Victor).

Große Bandbreite und doch willkürlich

Sprachlich passt das auch alles, ob nun für junge oder auch ältere Leute: Die auf Highlights beschränkten Kurzbiografien eignen sich als Erstkontakt mit den beschriebenen Personen und Themen vollkommen und laden hier und da zu einer Vertiefung an anderer Stelle ein und das nicht nur  bei Freddie Mercury oder David Bowie oder Kristen Stewart. Bei mancher mögen sie gar beinahe nötig sein, da die Verknappung auch zu einer Vereinfachung manch komplexer Menschen führt.

Bei allem, was den Band interessant macht, gibt es dennoch ein, zwei Dinge, die eine Nachfrage mit sich bringen oder kritisch festzustellen sind. Zum einen erschließt sich aus dem sehr positiven und kraftvollen Vorwort Arabelle Sicardis zwar, dass sie „Held*innen der LGBTQ*-Community ehren“ möchte, doch nach welchen Kriterien sie genau diese Held*innen ausgesucht ist, bleibt ihr Geheimnis. So betrachten wir eine zwar bunte, aber ebenso ein wenig beliebig wirkende Mischung. 

Nett ist, dass die verschiedensten Personen aus völlig unterschiedlichen Bereichen stattfinden und somit für jede*n etwas zur Identifikation dabei sein könnte. Doch es drängt sich auch die Frage auf, wieso manch andere fehlen. Wieso nicht auch die „neuen“ Queer-Eye-Fab-Five als Gruppe, die untereinander schon für so viel Verschiedenes und Mutiges stehen? Oder Megan Rapinoe? Oder Stephen Fry? Oder Little Richard und Elton John? Janet Mock oder Ryan Murphy? Olly Alexander? 

Oder wieso ist der Modedesigner Alexander Wang im Buch zu finden, aber kein Karl Lagerfeld oder Yves Saint Laurent oder Christian Dior? Einer hätte hier ja gereicht. Zumal die genannten Wege geebnet haben, die Wang, schon früh stark unter anderem von US-Vogue-Chefin Anna Wintour gefördert, eher als bereits getretene Pfade nutzte, statt seinerseits heldenhaft welche zu ebenen. Von den recht aktuellen #MeToo-Vorwürfen ganz zu schweigen, die allerdings zur Zeit der Herstellung von Queer Heroes noch nicht öffentlich geworden waren.

Alles ist politisch

Schön und wichtig sind in jedem Fall die abgebildete Diversität und dass in dem Band auch immer wieder Geschlechter- und Rassendiskriminierung thematisiert werden. Seien es zum Beispiel der sprichwörtliche Kampf der Geschlechter zwischen Tennisstar Billie Jean King und Bobby Riggs oder die Rede, die Josephine Baker 1963 beim Marsch auf Washington hielt, dessen offen schwulen Cheforganisator Bayard Rustin, dem erst posthum im Jahre 2013 durch Präsident Barack Obama durch die Verleihung der Presidential Medal of Freedom wirklich öffentliche Anerkennung zuteil wurde, ebenfalls im Buch gedacht wird. 

Auch Aids/HIV finden in verschiedenen Tonlagen ihren Weg ins Buch. Mal „einfach“ als Krankheit, dann als Politikum oder Grund für Engagement, so werden auch der inzwischen leider verstorbene Aktivist Larry Kramer und der Mit-Gründer der französischen Act Up-Bewegung, Didier Lestrade porträtiert. Ebenso wird die Nazidiktatur und Judenverfolgung erwähnt (verkörpert durch den Freiheits- und Widerstandskämpfer Willem Arondeus), natürlich auch der brutale Umgang mit LGBTQ*-Personen in so manchem Land. Das Buch kann auch hier als Türöffner zu anderen Themenkomplexen dienen. 

Mit Lili Elbe findet sich eine der ersten Trans*-Frauen und mit Jazz Jennings eine der einflussreichsten jungen Frauen, die sich aus ihrer eigenen Erfahrung für die Belange von Trans*-Jugendlichen engagiert ihren Platz in Queer Heroes. Das lässt darauf hoffen, dass ihre Bücher vielleicht bald einmal ebenfalls ins Deutsche übersetzt werden. Beim Punkt Übersetzung und „Titel“ kommen wir allerdings zum nächsten Kritikpunkt: Manche der Namen von Organisationen, Büchern und Filmen im Buch sind fett und kursiv, andere nur fett, manche gar nicht hervorgehoben und bei einigen wird es einfach für ein paar der kommenden Worte fortgesetzt. Das ist inkonsistent und seltsam.

Ebenso ist es bedauerlich, dass immer wieder kleine, aber gerade in einem Buch für jüngere Menschen ärgerliche, Rechtschreibfehler auftauchen. Am ehesten ins Auge fällt da das fälschlicherweise falsch geschriebene „fälschlicher Weise“ und einen Buchstaben zu viel gibt es auch immer mal zu finden. Da hätten Übersetzung und vor allem das deutschsprachige Lektorat besser nochmal drauf geschaut. Bei einer dritten Auflage wäre eine Überarbeitung auf jeden Fall wünschenswert, wenn nicht gar geboten.

Hilfe an der Hand

Ganz fantastisch ist hingegen, dass auch in der deutschen Version am Ende ein Glossar von A bis Z (oder eher T) zu finden ist. Aktivist*in, Binäres Geschlechtersystem, Heteronormativität, Intersexualität, Non-binary, Outing, Stonewall-Aufstände und Transsexualität und mehr Begriffe werden altersgerecht kurz erläutert. Oder auch altersunabhängig für jede Person, die sich hier thematisch erst einmal herantasten muss. Ebenso finden sich weitere Quellen und Anlaufstellen, was mehr als hilfreich für viele (heimliche) Leser*innen von Queer Heroes sein dürfte.

So bleibt ein engagiertes Buch, das für Jugendliche ganz wunderbar sein dürfte und optisch so ansprechend wie thematisch vielseitig ist. Die Fertigungsmängel der deutschen Ausgabe lassen sich leicht ausbessern und die inhaltlichen Mängel spielen für die angesprochene Zielgruppe erstmal keine Rolle. Insofern ist Queer Heroes ein feiner Band und sicherlich ein wertvolles Buch für viele junge Menschen.

Queer Heroes von Arabelle Sicardi

Arabelle Sicardi (Texte) und Sarah Tanat-Jones (Illustrationen): Queer Heroes. 53 LGBTQ*-Held*innen von Sappho bis Freddie Mercury und Ellen DeGeneres; 2. Auflage, 2020; Festeinband; 64 Seiten; 23,5 x 27,6 cm; durchgehend farbig illustriert; Übersetzung: Petra Koob-Pawis; ISBN: 978-3-7913-7437-6; Prestel Junior; 20,00 €

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