@realSaskia“Marge“Esken und ihre Farbenspiele

Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Reihe Parlamentarische Pause ≠ politische Pause. Wir werden in der sommerlichen Zeit weiterhin politische BĂŒcher besprechen, uns mit den Sommerinterviews von ARD und ZDF beschĂ€ftigen, selber Schwerpunktthemen setzen, Interviews fĂŒhren und uns einiges Spannendes einfallen lassen. Am Ende steht ein Fazit, wie wir den Sommer mit und fĂŒr euch erlebt haben.

Die SPD hat heute bewiesen, dass sie tatsĂ€chlich fĂŒr unvorhergesehene Schritte gut ist. Gestern hatte die Co-Parteivorsitzende Saskia Esken ihr Sommerinterview mit der ARD, aber zum heutigen Vorschlag fĂŒr die Kanzlerkandidatur – Finanzminister Olaf Scholz soll’s richten – verlor die Vorsitzende kein Wort, außer dass sich die Partei sehr bald dazu Ă€ußern werde. Und das galt selbst als Moderatorin Tina Hassel sie namentlich auf ihn ansprach. Nun gut, Scholz‘ Wahl kommt nicht unerwartet, aber hier soll es nun erst einmal primĂ€r um das Interview mit seiner Vorsitzenden sowie dem Facebook-Format Frag selbst gehen.

Farbenspiele als Erneuerung

Allerdings gibt es gar nicht so viel Neues zu berichten. Die meisten Kommentatoren machten heute mit der Info auf, dass sich die SPD nach der nĂ€chsten Wahl eine Koalition mit den GrĂŒnen und der Linkspartei auf Bundesebene vorstellen könne. „Progressives BĂŒndnis“ wird das genannt. In dieser Info steckt etwa so viel Neues, wie wenn die CDU-FĂŒhrung damit zitiert wĂŒrde, dass Familie wichtig sei (außer wenn es um queere LebensentwĂŒrfe oder Frauenförderung ginge, das wĂ€re tatsĂ€chlich neu) oder die FDP damit, dass mehr fĂŒr die Wirtschaft getan werden mĂŒsse.

Der Informationswert geht also gegen null. Was man höchstens fragen könnte, ist, ob die SPD sich dessen bewusst ist, welche Politik die Linkspartei verfolgt. In den Sommerinterviews der beiden Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger gab es hierzu sehr konkrete und nachdenklich stimmende Äußerungen. Vielleicht sollte die SPD hier noch einmal in sich gehen – zumal Parteivize Kevin KĂŒhnert noch vor kurzer Zeit tönte, dass Erneuerung nur in der Opposition möglich sei. Eine Koalition mit GrĂŒn und Dunkelrot wĂ€re aber natĂŒrlich das genaue Gegenteil. Aber die Zeit von Gerhard Schröder sei laut Eskens Aussage in Frag selbst in Bezug auf den demokratischen Sozialismus auch „die schlechteste Zeit“ gewesen.

@realSaskiaEsken

Auch um die umfangreichen TwitteraktivitĂ€ten der Vorsitzenden geht es. Esken sieht Twitter als ein Medium, das den Dialog zulasse. Stimmt, da ist sie ja auch recht aktiv, wie beispielsweise bei ihrem Tweet aus dem Mai zur relativ pauschalen Polizeigewalt hervorgeht. Sie versucht, diese Debatte ein StĂŒck weit einzufangen, den Vorwurf des „strukturellen Rassismus in der Polizei“ will sie aber nicht unmittelbar zurĂŒcknehmen.

Auf ihren Tweet vom letzten Wochenende angesprochen – Stichwort: Covidioten – rĂ€umt sie ein, dass solche Menschen schon ob der Wortwahl nicht zum Dialog eingeladen seien. Aber was ist Twitter denn dann? Eine Beschimpfungsplattform fĂŒr @realSaskiaEsken? Das fĂ€nde der potentielle Koalitionspartner Robert Habeck vermutlich nicht so schön, wenn man seinen Einlassungen in seiner Schrift „Wer wir sein könnten“ aus 2018 Glauben schenkt. Unsere Besprechung hierzu folgt demnĂ€chst. Außerdem: Wie wir bei Frag selbst erfahren, gendert Esken bei Beschimpfungen wie „Covidioten“ nicht. Das liegt aber dann an der maximal zulĂ€ssigen Twitter-Zeichenzahl. Aha!

Die Partei hat’s immer schlecht

Auf die nicht sehr hohe Zustimmung in der Bevölkerung und den eher schweren Stand in der Partei angesprochen entgegnet Esken, dass das „ein Stimmungsbild im Augenblick“ sei. Warum die aus sozialdemokratischer Sicht durchaus beachtlichen Leistungen der SPD-Ministerinnen und -Minister nicht besser öffentlich gewĂŒrdigt werden, kann jedoch auch sie nicht darlegen, auch wenn sie angibt, dass die Kommunikation mit der Parteibasis intensiviert worden sei. Naja, ihr Parteifreund Nils Heisterhagen, dessen Namen Esken nicht verstanden haben will (oder kennt sie ihn einfach nicht?), sieht das ein wenig anders, aber das sei mal dahingestellt.

Dennoch, die Frag selbst-Frage von Robert Lech, wann sie zurĂŒcktrete, „bevor noch mehr Schaden angerichtet wird“ ist doch etwas dreist, auch mit Blick auf die Parteifinanzen. Vermutlich unter anderem deshalb benennt Esken aber die Parteitage schon immer mit Monaten, bei so vielen Sonderausgaben in den letzten Jahren
 Mal sehen, wie viele davon Jason Rother, 14-jĂ€hriges SPD-Mitglied, besuchen können (und wollen) wird. Esken freut sich bei Frag selbst jedenfalls sehr ĂŒber sein Engagement in jungen Jahren und will neben dem Wahlrecht jetzt möglicherweise auch das Mindestalter fĂŒr die Parteimitgliedschaft absenken. Klar, die SPD muss MitgliedsbeitrĂ€ge jetzt auch auf Taschengeld erheben, um die nĂ€chsten Parteitage zu finanzieren.

Erste Ideen fĂŒr das Wahlprogramm?

Das Thema der Kanzlerkandidatur nimmt darĂŒber hinaus einiges an Zeit ein, aber darauf wollen wir nun mal nicht nĂ€her eingehen. Ihren Platz in einem Wahlkampfteam umreißt Esken aber nur grob, das mĂŒsse auch mit den Parteigremien noch abgestimmt werden; eine bedeutende Rolle will sie aber schon spielen.

Die SPD besinnt sich auf das altbewĂ€hrte Konzept der Troika zurĂŒck. // © Thomas Trutschel/Photothek

Angesichts der aktuellen konjunkturellen Lage fordert die SPD-Vorsitzende, quelle surprise, mehr soziale Gerechtigkeit. Dazu gehört natĂŒrlich auch gesellschaftliche Umverteilung, also eine Vermögenssteuer oder Ă€hnliches. Hassels Frage nach der Höhe der Vermögen, ab der dies greifen solle, beantwortet Esken nur abstrakt, indem sie auf den Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg verweist, aber keine Summen nennt. Nun gut, die SPD hat ja ein noch zu erarbeitendes Programm, in dem sie konkreter werden kann. DafĂŒr fordert Esken aber jetzt schon eine VerlĂ€ngerung des Kurzarbeitergelds. Nun gut, noch ist ja die Maximalbezugsdauer des bereits einmal verlĂ€ngerten Kurzarbeitergeldes nicht erreicht.

Ganz gute Figur bei Frag selbst

Beim interaktiven Format Frag selbst machte sich die SPD-Chefin tatsĂ€chlich recht gut, auch wenn wir gleich die zweite Zuschauerfrage nur schwer nachvollziehen können: woher Esken ihre „positive und lebensbejahende“ Ausstrahlung nehme. Uns ist sie bisher eigentlich eher als ihre Lieblingscomicfigur aufgefallen, der gerne etwas mĂŒrrischen Marge aus der Serie Die Simpsons. Wieso der von ihrer direkten AmtsvorgĂ€ngerin als Parteivorsitzende und frĂŒheren Arbeitsministerin Andrea Nahles eingefĂŒhrte Mindestlohn jedoch weit unter dem liegt, was sie fordert – zwölf Euro pro Stunde – wird nicht aufgeklĂ€rt.

Mit ihrer etwas gebrochenen Erwerbsbiografie geht Esken hingegen recht souverĂ€n um. Man erinnert sich dabei an den weniger souverĂ€nen Kanzlerkandidaten Martin Schulz vor drei Jahren. Dass Esken, die nach eigenem Bekunden auch in Gastro-Berufen gearbeitet habe, „nur“ die ĂŒblichen zehn Prozent Trinkgeld gibt, verwundert allerdings ein wenig. Wenn sie mit ihrer entsprechenden Vorerfahrung argumentiert, wĂ€re ein ĂŒber dem Durchschnitt liegender Betrag wohl doch angemessener. Angemessener wĂ€re es aber vielleicht auch, nicht von „Neo-Imperialismus“ zu sprechen, wenn US-amerikanische Senatoren sich fĂŒr Sanktionen wegen Nord-Stream 2 aussprechen.

Team- und begeisterungsfĂ€hige FĂŒhrung (gesucht)

Und ihren FĂŒhrungsstil in einem Wort als „teamfĂ€hig“ zu bezeichnen wirkt nach allem Bekunden aus dem Willy-Brandt-Haus und der Partei als guter oder auch weniger guter Aprilscherz. Sympathischer und realpolitisch angelehnt ist jedoch ihre ErklĂ€rung, warum sie trotz frĂŒherer Forderungen nach einem Tempolimit vor wenigen Monaten dagegen stimmte. Hier hat sie mit ihrer Gegenstimme nĂ€mlich tatsĂ€chlich TeamfĂ€higkeit bewiesen, nĂ€mlich damit, als Parteivorsitzende nicht gegen die Regierungskoalition zu stimmen.

Erich Cernowat2 jedenfalls findet, dass die SPD mal wieder eine begeisternde Idee brÀuchte. Er vermisst Perspektive und Begeisterung. Esken zeigt hier einige Ideen auf, zum Beispiel die demokratische Gestaltung der Digitalisierung. Nun gut, es wird zu sehen sein, ob und wie Kanzlerkandidat Scholz hier mit seinem Charme Perspektive und Begeisterung entwickeln kann.

HMS

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