Redaktionelle Schlangenlinie

Eine Unternehmensgründung ist nur selten leicht und immer ein Abenteuer. Das Risiko ist hoch und umso schöner ist es, wenn das Unterfangen gelingt. So geschehen im Fall des Greifswalder Magazins Katapult. Der Gründer der Zeitschrift, die sich auf Karten spezialisiert hat, Benjamin Fredrich, hat seine Erfahrungen in einem Buch festgehalten, das er als Roman deklariert. Das Buch Die Redaktion hat er im eigenen Katapult-Verlag, der in Folge der erfolgreichen Gründung das Magazin mittlerweile ergänzt, veröffentlicht.

Und der Roman hat bereits einiges an Aufmerksamkeit generiert. Das Online-Medienportal Übermedien hat mit Fredrich über sein Buch gesprochen und im April gab es hierzu eine nicht ganz so kleine Online-Auseinandersetzung. Wir haben den Roman bereits im März, bzw. Anfang April gelesen, mit unserer Besprechung nun aber die Debatte abgewartet, bevor wir unsere Eindrücke des Buches schildern. Und um dies vorab klarzustellen: Dieser Beitrag spiegelt allein die Meinung des Rezensenten wider und die Eindrücke der Lektüre sind unabhängig von der Bewertung von Übermedien oder Benjamin Fredrich, decken sich aber natürlich immer wieder mit der einen oder der anderen Perspektive.

Die Gründerzeit

Worum geht es in Die Redaktion? Wie eingangs beschrieben, zeichnet Fredrich die Gründung seines auf Karten spezialisierten Magazins in der ostdeutschen und -seeischen Provinz nach. Das geht von der ersten Idee, den ersten Anwerbeversuchen von Redakteurinnen und Redakteuren bis hin zur ersten Printausgabe, dem Onlineauftritt, einigen Umzügen mit seiner Redaktion bis hin zum ersten Messestand auf der Leipziger und später der Frankfurter Buchmesse. Viele erste Male also und viele Erfahrungen, die so manche Gründerinnen und Gründer machen dürften.

In all das webt Fredrich stets andere Eindrücke ein. Viele davon hängen mit der Gründung zusammen. Öffentliche Förderungen, Nominierungen für Preise, Interviews mit Journalisten, die über Katapult berichten wollen oder einfach „nur“ die Tatsache, dass das Salär von Fredrich und seinen Kolleginnen und Kollegen in der Anfangszeit nicht sehr üppig war und sie sogar Fördermittel aufteilten, um sich zusätzliche Redakteure leisten zu können. In diesem Sinne ist Die Redaktion also auf jeden Fall ein spannendes Buch, das die Geschichte einer Gründung nacherzählt, die nicht unbedingt von Beginn an als Erfolgsstory zu erwarten gewesen war.

Jenseits der Gründerzeit

Aber es sind eben auch einige Dinge dabei, die mit der Gründung unmittelbar nichts zu tun haben – oder zumindest so scheinen. Der als cholerisch dargestellte Nachbar, die Partyaktion, im Rahmen derer der Protagonist namens Benjamin Fredrich mit Freunden ein Polizeiauto über und über mit Aufklebern beklebt (also wirklich überall), der Disput mit einem Cabriofahrer, der ihm gefährlich nah kommt (ist in der Tat eine gefährliche Sache) oder die wiederholt notwendigen Umräumarbeiten, da der Roman-Fredrich eine Wohnung angemietet hat und als Redaktionsraum nutzt, aber die Vermieter eine Wohnungsbesichtigung durchführen wollen.

Viele Schilderungen schienen also erst einmal nicht unbedingt mit der eigentlichen Story zu tun zu haben. Das mag die erzählerische Freiheit eines Romanautoren sein, als Leser entsteht aber dennoch der Eindruck, dass die Story zwar ausgeschmückt ist, aber man auf manchen Nebenschauplatz auch verzichten könnte. Rein erzählerisch handelt es sich also nicht um ein Buch, das man auf den Long- oder Shortlists für die nächsten Buchpreisverleihungen erwarten dürfte oder sollte – worauf Roman-Fredrich ohnehin laut einer Aussage nach so mancher Erfahrung keinen Wert legt.

Gute, reale und fiktive Charakterzüge

Was Real-Fredrich aber durchaus gut und mit einer gehörigen Portion Selbstironie macht, ist, Charaktere zu zeichnen – vor allem sich selbst und sein engeres Umfeld aus Katapult und Greifswald. Dabei ist er in der Regel nicht kleinlich, meist unterhaltsam und manchmal auch relativ derb. Nicht zuletzt darum ging es in der erwähnten Debatte mit Übermedien. Einige Charaktere wollen sich laut Recherchen des Portals wiedererkannt haben. Dies wiederum erstaunt Fredrich, da so manche/r gar nicht existiere oder aus den Eigenschaften mehrerer real existierender Personen zusammengewürfelt sei.

Ob es Übermedien tatsächlich gelungen ist, die vermeintlich betroffenen Personen ausfindig zu machen oder nicht (einer der Hauptpunkte der Debatte), ist an dieser Stelle jenseits von deren Persönlichkeitsrechten gar nicht so relevant. Wichtiger ist vielmehr die Tatsache, dass es mit ein wenig Recherchearbeit wohl durchaus möglich ist, Rückschlüsse auf real existierende Personen zu ziehen oder zumindest begründete Vermutungen anzustellen. Die Fiktionalisierung Real-Fredrichs scheint also nicht so zu funktionieren, wie er das vermutet hatte. Oder sie führt zu falschen Schlüssen. Beides ist nicht gut und für mögliche Verletzungen hat er sich konsequenterweise zwischenzeitlich auch entschuldigt. Und die betreffenden Stellen will er in einer zweiten Auflage auch entsprechend entschärfen.

Dennoch zeigt sich an dieser Stelle deutlich die Gefahr, in die man sich begibt, wenn man ein solches Buch schreibt und es als „Roman“ deklariert. Bei der Lektüre verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion und als Leserin oder Leser wird einem in der Tat das Gefühl vermittelt, dass es sich mehr um eine Realitätsbeschreibung handelt denn um eine erdachte Geschichte bzw. Figur. Und an dieser Stelle müsste Real-Fredrich mit seinem Team tatsächlich nacharbeiten und hier die Grenzen klarer ziehen. Ein Beispiel, bei dem diese Gratwanderung gut gelungen ist, ist die Autofiktion Das achte Kind von Alem Grabovac, in dem dieser über seine Jugend zwischen prügelndem Stiefvater und heiler Welt in seiner Pflegefamilie mit latentem Altnazitum berichtet.

Was anhand des Buchs von Real-Fredrich aber deutlich wird – und seitens Übermedien nicht ganz zu Unrecht kritisiert wird – ist, dass er vieles wohl nicht zu Ende denkt. Ob es nun die auch nur geringe Wahrscheinlichkeit ist, auf Personen Rückschlüsse zu ziehen, die Zweckentfremdung einer Wohnung als Redaktionsraum oder die fehlende Steuererklärung, die noch schnell von der Mutter nachgeholt wird: Es drängt sich in der Tat der Eindruck auf, dass Real- und Roman-Fredrich im Zweifel „erst einmal machen“ und die Konsequenzen (Rückschlüsse auf Personen) oder Nebeneffekte (fehlende Steuererklärung) egal sind.

Führung und Verantwortung sind notwendig

Ja, Gründerinnen und Gründern in Deutschland wird es oft nicht leicht gemacht und vor allem die Bürokratie ist oft nervig, holprig und so ausgeprägt, dass die diversen zuständigen Behörden manches Mal nichts von den eigenen Kompetenzbereichen wissen (wollen). Sie hat aber doch meist (nicht immer!) irgendeinen Sinn und das als Firlefanz abzutun, wird der Situation oft nicht gerecht. Als Gründer/in muss man Prioritäten setzen und das tun Roman- und Real-Fredrich. Zu guter Unternehmensführung gehört aber auch, dass man sich Gedanken über die Konsequenzen des eigenen Handelns macht.

Führungskräfte müssen Entscheidungen treffen, diese vertreten und Verantwortung übernehmen, wie es Thomas de Maizière und Karl-Ludwig Kley in ihrem Buch Die Kunst guten Führens beschreiben. Ob es nun die Einstellung oder Entlassung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist, die redaktionelle Linie des Magazins oder eben auch die Details, die man als Autor eines Romans preisgibt, die Konsequenzen des eigenen Handelns müssen immer mit bedacht werden.

Eigene Maßstäbe müssen für einen selbst gelten

Dies gilt umso mehr, als Katapult mit großer Regelmäßigkeit auf Missstände hinweist, dabei in der Tat sehr erfolgreich und unterhaltsam ist und damit auch eine urdemokratische Aufgabe erfüllt. Zur Demokratie gehören aber eben auch Regeln, oft und gerne verunglimpft als „Bürokratie“. Wie bereits gesagt, auf vieles an Bürokratie könnte man als Gründer/in oder als Privatperson gerne verzichten. Aber regelmäßig die Nichteinhaltung von Regeln durch die Politik anzuprangern – nicht zuletzt durch das oft vereinfachende und dennoch plakative und persuasive Mittel Karte – und sich selbst nicht immer daran zu halten, indem man Steuererklärungen als unwichtig abtut, Förderbedingungen bei Fördermitteln nicht einhält (oder sie pauschal als überflüssig ansieht) oder Wohnraum zweckentfremdet (vor allem linke Parteien sollten an dieser Stelle hellhörig werden), geht halt auch nicht. Also geht schon, aber dann darf man sich nicht wundern, wenn einem Bigotterie vorgeworfen wird.

Im Großen und Ganzen bleibt von Die Redaktion also ein Buch, das einerseits schön und anschaulich die beschwerliche Gründungsgeschichte eines Nischenmagazins und -verlages beschreibt – und die Produkte von Katapult sind auch wirklich gut (das Buch 100 Karten über Sprache haben wir bereits besprochen, einige weitere werden wir in Zukunft noch vorstellen, sofern der Verlag nach diesem Beitrag noch mit uns zusammenarbeiten möchte). Allerdings scheint es, dass der Autor an mancher Stelle an der Aufgabe gescheitert ist, Realität und Fiktion sauber voneinander zu trennen. Rein erzählerisch ist es durchaus unterhaltsam, aber dennoch nicht gerade ein Meisterwerk. 

Wie wir aber ohnehin wissen, legt Roman- und vermutlich auch Real-Fredrich keinen allzu gesteigerten Wert auf Auszeichnungen. Wer sich daher über stark aneckende Unterhaltung hinaus noch gute literarische Unterhaltung wünscht, der ist mit Alem Grabovac und seinem erwähnten Buch Das achte Kind oder Ljuba Arnautovics Familiengeschichte Junischnee, die beide um fiktive Elemente angereichert sind, vermutlich besser bedient.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Benjamin Fredrich: Die Redaktion; mit zahlreichen Illustrationen von Andrea Köster; 248 Seiten; Hardcover mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-94892-303-7; Katapult Verlag; 18,00 €

Hinweis: Benjamin Friedrich stellt sein Buch am 12. Mai 2021 in einer digitalen Lesung des Literaturzentrums im Koeppenhaus, Greifswald, vor. Alle Infos dazu hier.

Zur ÜbermedienKatapult-Debatte hier die Links in chronologischer Reihenfolge:

I. https://uebermedien.de/58018/katapult-gruender-dichtet-kollegen-fiese-geschichten-an/

II. https://katapult-magazin.de/de/artikel/katapult-chef-ist-ein-undankbares-arschloch

III. https://uebermedien.de/59241/die-geschichte-einer-skandalgeschichte

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