Schattenkanzler, Deichgraf, Sonnenkönig, Duracell-Hase

Zum Bild oben: Rosa Himmel über einem Büroturm und dem Wöhrder See in Nürnberg. Diesem wird eine nicht unwichtige Rolle im (politischen) Leben der Figur Markus Söder und somit auch im Buch Söder zuteil. // Foto: © Asvolas/Kompostion: the little queer review

Es gibt ja sehr unterschiedliche Arten politischer Biografien oder Portraits. Einige von ihnen, vor allem vermeintlich autobiographisch geprägte Positionsbücher, lassen sich nach einer Wahl schon nicht mal mehr spenden, so abgelaufen sind sie. Andere überdauern dies, da sie zumindest inhaltlich einen interessanten, häufiger auch über eine Person oder einen Sachverhalt hinausgehenden, Ansatz und-oder Kontext bieten. Da wiederum gibt es jene Bücher, deren Autor:innen wirkliches Interesse am Thema haben und solche, die vor allem Interesse am eigenen geschriebenen Wort und der eigenen Großartigkeit haben. Im Gegensatz zu manch einem ihrer Kollegen gilt das für die Spiegel-Autorin Anna Clauß, laut Hoffmann und Campe Verlag Expertin für die CSU und Feminismus, nicht. In ihrem Buch Söder – Die Andere Biographie widmet sie sich aus Expertinnensicht ihren beiden Schwerpunkten und beleuchtet so ihr Beobachtungsobjekt Markus Söder. Das ist informativ, spaßig bis leicht nervenaufreibend und an keiner Stelle ein Ego-Trip (also der Autorin).

Söder: Person oder Politiker?

Zuerst einmal allerdings würde ich Söder eher mit „Das andere Porträt“ denn als Biographie beschreiben. Das Buch ist von Inhalt und Gestaltung näher an Evan Osnos’ Joe Biden als an Alfons Kaisers Karl Lagerfeld. So erfahren wir – sicherlich dankenswerterweise – mehr über den Ministerpräsidenten Bayerns, über die Vermittlung von Erfahrungen mit ihm und Anekdoten über ihn aus seiner politischen Zeit, denn detaillierte Schilderungen seines Verhaltens in der Grundschule oder ob er gern auf Bäume kletterte.

Gekonnt verwebt Clauß in ihrem Buch das aktuelle Geschehen und Wirken Söders mit biographischen Informationen seiner Vergangenheit, die zwar rar gesät, dann jedoch entsprechend wichtig für seine Entwicklung und sein Handeln waren. So erfahren wir, wieso Markus Söder tatsächlich völlig authentisch besorgt ist, wenn es um Corona geht und es von Beginn an war. Überhaupt, wieso ihm Krankheit und Tod große Sorge bereiten (kleiner Spoiler: es hat wie so oft auch mit den Eltern zu tun).

Es ist also nicht so, dass Anna Clauß in ihrem Portrait nicht frühe Erfahrungen Söders mit manch gegenwärtiger Eigenheit zu verbinden weiß. Wie erwähnt, sie verknüpft das alles sehr gekonnt, was dem knappen Buch nicht nur einen enormen Unterhaltungswert verleiht, sondern uns vor allem einen soliden Erkenntnisgewinn garantiert. Durchaus erfahren wir einiges über seinen Hintergrund, darüber, was ihn auch persönlich anfrisst und was für ihn notwendiger Luxus ist. Manches hilft die politische Person Söder zumindest ein wenig besser nachvollziehen zu können, anderes lässt ihn… nun, nicht direkt glänzen.

Söder: Pragmatischer Opportunist?

So geht Anna Clauß in ihrem Buch zwar nicht gerade sanft, aber immer fair mit Markus Söder um. Es finden sich wenig Stellen, an denen eine deutliche Kritik nicht mit einem gut zu nehmenden „Aber“ einhergeht, dies gilt vice versa für Lob. Wird mal wieder die kaum als unzutreffend abzuschüttelnde Kritik zitiert oder untermauert, dass Söder im Grunde über keine politischen Ideale verfüge, steht dieser Anmerkung beispielsweise die anerkennende Feststellung zur Seite, dass ihm dies einen Pragmatismus erlaube, der Dinge erledigt bekäme. 

Dass es natürlich ein schmaler Grat zwischen Pragmatismus und Opportunismus ist, macht die Einordnung gerade bei einer sich so inszenierenden und immer kontrollierenden Person wie Söder recht schwierig. Jedoch arbeitet Clauß in ihrem Buch anhand konkreter Beispiele und Begebenheiten heraus, dass es sich bei Söder ohnehin eher um einen Fluss als um einen Grat handelt, was uns Leser:innen gleichsam anerkennend nicken wie auch ein wenig resigniert mit den Schultern zucken lässt. Das ist auch faszinierend: Wie Söder sich häufig auch nach eingehender Analyse einer abschließenden Einordnung entzieht. Gerade gemessen an seiner Dauerpräsenz. 

Was wiederum bei einem immer wieder politisch Totgeglaubten, vor allem von nicht wenigen Totgewünschten, dennoch nachvollziehbar bleibt. Eines der Highlights auf den 175 Seiten ist ein Interview Clauß’ mit Söder über Game of Thrones, seine Verbindung zur Serie und was diese vielleicht mit der aktuellen realen Tagespolitik zu tun haben könnte, seine Zuneigung gegenüber den Starks (was er über Sansa sagt, ist schon ganz richtig, wenn wir ihren schwierigen sehr pubertär-blinden Einstieg beiseite lassen) oder ob der Ewige Winter eine Analogie zum Klimawandel sei („Diesen Transfer finde ich mutig.“). Allein dieses Gespräch macht das Buch lesenswert, verrät es doch, trotz oder gerade wegen manch knapper Antwort, mehr über Markus Söder, als irgendeine Pressekonferenz oder Berlin direkt-Schalte zu aktuellen Umfragewerten. 

Söder: Der mit dem Gespür?

Ein weiteres Gespräch mit Christa Stewens – „[…] eine der vielen blitzgescheiten CSU-Frauen, die immer schon überall dabei waren, es aber nie bis ganz an die Spitze geschafft haben.“ – eröffnet wieder einen neuen Blick auf Söder, der insbesondere für Leser:innen interessant sein dürfte, die ihn einfach nicht mögen können, aber annehmen, sich nun doch mit ihm arrangieren zu müssen. Zumindest einen gewissen Respekt angesichts der Disziplin dieses immerfort grob breitbeinig auftretenden Mannes fordert uns das Buch dann doch an nicht so wenigen Stellen ab.

Sein Hang zu Cola light und gleichzeitiger Abstand zu Alkohol. Aufstehen um halb sechs Uhr morgens – „spätestens“ – und Arbeit bis in den sehr späten Abend. Statt mit seinen Weggefährt:innen und Weggefährder:innen Dinge bei einem Abend- oder Arbeitsessen zu besprechen treibt er gemeinsam mit ihnen Sport. Mit Albert Füracker werden Radtouren am Wochenende gemacht, mit Dorothee Bär geht es zum Badminton und mit dem Bundestagsabgeordneten „Michael Frieser duelliert er sich gelegentlich auf dem Tennisplatz.“ Tennis ist überhaupt der Sport für Markus Söder, was neben Anna Clauß auch ihr Kollege Marc Hujer in seinen Einblicken in die Leidenschaften diverser Politiker erfahren durfte. 

Journalistin und Feministin: Anna Clauß // Foto: © Julia Rotter

Also diszipliniert und effizient? Von der Hand zu weisen ist es ja durchaus nicht, dass Söder dennoch etwas auf einen gewissen Anstand gibt und bei aller Fähigkeit der Aneignung von Themen ein gutes Gespür für diese und eben somit auch das Notwendige hat. Seien es der Internetausbau, der Artenschutz, die Afrikapolitik, die Wasserstoffförderung, das Raumfahrt“programm“ Bavaria One „2.0“ und Geschlechtergerechtigkeit: Das sind nun keine Themen, die als lediglich gut für Überschriften abgetan werden können. Da macht sich der Fluss von Pragmatismus und Opportunismus doch recht gut, möchte man meinen.

So stellen wir auch fest, dass Söder zwar häufig recht entsetzlich mit Menschen umgeht, hier nicht nur mit Frauen, einfach, generell. Was wiederum nicht aus Bosheit, sondern eher aus praktischen Gründen der Fall ist. Bezeichnend ist hier eine im Buch beschriebene Veranstaltung, auf der er eigentlich neben der damaligen „Kandidatin seiner Partei für das höchste Amt im Münchner Rathaus“, Kristina Frank, wirken sollte. Stattdessen wirkte er über sie, machte sie zum Beiwerk, jedoch nicht, wie den ebenfalls anwesenden Markus Blume und andere zum Ziel seiner Pointen oder schlicht Sticheleien. Immerhin, irgendwie. Dennoch: In der Darstellung ist Markus Söder die Nummer eins, es folgen Pults, Mikrofone, Kameras, Hunde und dann die ihn umgebenden Personen. Und Tassen.

Söder: Kanzler oder König?

Nun können sich geneigte Leser:innen nach der genüsslichen Lektüre – es liest sich wirklich fantastisch, wunderbar fließend, ohne dass unsere Aufmerksamkeit schwinden würde –  von Söder die berechtigte Frage stellen, ob wir bei Söder nicht einfach augenscheinlicher mitbekommen, wie sehr er sich inszeniert und vor allem anderen die Show stiehlt. Sagen wir mal Friedrich Merz ist nun auch kein empathiegeleitetes Wesen, das an mangelnden Umgangsformen und Respekt zu zerbrechen droht. Immerhin aber ist er gut zu Frauen, sonst hätte ihn seine ja nicht vor vierzig Jahren geheiratet und Töchter mit ihm bekommen, is ja klar. Apropos Merz: Wie Anna Clauß den immerzu nur durch die Schuld der anderen Scheiternden hier in einem kurzen Satz wunderbar als „beleidigte Diva“ entlarvt und Söder als jemanden beschreibt, der Rückschläge und Kritik demgegenüber immer genutzt habe, um gestärkt daraus hervorzugehen – sehr fein. 

Hier stellen wir dank der Lektüre auch noch einmal ganz wunderbar fest, wie nah sich Angela Merkel und Markus Söder nicht nur in diesem Punkt sind. So lässt sich auch Söder die Anpassung seiner Politik an den Willen der Bevölkerung, einer Ausrichtung an der Realität, wie er es im Buch nennt, nicht vorwerfen. Viel eher mache ihn das zu einem lernfähigen Demokraten. Ein ständiges gegen die Bevölkerung Handeln hingegen definiere einen autoritären Politiker. Solche Aussagen könnten in der Tat ebenso von Kanzlerin Merkel stammen. Und es deckt sich auch mit den Aussagen Thomas de Maizières in seiner jüngsten Veröffentlichung zur Führung in der Politik.

Söder stellt an einigen Stellen durchaus deutlich heraus, dass der Mann im gesamten nicht wenige Eigenschaften in sich vereint, die ihn zumindest „kanzlertauglich“ erscheinen und womöglich gar sein lassen. Witzigerweise beschreibt Clauß zum Ende noch einmal, wie oft es über ihn hieß, er müsse verhindert werden, könne dies oder jenes nicht und würde scheitern; gerade daher sei nun mit ihm zu rechnen. Gleiches machen viele – journalistische – Beobachter:innen (und auch er selber) über Armin Laschet aus: Der immer Unterschätzte, der es dann doch irgendwie irgendwann immer wurde. 

Söder: Absolut Lesenswert.

Wir werden sehen. Definitiv aber lohnt sich Söder, völlig gleich, ob er Kanzlerkandidat wird oder nicht oder doch Ministerpräsident auf Lebenszeit und Prinzregent Luitpold der bayerischen Herzen oder sonst was sein wird. Das Buch von Anna Clauß steht für die Kategorie von Politbüchern, die die beschriebene Person überdauern werden, da sie uns neben einem hohen Unterhaltungswert und pointierten Analysen tiefe Einblicke ins Menschliche und das politische Geschäft bietet. 

Ach so: Anna Clauß stellt gemeinsam mit Patricia Riekel am 3.3.2021 Söder digital über das Literaturhaus München vor.

Anna Clauß: Söder – Die andere Biographie; 2. Auflage, Februar 2021; 176 Seiten; Hardcover mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-455-01155-5; Hoffmann und Campe Verlag; 20,00 €

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