Schuhe zu groß? – Dann den Hut nehmen!

Die Lage in Afghanistan ist dramatisch. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl zeigt sich in der Fehleinschätzung der Bundesregierung ein Totalausfall. Federführend verantwortlich: Bundesaußenminister Heiko Maas. Ein Kommentar.

Schuhe gelten vor allem im arabischen Raum als schwieriges Symbol. Ein Iraker warf einst bei einer Pressekonferenz einen Schuh nach dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush und verursachte damit einiges an Aufheben.

Kollektives Führungsversagen

Nicht allzu weit vom Irak entfernt hat sich die Lage in Afghanistan nun rapide verschlechtert. Die Taliban haben das Land eingenommen und keiner will sich den Schuh anziehen. Dabei ist das, was wir dort sehen – hier einmal nur aus deutscher Perspektive – ein kollektives Führungsversagen der Bundesregierung und aller drei an ihr beteiligten Parteien von CDU, CSU und SPD, leider lässt es sich nicht anders sagen. Wir wollen versuchen, dies einmal ein wenig einzuordnen.

Drei Ressorts und die zuständigen Minister beziehungsweise Ministerin haben sich hier leider besonders unglücklich hervorgetan und alle drei greifen leider ineinander. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer muss den sehr hastigen Abzug verantworten, auch wenn sie hier von immer neuen und kürzeren Fristen seitens der NATO-Partner – vor allem der USA – selbst in ihrem Handlungsspielraum nur sehr eingeschränkt agieren konnte.

Die Einsatz- und vor allem Abzugsplanung war immer schwierig und ist bestimmt nicht optimal gelaufen – vor allem die Situation der afghanischen Ortskräfte hätte viel früher und vor allem wohlwollender thematisiert werden müssen (siehe unseren letzten Kommentar dazu vom 9. Juni) – aber aus deutscher verteidigungspolitischer Sicht ist ihr und ihrem Haus wohl noch am wenigsten vorzuwerfen.

„2015 darf sich nicht wiederholen“

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ist zuständig für die innenpolitische Komponente, die vor allem das Asylrecht betrifft. Wir erinnern uns an 2015 und die Nachwehen, Sätze wie „2015 darf sich nicht wiederholen“ kursieren seit Tagen und besonders heute in mehr oder weniger sozialen Medien. Aber auch hier geht es zu allererst um die Ortskräfte, die Deutschland vor Ort unterstützten. Ausgerechnet der frühere bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende, der immer Fundamentalopposition in der Regierung spielte dürfte nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass tausende Männer und Frauen heute noch in Afghanistan feststecken.

Ja, 2015 sollte sich vor allem in puncto Kontrollverlust nicht wiederholen, aber die Augen vor dem zu verschließen, was in Afghanistan bevorstand, hat uns erst in die Situation gebracht, wie wir sie heute erleben. Klar, wer wenn nicht die CDU/CSU wollte im Wahlkampf eine neue Flüchtlingsdebatte vermeiden (Katja Bauer und Maria Fiedler arbeiten in Die Methode AfD sehr schön heraus, wie die rechtspopulistische Partei von diesem Thema lebt), aber den Preis zahlen wir jetzt – oder vielmehr die Afghaninnen und Afghanen, die in ihrem Land festsitzen. Horst Seehofer hätte viel früher schnellere Visaprozesse in die Wege leiten müssen und es ist sein Verschulden, beziehungsweise das seines Hauses, dass dies nicht geschehen ist.

Totalausfall im Auswärtigen Amt

Allerdings, und das darf auf keinen Fall vergessen werden, stützt sich das Innenministerium bei seinen Asylverfahren auf die Einschätzungen des Auswärtigen Amts, also des Ressorts von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Bis letzte Woche hielt sein Haus daran fest, dass die Lage zumindest in Teilen Afghanistans nicht so schlimm sei – noch nicht. Sogar Abschiebungen waren noch möglich.

Binnen einer Woche hat sich dieses Bild nun völlig gedreht. Das Auswärtige Amt hat seine Einschätzung revidiert und das deutsche Botschaftspersonal war unter den ersten, die evakuiert werden sollten. Diese grandiose Fehleinschätzung der Diplomatinnen und Diplomaten kostet aber nun möglicherweise tausende Männer und Frauen das Leben oder macht sie im „besten“ Fall „nur“ zu Gefangenen eines islamistischen Emirats. Jenseits der Queers, die vermutlich nun noch weit mehr leiden dürften als ohnehin schon, sind damit das Leben und/oder die Freiheit von Millionen Menschen am Hindukusch erst einmal Geschichte.

Stattdessen stellte sich Heiko Maas letzte Woche noch vor die Kameras und sagte, dass es nicht einen Cent Entwicklungshilfe für ein Taliban-Regime geben würde (die Linke wäre hier übrigens nicht so rigoros – pfui!). Jenseits der Tatsache, dass das a) selbstverständlich sein sollte, liegt dies b) gar nicht in seiner Kompetenz, denn die Entwicklungshilfe wird über das Bundesentwicklungsministerium von Gerd Müller (CSU) abgewickelt und c) war diese Aussage nur eine Nebelkerze, um von den eigenen Fehlern abzulenken.

Die Schuhe sind zu groß – dann den Hut nehmen

Rolf Mützenich, SPD-Fraktionsvorsitzender – früher war er Außenpolitiker und hat sich bereits Ende 2020 mit seinen (ebenfalls eine Entscheidung verschleppenden) Aussagen zur Anschaffung bewaffneter Drohnen disqualifiziert – sagte heute Morgen im Deutschlandfunk, dass Heiko Maas hier nicht die Schuld in die Schuhe geschoben werden dürfe, dass dies perfide sei. Gerade in dem Zusammenhang übrigens eine mindestens unsensible Wortwahl. Doch, das soll und muss sie, denn von der Fehleinschätzung seines Hauses hingen alle weiteren national beeinflussbaren Prozesse in der Bundesregierung ab. Seehofer, Kramp-Karrenbauer und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel tragen eine Mitverantwortung, aber die Hauptschuld liegt eindeutig bei dem SPD-geführten Haus.

Eine solche Fehleinschätzung, die Millionen Menschen in Afghanistan das Leben und/oder die Freiheit kostet, kann nach der Evakuation von so vielen Menschen wie möglich eigentlich mit nichts anderem als einem Rücktritt des Ministers enden. Die Schuhe eines Frank-Walter Steinmeier oder Hans-Dietrich Genscher waren offenbar zu groß für ihn, ja nicht einmal Guido Westerwelles Enthaltung zur Libyen-Frage war so fatal für die deutsche Außenpolitik (zumal diese im Kontext der damaligen politischen Realitäten einzuordnen ist). Anders als Mützenich sagt, doch, Heiko Maas muss sich diesen Schuh anziehen und seinen Hut nehmen.

HMS

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