Spoilerwarnung: Jesus stirbt

„Was wissen wir über Jesus?“ diese Frage wird uns auf dem Buchrücken des C.H. Beck-Wissen Büchleins Jesus – Leben und Wirkung von Jens Schröter, Professor für Neues Testament und antike christliche Apokryphen an der Humboldt-Universität zu Berlin, gestellt, nur um sie prompt sinngemäß mit „eigentlich gar nicht so wenig“ zu beantworten. Die Frage bezieht sich auf wenigstens einigermaßen gesicherte Erkenntnisse aufgrund von historischer und archäologischer Forschung. Und in der Tat zeigt Schröter in dem Büchlein auf, dass wir das Leben und Wirken Jesu tatsächlich recht gut nachvollziehen können.

Eine historisch-kritische Auseinandersetzung

Schröter geht in seiner Arbeit historisch-kritisch und sehr analytisch vor. So hält er sich auch eng an seine eigene Maßgabe aus der Einleitung, in der er schreibt, dass derlei „Jesusdarstellungen der Interpretation der Vergangenheit ebenso verpflichtet sind wie ihrer eigenen Gegenwart“ und deshalb im Laufe der Zeit immer wieder anders aussähen. So komme es, dass jüngere Interpretationen mehr auf „soziale und politische Konstellationen in den Regionen des Wirkens Jesu“ eingingen und vermehrt „Kenntnisse über das vielfältige Judentum zur Zeit Jesu“ berücksichtigten. Ebenso flössen „Einsichten aus der Erzählforschung in die Interpretationen der Evangelien ein.“ In diesem Kontext sei seine Darstellung zu verstehen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder „gar noch auf ‚historische Wahrheit‘“ zu erheben. 

Diesem Anspruch wird Jens Schröter in den sieben Kapiteln von Jesus allemal gerecht. Nach dieser Einleitung geht es im ersten Kapitel in eine zwar kompakte aber gehaltvolle Quellenkunde, sowohl biblischer als auch außerbiblischer Quellen. Bei den christlichen Quellen sind bereits hier große Unterschiede in der Darstellung und Interpretation vom Wirken Jesu zwischen den synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus und Lukas) und dem Johannesevangelium zu erkennen, auf welche Schröter auch immer wider zu sprechen kommen wird, was hochinteressant ist. Zu den interessanten außerbliblischen Quellen gehören sicherlich Der Jüdische Krieg und Jüdische Altertümer von Flavius Josephus. Zusätzlich vermitteln die griechisch-römischen Texte einen spannenden Eindruck von der damaligen Zeit.

Die Zeit verstehen

Fortgesetzt wird die Einführung zu einem besseren Verständnis der damaligen Lebensumstände und politisch-religiösen Verknüpfungen im dritten Kapitel Der geschichtliche Kontext. Ein knapp 20-seitiger Sprint durch Regionen, Lebens- und Herrschaftsverhältnisse, wirtschaftliche Gegebenheiten und geografische Anordnungen. Hier wird auch noch einmal erläutert, wieso Bethlehem als Geburtsort Jesu schlicht nicht Fakt, sondern Mythos ist. Ebenso lässt uns das Kapitel schmunzeln, wenn es um Zensus und Umzugsstress geht. Gelernt und gelacht, das ist fein.

Mit dem vierten Kapitel Grundzüge des Wirken Jesu kommen wir dann, wenn man so will, zum Wesentlichen, wie der ersten Begegnung von Jesus mit Johannes dem Täufer, deren gemeinsamer und dann mehr oder minder sich unterscheidender Agenda. Nicht nur in diesem Kapitel schafft Jens Schröter es geradlinig fortzufahren und dabei doch gedankliche Sprünge vor und zurück zu machen und Querverweise (beispielsweise unterschiedliche Interpretationen des Taufens bzw. Der Täufergeschichte) einzubinden. Den Faden verliert er dabei nie und somit auch die Leser*innen nicht.

So ausführlich wie möglich geht Schröter in dem Kapitel auf die durchaus selbstbewusste Art der Machtausübung von Jesus ein und beschreibt Jesus’ Auslegung der Tora als für diesen so selbstverständlich wie für viele andere Juden irritierend und problematisch. Relevant ist auch, dass der HU-Professor sich nicht dazu verleiten lässt, eine simple „die Juden sind an allem schuld“ Interpretation heranzuziehen, sondern immer der kritischen Auseinandersetzung mit den Quellen verpflichtet bleibt.

Ein pragmatischer Tod

Die Erneuerung Israels ist das fünfte Kapitel, das uns den Zwölferkreis und die Nachfolgegemeinschaft nahebringt, seine Gegner charakterisiert und durchaus auch die Absolutheit des Wirkens Jesu nachzeichnet (Radikale Alternative: Akzeptanz oder Ablehnung). So zugänglich w17ie neu waren für den Rezensenten die Erläuterungen zum Selbstverständnis Jesu und den Deutungen seiner Person. Hier werden die Herkunft, Überlieferung und damalige wie heutige Interpretation der Bezeichnungen „Der Sohn des Menschen“, „Christus“ und „Sohn Gottes“ erläutert.

Das sechste Kapitel ist dann quasi Finale: Die Passionsereignisse und der Tod in Jerusalem. Auch hier werden wieder deutliche Unterschiede zwischen den Synoptikern und dem Johannesevangelium deutlich, so zum Beispiel bei der zeitlichen Einordnung des letzten Abendmahls und des Tages der Kreuzigung von Jesus. Dem voran steht die als sicher geltende Erkenntnis, dass Jesus nicht, wie in der Bibel zu lesen ist, nur einmal, sondern sicherlich mehrmals in Jerusalem gewesen sein dürfte. Jens Schröter macht hier außerdem erneut klar, dass Jesus Motivation keine politische gewesen ist und es fällt der beinahe zeitlose Satz: „Der Tempelplatz war zur Zeit Jesu ein politisch brisanter Ort […]“ (S. 108).

Wirklich angetan war der Autor dieser Zeilen davon, wie Schröter die Zeit in Jerusalem in den politischen Kontext der damaligen Zeit setzt. Auch wenn Jesus nicht politisch wirken wollte, so wurde sein Wirken eben doch politisch wahrgenommen und analysiert. So könne angenommen werden, dass Judas den Verrat auch beging, eben weil Jesus ihm zu unpolitisch war und letztlich starb, weil andere ganz pragmatisch wiederum den politischen Unruhestifter weghaben wollten (vgl. S. 114).

Auch Nichtgläubige werden Jesus schätzen

Im siebten und letzten Kapitel Jesus und die Entstehung des christlichen Glaubens ist der Titel programmatisch. Schröter beschreibt aufgrund der Sorge um Jesus’ durch seinen Tod möglicherweise widerlegtes Wirken fassbar die Notwendigkeit einer mythologisierten Ostererfahrung und beständigen Anreicherung der Erzählungen, so unter anderem im Johannesevangelium (vgl. S. 119 ff.). Am Schluss steht der Satz, dass die christliche Bibel Alten und Neuen Testaments mit ihrer neuen Interpretation der Schriften Israels und des Judentums letztlich im Wirken Jesu begründet liegen. Es fällt dem Autor gerade schwer nicht „Wer hat’s erfunden?“ zu schreiben.

Für die konzentrierte Lektüre des Büchleins ist es sicherlich von Vorteil, schon einmal einen etwas eingehenderen Blick in die Bibel geworfen zu haben, und wenn das nicht, dann wenigstens aber die Highlights zu kennen. Es darf allerdings wohl vermutet werden, dass diese historische Kurzbiografie nicht als Spontankauf sonst desinteressierter Personen im Netto an der Kasse erworben werden dürfte.

In seinem Büchlein schafft Jens Schröter es, den Leser*innen wie von ihm angesetzt auf Grundlage des aktuellen Forschungsstandes einen guten Eindruck über Leben und Wirken Jesu zu vermitteln. Das Buch dürfte aufgrund seiner analytischen und sachlichen Herangehensweise, der Untersuchung von Widersprüchen und der Einordnung in einen gesamtgeschichtlichen Kontext ohne eine subjektive konfessionelle Bewertung des Autors auch für nichtchristliche, nichtgläubige und vor allem historisch interessierte Rezipient*innen lesenswert sein.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Jens Schröter: Jesus – Leben und Wirkung; 1. Auflage, August 2020; 128 Seiten, mit 6 Abbildungen und 4 Karten; Softcover; ISBN: 978-3-406-75601-6; C.H. Beck Verlag; 9,95 €; auch als eBook erhältlich (7,49 €)

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