Trau immer deinem Instinkt

Unsichtbarer Schmerz ist eine vertrackte Angelegenheit: Nach außen sieht alles fein aus, die betroffene Person selbst aber leidet. Tut sie das kund, heißt es auch gern, das müsse psychosomatisch sein oder, noch besser: „Hab dich mal nicht so, siehst doch gesund aus.“ Mit so einem Schmerzphänomen sieht sich auch Kriminaloberkommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski, Loving Her) im neuen Dresdner Tatort: Unsichtbar konfrontiert. Ähnliche Symptome zeigte die kurz zuvor unter ungeklärten Umständen verstorbene Anna Schneider (Milena Tscharntke).

Eine Tote macht noch keinen Mord

Einfach auf der Straße abgeklappt und tot, Herzstillstand, heißt es da für Gorniak und KOK Leonie Winkler (Cornelia Gröschel). Doch ganz so einfach ist es nicht, Annas Kollegin Ronja (Lili Zahavi) berichtet von unerträglichen Schmerzen unter denen Anna litt und einem Stalker, der ihr seit Eingier Zeit das Leben zur Hölle machte. Doch der neue Gerichtsmediziner Jonathan Himpe (Hallo, Ron Helbig) findet, sehr zum Ärger von Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach), erst einmal keine Anhaltspunkte für eine Vergiftung. 

Anna Schneider (Milena Tscharntke) ist auf offener Straße tot zusammengebrochen, Leo Winkler (Cornelia Gröschel, li.) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) vermuten Mord // © MDR/MadeFor/Hardy Spitz

Gorniak, die bei sich ähnliche Schmerzen feststellt und auch ominöse anonyme Nachrichten erhält, handelt 48 Stunden raus, um sich die Sache genauer ansehen zu können. Zuvor hatten sie und Winkler einen Fall durch ihren Instinkt gelöst, diese Karte spielt sie nun aus. Im Zuge der Ermittlungen werden sie auf Schneiders Ex-Freund, Nils Klotsche (Christian Friedel, ja, genau, Elser) aufmerksam, der als technischer Assistent in einem medizinischen Labor arbeitet. Dort forscht er mit der Wissenschaftlerin Martha Marczynski (die wunderbare Anna Maria Mühe) an der Entwicklung von Nanobots für die Krebsforschung. 

Marcynski aber bezweifelt, dass Klotsche, was Charakter aber auch Kompetenz angeht, in der Lage wäre, so ein Verbrechen zu begehen. Das ist natürlich doof, zumal Gorniak die Zeit davonläuft: Die Schmerzen nehmen zu, ebenso die Nachrichten des Stalkers, die sie scheinbar mit ihrer Vergangenheit konfrontieren… Außerdem hat sie mit Stress mit Sohn Aaron (Alessandro Schuster), weil auf einem Konflikt kannste nicht stehen.

Martha Marczynski (Anna Maria Mühe) versucht ihren Kollegen Nils Klotsche (Christian Friedel) zu trösten nachdem sie vom Tod seiner Exfreundin erfahren hat // © MDR/MadeFor/Hardy Spitz

Verschachtelt und zielstrebig

Viel Handlung, aber es ist auch recht verschachtelt in dieser Dresden-Folge; ein, zwei weitere Nebenhandlungen und vielleicht falsche Fährten haben wir ausgespart. Fein dabei ist, dass der von Sebastian Marka ruhig, aber nicht getragen inszenierte Tatort: Unsichtbar zu keiner Zeit den Faden verliert. Das Drehbuch von Michael Comtesse scheint von Anfang an zu wissen, wo es hingehen soll und welche Seitenstraßen in der Dresdner Neustadt und darüber hinaus genommen werden können.

Dazu gehören natürlich auch die kleinen Mätzchen, die für Kommissariatsleiter Schneider beinahe obligatorisch sind, etwa wenn er über den neuen Gerichtsmediziner Himpe, der einen feinen Einstand hat, lästert, was der hier überhaupt wolle und zu Gorniak meint, er möge ihn nicht und diese trocken erwidert: „Wen mögen Sie denn überhaupt?“ Zuvor hat Himpe Schneider beim finanziellen Go für weitere Tests am Leichnam Schneider ein wenig auflaufen lassen. Eine feine Szene, die die dringlich ernste Stimmung etwas auflockert.

Stimmungsvoll und ein Manko

Und stimmungsvoll ist der Tatort in jedem Fall. Seien es die familiären Momente mit Gorniak und ihrem Sohn; die Sorge Leonie Winklers um ihre Kollegin, später auch die des Chefs, der wie immer alles zuletzt erfährt; das bedrohliche Gefühl, beobachtet zu werden und so weiter und so fort. Der Tatort Dresden wird da mittlerweile zu einem unserer Lieblinge. Zwar war Rettung so nah zuletzt ein wenig lala, dafür aber waren Parasomnia und Die Zeit ist gekommen nahezu formvollendetes Spannungsdrama.

So vermengen sich auch in Unsichtbar gleich auf mehreren Ebenen Spannung und Drama, denn der Titel bezieht sich nicht nur auf den unsichtbaren Schmerz, sondern natürlich auch auf den Stalker, letztlich gar auf das Motiv. Auch kommt Gorniak – mal wieder – in akute Lebensgefahr, also nicht nur der Schmerzen und des vermeintlichen Gifts wegen, sondern nochmal mehr. Da allerdings hängt der Film kurz, denn dass sie sich überhaupt nochmals zu dem Treffen hinreißen lässt, welches sie in die erweiterte lebensbedrohliche Situation bringen wird, ist unlogisch, da das Team hier bereits weiß, wen es jagen muss und auch Beweise hat. Das aber lässt sich für ein stark gespieltes Finale durchaus verkraften. 

Aaron (Alessandro Schuster) am Krankenhausbett seiner Mutter Karin Gorniak (Karin Hanczewski) // © MDR/MadeFor/Hardy Spitz

Wutraum statt Yoga

So tritt das Wer-war’s in der zweiten Hälfte in den Hintergrund und es wird ein „Wie kriegen wir die Person?“ daraus. Geneigte Zuschauer*innen dürften ohnehin von Beginn an eine große Ahnung oder zumindest einen 50/50-Gedanken haben. Wie das eben so ist, wenn zwei sehr prominente Namen die Episodenhauptrollen tragen. 

Das jedoch trübt die Freude nicht, unter anderem aus oben genannten Gründen und dank dem wirklich guten Spiel aller Beteiligter und einer Auflösung, die zwar ein wenig melodramatisch, aber im Storykontext passend und schlüssig hergeleitet ist, sichert der Tatort: Unsichtbar spannende und unterhaltsame Krimi-Kost mit einem gewissen Extra. Und Wutraum statt Yoga ist auch cool.

AS

PS: Gorniak! Nicht verschiedenen Schmerzmittel durcheinander nehmen. So findest du auch nicht raus, welches hilft. Tse, tse, tse.

PPS: Der erste Gedanke war, womöglich wurde Anna Schneider wegen der dämlichen Spruchkarten und des schlechten Buchgeschmacks ausgesucht? War falsch.

PPPS (und Spoiler-Alert): Regen wir uns über das Klischee „Gift, also muss es eine Frau sein“ auf? Nicht allzu sehr, dafür ist das Gift immerhin ausgeklügelt und nicht eingekauft. 

Tatort: Unsichtbar läuft am 17. Oktober um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Unsichtbar; Deutschland 2020/2021; Regie: Sebastian Marka; Drehbuch: Michael Comtesse; Musik: Thomas Mehlhorn; Darsteller: Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel, Martin Brambach, Ron Helbig, Alessandro Schuster, Milena Tscharntke, Anna Maria Mühe, Christian Friedel, Matthias Lier, Swetlana Schönfeld, Beat Marti, Lili Zahavi, Benjamin Martin; Laufzeit: ca. 88 Minuten; Eine Produktion der MadeFor im Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks für Das Erste.

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert