über mein actout

Von Daniel Noël Fleischmann, Berlin 14.2.2021

ich bin dem hass gegen homosexualität zum ersten mal bereits in der grundschule begegnet.

ein mitschüler – ein kind im alter von vielleicht sieben jahren – erklärte mir, dass ich so wie ich dasitze, nämlich mit überkreuzten beinen, schwul sei. ich hatte damals zwar noch keine ahnung, was das bedeutete, aber so wie der junge das aussprach – kind seiner eltern, erzogen von seiner umgebung, whatever – musste es sich um etwas lepraähnliches handeln.

in der vierten klasse spielten wir alle im schultheater spielzeuge, die zum leben erwachen. irgendwie kamen wir auf die idee, ich könne die barbie übernehmen – bekam sogar eine perücke und einen alten rock meiner lehrerin. das machte mir unfassbar viel spaß, weil ich so etwas noch nie ausprobiert hatte. doch außerhalb der theaterblase wurde genau das dann verhöhnt und beschimpft. mit meiner theaterfamilie dagegen konnte ich das feiern und mich drüber freuen. ich denke, deshalb liebe ich das theater bis heute so sehr: weil es einem schutz bietet und nicht verurteilt fürs ausprobieren und erforschen des eigenen lebens.

bei der aufführung wurde die barbie-figur dann übrigens wiederum sehr gefeiert – ich glaube, da wurde mir der ambivalente umgang meiner außenwelt mit mir zum ersten mal bewusst.

als unterhaltung „in sicherheit“ gefällt es ihnen, aber nicht im alltag. der verkleidete typ auf der bühne ist zum schreien – in der straßenbahn ist er ein freak. als bester-freund-typ in der serie ist er so süß – als grundschullehrer möchte er meinen sohn essen.

sie mögen nicht, dass ich das lebe, weil – ja, warum? weil sie es selber nicht dürfen? bzw. denken es gäbe diese verbote wirklich? oder weil sie blind und unbewusst solchen “männlichen, heterosexuellen” regeln gehorchen? auf jeden fall war mir diese abspaltung seit diesem zeitpunkt schon bewusst. ich bekam sie in der dritten klasse dahingehend zum ersten mal zu spüren: dir gefällt etwas, was uns nicht gefällt. etwas stimmt nicht mit dir. sei vorsichtig wie du sitzt, was du anziehst, wie du dich bewegst und sprichst.

im gymnasium wurde das noch viel schlimmer. vor allem in der unterstufe, wo sexualität ja DAS THEMA der meisten ist und erstaunlich viele versuchen, da auf einen gemeinsamen nenner zu kommen. für mich hieß das erneut: unfreiwillig nicht zur anerkannten masse gehören. ich laufe schwul, ich spreche schwul, ich mach schwule sachen, alles wurde als schwul bewertet – und genau dieses wort wurde als ersatz für bezeichnungen wie „beschissen, behindert, scheisse, schlecht, nervig, abstoßend“ etc. verwendet.

ich flüchtete mich schnell wieder in eine theaterfamilie, ging ab der sechsten klasse einfach ins mittelstufentheater und siehe da: offene arme – immer. das theater schien regelrecht lust auf meine art und weise zu haben, mit der welt umzugehen und mich in ihr zurechtzufinden.

außerhalb wurde es aber immer schlimmer: meine kleidung ist schwul, theater ist schwul, schminken ist schwul, wie ich gucke ist schwul, wie ich atme – alles scheisse. alles negativ. alles beweis für etwas verbotenes, für etwas schlechtes. für etwas, das man lassen oder anders machen könnte. dieses schwul, dieses “daniel hat ne schwuchteljacke an”, fühlte sich an als könnten menschen etwas dreckiges, eine art krebsgeschwür, in mir erkennen, was ich selbst gar nicht sehen oder loswerden konnte. ich betete damals sogar, ich möge heterosexuell werden. ich versuchte sogar, derartige beziehungen zu führen.

ein graus, den gott ganz bestimmt nicht gewollt hat.

ich wünschte mir, normal zu werden – zumindest in diesem einen bereich. ruhe von mir selbst zu bekommen und dadurch auch von den anderen. am besten verschwinden. sich nicht mehr SO bewegen, nicht mehr SO gucken, nicht mehr SOLCHE dinge mögen wie theater, geschminkte augen und prince. alles könnte mich als schlechten menschen entlarven und für weitere gewalt sorgen, noch tiefer ins abseits hinein.

dass in der wohnung, in der ich später aufwuchs, ein buch auftauchte namens “wege aus der homosexualität”, war der endgültige schlag in die fresse. wirklich freie entwicklung, so stattzufinden wie man sich eben heute ausprobieren wollte – diesen ort gab es nur im theater. 

es schien zwei welten zu geben: eine welt, die dich liebt so wie du bist – das theater. und eine welt, in der du falsch bist. in der etwas nicht mit dir stimmt. in der du dich nicht allzu laut wehren solltest, weil du sonst geschlagen wirst. innerhalb von gerade mal drei jahren wurde so mein bild von einer zusammengehörigen, zusammenhaltenden welt zerrissen. ich wurde eine zeit lang innerlich sogar selbst homofeindlich, weil ich dachte, wenn ihr euch zusammenreißt, dann mögen die uns vielleicht mal und dann wird alles gut – bezogen war das auf den csd, wo ich mich vielleicht auch selbst wiedererkannte und dachte: wenn du der gesellschaft den netten schwulen spielst, dann wird sie dir schon eines tages deinen platz geben und dich in ruhe lassen. das war ein trugschluss. die welt sieht anders für uns aus: in manchen ländern dürften wir getötet, gefoltert und festgenommen werden. und wenn wir nicht aufpassen und uns den raum nehmen, der uns verdammt nochmal zusteht in dieser gesellschaft – EINFACH DESHALB, WEIL ES UNS GIBT – wenn wir nicht an diesem dialog teilnehmen bzw. zwischengrätschen, dann bleiben wir links liegen. im wahrsten sinne des wortes. es geht um teilnahme, um vorkommen, um eine eigene stimme, um die erziehung einer gesellschaft, um kulturelles mitwirken, um beachtet – nicht geheilt! – werden. im gegenteil: uns gehts super, aber einige menschen scheinen teilweise echt noch unter fieberwahn zu leiden. fuchteln mir da mit nem kruzifix vorm gesicht rum und wollen mir was von nächstenliebe erzählen. drum helfen wir gerne und das absofort mit hashtag.

diskriminierung, gewalt, hass und hetze gegen schwule, aber auch gegen alle anderen identitätsformen und sexuelle orientierungen, sind bis heute nicht nur ein thema, sondern ein fettes problem. ich erinnere mich an den winter 2019, wo man plötzlich vermehrt wieder von körperlichen angriffen gegen homosexuelle hörte – und das im weltoffenen berlin. damals war meine antwort darauf die kurzgeschichte goodbye my love. heute ist meine antwort die actout-Bewegung. morgen wird meine antwort wieder eine andere sein, aber wenn mich das erwachsenwerden gerade etwas lehrt, dann dass man der erwachsene werden sollte, den man damals gebraucht hätte. und das wäre ein mensch gewesen der sagt: gewalt ist NIEMALS okay. auch verbal nicht. nie-mals.

lieber daniel von früher:

such dir orte, an denen du dich wohl fühlst und wachsen kannst und sei so oft wie möglich dort. wenn dich jemand verletzt, dann sag bescheid – und zwar allen. so lange bis sich etwas ändert. wer denkt, er könne dich durch schmerz erziehen, hat selber schmerzen, von denen er oder sie vielleicht nichts weiß. aber das ist nicht dein problem. was du im kleinen im theater schon erlebst, ist für die ganze welt möglich. deswegen tun wir das. und machen weiter. und seit dem actout tun wir das mit Gesicht – öffentlich und laut. außerdem macht schauspiel verdammt spaß und der rock steht dir fantastisch.

dein daniel

Daniel Noël Fleischmann wurde 1993 in Nürnberg geboren, arbeitet als freischaffender Schauspieler und Autor und lebt in Berlin.
Nach dem Schauspielstudium an der ADK Ludwigsburg, bei welchem er den Förderpreis beim SKS 2018, sowie das Stipendium der Studienstiftung erhielt, folgten Engagements am Staatstheater Stuttgart und Theater Heidelberg, sowie erste TV-Rollen u.a. bei der SOKO Stuttgart und nun dem TATORT Ludwigshafen.
2012/13 erschienen die ersten Lyrikbände „B3 Süd“, „Und die Mauern riefen sich“, sowie der Roman „C wie Zukunft“, welcher beim federleicht Literaturwettbewerb den 1. Platz in der Kategorie Roman gewann. 2020 wurde Daniel Noel Fleischmann mit seinem Stück „TRAUMALTAR [achtlose Tage. verschwinde, Kümmernis!]“ für den Retzhofer Dramatikerpreis 2021 nominiert.
Im April diesen Jahres verwirklicht er seinen ersten Kurzfilm „DÄMONEN“ als Regisseur.

Kurzbiografie von Daniel Noël Fleischmann

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