Wenn die Sanduhr tickt

Wir schütteln lästigen Sand nach einem Strandbesuch oft ganz unbedacht aus unseren Schuhen, denn es gibt ihn, ja, wie Sand am Meer. Oder noch mehr davon in der Wüste. Meist ist uns dabei nicht klar, wie essenziell Sand für unseren Alltag ist. Als Baustoff, Vorprodukt für Glas, Halbleiter und Mikrochips oder eben als Unterlage für der Deutschen liebstes Badetuch. Und doch, der Rohstoff geht fast unbemerkt zur Neige.

Der US-amerikanische Autor Vince Beiser nahm diesen Umstand zum Anlass, eine umfangreichere Recherche zum Thema Sand durchzuführen und zu veröffentlichen. Sein Buch Sand – Wie uns eine wertvolle Ressource durch die Finger rinnt erschien im April 2021 in der deutschen Übersetzung von Bernhard Jendricke, Christa Prummer-Lehmair und Gerlinde Schermer-Rauwolf. Es ist Band 13 in der Reihe der „Stoffgeschichten“ des oekom verlag und trotz oder gerade wegen der vermeintlichen Banalität der Thematik eine absolute Leseempfehlung.

Sand – eine unentbehrliche Ressource

Der Autor // © Spencer Lowell

Beiser beginnt seine Studie mit einem Überblick: Wann und wo nutzen wir Sand? Es ist erstaunlich, wie sehr die kleinen Körner unser Leben beeinflussen. Auf dieser Basis unterteilt sich der Rest von Sand in zwei Teile: Sand im 20. Jahrhundert (Grundlage für die moderne Industriegesellschaft) sowie Sand im 21. Jahrhundert (Rohstoff der digitalen Gesellschaft). Diese verwebt er sehr gut miteinander und selbst die Übergänge zwischen den einzelnen Kapiteln funktionieren meist so fließend wie in einer laufenden Sanduhr.

Im ersten der beiden Teile behandelt er die Nutzung von Sand für Grundlagen und Infrastruktur, die uns im Rest des Buchs immer wieder begegnen werden: Sand als Baustoff, vor allem für Beton, Sand für den Straßenbau und Sand als Grundstoff für Glas. Im zweiten Teil hingegen wird Beiser etwas spezifischer: Sand für Halbleiter und Mikrochips, Fracking sowie Strände und künstliche Inseln. Außerdem geht er auf die weltweite Wüstenbildung, den jüngsten Boom von Beton und mögliche Substitute für Sand in der modernen Gesellschaft ein.

Kleine Körnchen so vielfältig und umstritten

Ähnlich wie die vielfältigen Wüstenlandschaften Namibias sind also auch die Nutzungsmöglichkeiten von Sand für unseren alltäglichen Gebrauch mannigfaltig. Beiser räumt dabei mit einer Reihe von Fehleinschätzungen und Vorurteilen auf. Sand ist nicht gleich Sand. Wüstensand eignet sich beispielsweise für kaum eine Nutzung, da er vom Wind viel zu abgeschliffen ist und beispielsweise in Beton nicht für den nötigen Zusammenhalt sorgen könnte. Und auch für Anwendungen wie in Mikrochips oder zum Fracking muss eine jeweils ganz bestimmte Beschaffenheit vorhanden sein, die sich nur an wenigen Orten findet.

Umso folgerichtiger ist es, dass die recht knappe Ressource Sand häufig umstritten ist und zu viel Korruption und illegalem Abbau führt. Selbst gemordet wird für Sand an manchen Orten – den Sand, den wir zum Beispiel für den Bau unserer Städte brauchen. Auf manche lokalen Konflikte bzw. Korruptionsfälle geht Beiser ein und bringt uns die typischen Begleiterscheinungen einer Konfliktressource nahe. Eine wirklich globale, geopolitische Perspektive nimmt er dabei allerdings zumeist nicht ein. Gibt es sie nicht, steht Sand nicht auf der Agenda der internationalen Rohstoffpolitik? Oder widmet sich Beiser ihr nur nicht? Diese Frage bleibt leider ein wenig offen.

Viele Fallstudien und kritische Einordnungen

Diese Zentrierung von Einzelfällen ist vielleicht auch die größte Schwäche von Beisers Studie. Er betrachtet oft und viele Einzelfälle: illegale Gruben in Indien und ausgebaggerte Flüsse und Seen in China, aufgeschüttete Inseln und Investitionsprojekte in Dubai, Fracking im Mittleren Westen der USA oder wiederaufgeschüttete Strände in Florida (überhaupt lässt sich eine starke Fokussierung auf die USA feststellen – ob der Herkunft des Autoren ist das alles andere als überraschend, aber dennoch auffällig). Diese Fallstudien machen Sand auf jeden Fall sehr plastisch und anschaulich, aber lassen sich in Teilen nicht immer verallgemeinern.

Beiser weist dennoch immer wieder auf die Nachteile und Gefahren menschlicher Eingriffe in die Natur hin. Besonders wichtig ist, dass er das Thema Desertifikation behandelt, die Austrocknung und zunehmende Verwüstung vieler Gebiete, die besonders durch den Klimawandel bedingt ist. Sehr lobenswert ist, dass er den Klimawandel immer wieder einflicht, allerdings könnte er an manchen Stellen vielleicht sogar noch etwas deutlicher werden.

China forstet auf – leider nicht immer sinnvoll

Dennoch ist es sehr wertvoll, wie er beispielsweise die Aufforstungsinitiativen Chinas – bekannt als „Grüne Mauer“ – goutiert, aber gleichzeitig einer kritischen Bewertung unterzieht. China, das haben wir bereits an anderer Stelle gesehen, scheint erkannt zu haben, dass vom Klimawandel große Gefahren für seine Bevölkerung und die ganze Welt ausgehen. Vielen Menschen dürfte die „Grüne Mauer“ nicht bekannt sein und insofern ist es richtig und wichtig, dass Beiser Initiativen wie diese benennt und illustriert, sie jedoch aber nicht ohne die bei China stets gebotene Vorsicht von Kritik befreit.

Vince Beisers Buch Sand ist somit eine großartige Zusammenstellung von Fakten, Wissen, und Entwicklungen rund um eine Ressource ist, die uns im Alltag fast überall begegnet, wir aber zumeist geflissentlich ignorieren. Egal ob im Haus- oder Straßenbau, bei Glas oder Computern und Smartphones, Sand und die aus ihm erzeugten Produkte bestimmen unseren Alltag und wir täten gut daran, uns mehr mit ihm auseinanderzusetzen. Manch kleinere Kritik muss an Beisers Fokussetzungen und Einordnungen geübt werden, aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er mit seiner Studie einen wichtigen Impuls für alle Leserinnen und Leser liefert und dafür sorgt, dass die Sanduhr für uns noch deutlich wahrnehmbarer tickt.

HMS 

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Vince Beiser: Sand – Wie uns eine wertvolle Ressource durch die Finger rinnt; Aus dem Englischen von Bernhard Jendricke, Christa Prummer-Lehmair, Gerlinde Schermer-Rauwolf; 1. Auflage, April 2021; Hardcover; 320 Seiten; ISBN: 978-3-96238-245-2; oekom Verlag; 26,00 €; auch als eBook erhältlich

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