„Wer in der Politik jammert, der sollte nach Hause gehen.“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist politisch eher ein Leisetreter, Lautsprecherfunktionen übernehmen andere. Dennoch hat er sich qua Amt in der Coronakrise zu einem wichtigen stabilisierenden Faktor entwickelt. Der WDR begleitete Heil drei Monate lang, von Mitte März bis Mitte Juni, und versucht sein Regierungshandeln einzufangen, eine Art Zwischenbilanz zu ziehen und den Zuschauer.innen einen Eindruck der Notwendigkeit auch unpopulärer Maßnahmen und Statements zu vermitteln.

Den Macher.innen gelingt das nur bedingt. Es wird uns natürlich ein emsig arbeitender Minister gezeigt, wie er versucht, Termine unter zunehmenden Corona-Restriktionen wahrzunehmen. Wie er Zeitung lesend, Interviews gebend oder sich mit seinen Mitarbeitern beratschlagend an seinem Besprechungstisch sitzt. Wie er fünf Stunden im Auto von Berlin nach Köln fahrend versucht, auf andere Weise mobil zu arbeiten, als das die meisten sich vorstellen und sich zwischendurch auch mal zu Johnny Cashs „One“ kurz entspannt. Ergänzt werden diese Aufnahmen um Rückblicke, die der Bundesarbeitsminister in einem Interview in der zweiten Junihälfte gibt. Ebenso kommentieren die Journalist.innen Annette Dowideit von der Welt, Kerstin Palzer von der ARD und Frank Specht vom Handelsblatt die Zeit und den Minister.

3 Monate 9 Phasen – etwas üppig, was?!

Das ist alles gut und schön und sicherlich auch so gemeint, aber vom Regierungsalltag im Krisenmodus bekommt man nicht wirklich viel mit. Wir wissen alle, dass seit März eine Art Ausnahmezustand herrscht – die Doku trägt nicht umsonst den Titel Regieren am Limit, auch wenn das eher nach einem trashigen Zweiteiler mit Hannes Jaenicke und Gudrun Landgrebe in den Hauptrollen klingt. Von körperlicher und psychischer Grenznähe oder gar -überschreitungen bekommt man jedenfalls kaum etwas mit. Man kann es Heils stoischer Ruhe zuschreiben, dass dieser Eindruck entsteht, oder eben auch feststellen, dass der Titel einfach unpassend gewählt ist.

Apropos stutzig: Einige Dinge in diesem Krisentagebuch sind äußerst irritierend. Dass man die letzten drei Monate in verschiedene Phasen einteilen möchte, mag noch nachvollziehbar sein. Aber müssen es derer gleich neun sein? Das Konzept und die Zielsetzung werden nicht klar. Zusätzlich tragen sie entweder unzutreffende („Phase 1: Mit Milliarden gegen die Krise“ – im März; „Phase 5: Der vorläufige Tiefpunkt“ – herrje), nichtssagende („Phase 5: Einrichten in der Krise“) oder gar nahezu hysterisch-reißerische („Phase 2: Kampf gegen die Angst“, „Phase 4: Blick in den Abgrund“) Titel und sind mit völlig unpassend dramatischer Musik unterlegt, das ist Boulevard. 

Stattdessen wäre es wünschenswert gewesen, hätte man näher erläutert, was für eine Rolle Parteigremien, Wirtschaftsvertreter, Gewerkschaften, das Parlament, die Kabinettsmitglieder spielen. Diese und eben ihre Rolle in der Meinungsbildung des Arbeitsministers werden überhaupt nicht klar, wenngleich sie dennoch wichtige Impulse für Heils Entscheidungen setzten. Bis auf ein Telefonat, in dem es auch um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geht, und einen Austausch mit der Bundesagentur für Arbeit muss man primär das Gefühl haben, Heil agiere in einem Vakuum. Was bei allen Abstandsgeboten dann doch ein wenig übertrieben wäre.

Kritik an Heil wird nicht ausgespart

Durchaus wird aber an manchem Punkt klar, dass hier Druck auf Heil lastet, wenn er z. B. die Zahlen der Menschen in Kurzarbeit und die Arbeitslosenzahlen verkünden muss oder als sein Hilfspaket für Auszubildende vorerst platzt.

Bild: © WDR

Interessant ist auch eine Szene, die sich am 16.4.2020 in Potsdam abspielt: Hubertus Heil besucht eine Küche, die Schulessen kocht, auch während der Corona-Zeit, um bedürftigen Kindern essen nach Hause liefern zu lassen. Wie sich die Presse- bzw. Kamerafraktion da verhält, ist spannend anzuschauen.

Ebenso äußert die Dokumentation an der einen oder anderen Stelle leise Kritik an Heil, bspw. als er es schafft, nun doch seinen an sich erledigten Vorstoß zum Homeoffice wieder auf die Agenda zu bringen und zumindest in Teilen umzusetzen. Dem wird dann ein Interviewauszug vom Beginn der Doku entgegengestellt, in welchem er sagt, diese Zeit sei nicht dazu da „gescheiterte Vorschläge mit Hilfe von Corona doch umsetzen.“ Weiterhin stellen die Macher.innen fest, dass der Minister und seine engsten Mitarbeiter zumindest anfangs innerhalb des Büros die Schutzmaßnahmen nicht wirklich umsetzen.

Der beste, treffendste, quasi die ganze „Regierungsmaschine“ einbeziehende und Minister Heil am konkretesten beschreibende Satz kommt allerdings doch von Annette Dowideit zum Ende der Dokumentation, als sie sagt: „Ich hab den Eindruck, dass die Coronakrise nicht mehr als so akut wahrgenommen wird, dass man Gesetze so schnell und so unkompliziert umsetzt wie es am Anfang der Krise der Fall war, sondern das es jetzt alles wieder so seinen bürokratischen Gang geht und da wird dann auch so jemand wie Hubertus Heil ein Stück weit dran zerrieben, der mit so vielen starken Ideen kommt […]“

Aktendeckel

Hubertus Heil, der zweimal SPD-Generalsekretär war und genau so häufig krachende Wahlniederlagen (2009, 2017) für seine Partei mitzuverantworten hatte, wird in dieser Dokumentation als ruhiger Macher inszeniert, der dennoch Mensch ist und auch gern menschelt (dazu in den Anmerkungen mehr). Sein Satz „Wer in der Politik jammert, der sollte nach Hause gehen“, lässt einen dann aber doch mit Bick auf seine Partei und vor allem ihren letzten Kanzlerkandidaten schmunzeln. Als persönliches Credo ist aber natürlich toll.

Somit bleibt nach 45 Minuten die Erkenntnis, dass Hubertus Heil Bundesarbeitsminister ist und ein karges Büro hat, seine Zeitungen einigermaßen stark zerfleddert und doch mal einen Koffer im Büro hat, falls er mal dort übernachten muss. Wer von Corona und der durch das Virus ausgelösten Krise noch nichts mitbekommen hat, für den ist diese Doku (vielleicht zu) aufregend; wer vieles vergessen hat, dem dient sie sicherlich als nette Gedankenstütze; allen anderen bleibt es, zuschauen zu können, wie Hubertus Heil äußerlich ruhig telefoniert, sein Team moderiert, dem WDR sein Handeln mit Allgemeinsätzen kommentiert und Aktendeckel auf- und zuklappt.

Bild: © WDR

Was es noch zu sagen gibt:

  • Am Anfang wird zu Politikern bzw. Ministern und ihren Auftritten ein wenig schwadroniert und dann gesagt: „Einer hat uns erlaubt hinter die Kulissen zu schauen. Fast drei Monate konnten wir Heil begleiten.“ Es wäre interessant zu wissen, wie viele weitere angefragt worden sind. Keine Namen, wer ggf. abgesagt hat, nur eine Zahl. Waren es drei, sieben, vierzig?
  • Huberts Heil besucht das „noble“ (der sich überrascht zeigende WDR) Restaurant Funky Fisch, daraufhin im späteren Interview angesprochen sagte er: „Ich muss ganz offen zugeben, ich wusste gar nicht was das fürn Spitzenkoch ist und wie viel Läden der besetzt [sic!]“, ja sagt dem sein Team dem nicht, wo es hingeht? Das passiert wenn sein Staatssekretär Björn Böhning im Homeoffice arbeiten muss.
  • Von der vermeintlichen Positionierung des WDR, das „noble“ Restaurant wohl nicht in die Kategorie „wir haben eine schwierige Zeit“ zu fallen scheinen mal gar nicht zu sprechen.
  • Als wir die Doku schauten und dann Johnny Cash im Auto lief und alle es mithörten ein Kommentar hier: „Jetzt müssen die sich alle den Scheiß da mit anhören?“
  • Die Doku schließt mit „Phase 9: Ende der Einigkeit“, da wird gleich mal wieder Streit innerhalb der Koalition heraufbeschworen (dazu ist die Sommerpause ja wohl auch da…) und somit reibt man sich die Hände auf die Spekulationen aufs tollen Thema „Koalitionsbruch“. Leute…
  • Ach ja, Phasen: Vorschläge für eine etwas realistischere (aka weniger dämliche) Einordnung der Phasen: „Überrumpelung – Lockdown – Bedachter Blick nach vorn“ Boom.
  • Hubertus Heil am Ende von hart aber fair, er diskutiert noch, „wie er es so oft im Anschluss an solche Sendungen tut“ (WDR), wir sehen ihn aber primär einen Monolog halten: „Ich erlebe im Moment so viel Schlaumeierei, also auch in der Politik und auch Geltungsbedürfnis bei einigen und bei anderen so viel Vernunft […]. Ich lern verdammt viel, aber am meisten über Menschen im Moment.“ Das ist zumindest ungünstig editiert. 
  • Montag, A2…
  • Wir waren übrigens sehr gespannt auf diese Doku. Nur mal so gesagt.

Regieren am Limit; WDR, 2020; Ein Film von Benjamin Braun und Maike von Galen; verfügbar in der Mediathek bis zum 22.6.2021

AS, unter Mitarbeit von HMS

Beitragsbild: © WDR

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert