Zocken mit Sex-Appeal

Es heißt zwar, dass Geschichte sich niemals eins zu eins wiederhole, doch kommt es immer wieder zu Vorfällen, die an bereits Geschehenes denken lassen. Die Pleite der Greensill Bank und der Wirecard-Skandal sind beispielsweise zwei sehr aktuelle Dinge, die uns schnell wieder an die Lehman Brothers-Pleite, die Schieflage der Deutschen Bank oder vielleicht auch an den Herstatt-Konkurs denken lassen. Die Herstatt Bank sagt euch nichts? Das macht erstmal nichts, könnte und sollte sich aber ändern, denn die Drehbuchautoren Eva und Volker A. Zahn haben eine fabelhafte und informative Satire geschrieben, die unter dem Titel Goldjungs heute Abend im Ersten läuft.

Alles weg, außer Ironie

Im Juni 1974 ist die Kölner Herstatt Bank pleite, es handelt sich um die größte Bankenpleite in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Grund dafür waren die Zockereien der „Goldjungs“, einer Gruppe junger, ehrgeiziger Devisenhändler, die mit dem Vermögen der Bank und dem der regulären Kunden spekulierten. Verschlimmert wurde das alles durch eine recht clevere – wenn auch simple – Betrugsmaschine, den am Tagesgeschehen desinteressierten Inhaber der Bank Hans Gerling (ausgezeichnete Gleichgültigkeit: Martin Brambach) und dessen Jugend“freund“ und Präsidenten des Hauses Iwan D. Herstatt (Brüller: Waldemar Kobus), der nicht nur unter chronischen Schlafattacken, sondern auch extremer Ignorieritis leidet. 

Eine Truppe wild zockender Broker: Die „Goldjungs“ um Mick Sommer (Tim Oliver Schultz, links) im Handelsraum der Herstatt-Bank. // © WDR/Frank Dicks

Der von Christoph Schnee stimmig und recht rasant inszenierte Film nimmt sich also einer zwar schwierigen, aber schon vom Ursprung her nicht ganz unlustigen Geschichte an, die verbürgt ist. Das ist den Macher*innen auch wichtig zu betonen: Die Geschichte stimmt. Der Untergang mit allem, was im Film dazugehört, samt dem für die Kund*innen seichten Nachspiel ist faktisch gesichert, gar bis hin zur Nachbildung des Handelsraums der Herstatt Bank, der als „Raumschiff Orion“ bezeichnet wurde. Fiktiv sind dann wiederum alle Charaktere bis auf das Inhaberehepaar Gerling und Iwan Herstatt. 

So bekommen wir Zuschauer*innen also ähnlich wie die im Mittelpunkt der Handlung stehende Marie Breuer (wunderbar im Wandel: Michelle Barthel) erst einmal ganz unbedarft Zugang zu einer fremden Welt. Sie, die Tochter einer Schneiderin aus Köln-Bickendorf, erhält den Job als Vorzimmerdame des stellvertretenden Direktors der Bank, Ferdinand Baron von Broustin (fantastisch manieriert: Ulrich Friedrich Brandhoff), da Frau Gerling (stark, mit und ohne eins-und-eins Dalmatiner: Leslie Malton) die Kundin der Mutter Ursula (liebevoll: Bettina Stucky) ist, Potential in der 20-jährigen jungen Frau sieht. Es dauert nicht lange und Marie wird auf die Goldjungs aufmerksam, die mit ihren krass geilen Karossen direkt vor dem Haupteingang parken und mehr Glam ausstrahlen als nicht nur die Bank als solche, sondern als sowieso das gebäudetechnisch eher graue Köln. Ganz besonders der lauteste und heißeste im Gold-Rudel interessiert sie: Mick Sommer (voll energiegeladenem Sex-Appeal: Tim Oliver Schultz). 

Der Einzige, der dem Treiben der „Goldjungs“ um Mick Sommer (Tim Oliver Schultz, zweiter von rechts) nicht tatenlos zusehen will, ist Buchhalter Uwe Lennartz (Jan Krauter, links). Auch Iwan D. Herstatt (Waldemar Kobus, rechts) will seine Warnungen nicht hören. Zweiter von links: Ferdinand Baron von Broustin (Ulrich Friedrich Brandhoff), stellvertretender Direktor der Herstatt-Bank. // © WDR/Frank Dicks

Heißer Scheiß

So gerät auch Marie mehr und mehr in den Sog von Geld, Zockerei, Party und dem Rausch, den das alles mit sich bringt. Inklusive einer wirklich, wirklich, wirklich heißen Affäre mit Mick. Ernsthaft: Die paar Sexszenen in dem Film gehören mit zum Heißesten, was es in der Hinsicht seit langer Zeit gab. Ergänzt um die Sexyness der zunehmenden Emanzipation von Marie, wenn sie zum Beispiel immer selbstbewusster die für den Sex genutzten Räumlichkeiten verlässt. Überhaupt erzählt der Film starke, sehr unterschiedliche Frauenfiguren.

Der Film ist aber nicht nur heiß und sexy und ohnehin ganz fantastisch ausgestattet, was auch daran liegt, dass in den ehemaligen Räumen der ebenfalls pleite gegangenen Privatbank Salomon Oppenheim gedreht und ausstaffiert werden konnte (Außenaufnahmen in der Tat vor dem ehemaligen Herstatt-Gebäude) und auch Kostümbild (Sarah Raible, Minus Kim) und Requisite (Jan Rott) hier ganz fabelhafte und detailversessene Arbeit geleistet haben. Sondern er ist auch unglaublich komisch und deckt dabei verschiedene Humorvarianten ab. Von Kölschen Kalauern, zu markigen Sprüchen vermeintlich großer Jungs über Momente voll körperlichem Witz und augenzwinkerndem Schalk zu skurriler Situationskomik und feinsinnigen Ironieperlen ist alles dabei. Und das funktioniert zumeist ganz fantastisch.

Ohne seine resolute Assistentin Birgit Pütz (Judith Engel) wäre Iwan D. Herstatt verloren. // © WDR/Frank Dicks

Nicht zuletzt auch, weil Eva und Volker A. Zahn ihren fiktiven Figuren in der Tat Charakter verleihen und sie nicht nur Klischees von Rollenmotiven sein lassen. Marie mag naiv und noch nicht im Leben angekommen sein, doch lernt sie zumindest dahingehend dazu, zu erkennen, dass sie eben genau das ist und das in dem Alter vollkommen in Ordnung ist. Mick ist ein Player, immer etwas fahrig, immer auf Antrieb, auch weil er weiß, dass er so recht nicht dazu gehört und nie gehören wird – die Elite, das sind andere. Oder der Buchhalter der Bank, Uwe Lennartz, den Jan Krauter nicht nur mit einer formidablen Mischung aus Wissen und Wahnsinn spielt, sondern der es uns als Mensch auch nicht leicht macht, ihm zu folgen, beziehungsweise folgen zu wollen, auch wenn er doch recht hat. Der Baron mit seinen perfekt einstudierten Verhaltensweisen, die nicht nur Fassade einer in ihm schlummernden Wut, sondern auch Anpassungsversuch an eine heteronormative Welt sind, zu der er so ganz doch nicht gehört. Auch die Assistentin Birgit Pütz (nachvollziehbar aufgedreht: Judith Engel) die in wahnhafter Spekulation das Versprechen des sozialen Aufstiegs zu finden meint. Der reale Direktor, dem Karneval und 60. Geburtstag wichtiger sind als die Ölkrise, wobei auch diese fatal für ihn ist, denn durch das Sonntagsfahrverbot könnten seine Gäste womöglich nicht zum Fest gelangen. Großartig!

Glam und Inhalt

So wissen wir natürlich von Anfang an, wo die Geschichte hingeht, dem Spaß und auch dem entsetzten und doch gierig auf das Fortschreiten wartenden Kopfschütteln steht das jedoch nicht entgegen. Nein, nein, es erlaubt uns sogar den Weg zum unweigerlichen Zusammenbruch und Scheitern mit mehr Aufmerksamkeit und Bezug zu den Geschichten und Gesten hinter der Geschichte zu verfolgen. Ach so: Kein Köln ohne Jütte – Roland Riebeling hat eine sehr … tolle Rolle im Erbärmlichen. 

Mick Sommer (Tim Oliver Schultz, Mitte) tagsüber strahlender Held rasanter Geldgeschäfte, abends zentrale Gestalt rauschhafter Ausschweifungen. Mag der Lifestyle der Herren Marie Breuer (Michelle Barthel, Mitte) zunächst fremd erscheinen – reizlos findet sie ihn nicht. // © WDR/Frank Dicks

Goldjungs ist damit also nicht nur äußerlich sexy-stylischer Glam, sondern im Gegensatz zu den Geschäften, die die wahren Goldjungs vollführten, tatsächlich mit gutem Inhalt unterfüttert. Die Kombination der gut recherchierten Hintergründe und der die Geschichte tragenden fiktiven Figuren und Begleitumstände schaffen ein lebendiges Zeitpanorama und eine ironische, aber nie zynische, und extrem unterhaltsame Parabel von Gier, Moral und, ja, Haltung. 

Marie Breuer und die „Goldjungs“ um Mick Sommer // © WDR/Frank Dicks

Goldjungs: Läuft am Mittwoch, 5. Mai 2021, 20:15 Uhr in der ARD; am 9. Mai 2021 um 20:15 Uhr in One und ist wieder bis zum 29. September 2022 in der ARD-Mediathek verfügbar.

Hinweis: Im Anschluss geht es im Magazin plusminus ebenfalls um Banken.

Goldjungs; Deutschland, 2020/2021; Regie: Christoph Schnee; Drehbuch: Eva Zahn, Wolfgang A. Zahn; Kamera: Armin Golisano; Darsteller*innen: Michelle Barthel, Tim Oliver Schultz, Ulrich Friedrich Brandhoff, Jan Krauter, Waldemar Kobus, Leslie Malton, Martin Brambach, Judith Engel, Bettina Stucky; Laufzeit: ca. 89 Minuten; Eine Produktion der Zeitsprung Pictures GmbH in Kooperation mit G5fiction und in Koproduktion mit dem WDR und der ARD Degeto für Das Erste, gefördert durch die Film­ und Medienstiftung NRW 

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