ACHTUNG: 18+ / NSFW-Beitrag.
Haben wir euch im vergangenen Jahr doch eher aus Trutzgründen sechs sehr unterschiediche Kalender vorgestellt, dank derer sich vortrefflich ästhetischer wie geistiger Genüsse frönen ließ (und es noch lässt), machen wir das in diesem US-Wahljahr 2024 für 2025 aus drei Gründen. Erstens: Das kommende Jahr dürfte, so scheint es in der DNA dieses Jahrzehnts zu liegen, erneut ein weirdes werden. Da hilft ein bewusst-beruhigender Blick auf und in kostbare Kalender.
Zweitens: Ihr wolltet mehr. Drittens: Nach wie vor – wider den dümmlichen Kalenderspruch-Kalendern, die schlimmstenfalls Wandttattos an bordüren-verzierten Raufasertapeten werden.
In diesem Jahr wird es dabei noch vielfältiger, bunter, schlauer, sexier, lusiger, putziger, hintergründiger, zauberhafter, schön-obszön und diverser als im vergangenen Dezember. Und früher! Wiederfinden werdet ihr ein paar Bekannte. Etwa den finnischen Tom, den dichtenden Kleinen Bruder, die maritime Kultur, Katzen im Kleinformat. Statt literarischer Felidae folgen wir nun allerdings gar nicht mal so kauzig den Strigiformes. Katapultiert wird 2025 nicht in Metropolen, sondern in reißendes Wissen.
Statt sechs wie im vergangenen Jahr stellen wir euch für 2025 nun 12 (in Worten: zwöhöhööölf) Kalender vor. Quasi für jeden Monat einen. Darunter sind Monats-, 14-Tages- und Wochen- sowie Tageskalender. In diesem Sinne: Frohes Neues Schwieriges Aussuchen! (Und was das erst mit der Festtagsbücherei in vier Wochen wird!)
Prallrunder Jahresbeginn
Für einen Reverse-Full-Circle-Moment beginnen wir mit dem runden Ende des letzten Jahres: Tom of Finland (geboren 1920 in Kaarina, Finnland als Touko Valio Laaksonen, gestorben im November 1991 in Helsinki) hat auch im kommenden Jahr wieder viele Rundungen, stechende Nippel und enge Lederkluft, durch die wir das Pulsieren der prallen Schwänze zu spüren meinen (schön-obszön, was?!).
Das geht im Januar allerdings eher unschuldig mit einem Barbild los, das sogleich Lust auf mehr macht. Mehr bekommen wir in den folgenden elf Monaten und auf insgesamt vierzehen Bildern, die, wie bei Tom of Finland üblich, verspielt kinky, nicht selten mit einem kleinen (kulturellen) Seitenhieb und viel Liebe fürs Setting der Umgebung daherkommen. Die Weichheit und Zärtlichkeit der Strichführung steht dabei gern im Kontrast zur knallig-erotischen Härte des Gezeigten.
Neben den für ToF typischen Lederkluft-Kerlen wie etwa einem sich sortierenden Biker (der uns an Box Hill denken lässt) begegnen wir auch Männern in wunderbar tight sitzenden Jeans, Matrosen (erinnern an Glitzernde Garnelen) oder einem Nacktbader, der von einem verführerisch verlangenden Officer an einem „No-Swimming“-Schild ertappt wird und einem Weihnachtsmann an dessen Rute wir gern… naja, usw. usf. Details wie Haare, Fingerkrümmungen oder von einem süffisanten Lächeln geprägte Münder, zeichnen die manches Mal doch eher abschätzig betrachtete, träumerisch-realistische Kunst des Finnen aus.
Tom of Finland 2025; Juni 2024; 14 Abbildungen; Spiralbindung; Format: 42,0 x 30,0 cm; ISBN: 978-3-95985-703-1; Salzgeber Buchverlage; ca. 24,99 €
Lust auf Neues
Ganz ausgezeichnet kunstvoll geht es im Insel-Bücherei Kalender für 2025 (erschienen im, uhm, Insel Verlag) zu. Allein der wunderbare Hardcover-Einband des Buches im floral-vogeligen Design von Malin Gyllensvaan und das rosafarbene Vorsatzpapier heben die Laune und sind ein formvollendeter Genuss. So lässt es sich wunderbar auf Doppelseiten mit blau abgesetztem Lesebändchen durch die 52 Wochen flanieren und teils fabulieren.
Gleich eine Zeichnung Mehrdad Zaeris aus dem von Marie Bernhard herausgegebenen Traumbuch (Insel-Bücherei 1536) lässt uns an die feinsinnig grausige Geschichte Der goldenen Käfig denken. In einer bunten Auswahl an Illustrationen und Zitaten aus Insel-Bücherei-Erscheinungen treffen wir neben Wilhelm Buschs Enthaltsamkeit und Hans Magnus Enzensbergers Pünktlichkeit etwa noch auf Oscar Wildes fiktionsverliebte Wasserratte, Else Lasker Schülers Groteske sowie Selma Lagerlöfs Weihnachtsgast.
Auf Fotografien und Zeichnungen, Statuen und Porzellanfiguren entdecken wir Blumen und Blüten, Gärten und Häuser, Pferde und einer Affenkapelle, Ali Baba und die vierzig Räuber, Claude Monets Garten in Giverny oder Vincent van Goghs „Schwefelgelb und zitronengrün“. Bei Jane Austens Lady Susan wird zum Teekränzchen geladen derweil an Ludwig Tiecks Weihnacht-Abend vom Kind sehnsüchtig aus dem Fenster geblickt und von der Mutter gestickt wird.
Die recht stabilen Seiten des Insel-Bücherei Kalenders bieten ausreichend Platz für Einträge und Erinnerungen und erlauben nicht nur im dafür vorgesehenen Anhang Raum für Notizen. Zusätzlich bereitet dieser feine Buchkalender optisch wie inhaltlich viel Freude und erhöht seinen Mehrwert, indem er Lust auf mehr Literatur und womöglich gar Neues macht.
Insel Verlag (Hg.) Insel-Bücherei Kalender für 2025; August 2024; 128Seiten, Hardcover, diverse Abbildungen; ISBN: 978-3-458-64431-6; Insel Verlag, 16,00 €
Gut besuchtes Geburtstagsfest
Lust auf Literatur ist, wie könnte es anders sein, sicherlich auch das Motto des Arche Literatur Kalenders 2025 – Zusammen oder allein. Der im Arche Verlag erschienene (habt ihr nicht geahnt, was?!) Wandwochenkalender zeichnet sich in seinem 40. Jahr durch eine schon beinahe packende Vielgestaltigkeit an Lebensdaten, Autor*innen, Zitaten aus Werken wie Einordnungen dieser aus.
Ob Fay Weldon oder Lewis Carroll, Tsitsi Dangarembga oder Émile Zola, Hans Christian Andersen oder Sigrid Nunez, Antje Rávik Strubel oder Arthur Conan Doyle, Julie Otsuka oder Robert Menasse, Tove Jansson oder Klabund, Getrude Stein oder Jon Fosse, Kristine Bilkau oder Herman Melville, Dana Grigorcea oder Stefan Zweig, Margaret Atwood oder Halldór Laxness – zu diesem runden Geburtstagsfest geben sich lebende wie verstorbene Literaturgrößen die Zitate in die Hand.
Informativ rund gemacht wird der ästhetische, seit 2020 von der Germanistin und nach Stationen etwa bei Hanser, Heyne und Hoffmann und Campe (da mag wer die großen Hs) nun als freie Lektorin tätigen Angela Volknant herausgegebene Arche Literatur Kalender von Kurzbriografien aller zitierten Autor*innen. Allerdings, das ist wichtig, sei eine Warnung ausgesprochen: Wunsch und Wille anschließend tiefer in Leben und Werk so mancher Person einzutauchen, kann nur durch Verschlossenlassen des Kalenders vorgebeugt werden.
„Und im späteren Leben des Mädchens wurde seine Erfahrung bestätigt, dass man von den Worten der Dichtung buchstäblich lernen und sich ernähren kann.“ Diese den sowohl den Arche Literatur Kalender wie auch das Jahr 2025 abschließenden (und 2026 einleitenden) Worte aus Cordelia Edvardsons Gebranntes Kind sucht das Feuer sind doch die perfekte Überleitung zum…
Angela Volknant (Hg.): Arche Literatur Kalender 2025; Juni 2024; 56 Seiten, durchgehend Farbabbildungen/-fotografien, Spiralbindung; Format: 32,1 x 24 cm; ISBN: 978-3-71600-007-6; Arche Verlag; 24,00 €
Dichtung ist Wahrheit und Spiegelbild
…C.H. Beck Gedichtekalender 2025 aka Kleiner Bruder 2025, bereits im 41. Jahrgang und herausgegeben von Dirk von Petersdorff. Eröffnet wird der Kalender wie gewohnt mit dem Titelblatt, auf welchem wir Angelus Silesius‘ Ohne Warum finden.
„Der barocke Dichter […] meinte damit, dass eine Rose keine Zwecke verfolgt, dass sie keine Absichten besitzt, wenn sie blüht. Rosen sind keine Nutzpflanzen, aber dennoch würde niemand beim Betrachten eines Gartens fragen, was denn diese Rose da solle. Sie wirken auf uns, und ähnlich könnte es sich auch mit Gedichten verhalten.“
(Wie gesagt: Spitzenübergang *aufdieSchulterklopf*).
Bei den hier im Kalender versammelten 25 Gedichten jedenfalls fragen zumindest wir uns das nicht. Würden uns aber bei allen den Worten zugewandten Menschen Fragen stellen, sollten diese sich das fragen. Ob eine mit sich selbst sprechende Hausschnecke nach Christian Morgenstern (dem wir, wie so manchen, später erneut begegnen werden), Friedrich Hölderlins Lebenslauf, das O, edle, von Liebe umschlossene Grün Hildegard von Bingens oder die Sommerfrische des Jochamin Ringelnatz. Verbundenheit mit sich selbst und der Welt sowie Wachsamkeit und Achtsamkeit stehen auf einigen Seiten hoch im Kurs.
Doch fällt beim Lesen der Gedichte und Betrachten der erneut zurückhaltend-stechenden Pinsel-Vignetten von Chris Campe (All Things Letters) schnell auf, dass die Zusammenstellung einen Hauch ernsthafter, generell geerdeter und teils düsterer ausfällt, als jene des 40. Jahrgangs. Etwa Jospeh von Eichendorffs Zwielicht, Paul Celan mit Espenbaum über die nicht heimgekehrte Mutter, Bertolt Brecht mit seinem Lied von der Moldau, Das blaue Wunder von Barbara Köhler wie auch Über einige Davongekommene von Günter Kunert oder Nelly Sachs‘ Kommt einer von ferne, wo es heißt: „Ein Fremder hat immer / seine Heimat im Arm / wie eine Waise / für die er vielleicht nichts / als ein Grab sucht.“
Mit diesem Gedicht ins Halloween-Wochenende 2025 zu gehen scheint nur folgerichtig. In jedem Fall schlägt sich der Ernst der Lage der Welt in Gestalt einiger Gedichte auch im Beck’schen Kalender nieder. Belibt dabei aber nicht ohne Hoffnung, wie uns von Petersdorff mit auf den Weg gibt: „[…] indem sie daran erinnern, dass Gewaltherrschaften nicht ewig andauern, […].“
Außerdem erweitere das Mitleiden die eigenen Gefühlsmöglichkeiten. So gehen wir mit dem Gedichtekalender 2025 also, ganz im Sinne Kurt Tucholskys, lachend wie weinend durch das kommende Jahr. Und sind angetan und verblüfft, wie stark ein Kalender doch Spiegelbild der Gegenwart sein kann.
Dirk von Petersdorff (Hg.), Chris Campe (Illustrationen): C.H. Beck Gedichtekalender – Kleiner Bruder (41. Jahrgang); Juli 2024; 28 Seiten, durchgehend mit Farb-Vignetten; Spiralbindung; ISBN: 978-3-406-81640-6; C.H. Beck Verlag; 20,00 €
Bunte Informationen mit Augenzwinkern
Sehr gegenwärtig geht es auch in dem einzigen hier vorgestellten Tageskalender vor und zwar in Form des in Deutschland unserer Meinung nach hochgeschätzten Abreißkalenders. Dieser kommt vom Katapult Verlag im Format von 11,5 x 14,4 cm mit 368 zu 100 % auf Recyclingpapier gedruckten Seiten wahlweise an die Wand genagelt oder aufgestellt auf den Tisch, die Anrichte, neben das Bett oder das Klo. (Von Petersdorff sieht den Gedichtekalender übrigens u. U. auch im Badezimmer. Welcher Kalender bei uns dorthin kommt, lest ihr noch.)
Letzteres soll nun nicht dazu einladen, die jeweils aktuelle Seite zum Zwecke des Rosettewischens zu nehmen (FunFact #687 am Rande: Ex(?-)Måneskin-Sänger Damiano David hatte kürzlich eine Instagram-Story, dass „Italian culture into the world“ getragen werde und zeigte ein Bad mit Bidet. Fügte, ganz richtig, dazu an: „Seriously – wash your bums.“ Word.)
So, wo waren wir? Ach, Ab- statt Aufreißen. Wer Katapult, ob nun den Instagram-Account, das Magazin oder auch Bücher wie 100 Karten über Sprache oder über die Ukraine und (die Spezialoperation) den Krieg sowie 55 kuriose Grenzen und 5 bescheurte Nachbarn oder auch 100 Karten über China, über Sex oder Mecklenburg-Vorpommern ist Deutschland von hinten kennt (die Rezensionen folgen), dürfte erahnen, was vom Abreißkalender zu erwarten ist. Süffisant wird mit den nächsten Feiertagen nach Januar gestartet.
Es werden über das Jahr sinnvolle Städteparnterschaften vorgeschlagen, wir erfahren, wo eine App verwendet wird, um vor einem Date zu prüfen, ob mensch miteinander verwandt ist, in patent-trockenen Zahlen werden wir auf Gehalts- und Altersgewaltoptionsdifferenzen hingewiesen und lernen an anderer Stelle, dass „man mit 3 Millionen Kilowattstunden (kWh) Strom“ entweder 16 Tage das Oktoberfest betreiben oder ein Jahr lang 1.200 Haushalte mit Strom versorgen könnte. Zu Wasserverbrauch und Malle ist nur einmal im Jahr gibt es auch was.
Dabei geht es bunt und quer durch und um die Welt. Was nicht nur Westeuropa und Nordamerika beinhaltet. So blicken wir also auch auf Fakten und Gegenden, die manchen eher fremd bis unbekannt sein dürften. Lernen mit Witz. Zu guter Letzt sind die den Kalender ins Ende führenden alphabetisch gelisteten guten „Gründe gegen ein bundesweites Böllerverbot“ äußerst anregend.
KATAPULT-Abreißkalender 2025; 365 Grafiken & Illustrationen; ISBN: 978-3-948923-85-3; Katapult Verlag; 20,00 €
Stilvoll, schamlos und schön
Zwar nicht alphabetisch angeordnet, allerdings hart anregend ist der Gruenholtz Kalender The Fine Art of Erections. Dieser ist nicht nur für Freund*innen des gleichnamigen, künstlerisch anspruchsvollen und für die Freiheit der Kunst wertvollen Bildbandes (beides Salzgeber Buchverlage) ein erregendes Fest.
Der sichere Blick des sich gegen Zensur und Tabus engagierenden New Yorker Fotografen Kenneth Gruenholtz, der neben New York bereits in London, Paris, Berlin und Barcelona ausstellte, fängt in den vierzehn Farbfotografien (im Fotoband finden sich auch diverse Schwarz-Weiß-Aufnahmen) nicht nur spannende Momente und Gesten wie Blicke der sehr unterschiedlichen Models, sondern ebenso uns ein.
Im Januar geht es mit Josh leger bis nachdenklich am Küchentresen zu, im Februar wird mit Clark, schon im Bildband einem der Lieblingsmodels mancher hier bei the little queer review, alles frisch, im März stammeszugehörig, im April so aderig wie hängend (ebenso eine Leidenschaft eines unserer Autoren). Der Juni zeigt ein Boy-Face mit Big-Dick (und irgendwie irritierend platzierten Socken. By the way: Wieder viele schöne Füße, für jene, die’s mögen) und auf Spiegelei im Juni folgt Selbstversunkenheit im August.
September-Mitch scheint auf Stretching-October-Jesse zu blicken, derweil bei November-Chaz die Pose vor dem Hintergrund beinahe ironisch wirkt und wir mit December-Ray gern gemeinsam ein warmes Bad nähmen. Kurzum: Es geht bunt, ein wenig wild und aufs Ästhetische auch ziemlich hot’n’horny zu bei dieser feinen Kunst der Erektionen.
Gruenholtz: The Fine Art of Erections 2025; Juni 2024; 14 Seiten mit 14 Farbfotografien, Spiralbindung; Format: 42,0 x 30,0 cm; ISBN: 978-3-95985-702-4; Salzgeber Buchverlage; 24,99 €
Maritime Kultur bleibt ein Highlight
Feine Kunst bietet ebenso der zweitmittige Kaleder, der im vergangenen Jahr unser Opener war: der mare Kulturkalender. Auch 2025 bietet der auf 52 hochwertig bedruckten Seiten wieder so einiges auf, das mal sehr direkt, mal eher über Bande mit dem Meer zu tun hat. Wie gewohnt gibt es neben reichlich Bildern und Auszügen von Geschichten und Gedichten auf jedem Blatt des mareverlag-Werkes somit in jeder Woche eine Entdeckung zu machen.
Angefangen beim Cover, das Ernst Haeckels „Scheibenqualle (Pelagia Perla)“, 1899, zeigt und der wir Ende September begegnen und erfahren zugleich, dass der preußische „Zweckerlass“ vom 28. September 1932 „Frauen Ganzkörperbadeanzüge vor[schreibt], Männer benötigen einen Stoffeinsatz im Schritt.“ Sexistischer Lendenschurz, ick hör dir tropfen!
Über das Jahr begegnen wir, bei gutem wie schlechtem Wetter, unter anderem Virgnia Woolf, Herbert Ponting, Kurt Tucholsky, Colette, Max Beckmann, Alexander von Humboldt, Walter Benjamin, Emily Dickinson und dem alten Goethe, Else Lasker-Schüler sowie Theodor Fontane. Auf Zeichnungen wie Fotografien sind Mensch und Tier, manch fantastischen Wesen und das Wasser in verschiedensten Farb- und Stimmungslagen zu sehen.
„Der mare Kulturkalender ist anschauliche Kunst– und Kulturgeschichte, das Meer und die Kraft des Wassers immer im Blick und wir lernen, was es rundherum nicht alles gibt. Ohne jede Übertreibung: Einer der besten Kalender, die es hierzulande zu erstehen gibt“, schrieben wir 2024. Das hat Bestand.
mare Kulturkalender 2025; August 2023; 52 Seiten; Spiralbindung; Format: 24 x 32 cm; ISBN 978-3-86648-740-6, mareverlag; 24,00 €
Märchenhaft mit einer Prise Realismus
Was wir im vergangenen Jahr hingegen nicht schrieben, ist, dass es sich auf einem Kürbis wohl besser schlafen lässt, als auf einer Erbse. Dies erfahren wir im Spätsommer dank Heinz Janischs Die Prinzessin auf dem Kürbis, lebendig und an den Wangen pentagramistisch illustriert von Selda Soganci, im Arche Märchen Kalender 2025. Nun startet das Jahr allerdings auch in diesem von Neele Bösche herausgegebenen Märchen Kalender das Jahr mit dem Winter.
Und was passt zum Winter? Richtig – Depressionen. Oder Handschuhe, das geht auch. Passend dazu wird uns ein Auszug aus dem so betitelten Märchen aus der Ukraine mitsamt einer zauberhaften Illustration von Zanna Holdhawk geliefert. Die Geschichte ist wirklich fein und gehört zu den Lieblingsmärchen eines unserer Redakteure.
Wie zum späteren Einstieg finden wir anschließend eine Mischung „Magische Märchenzitate“, illustriert von Nele Palmtag. Vor dem Kürbis treffen wir Hans Christian Andersens empfindsame Prinzessin auf der Erbse (Illustration: Daniela Bunge) oder blicken auf Die Sterntaler der Brüder Grimm, dies irgendwie creepy illustriert von Alex Peter.
Ebenfalls aus Grimm’scher Feder ist Der Eisenofen (Illustration: Julie Völk), ein uns bislang unbekanntes Märchen, das allerdings sehr unterhaltsam scheint. Wie auch manch eines aus Indien, Rumänien, Frankreich oder China. Und gar dem Harz! Wir begegnen einem boshaft-cleveren Mädchen in Anna Wahlenbergs Der Juwelenacker (Zeichnung: John Holmvall), noch mehrmals den Grimms wie auch dem Hans Christian. Oscar Wildes Der glückliche Prinz möchten wir in Gänze lesen. Freuen uns über Beiträge von Kristen Boie, An Swerts oder Daniela Drescher.
Die Illustration Vitali Konstantinovs zu Der Bauer und der Teufel erinnert an den Stil von Katz & Goldt und jene von Markus Lefrançois zu den Bremer Stadtmusikanten an Sozialistischen Realismus, wie wir sie in einem schwulen Kontext etwa von Jürgen Wittdorf kennen. Und an diversen Plattenbaufassaden und manchem Stromkasten noch immer bewundern können (es war ja nicht alles schlecht). Schlecht ist dieser Märchen Kalender ebensowenig, ganz im Gegenteil. Er unterhält gut und dürfte unabhängig vom Alter Lust auf mehr Märchen machen.
Da, wie der aktuelle literarische Katzenkalender uns wissen lässt, „Kürbis die Entschuldigung der Natur [ist], dass der Sommer endgültig vorbei“, und die Kürbis-Saison offiziell gestartet ist, lässt sich die Schlafempfehlung direkt ausprobieren. Alternativ backt ihr einen Pumpkin Cheesecake.
Neele Bösche (Hg.): Arche Märchen Kalender 2025; Juni 2024; 32 Seiten, durchgehend Farbabbildungen, Spiralbindung; Format: 33,4 x 30,4 cm; ISBN: 978-3-71600-009-0; Arche Verlag; 22,99 €
Lebens- und lesenswerte Neugierde
Statt Katzen, wir kündigten es bereits an, gibt es in diesem Jahr erstmals den literarischen Eulenkalender, der auch bei Schöffling & Co. erscheint (und wie ihr gesehen habt, ziert das Märchenkalender-Cover wie auch das eulen-kalendarische eine Schleiereule, auch bekannt als Tytonidae).
Ähnlich dem ebenfalls von Julia Bachstein herausgegebenen Katzenkalender finden wir auch hier zahlreiche Zitate auf Schwarz-Weiß-Grau-Fotografien der, wie wir meinen, durchaus mysteriösen und krass begabten Tiere. Manch ein Bonmot lädt dabei zum hintergründigen Schmunzeln ein, wie etwa dieses von Elias Canetti: „Immer wenn man ein Tier genau betrachtet, hat man das Gefühl, ein Mensch der drin sitzt, macht sich über einen lustig.“ (Dazu gibt es eine Eigentliche Eule, Strigidae, zu sehen.)
Dann wieder wünschen wir uns, dass der Mensch sich die Worte Christian Morgensterns zur Natur zu Herzen nimmt und dass der mütterliche Spruch eines Karl May immerzu wahr wäre. Ob der Bezeihungstipp Christine Nöstlingers Mitte Februar befolgt werden muss, ist jeder und jedem selbst überlassen und ob wir Erich Mühsams Worte zu Träumen unterschreiben würden, wissen wir auch nicht.
Zutreffend ist Jürgen Roths Satz: „Ein Sommerregen ist erfreulich, ein Regensommer ist abscheulich.“ Bis es aber so weit ist im kommenden Jahr, haben wir noch einige Wochen und viele, viele wunderbare Fotografien und mal mehr, mal weniger vogel- und eulenbezogene Zitate vor uns. Die Vielstimmigkeit jedenfalls ist fein, die Motive sind es ebenso und, hach ja, dieser literarische Eulenkalender ist einfach hinreißend. Definitiv wird er, den literarischen Kazenkalender 2024 ablösend, im Badezimmer uns und unseren Gästen Freude bringen.
Apropos Katzenkalender: Ganz ohne soll auch das Mittejahr dieser 20er nicht durchlebt werden. Und ganz im Ernst – wie könnten wir auf unser alljährliches Miaulight und Must-Have den Katzen TaschenKalender verzichten?! Wie sollten wir denn sonst auch wissen, dass am 5. Januar nicht nur der Tag des Vogels ist (siehe Kalender 2024), sondern auch der der Drehbuchautor*innen? Oder vor dem Tag des Eierwerfens am 6. Oktober der Tag der Käsepizza begangen wird? Erst im laufenden Jahr haben wir ja gelernt, dass der 25. Oktober der Weltpastatag ist. Oder dass, irgendwie passend, auf den Welttag des Semilikons der BlaBlaBla-Tag folgt? Eben!
Angereichert wird auch dieser von Julia Bachstein zusammengestelte Kalender um Geburts- und, so schon tot, Sterbedaten der Zitierten wie auch Informationen zu den Fotografien. So fantastisch ansehnlich sind beide Kalender übrigens nicht zuletzt auch dank der für Satz und Lithografie zuständigen Agentur Fotosatz Amann.
Julia Bachstein: Der literarische Eulenkalender 2025; Juni 2024; 56 Blatt, durchgehend zweifarbig; Spiralbindung; Format 24 x 32 cm; ISBN: 978-3-89561-799-7; 23,95 €
Julia Bachstein: Katzen Taschenkalender 2025; Juni 2024; 144 Seiten, gebunden mit Lesebändchen; Format: 14,8 x 9,2 cm; ISBN: 978-3-89561-783-6; 14,95 €
Klassisch nackt
Als hätten wir es geahnt, geht es fantastisch ansehnlich und gar kunsthistorisch bedeutungsvoll weiter. (Keine Sorge, es kommt gleich nochmal was Pornöses.) In The Male Nude in Art sehen wir, wenn wir so wollen, das künstlerische „Licht“. Jedenfalls jenes von Koloman Moser, einem österreichischen Maler, Grafiker und Kunsthandwerker, der auch Mitbegründer der Wiener Secession war und etwa mit Felix Salten (dem wir auch im Märchen Kalender begegnen) arbeitete. Dem wir wiederum in anderen hier empfohlenen Kalendern begegnen.
Im Februar dürfen wir in diesem Kalender der Salzgeber Buchverlage das auf den ersten Blick schlichte, farbstarke und recht berühmte Gemälde „Jungen (Spielende Jungen)“ des ersten Präsidenten der Sankt Petersburger Künstlervereinigung Kusma Sergejewitsch Petrow-Wodkin betrachten. Im März können wir mit dem spätimpressionistischen Werk des Schweden Eugène Fredrik Janssons, „Badsump“, schon einmal anbaden.
Hier kommt zwar ein düsterer Vibe rüber (der dezent an Werke Otto Muellers erinnert), wie wir meinen, den hebt Edvard Munch mit seinen „Männern am Strand“, die uns gefühlt in eine Cruising-Area auf Fire Island beamen, direkt wieder auf. Weiters tauchen berühmte Namen wie Erich Heckel, Max Beckmann oder Paul Cézanne auf. Nicht wenigen, wenn auch eher ohnehin kunstaffinen Betrachter*innen, wird auch der Name Henry Scott Tuke ein Begriff sein. Von dem englischen, dem Impressionismus zuneigenden Künstler, sehen wir das filigrane Bild „August Blue“.
Tuke, vor allem bekannt für seine Malereien nackter Jungen und junger Männer, allerdings nie sexualisiert, wird überaus gern von Elton John gesammelt. (Im Knesebeck Verlag ist übrigens kürzlich Fragile Beauty. Fotografien aus der Sir Elton John und David Furnish Collection erschienen, wir planen diesen Band noch in der Vorweihnachtszeit zu besprechen.)
Einen Ausflug in die griechische Antike gibt es ebenso wie einen mythologisch-manieristischen „Sturz der Titanen“, der dazu einlädt sich mehr mit dem niederländischen Künstler Cornelis van Haarlem zu beschäftigen. Es stimmt schon, was der Verlag zum Kalender schreibt: „Seit jeher hat der männliche Akt auf Künstler – und Betrachter – eine große Anziehungskraft ausgeübt.“
Die übt auch der wirklich schöne, zu einer Vertiefung und manches Schwelgen in Gedanken einladende, querformatige Kunst-Kalender für das Jahr 2025 aus.
The Male Nude in Art 2025; Juni 2024; 14 Seiten mit 13 Abbildungen, Spiralbindung; Format: 30,0 x 42,0 cm; ISBN: 978-3-95985-707-9; Salzgeber Buchverlage; 24,99 €
Guter Schnitt
Nun also, wie versprochen, noch einmal Schlag- bis Stoßkräftiges zum großen Finale. Auf vierzehn Seiten und Fotografien sehen wir fünfzehn der Cockyboys. Beginnend mit dem Cover, auf dem uns Nick Floyd wohl verträumt bis verlangend anschauen soll, aber irgendwie so aussieht, als hätte er gerade einen durchgezogen. Was cool wär‘, klar. Und wer mag bei den grünen Augen und Lippen schon „Nein“ sagen?!
Womöglich jene, die es optisch etwas rougher mögen… Da wären dann Theo Brady, Evan Knoxx, Roman Todd, Noah Foxx oder Braxton Cruz zu nennen. Ty Santana, Tony Genius oder Daniel Evans scheinen ein Zwischending. Tristan Hunter, Eric Rey und Chris Andy wirken hingegen eher brav. Allerdings, und manche sprechen hier aus Erfahrung: Die Clean-Cut-Fellas, die braven gebürsteten Jurastudenten und Sozialarbeiter können die größten Säue sein. Jippie!
Apropos Clean-Cut: Die hier abgebildeten, allesamt äußerst ansehnlichen Schwänze sind zu einem Großteil beschnitten. Was erneut für Freude sorgt. Scheint das insbesondere im deutschsprachigen Raum manches Mal doch eine gewisse Verwunderung hervorzurufen. Genau wie Unbedarftheit im Umgang.
Nun lässt sich an diesem Cockyboys-Kalender letzteres zwar schwer erlernen, dafür umso besser betrachten und schätzen (lernen). Dennoch sei gesagt, dass hier nicht das Motto „das Beste kommt zum Schluss“ gilt. Der Kalender ist ansprechend, bereitet wortwörtlich durchaus Lust, ist allerdings keineswegs unser Highlight für 2025. Dieses zu benennen fiele nun allerdings auch schwer.
(Es gibt aus dem Hause Salzgeber übrigens u. a. auch noch einen Bel Ami– sowie einen Nothing to Hide-Kalender von Phil Dlab. Darauf haben wir mal verzichtet. Doch dürft ihr bald mit queer reviews zu den Bildbänden 101 Boys of Bel Ami und Nothing to Hide 3 rechnen. Vom fantastischen Fotografen Richard Kranzin gibt es für 2025 übrigens leider keinen Kalender.)
Cockyboys 2025; Juni 2024; 14 Seiten mit 14 Farbfotografien, Spiralbindung; Format: 42,0 x 30,0 cm; ISBN: 978-3-95985-690-4; Salzgeber Buchverlage; 24,99 €
Das war es dann auch schon. Wir hoffen euch ein wenig Inspiration für die eigenen vier Wände, für Weihnachts- und Chanukkah-Geschenke oder andere Anlässe gegeben zu haben. Und wer weiß: Vielleicht gibt es im kommenden Jahr gar einen Kalender-Weihnachtskalender mit 24 täglichen Tipps?! Hmm…
QR
PS: Die KW 51 wird im Arche Literatur Kalender übersprungen. Finden wir dort doch einen gewissen Nobelpreisträger, der sich kürzlich dadurch „hervortat“ einen Offenen Brief bzw. eine Petition zu unterzeichnen, die zum Boykott von israelischen Verlagen, Literaturpreisen und -festivals und also jüdischen und israelischen Autor*innen aufruft. Dies wohlgemerkt ohne dabei auf die blutige Terrorattacke der Hamas vom 7. Oktober 2023 einzugehen, ja diese überhaupt zu erwähnen. Neben diesem Mann haben auch um die 1 000 weitere Buchmenschen das Pamphlet des „The Palestine Festival of Literature“ unterzeichnet. Mehr dazu in den kommenden Tagen.
PPS: In diesem Zusammenhang einmal Charles Dickens im literarischen Eulenkalender: „… und die Eule machte einen Lärm, der nur sehr wenig Ähnlichkeit mit dem Geräusch hatte, den die Dichter konventionell den Eulen zuzuschreiben pflegen. Es ist überhaupt der hartnäckige Brauch, solcher Geschöpfe, kaum je das zu sagen, was man ihnen in den Mund legt.“
Immer nachdenken, bevor etwas unterschrieben wird, hmm…?!!
PPPS: So häufig wie er auftaucht, sind wir schon beinahe irritiert, dass Hans Christian Andersen nicht auch noch in die Salzgeber-Kalender Einzug gehalten hat. Na, vielleicht im kommenden Jahr.
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