A Ferry Tale

Das Hintergrundbild zeigt die Einfahrt auf der philippinischen Insel Siquijor – die zwar nicht überlaufen, aber auch nicht verlassen ist.

Auf den Kanarischen InselnMallorca und manch anderen Orten sind die Menschen in den letzten Monaten auf die Straße gegangen. Sie protestierten gegen die Horden an Touristinnen und Touristen, die zwar kommen und sich an Sonne und Strand laben, die auch ihr Geld vor Ort lassen. Die aber eben auch Dreck machen, die Preise für Nahrungsmittel und Wohnraum steigen lassen und letzteren durch Zweckentfremdung sowieso systematisch verknappen. Overtourism ist das Schlagwort.

Und dann gibt es ein gegenteiliges Phänomen. Orte, an die niemand hinwill. Oder vielleicht auch nicht hinkommt. Manche Orte sind so abgelegen, dass wir sie sogar fast vergessen. Und mit ihnen das, was wir dort hinterlassen haben.

Life is life

So ist es in Thea Mengelers Roman Nach den Fähren, der bereits im Februar bei Wallstein erschienen ist. Wir befinden uns auf einer namenlosen Insel, vermutlich irgendwo südlich gelegen, die einst ein Touristenmagnet war, nun aber nur noch ein paar Menschen beherbergt. Irgendwann und ohne Vorankündigung kamen einfach die Fähren nicht mehr, der Ort wurde vergessen.

Was blieb, war eine Handvoll Seelen, die sich seither mit ihrem abgelegenen Leben arrangiert hat. Der Hausmeister des Sommerpalasts pflegt diesen zumindest halbherzig, die Frau des Generals kümmert sich um ihren nicht mehr einsatzfähigen Mann, die Bäckerin widmet sich ihren Laiben und die Doktorin, die ist primär, bevor sie im Verlauf der Geschichte zu schreiben beginnt.

Dazu gibt es noch einige wenige Nebencharaktere, die bis auf das kleine Mädchen Ada wenig Einfluss auf die Handlung nehmen. Ada taucht einfach auf und ihr Erscheinen bricht die Routinen der Insulaner*innen auf. Alle ändern sie nach und nach ihren Trott, in dem sie sich nach Jahren der Abgeschiedenheit eingerichtet hatten: Selbstversorgung und -beschränkung, Tauschwirtschaft und ein wenig Müßiggang.

Stay focused

Das Leben auf dieser Insel ist rustikal und schnörkellos. Luxus gibt es gibt es nicht, Hedonismus schon gar nicht. Jeder und jede geht einfach nur dem eigenen Tagewerk nach, das auf einem Status Quo Fähre beruht. Der Hausmeister beispielsweise kommt nicht auf den Gedanken, einmal in einem der opulenten Gästezimmer zu nächtigen, sondern er bleibt in seiner kleinen Wohnung. 

So rustikal und schnörkellos das Leben ist, so ist auch die Sprache in diesem Roman von Thea Mengeler. Aussagen und Handlungen sind klar beschrieben, die Sätze kurz, prägnant und eindringlich. Nebensätze und damit auch Nebenhandlungen oder -schauplätze gibt es kaum. Wir kennen dies von Andreas Stichmanns Roman Eine Liebe in Pjöngjang, der vor zwei Jahren für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Es zählt immer nur das Hier und Jetzt, was später oder morgen kommt, ist auf der Insel lange egal.

Sweat, baby sweat

Das ändert sich, als Ada auftaucht. Plötzlich entwickeln die Menschen auf der Insel Wünsche, manche sogar Ambitionen. Vom Leben außerhalb abgeschnitten, hat es doch auch nur wenig Sinn, nach mehr zu streben, oder? Es ist die kapitalistische Wachstumslogik, die hier außer Kraft gesetzt worden ist. Ihr fehlte der Impuls, der von den Fähren ausging, den Menschen, die sie brachten, die umsorgt werden wollten – mit allen schlechten Auswüchsen, die Menschenhorden eben mit sich bringen.

Nach den Fähren ist kurz und knapp gehalten. Die wenigsten Kapitel sind deutlich länger als zwei Seiten, viele sogar weniger als eine. Auf knappem Raum und mit wenig Wort schafft Thea Mengeler es, eine kleine Welt zu erschaffen, in der sowohl die Charaktere als auch wir Lesenden anfangen können zu träumen. Es ist ein experimenteller Roman, der unsere grauen Zellen an heißen Sommertagen zum Schwitzen bringen kann. Nicht umsonst ist er für den Preis der Hotlist nominiert.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Thea Mengeler: Nach den Fähren; Februar 2024; 176 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN 978-3-8353-5585-9; Wallstein Verlag; 20,00 €

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