Adieu Tristesse!

Nur hereinstolziert, ihr stolzen Vögel, mitsamt aller Superkräfte, Säugetiere, mit allen Über-Lebensküsten, und Insekten, Kämpfer*innen und Leser*innen, wenn es heute heißt: Baumwipfel auf zur mittlerweile vierten Festtagsbücherei!

Die beteiligten Verlage sind wie immer unabhängig in ihrer fantastischen Buchauswahl. Ob nun eine queerer Kontext oder nicht, ein Sachbuch oder Roman, eine Graphic Novel oder ein Kinderbuch, eine Neuerscheinung oder ein Backlist-Titel: All dies obliegt den teilnehmenden Häusern selbst. Wir mischen uns da nicht ein.

Die Verlage wählen wir eher zufällig aus, immer bedacht auf eine gute Durchmischung, was die Themen- und Gattungsvielfalt angeht. Ebenso schauen wir natürlich, dass wir nicht Jahr um Jahr exakt die gleiche Aufstellung erleben. Wenn wir doch auch mittlerweile ein paar alten Hasen begegnen. Leider, das sei gesagt, fehlt 2024 einer unserer Lieblingsfische.

Das Layout haben wir ein wenig verändert aka verbessert, um die einzelnen Titelabschnitte genauer voneinander unterscheiden zu können. (Bevor wieder Fragen kommen: Ja, jeder Verlag hat die gleichen Vorgaben was Textlänge und Co. angeht, in welchem Umfang dies genutzt wird, steht den Empfehlenden frei.) Über die Reihenfolge entscheidet ebenfalls der Zufall.

Wie auch in den vergangenen Jahren haben wir einige der vorgeschlagenen Bücher bereits besprochen, andere werden folgen – teils hatten wir diese bereits auf dem Flügel und im Nest, manche allerdings wurden uns erst dank der Verlagsvorschläge als Beute bewusst.

Auf geht’s!


Laura Siegismund, Lektorat und Presse im Hamburger Merlin Verlag, empfiehlt:

Vor 25 Jahren hat der Merlin Verlag begonnen, das Gesamtwerk von Jean Genet – bestehend aus Romanen, Gedichten, Dramen und Essays – in einer Werkausgabe zu veröffentlichen. Und zu Weihnachten ist es nun soweit: Mit dem Roman Querelle de Brest erscheint der krönende Abschluss dieses Projekts! Und der hat es in sich:

Genet erzählt die Geschichte des schönen Matrosen Querelle, der nachts durch den Hafen von Brest streift und dem alle verfallen, die ihm begegnen: vom Bordellbesitzer und seiner Frau bis zum obersten Leutnant. Doch für einige von ihnen endet die leidenschaftliche Begegnung mit Querelle tödlich, denn verstrickt in ein Netz aus Sexualität, Sehnsüchten und Fantasien kann der Matrose keinen Halt finden.

Eine Geschichte der gefährlichen, verbotenen Lieben, voller Sehnsüchte und nicht zuletzt ziemlich expliziter, poetischer Erotik, die mich sofort in ihren Bann gezogen hat und bis heute nicht loslässt. Denn auch Jahrzehnte nach der Entstehung hat der Roman nichts an Brisanz verloren: Nicht umsonst gilt Genet, der bereits in den 1940er-Jahren (homo)sexuelle Beziehungen zu seinem zentralen Thema machte, bis heute als Pionier für die queere Literatur. Und nicht umsonst führte sein erster Roman in den 50er-Jahren für den Merlin Verlag zu einem Prozess wegen der „Verbreitung unzüchtiger Schriften“…

Jean Genet: Querelle de Brest – Werkausgabe Band IV; Roman; ET: 15.12.2024; 396 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-87536-349-4; Merlin Verlag; 32,00 €


Mona Schroeder empfiehlt aus dem Verlag Kettler:

Vintage-Pferdepostkarten kombiniert mit Codes und Slang aus der queeren Community

Stef Mosebach bezeichnet sich selbst als ehemaliges Pferdemädchen und queere Person. In der Arbeit Queer Horses kombiniert Stef Vintage-Pferdepostkarten mit Codes und Slang aus der queeren Community. Klingt kurios? Ist es auch!

© Stef Mosebach/Kettler

Herausgekommen ist ein Postkartenbuch mit einer ordentlichen Prise Selbstironie und einem gehörigen Augenzwinkern gegen den elitären Habitus beider Szenen. Eine Liebeserklärung an die queere Kultur – und Pferde!

Ein wenig Hintergrund zum Band bei It’s Nice That:Twinks, baby dykes and proud bottoms: Stef Mosebach’s horses are here to deliver some queer joy

Unsere Rezension: „Filthy Fruity Fruit Fur

Stef Mosebach: QUEER HORSES; Mai 2024; Softcover, 40 Seiten; Format: 10,5 × 14,8cm; ISBN 978-3-98741-136-6; Verlag Kettler; 20,00 €


Tomas Rensing, Pressesprecher Coppenrath Verlag, empfiehlt:

Ich gestehe: Die Verfilmung des kleinen Lords, die alle Jahre wieder den Bildschirm erobert und die Fans begeistert, habe ich noch nie gesehen. Stimmt nicht. Noch nie ganz gesehen. Immer nur Sequenzen – vielleicht in all den Jahre aber auch alle. Ich weiß es nicht. Aber ich ahne es. Denn ich kann stets mitreden. Kenne die genannte Szene, finde den Großvater zunächst fürchterlich, Cedric auch – und schaue dann doch weiter. Bis zum bitteren – nein, süßen Ende.

Als wir nun das Buch Der kleine Lord von F. T. Burnett als Schmuckausgabe verlegt haben, war ich soforthin und weg. Das Buch spiegelt – nicht zuletzt wegen der Originalillustrationen von Reginald Birch und weiteren Stichen – 1:1 die Atmosphäre des Buches wider. Ein großartiges Geschenk zur Weihnachtszeit.

Frances Hodgson Burnett: Der kleine Lord (Kleine Schmuckausgabe); September 2024; Aus dem Englischen von Emmy Becher; 240 Seiten; Hardcover, gebunden mit Lesebändchen, mit Strukturpapier, Hochprägung und Goldfolie, ausgestattet mit 11 aufwendig gestalteten Extras; Format: 13,0 x 19,0 cm; ISBN: 978-3-649-64607-5; Coppenrath Verlag; 24,00 €


Sebastian Guggolz, Gründer und Leiter Guggolz Verlag, empfiehlt:

Dieser Roman hat nicht nur einen kapriziösen Titel: Schwäbisches Capriccio – es ist auch – versprochen – ein riesiger Spaß, ihn zu lesen. Wir alle dürfen über den Zusammenprall der Hauptfigur Pēteris Drusts (ein 1942 aus Lettland vor den Sowjets ins Nazideutschland geflohener Rigaer Bildungsbürger, der ohne Hab und Gut auf der Schwäbischen Alb strandet) mit der hinterwäldlerischen schwäbischen Bevölkerung lachen. Das erlaube ich als gebürtiger Schwabe ausdrücklich. Denn es ist ein überzogen-entlarvender, spöttischer Blick, den der Flüchtling Drusts auf die Einheimischen wirft, doch ist dieser Blick voller Achtung und manchmal ungläubiger Bewunderung für die Unverdrossenheit der Bewohner der Stadt Pfifferlingen auf der Alb (die es nicht gibt: die aber in Albstadt-Tailfingen ein reales Vorbild hat). Die Kontraste und Ambivalenzen lassen die Lustigkeit zum tieferen existenziellen Witz werden, und Pēteris Drusts, den gerissenen Taugenichts mit verlorener Heimat, hat man binnen kurzem bereits tief ins Herz geschlossen. Was auch – das darf nicht unerwähnt bleiben – an Berthold Forssman und seiner grandiosen sprachverliebten Übersetzung des Romans von Anšlavs Eglītis liegt.

Anšlavs Eglītis: Schwäbisches Capriccio; Aus dem Lettischen und mit einem Nachwort von Berthold Forssman; August 2024; 318 Seiten; Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen; ISBN: 978-3-945370-47-6; Guggolz Verlag; 25,00 €


Christian Lütjens empfiehlt aus dem Männerschwarm Verlag:

Dem schwulen jüdischniederländischen Dichter Jacob Israël de Haan wurde in diesem Jahr vielfach gedacht, weil sich seine Ermordung zum hundertsten Mal jährte. Sie erfolgte am 30. Juni 1924 in Jerusalem und gilt als erster politscher Mord der zionistischen Hagana in Palästina. Die andere Bibliothek nahm das Jubiläum zum Anlass, Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim von 1932 neu herauszubringen, der sich auf den Fall beruft. Die Bibliothek rosa Winkel des Männerschwarm Verlags brachte derweil erstmals einen Roman de Haans in deutscher Übersetzung heraus, ergänzt durch eine weitere Kurzgeschichte und ein ausführliches Nachwort. Herausgekommen ist ein Buch, das die zuletzt oft übergangene Qualität de Haans als schwuler Vordenker, Romancier und Provokateur in den Blick rückt. Pathologien (im niederländischen Original erstmals 1908 erschienen) erzählt die Geschichte des Studenten Johan van Vere de With, der seine Liebe zu Jungen und Männern zwar gegen moralische Ächtungen verteidigt, aber am Sadismus seines Geliebten zugrunde geht, der ihm die Fesseln der Gesellschaft nicht nur aufzeigt, sondern buchstäblich anlegt. Der Roman ist ein durchaus drastisches Moralstück über die Folgen struktureller Homophobie für diejenigen, gegen die sie sich richtet. Ein interessantes Zeitdokument, das Gert Hekmas Nachwort historisch einordnet, und ein guter Einstieg in de Haans Werk, von dem wir 2025 mit Quartette auch die lyrische Seite erstmals auf Deutsch vorlegen werden.

Jacob Israël de Haan: Pathologien; Bibliothek rosa Winkel, Band 82, März 2024; 360 Seiten; Hardcover; ISBN 978-3-86300-082-0; Männerschwarm Verlag, 28,00 €



Kristina Fischer (Atrium Kinderbuch) empfiehlt Anno & Issa von Linnea Lundborg und Ylva Oknelid:

Das Kribbeln beim Skateboardfahren, die Unsicherheit und Aufregung der ersten Liebe, die jede:n erwischt – ganz egal, in wen man sich verknallt und die Sorge um den besten Freund beschäftigen Anno. In ihrem Hybridformat aus erzählendem Kinderbuch und filigranen Comicsequenzen schildern die Schwedinnen Linnea Lundborg und Ylva Oknelid authentisch und sensibel von Freundschaft, vom Mut, über sich hinauszuwachsen, und von den Höhen und Tiefen der ersten Liebe. All die verwirrenden Gefühle werden aus der Sicht von Anno geschildert, wodurch die Leser:innen behutsam an die Hand genommen werden. Anno & Issa feiert Diversität als Selbstverständlichkeit und hinterlässt ein Lächeln im Gesicht.

Linnea Lundborg, Ylva Oknelid (Ill.): Anno & Issa; Aus dem Schwedischen von Franziska Hüther; Kinderbuch ab 10; 224 Seiten; Hardciver, gebunden; ISBN: 978-3-85535-181-7; Atrium Kinderbuch; 15,00 €


Frank Nowatzki empfiehlt für Pulp Master:

Mit ihrer Hinwendung zum zeitgenössischen psychologischen Thriller vollführte die Autorin einen großen Sprung, stand ihr Stil doch bis dahin stark unter dem Einfluss des Noir-Krimis und des Film noir der 1940er bis 1960er Jahre. In diesem Buch begibt sich Abbott in die Sphären des Schauerromans.

Während Abbott immer wieder auf die Traditionen des Hardboiled-Genres zurückgreift und sie gleichzeitig hinterfragt, überschreitet ihre Arbeit zugleich die Grenzen des Genres und offenbart die Autorin als eine neue, wichtige Stimme der zeitgenössischen Kriminalliteratur — auch wenn ihre Romane weiterhin oft als Krimis bezeichnet werden. Obgleich sie mit Spannungselementen arbeitet und von Gothic- und Noir-Elementen
Gebrauch macht, scheint es Abbott dennoch weniger um die Konstruktion doppelbödiger Handlungsprobleme zu gehen als vielmehr darum, die dunkle Seite der Weiblichkeit zu erkunden.

Mit kraftvoller Prosa und einem perfekten Tempo taucht der Roman auf provokante Weise tief in die Welt des Begehrens, der Liebe und der Geschlechterpolitik ein. Und wenn es dann bei den großen Publikumsverlagen für Megan Abbotts brisante Mischung keine Programmplätze zu geben scheint, muss eben ein Indie her und hierzulande für die längst fällige Publikation sorgen

Megan Abbott: Hüte dich vor der Frau. Pulp 63; Dezember 2024; 384 Seiten; Paperback; ISBN ISBN 978-3-946582-24-3; Pulp Master; EUR 16,00


Harald Gschwandtner empfiehlt aus dem Salzburger Verlag Jung und Jung:

Hand aufs Herz: Gründe gibt’s genug, Weihnachten zu hassen! Schnee, kein Schnee, Weihnachtslieder, Familie, Einsamkeit, nützliche Geschenke und solche, die keiner braucht usw. Da man alldem ohnehin nicht entgehen kann, nimmt man es besser gleich mit Humor. Und das tut dieses Buch mit funkelndem Witz, mit herzerwärmendem Charme und der Weisheit des Leidgeprüften, der weiß, dass zu Weihnachten das Wünschen noch nie geholfen hat. Zum Trost und zum Zeitvertreib für alle, die es kaum erwarten können, dass der ganze Zauber bald wieder vorbei ist!

Robert Benchley (1889–1945), legendärer Journalist im New York der 1920er und 1930er Jahre, Mitglied des berühmten literarischen Zirkels im Algonquin Hotel, erzählt mit satirischem Esprit von den Abgründen der schönsten Zeit im Jahr. Mit den Übersetzungen von Thomas Bodmer in Warum ich Weihnachten hasse liegt erstmals ein Buch von Robert Benchley, der einst auch als Schauspieler in Hollywood Karriere machte, auf Deutsch vor.

Robert Benchley: Warum ich Weihnachten hasse; Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Bodmer; 2023; 96 Seiten; gebunden; ISBN: 978-3-99027-285-5; Jung und Jung Verlag; 16,00 €


Anna Jung, Programm und Presse Verlag Voland & Quist, empfiehlt:

Wie schon ein Rezensent richtig bemerkte, liest sich schon das Inhaltsverzeichnis in diesem Erzählungsband wie ein Gedicht, so schön sind die Titel der Erzählungen in diesem kleinen Band, in denen es sich immer in irgendeiner Weise um Zwischenmenschliches dreht. Knutschflecken zerstören Träume, zwei Frauen erleben miteinander die typische Mann-Frau-Scheiße und eine Person sehnt sich danach, dass sich eine andere Person so auf ihren Körper legt, dass sie ganz im Schaum der Matratze versinkt. 

Immer am Rande des Absonderlichen (wie schon Somalvicos mit Preisen überhäuftes Debut Ist hier das Jenseits, fragt Schwein), wird uns Liebe hier als so vielfältig präsentiert, wie wir sie inzwischen in der Gesellschaft auch wahrnehmen – auch wenn es Situationships schon früher gab, nur hießen sie damals eben das große Komm-her-geh weg. 

Ein Weihnachtsgeschenk für alle, die wir lieben, für immer, oder auch nur für einen kurzen Moment.

Noemi Somalvico: Das Herz wirft in der Brust keinen Schatten; September 2024; 216 Seiten: Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-86391-421-9; Voland & Quist; 22,00 €


Jacqueline Frei, Presse und Veranstaltungen NordSüd Verlag, empfiehlt:

Für die Wühlmäuse bilden die Grenzen ihres Gemüsegartens die Grenzen der Welt. Doch eine von ihnen träumt sich darüber hinaus: Auf einer Briefmarke entdeckt sie das Bild einer riesigen Katze aus Afrika. Wie gelangt sie dorthin? Keine Wühlmaschine wird das schaffen! Aber wie wäre es mit einer Flugmaschine?

Epische Illustrationen, eine raffiniert in die Menschheitsgeschichte verwobene Erzählung und ein überraschender Plot – das sind die Zutaten der Mäuseabenteuer von Torben Kuhlmann. Mit dem neuen Band setzt er der Flugpionierin und Ikone der Frauenrechtsbewegung Amelia Earhart ein Denkmal. 

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Torben Kuhlmann: Earhart – Der abenteuerliche Flug einer Wühlmaus um die Welt; September 2024; 128 Seiten, durchgehend farbig illustriert; Hardcover, gebunden; Format: 21,5 x 28 cm; ISBN: 978-3-314-10695-8; NordSüd Verlag; € D 24,00



Lektorin Ina Lorenz empfiehlt aus dem Wallstein Verlag:

In den Mosse-Frauen stellt Elisabeth Wagner das Leben und Wirken von vier Frauen aus der bekannten deutsch-jüdischen Familie Mosse vor. Emilie, Martha, Dora und Hilde hatten eines gemeinsam: Sie verließen die traditionellen Geschlechterrollen im späten 19. und im 20.Jahrhundert. Martha Mosse zum Beispiel wurde der erste weibliche Polizeirat in Preußen. Mich haben der Mut und die Unerschrockenheit dieser vier Frauen beeindruckt. Elisabeth Wagner erzählt aber keine Erfolgsgeschichten, sondern widmet sich auch den Ambivalenzen in den Persönlichkeiten ihrer Protagonistinnen.

Elisabeth Wagner: Die Mosse-Frauen. Deutsch-Jüdische Lebensgeschichten; Oktober 2024; 438 S., 101 z.T. farb. Abb.; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; Format: 15,5 x 23 cm; ISBN: 978-3-8353-5727-3; Wallstein Verlag; 48,00 €


Mirco Drewes, Presse und Lesungen im Satyr Verlag, empfiehlt:

Was sind Psychosen? Wie funktioniert Sucht? Und was haben Bären mit alldem zu tun?
Irre schön gibt Antworten und lässt Betroffene zu Wort kommen. Psychologisch fundiert und poetisch gleichermaßen, gehen in diesem Buch erklärende und erlebende Perspektiven zu psychischen Erkrankungen Hand in Hand. Mit Sachkenntnis, Charme und Humor räumen die Psychologin Bonny Lycen und der selbst erkrankte Slampoet Stef mit überholten Stigmatisierungen und gefährlichem Halbwissen auf.

Neben die erklärende Perspektive tritt die Sphäre des Erlebens. Teils ergreifend, teils entwaffnend komisch, vor allem aber authentisch reflektieren 38 Autor*innen in poetischen Texten persönliche Erfahrungen und das Leben mit psychischen Erkrankungen.

Ein wichtiges, in der Herangehensweise einzigartiges Buch, das das Thema Mental Health auf mehreren Ebenen erfahrbar macht, das zuhört, aufklärt und Mut spendet – geeignet für Betroffene, Angehörige, in dem Bereich Arbeitende und alle, die verstehen wollen.

Mit Beiträgen von: Aron Boks, David Friedrich, Felicitas Friedrich, Pauline Füg, Florian Hacke, Jean-Philippe Kindler, Maria Victoria Odoevskaya, Veronika Rieger, Henrik Szanto, Christine Teichmann, Katharina Wenty u. v. a.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Bonny Lycen, Stef (Hg.): Irre schön. Poetry & Mental Health; März 2022; 304 Seiten; Inklusive Audio- und Videolinks sowie 8 Cartoons von Karsten Lampe; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-947106-80-6; Satyr Verlag; 18,00 €


Empfehlung aus dem Limmat Verlag aus Zürich von Chiara Winkelmann:

Queer Kids von Christina Caprez porträtiert auf sensible Weise 15 Kinder und Jugendliche, die sich auf dem LGBTIAQ+-Spektrum befinden. Sie kommen vom Land, aus der Stadt, sind zwischen 10 und 20 Jahren alt und Teil der queeren Community oder auch nicht. Die verschiedenen Porträts erzählen vom Grundschulkind, das genau weiss, dass es ein Mädchen ist, obschon alle denken, es sei ein Junge. Oder vom schwulen Jugendlichen auf dem Land, der in der Schule isoliert ist und im Chat Gleichgesinnte findet.

Das Buch widmet sich der Frage, warum sich heute so viele Junge als non-binär identifizieren und Gesellschaftskonventionen in Frage stellen. Queer Kids trägt zu einer unaufgeregten Diskussion bei und sensibilisiert dabei Lehrpersonen, Eltern und PsychiaterInnen, die vor allem mit dieser Thematik konfrontiert werden. Dem Buch beigefügt sind nebst farbigen Porträts auch drei Interviews mit Fachpersonen. Das Buch eignet sich sowohl für solche LeserInnen, die selbst queer sind und deren Stimme mit dieser Lektüre gestärkt wird, als auch für alle, die bis jetzt nur wenig Berührungspunkte mit der queeren Jugend hatten und diese besser kennenlernen und verstehen möchten.

Christina Caprez: Queer Kids. 15 Porträts; Mit Fotografien von Judith Schönenberger: November 2024; 248 Seiten; Broschur; ISBN: 978-3-03926-080-5; Limmat Verlag; 29,00 €


Kosmos Verlag-Senior-PR-Referentin Stephanie Wilhelms empfiehlt:

Alle wissen um die Wichtigkeit von Insekten – nur beliebt sind sie oft nicht. Mit diesem Buch könnte sich das jetzt ändern, denn hier sieht man Stierkäfer, Weinschwärmer & Co. von ihrer schönsten Seite! Das Autorentrio Dominik Eulberg, DJ, Ökologe und Wissensvermittler, Thorben Danke, preisgekrönter Fotograf und Thomas Hörren, renommierter Insektenforscher hat sich auf Augenhöhe mit den Sechsbeinern begeben. Von Angesicht zu Angesicht heißt der Band, in dem sie die Tiere aus unerwarteter Perspektive beleuchten und zeigen, welche große Künstlerin die Natur ist: Beeindruckende Makroaufnahmen präsentieren ungeahnte Details, Farben, Formen und Strukturen. Die Texte beleuchten die Bedeutung der scheinbar unbedeutenden Tiere im großen Ganzen und vermitteln gleichzeitig spannende Fakten, die die Lesenden immer wieder Staunen lassen. Ein echtes Plädoyer für die Schönheit der Insektenwelt und für ihren Schutz.

Auf Petra Wiemanns Sachbuch-Blog Elementares Lesen findet ihr eine feine Rezension zum Band [Anm. d. Red.].

Dominik Eulberg, Thomas Hörren, Thorben Danke: Von Angesicht zu Angesicht. Auf Augenhöhe mit heimischen Insekten – faszinierende Fotos und wissenswerte Wunderfakten; September 2024; 208 Seiten, zahlr. farb. Abb.; Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-440-17900-0; Kosmos Verlag; 38,00 €



Silke Dürnberger, Lektorin im Müry Salzmann Verlag, empfiehlt:

Nicht an alle ersten Leseeindrücke erinnere ich mich so gut wie an diesen: Als das Manuskript auf meinem Tisch landete, bin ich – zack bumm – in den Sog der Geschichte und ihrer Figuren gekippt. Zum einen ist da Mona, die als junge Kunststudentin an der Wiener Akademie Julie Leyroux kennenlernt. Wie die meisten kann auch sie sich Julies Aura nicht entziehen, doch die Anziehung scheint einseitig zu bleiben. Erst viel später, zu spät, wird Mona erfahren, dass Julie sie geliebt hat. Und wie. Wer ist Julie Leyroux? Eine gehypte französische Performancekünstlerin, schillernd, rätselhaft, polyglott und polyamourös. Die Galeristin Ann hat sie großgemacht, wird jedoch zunehmend zum Klotz am Bein. Und dann ist da noch Julies Halbbruder Robert, Philosophieprofessor in Paris, der aus Julie eine Kraft schöpft, die er ihr später zurückgeben kann. Mona, Ann und Robert erzählen ihre Geschichten mit Julie Leyroux, deren Fäden sich nach und nach zu einem großen, mitreißenden Tableau verbinden.

Maria Christina Piwowarski begeistert sich im Podcast blauschwarzberlin: „Der Roman liest sich soghaft weg. […] Richtig gelungen ist die Leichtigkeit, mit der Flora S. Mahler Queerness einwebt.“

Flora S. Mahler: Julie Leyroux; März 2021; 240 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-99014-215-8; Müry Salzmann Verlag; 24,00 €


Andrea Burchart, Presse, PR und Marketing bei Styria Books, empfiehlt aus dem Molden Verlag:

„Einfach alles, was sie über sein Leben wissen müssen“. So lautet das Credo der der kleine-Reihe im Molden Verlag. Ziel ist es, große Persönlichkeiten der Weltgeschichte unterhaltsam darzustellen und dabei auch lustvoll mit Klischees und Vorurteilen zu spielen. Weltoffen und mit sanfter Ironie neue Facetten einer Persönlichkeit zu entdecken, von der man geglaubt hat, schon alles zu wissen. Historiker Stefan Müller hat sich der historischen Figur „Jesus“ angenommen. Lange Zeit war umstritten, ob es ihn tatsächlich gegeben hat. Heute ist sich die Wissenschaft weitgehend einig: Er hat gelebt, dieser „Jesus von Nazareth“. Müller bedient sich humorvoller Stilelemente – Anleitung zur Religionsgründung inklusive. Weiters gibt es zehn Gebote für Leadership, die Top 10 der besten Reliquien und eine Erklärung, warum Wunder nicht mit Fake News gleichzusetzen sind. Überraschend sind die Erkenntnisse, wo uns Jesus heute überall begegnet. Und er zeichnet einen Mann, der nicht Opium, sondern Dynamit brachte: „Das Reich Gottes fiel nicht vom Himmel. Sein Prophet ist kein Jahrhundertmarktclown. Die Endzeit ist kein Ponyhof.“ Kurz: Ein kleines Wunder von einem Buch!

Stefan Müller: der kleine jesus; Oktober 2024; 160 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-222-15133-0; Molden Verlag; 22,00 €


Dr. Katja Richter, Programmleiterin und Verlegerin des Deutschen Kunstverlages, empfiehlt:

Oskar Zwintschers Bildnis einer Dame mit Zigarette gehört zu den faszinierendsten Werken der Kunstgeschichte. Als das Albertinum in Dresden 2022 die Wiederentdeckung des Malers feierte, wurde spürbar, wie stark uns das 1904 entstandene Gemälde bis heute fesselt.

Die geheimnisvolle Ausstrahlung der Unbekannten inspirierte Andreas Dehmer, Kurator der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, und die Münchner Autorin Susanna Partsch, den Rätseln und Geheimnissen rund um dieses Gemäldes auf den Grund zu gehen. Mit ihnen gehen wir auf eine spannende kunsthistorische Reise, die nicht nur Zwintschers Meisterschaft als Maler beleuchtet, sondern auch tief in die gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründe der Zeit um 1900 eintaucht. Wir begegnen emanzipierten Frauen, die als Künstlerinnen, Schauspielerinnen oder Schriftstellerinnen ihren Lebensunterhalt verdienten, sich zugunsten des Reformkleids vom Korsett verabschiedeten und im Rauchen ein Symbol der Unabhängigkeit sahen. Wir reisen in die pulsierenden Metropolen Berlin, Dresden und München, wo eine aufregende Aufbruchsstimmung Kunst, Kultur und Gesellschaft prägte.

In meinen Augen das perfekte Buch, um sich von der Magie eines außergewöhnlichen Gemäldes in die faszinierende Welt des beginnenden 20. Jahrhunderts entführen zu lassen!

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Andreas Dehmer, Susanna Partsch: Symphonie in Schwarz. Eine Spurensuche zwischen Lebensreform, Frauenbewegung und Bohème; Juni 2023; 120 Seiten, mit 60 Farbabbildungen; Broschur; Format 13 x 21 cm; ISBN: 978-3-422-80115-8; Deutscher Kunstverlag


Christian Lütjens empfiehlt aus dem Albino Verlag:

Starke Bilder, dichte Atmosphäre, tolle Charaktere und ein ureigener Erzählton – all das zeichnet Micha Riegels Debütroman Rauchzeichen für Rio aus. In diesem Buch können sich alle wiederfinden, die von der großen Freiheit träumen. Nicht ohne Grund spielt der Satz „Wir sind geboren, um frei zu sein“ hier eine zentrale Rolle. Wer darin ein Zitat aus dem Ton Steine Scherben-Song „Wir müssen hier raus!“ wiedererkennt, ist auf der richtigen Fährte. Micha Riegel erzählt in dem Roman die Geschichte von Samu und Lenni, die sich Mitte der Neunzigerjahre als Straßenmusiker in Frankfurt am Main kennenlernen. Nachdem sie feststellen, dass sie beide Ton Steine Scherben-Fans sind, beschließen sie, der Band und ihrem Frontmann Rio Reiser in deren Kommune im hohen Norden einen Besuch abzustatten. Der Rest ist die Geschichte eines Sommers. Ich-Erzähler Samu lässt uns an seiner Sicht des Wegs teilhaben, der von den unvermeidlichen Verirrungen bis zu romantischen Offenbarungen einige Überraschungen bereithält – bis zum Schluss. Micha Riegel beschreibt all das plastisch, humorvoll und anrührend. Da liegen beim Lesen Lachen und Weinen oft nah beieinander. Und solche Bücher sind ja eh meist die besten.

Micha Riegel: Rauchzeichen für Rio; Oktober 2024; 304 Seiten; Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen; ISBN 978-3-86300-379-1; Albino Verlag, 24,00 €


Das PR-Team des Kehrer Verlags empfiehlt:

Zehn Jahre lang in den spannendsten Metropolen dieser Welt unterwegs sein und das tägliche Leben, das sich auf den Straßen abspielt, für die Ewigkeit festhalten. Diese Mission verfolgt der Street- und Dokumentarfotograf Jens Krauer mit seinem ersten Buch In Plain Sight. Candid Urban Encounters.

Er hat dabei Weltstädte wie Amsterdam, New York und Paris wochen- und monatelang zu Fuß durchquert, um das Leben derjenigen zu dokumentieren, die von der Gesellschaft nicht wahrgenommen werden und hält »entscheidende Momente« fest. Unermüdlich, einfühlsam und offen präsentiert er dabei die ganze Bandbreite an Emotionen – zeigt traurige, intime, lebensverändernde und humoristisch anmutende Momente. Im Fokus seiner authentischen, unverfälschten Schwarz-Weiß-Fotos stehen besonders die spontanen Augenblicke, die im Getümmel der lauten Großstadtstraßen untergehen.

In Plain Sight. Candid Urban Encounters ist ein fesselndes, persönliches Buch über zufällige Begegnungen, das dazu einlädt, in die Geschichten einzutauchen und den festgehaltenen alltäglichen Moment aus einer neuen, unvoreingenommenen Perspektive zu betrachten

Jens Krauer: In Plain Sight. Candid Urban Encounters; Texte: Chris Gampat, Stella Kramer, Jamel Shabazz; 2024; Festeinbandmit dreiseitigem Beschnitt und Farbschnitt; Format: 23 × 30 cm; 160 Seiten mit 73 Duplexabbildungen; ISBN 978-3-96900-179-0; Kehrer Verlag; 50,00 €



Filip Kolek empfiehlt aus dem Reprodukt Verlag:

Für mich eines der der stärksten deutschsprachigen Comicdebüts seit Jahren. Die Münsteraner Zeichnerin Michèle Fischels erzählt unprätentiös, aber in jeder Bild und jeder Dialogzeile authentisch und lebensnah über Umbrüche, Entscheidungen, Erwachsenwerden und Loslassen. In OUTLINE vergehen nur wenige Tage: Ben und Andreas stehen kurz vor dem Abitur. Früher beste Freunde, jetzt sprechen sie kaum noch ein Wort miteinander. Ben ist Leitwolf wider Willen, ein charismatischer Klassensprecher-Typ, für den sich alles ohne sein Zutun zu fügen scheinen. An seiner Seite Clara, die ebenfalls im selben Abijahrgang ist und fleißig an ihrer Zukunft feilt. Andreas ein Eigenbrödler und Querschießer, der sich gerne selbst sabotiert. OUTLINE folgt den drei Jugendlichen über ihre letzten gemeinsamen Tage vor dem Schulabschluss und schafft es meisterhaft, die Zeit zwischen Jugend und Erwachsensein, zwischen Schule und „wirklichem Leben“, zwischen diffuser Angst und Bäume-Ausreißen-Können einzufangen. OUTLINE wurde direkt zum Erscheinen mit dem ZEIT LUCHS prämiert und auf die Jugendempfehlungsliste „der besten Sieben“ platziert. Ein starkes Debüt. Wir sind sehr gespannt, was noch alles von Michèle kommt.

Michèle Fischel: Outline; September 2024; 208 Seiten; Klappenbroschur; Format: 16,5 x 22 cm; ISBN 978-3-95640-429-0; Reprodukt Verlag; 24,00 €


Anna Bayerl empfiehlt aus dem Insel Verlag:

Simeon möchte unbedingt die Schule der Mitternachtswelt besuchen, eine Schule für magische Wesen. Er selbst ist Halbvampir und hat, wie er es formuliert, leider nur die unpraktischen Eigenschaften seiner Vampirmutter geerbt: Er verträgt ausschließlich Blut als Nahrung und Sonnenlicht ist tödlich für ihn. Mit seinen Besonderheiten ist Simeon zunächst ein Außenseiter, bald schon merken seine Zimmergenossen aber, dass er ein Freund ist, auf den sie zählen können. Gemeinsam kommt die Clique einem dunklen Geheimnis auf die Spur, das die Schule und die magische Gemeinschaft zu zerstören droht.

Mit wunderbarem (Selbst)humor erzählt der Protagonist von seinem ersten Jahr an der Mitternachtsschule, wir freuen uns schon auf die Folgebände!

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Maëlle Desard: Die Schule der Mitternachtswelt 1; Aus dem Französischen von Anne Gabler; Oktober 2024; 320 Seiten; Fester Einband; ISBN: 978-3-458-64457-6; Insel Verlag; 18,00 €


Michael Jenewein empfiehlt aus dem Galiani Verlag:

Es gibt Tiere, die im Eis überleben, die das Geschlecht wechseln, denen Radioaktivität nichts anhaben kann, die kaum altern oder die ganze Gliedmaßen ersetzen können. Was sind die erstaunlichsten Superkräfte im Tierreich und wie können wir Menschen die Erkenntnisse darüber nutzen? In Lebenskünstler erzählt Russ Hodge nicht nur von muskelbepackten Maulwurf-Kämpferinnen oder ihren nonbinären Artgenossen, sondern auch von der erstaunlichen Biologie des Geschlechts und was wir Menschen daraus lernen können. Von kuriosen Forschungsreisen bis hin zur alten Kunst des Maulwurffangens in Spanien – dieses Buch zeigt Wissenschaft von ihrer spannendsten und zugleich unterhaltsamsten Seite. Begleitet werden Hodges Geschichten von den wunderbaren Illustrationen von Kat Menschik, die jedes tierische Phänomen – vom unsterblichen Axolotl bis zum futuristischen Bärtierchen – in kunstvollen Bildern zum Leben erweckt. Dieses Werk ist nicht nur ein Fest für alle, die Biologie lieben, sondern auch eine Einladung, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Ein Buch, das inspiriert, fasziniert und zum Staunen bringt – für Wissbegierige und Naturliebhaber gleichermaßen!

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Russ Hodge, Kat Menschik: Lebenskünstler. Von frostfesten Fischen, radioaktivitätsresistenten Bärtierchen und selbstheilenden Amphibien.; Aus dem Englischen von Stefan Widdess; Mit Illustrationen von Kat Menschik; 240 Seiten; Bezogener Pappband, Großformat 20×28 cm, vierfarbige Detailansichten und ganzseitige Abbildungen; ISBN: 978-3-86971-309-0; Verlag Galiani Berlin, 42,00 €


Jenny Meyszner, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Greven Verlag Köln, empfiehlt:

Vom Trümmerfeld zur Vorzeigedemokratie: Wer hätte 1949 gedacht, was sich aus dieser neuen „Bundesrepublik Deutschland“ entwickeln würde? Denn was damals entstand, heißt heute „Bonner Republik“. Eine Ära der Stabilität, des wachsenden Wohlstands und des demokratischen Aufbruchs. Ein Zeitabschnitt, in dem aus dem verachteten Kriegstreiber Deutschland ein Vorzeigeland Europas, ja, der Welt wurde. An diese Epoche wirtschaftlichen Aufschwungs und konstruktiver demokratischer Auseinandersetzungen erinnert der herausragende Bildband Die Bonner Republik, erschienen im Greven Verlag – pünktlich zum 75-jährigen Jubiläum dieses besonderen Kapitels deutscher Geschichte. Das Buch vereint einen politischen Essay von Heribert Prantl, langjähriger Politikchef der Süddeutschen Zeitung, mit einzigartigen Fotografien von den besten Fotografinnen und Fotografen ihrer Zeit, darunter Barbara Klemm, Will McBride und Jupp Darchinger. Viele sind bislang unveröffentlicht und vermitteln in ihrer visuellen Kraft die Dynamik, die Herausforderungen und die Erfolge der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Für Prantl ist „ein Buch zum Spazierengehen in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland. Es ist ein Buch, das uns zeigt, wie wir geworden sind, was wir heute sind.“

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Heribert Prantl, Reinhard Matz, Wolfgang Vollmer: Die Bonner Republik – Vier Jahrzehnte Westdeutschland 1949-1990; September 2024; 336 Seiten, 338 Fotos; Leinen mit Schutzumschlag; Format: 24 x 29 cm; ISBN 978-3-7743-0974-6; Greven Verlag; 50,00 €


Mag. Andrea Burchhart empfiehlt aus dem Styria Verlag:

Wiens Hotels sind Visitenkarten der Stadt und ein faszinierender Teil ihrer Geschichte. Charme und Lebensfreude begegnen hier dem Pulsschlag der großen Welt. In Wiener Hotels und ihre Geheimnisse erzählt Historiker und Bestsellerautor Johannes Sachslehner von alten Einkehrgasthöfen und vom glanzvollen Aufstieg der Ringstraßenhotels, von populären Vorstadt-Herbergen und dem prominentesten Stundenhotel der Stadt. Dabei schildert er die amourösen Hotel-Abenteuer Giacomo Casanovas und Arthur Schnitzlers, berichtet von Stars und Berühmtheiten wie Sarah Bernhardt, Charlie Chaplin, Wallis Simpson, Stefan Zweig und Joseph Roth. Er enthüllt Verschwörungen, Skandale und Tragödien – und verschweigt auch nicht die dunklen Flecken in der Geschichte der Wiener Hotelbetriebe.

Johannes Sachslehner: Wiener Hotels und ihre Geheimnisse; Oktober 2024; 240 Seiten; Hardcover, gebunden; Format: 16,8 x 24 cm; ISBN: 978-3-222-13737-2; Styria Verlag; 35,00 €



Alice Herzog, Presseabteilung Wallstein Verlag, empfiehlt:

Pol Guasch // Copyright: Maria Ródenas

Der junge katalanische Autor Pol Guasch hat für seinen Debütroman ein düsteres Setting gewählt: der Erzähler wohnt mit seiner Mutter in einer unwirtlichen Gegend, der Umgang der dort lebenden Menschen miteinander ist nach einem nicht näher definierten Fabrikunfall von Gewalt und Unterdrückung geprägt. Der einzige Lichtblick des jungen Mannes ist Boris, mit dem er sich Liebesbriefe schreibt und heimliche Treffen arrangiert – denn ihre Liebe ist, genau wie ihre Sprache, verboten. Als die Lage immer aussichtsloser wird, beschließen die beiden, auf „die andere Seite“ zu fliehen…

Pol Guasch hat eine postapokalyptische, dystopische Welt erschaffen,  die trotz allem aber auch mit Momenten der Schönheit und Zärtlichkeit aufwartet. Dass er zuvor Lyrik geschrieben hat verwundert nicht, denn auch sein erster Roman ist in einer höchst poetischen Sprache verfasst (in der Presse gab es u. a. Vergleiche mit Ocean Vuong) und enthält neben den kurzen Kapiteln auch teils an Gedichte erinnernde Briefe und sogar einige Fotos. Man darf gespannt sein, wohin Guasch uns in seinem nächsten Roman entführt!

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Pol Guasch: Napalm im Herzen (Roman); Aus dem Katalanischen übersetzt von Kirsten Brandt; Juli 2024; 270 Seiten, 19 Abbildungen; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-8353-5695-5; Wallstein Verlag; 22,00 €


Christophe Koroknai, Presse im Haymon Verlag, empfiehlt:

Ein Buch, das mich dieses Jahr besonders beeindruckt und erschüttert hat, war der Debütroman von Luca Mael Milsch: Sieben Sekunden Luft.

Um einen Allgemeinplatz zu bemühen: Manchmal ist der transportierte Wahrheitsgehalt von Fiktion größer, als jener von Faktenberichten, manchmal fühlt man diesen subtil versteckten Wahrheitskern auch mehr, als dass man ihn mit einer knappen Beschreibung oder einem Zitat festmachen könnte. In Sieben Sekunden Luft spürt man ihn im Sound der Sprache, in den Auslassungen und Zeitsprüngen, an rhythmischer Widerspenstigkeit und Flow, in den feinen Bruchlinien, die sich durch den Roman ziehen. In den erzählerischen Kniffen, die, wie sich herausstellt, selbst eine Geschichte erzählen, nämlich von der zwangsläufigen Uneindeutigkeit, Widersprüchlichkeit, Kontingenz, ja, Queerness unserer Identität und unseres Selbstbilds.

Luca Mael Milsch // © Ana Maria Sales Prado

Diesen Kern der Geschichte spürt man auch an den Fragen, die sich einstellen, die man zunächst an die Protagonist*innen und dann immer mehr an sich selbst, an die eigene Vorstellung von sich selbst richtet. Sie gehen dorthin, wo es potenziell wehtut – in den Serverraum unserer Identität, dessen Schlüssel aus gutem Grund noch in irgendeinem Umzugskarton im Keller liegt. Denn es kann hoffnungsspendend, erleichternd aber vor allem herausfordernd und erschütternd sein, dem Gedanken nachzuspüren, ob das Bild, das wir von uns machen, konsistent ist und ob wir manche Aspekte unseres Selbstbilds nicht lieber unangetastet lassen – aus Furcht, Bequemlichkeit oder Konformismus. Wenn aber der Leidensdruck zu groß wird, wenn ein Leben unter Verdrängung und Selbstleugnung unmöglich wird, was bleibt einem, außer sich den großen Fragen zu stellen, den Schlüssel zu suchen und sich zu befreien?

In Sieben Sekunden Luft wird zart und kunstfertig davon erzählt, wie sich Klassismus, Habitus, Misogynie, Heteronormativität und sozialer Druck in eine Familie einschreiben und wie nachhaltig sie in der Identitätskonstruktion der heranwachsenden Hauptfigur wirken. Zwischen den Zeilen wird aber auch bestrickend klug die filigrane Konstruktion unserer Identität freigelegt: zerbrechlich, zugleich aber widerständig, mutig und resilient. Widersprüchlich, uneindeutig und ephemer – sich immer wieder neu zusammensetzend. Selahs Geschichte zieht uns schon beim Aufschlagen des Romans in ihren Bann, konfrontiert uns mit unseren eigenen Unsicherheiten und lässt uns unwiderstehlich Eintauchen in die Gedankenwelt der Hauptfigur Selah, die sich den Fragen ihrer Identität stellen muss und zu einem Befreiungsschlag ansetzt.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Luca Mael Milsch: Sieben Sekunden Luft; März 2024; 264 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-7099-8226-6; Haymon Verlag; 22,90 €


Anne Wieser und Dr. Bettina Spoerri empfehlen aus dem Geparden Verlag:

Krawatte, Dienstgrad, Feierabendbier: Es könnte immer so weiter gehen. Doch Erwin, Mittfünfziger, Familienvater, bricht aus. Einst ein Freigeist, stürzt er sich nach Jahrzehnten wieder in ein wildes, ungebundenes Abenteuerleben. Er taucht unter, flieht in die Natur, gilt bald als vermisst. Findet mich
zeichnet das Psychogramm eines Mannes, dem letztlich eine Psychose diagnostiziert wird und dessen Familie ihn nicht mehr wiedererkennt. Doris Wirth erzählt diese Geschichte als Langzeitporträt, das wechselnde Perspektiven einnimmt; sie blendet zurück in die Vergangenheit von Erwins Ehe, in die sozialen Umstände der Familiengründung und die Reaktionen der in diesen Verhältnissen aufwachsenden Kinder. Findet mich ist ein packendes Romandebüt, das nach den Auswirkungen der Selbstdefinition über Leistung und Arbeit fragt und Zwänge und Begrenzungen in unserer Gesellschaft aufzeigt.

Doris Wirth: Findet mich; März 2024; 320 Seiten; Hardcover im Leineneinband mit Schutzumschlag und Lesebändchen; ISBN: 978-3-907406-11-3; Geparden Verlag; 30,00 €


Rainer Wieland, Herausgeber der Anderen Bibliothek, empfiehlt:

Hierzulande läuft er immer noch unter dem Radar, doch unter Kennern ist der pelzmanteltragende, schwarzhumorige, queere, katzen– und ballettliebende Edward Gorey eine Kultfigur. Über einhundert Bücher hat Gorey veröffentlicht, eins absurder und komischer ist als das andere, mit Federzeichnungen in Schwarz-Weiß, kunstvoll schraffiert und begleitet von kurzen Texten. Goreys ganz besonderer Stil hat zahlreiche Künstler beeinflusst: Tim Burton, Wes Anderson, Neil Gaiman – und Walter Moers, der uns in diesem Prachtband mit Gorey einen seiner Hausgötter vorstellt. Die meisten der hier versammelten Lieblingsgeschichten hat Walter Moers selbst neu übersetzt. Sie sind bevölkert von kuriosen Kreaturen, viktorianischen Sonderlingen und vom Schicksal gemarterten Kindern. Und bekräftigen, was einst der New Yorker schrieb: »Gorey lesen ist, als würde man seine Unschuld verlieren.«

Edward Gorey: Großmeister des Kuriosen; Herausgeber: Walter Moers; Gestalter: Oliver Schmitt; November 2024; 432 Seiten, zahlr. Abbildungen; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-8477-0485-0; Die Andere Bibliothek; 68,00 €


Jasmin Knieling (Pressevolontärin bei Reclam) empfiehlt:

Mit Aus guter Familie legte Gabriele Reuter einen eindringlichen Roman über weibliche Selbstbestimmung vor: Die junge Agathe versucht, alles richtig zu machen, zerbricht allerdings an der konservativen Gesellschaft des Kaiserreiches. Der Roman machte Reuter 1895 schlagartig berühmt – Thomas Mann äußerte sogar, ein Kultusminister täte gut daran, dieses Buch in Hunderttausenden von Exemplaren verteilen zu lassen. Nun können wir den Roman endlich wiederentdecken:

Erzählt wird die Geschichte von Agathe, die im konservativen Kaiserreich aufwächst und durch ihren Drang nach Selbstbestimmung und Erfüllung immer wieder mit den starren gesellschaftlichen Erwartungen ihrer Zeit in Konflikt gerät. Reuters feinfühlige und zugleich schonungslose Darstellung von Agathes Scheitern an diesen Normen – zunehmende Isolation und Verzweiflung bis hin zur Einweisung in eine Heilanstalt – ist erschütternd und doch zutiefst menschlich. Diese Coming-of-Age-Geschichte ist daher nicht nur ein wertvolles Zeitzeugnis, sondern stellt auch universelle Fragen nach Freiheit, Anpassung und den Kampf um Selbstbestimmung im Angesicht struktureller Unfreiheit.

Gabriele Reuter: Aus guter Familie; Juli 2024; Mit einem Nachwort von Tobias Schwartz; 270 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-15-011496-4; Reclam Verlag; 25,00 €


Lisa Häfner (WooW Books) empfiehlt Das Mädchen mit den Schwefelhölzern schlägt zurück von Emma Carroll und Lauren Child:

In Das Mädchen mit den Schwefelhölzern schlägt zurück verweben Autorin Emma Carroll und Illustratorin Lauren Child eine fantasievolle Neuerzählung des berühmten Weihnachtsmärchens von Hans Christian Andersen, spannende Zeitgeschichte um den Arbeiterinnenstreik in einer Londoner Streichholzfabrik 1888, eine einprägsame Erzählstimme und ausdrucksstarke Schwarz-Weiß-Rot-Bildern zu einem literarischen und gestalterischen Gesamtkunstwerk. Ein richtiges Schmuckstück, das zum Nachdenken bringt und das man immer wieder durchblättern möchte.

Emma Carroll, Lauren Child (Ill.): Das Mädchen mit den Schwefelhölzern schlägt zurück; Aus dem Englischen von Marion Hertle; Kinderbuch ab 10 Jahren; 208 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-03967-028-4; WooW Books; 20,00 €


Christian Lütjens empfiehlt aus dem Männerschwarm Verlag:

Nachdem ich 2023 in der Festtagsbücherei den ersten Band von Ed Firths Comic-Reihe Horny & High empfohlen habe, soll in diesem Jahr die im November erschienene zweite Folge nicht fehlen. Im Gegensatz zum eher künstlerisch motivierten Vorgänger, der in drei unterschiedlich kolorierten Comic-Kurzgeschichten anekdotisch die Eigenheiten des schwulen Cruising– und Sexdating-Alltags beleuchtete, konzentriert sich Firth diesmal aufs Storytelling. Das heißt, die Farben bleiben weg, es gibt zwanzig Seiten mehr und es wird in klassischer schwarz-weißer Comicstrip-Anmutung eine durchgehende Geschichte erzählt. Stu – den wir aus der „Chillout”-Episode in Band 1 kennen – gerät auch hier auf eine Sexparty und verliert sich diesmal vollends in den Räuschen, die die Endlos-Orgie auslöst. Was im Zuge dessen abgeht, ist vertraut und komisch zugleich, entlarvt aber auch die destruktiven und absurden Tendenzen schwuler Sexversessenheit. Bis zu Band 3 bekommen wir also ein bisschen was zum Nachdenken mit auf den Weg – und sei es nur über die Tatsache, dass kaum einer so befreit und liebevoll über die Abgründe des schwulen Cruisings schreibzeichnet wie Ed Firth.

Ed Firth: Horny & High Vol. 2; Übersetzt aus dem Englischen von Timm Stafe; November 2024; 360 Seiten; Hardcover; ISBN 978-3-86300-374-6; Männerschwarm Verlag, 28,00 €


Damit habt ihr eine bunte Festtagsauswahl. Viel Freude beim Lesen und Betrachten.

Eure queer-reviewer

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