Was ist das eigentlich für ein trauriges Spiel, das Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Partei SPD da aufführen? Scholz wirft seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP) aus der Regierung, um dann festzustellen, dass es ja doch einer Mehrheit im Bundestag bedarf, um Gesetze verabschieden zu können. Und der Rauswurf war nicht konstruktiv oder eine „einvernehmliche Trennung“, wie es so schön heißt. Sondern er ist in dieser Woche in einem Knall gekommen und in einer Schlammschlacht ausgeartet. In der Tonalität ähnelt Scholz eher den Lautsprechern von AfD und BSW.
Im Wahlkampf hatte der Kandidat Scholz noch immer von „Respekt“ fabuliert, aber Respekt vor seinem vormaligen Mitarbeiter Lindner lässt er in jeder Äußerung vermissen. „Kleinkariert“ und „Vertrauensbruch“ sind harte Worte, die sachfremde Blockade von Gesetzesvorhaben dürfte ihm aus früheren Großen Koalitionen unter Angela Merkel durchaus bekannt sein und überhaupt ist das, was der Kanzler in der vergangenen Woche bis hin zu dem scheinbar als süffisant geplanten Auftritt bei Caren Miosga gestern Abend von sich gegeben hat alles andere als die Ausgeburt des Respekts vor seinen Partnern, dem Parlament und auch dem Volk.
Eile und Weile
Scholz kündigte an, die Vertrauensfrage erst im Januar zu stellen, das Land also nun zwei Monate im Stillstand verharren zu lassen. Wenigstens hat der diesen Zeitplan gestern Abend scheinbar relativiert. Etwa zwei Drittel der Bürger*innen wünschen sich schnelle Neuwahlen, aber der Kanzler schiebt wichtige unerledigte Gesetzesvorhaben vor, die noch vor der Neuwahl behandelt werden müssten. Die Frage stellt sich jedoch: Wenn diese Punkte so wichtig sind, wieso hat er es denn nicht geschafft, noch in der Ampel Lösungen hierfür auszuhandeln?
Das vielzitierte Tariftreuegesetz beispielsweise ist erst seit den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen wirklich auf der öffentlichen Agenda – in den zweieinhalb Jahren zuvor hätte es genügend Zeit gegeben, hierfür Mehrheiten zu finden. Scheinbar war es aber nicht bedeutend genug, als dass sich Scholz und seine Partei hierfür wirklich hätten einsetzen wollen. Nun muss es holterdiepolter noch schnell ausverhandelt und verabschiedet werden. Warum jetzt die Eile?
Früher war mehr Papier
Keine Eile wiederum scheint auch Bundeswahlleiterin Ruth Brand zu haben, eine Beamte, die der SPD-Innenministerin Nancy Faeser nachgeordnet ist. Sie verweist auf den knappen Zeitrahmen, der sich vor allem durch die Weihnachtszeit ergebe, wenn umgehend eine Neuwahl anberaumt würde – sowie die Schwierigkeiten, genügend Papier für Wahlzettel zu organisieren.
Der letzte Punkt wurde bereits an diesem Wochenende widerlegt: Der Verband Die Papierindustrie hat bestätigt, dass genügend Papier für eine Wahl zur Verfügung stehe, eine Knappheit sei nicht zu erwarten (wofür Lobbyorganisationen manchmal gut sein können…). Dieses Argument der Bundeswahlleiterin läuft also ins Leere, selbst wenn ihr Berliner Landeskollege ihr gestern Rückendeckung gab. Präventiv können wir trotzdem darauf verzichten, unsere Weihnachtsgeschenke in Geschenkpapier einzuwickeln – die Ökobilanz wird es uns danken und dann wird definitiv genügend Papier für Wahlzettel da sein.
Fehlbesetzung
Nun zu der Frage der zeitlichen Knappheit. Erstens gibt es genau drei bundesweite Feiertage in der betreffenden Zeit, nämlich die beiden Weihnachtsfeiertage und Neujahr. An allen anderen Tagen ist Dienst nach Vorschrift denkbar – für Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes ebenso wie für die Verkäufer, Ärzte, Pflegekräfte, Müllarbeiter, die an Neujahr den Müll der Silvesterböller wegschaffen müssen, Lokführer, die alle zu ihren Familien zum Festgelage bringen – sowie die Pfarrer, die ihre Weihnachtsmessen halten müssen (bis auf letzte alle m/w/d). Alles übrigens die Kernklientel der SPD.
Drittens: Die Fristen zu einer Auflösung des Bundestages sind im Grundgesetz klar geregelt. 21 Tage nach der Vertrauensfrage bis zur Auflösung und dann nochmal 60 Tage bis zur Neuwahl. Der Job der Bundeswahlleiterin ist es, zu jedem Zeitpunkt (!) eine Wahl innerhalb dieser Fristen sicherzustellen. Es gibt nur wenige Menschen, deren Jobbeschreibung in der Verfassung steht, aber für diese Frau ist das der Fall. Wenn sie diesen Job nicht erfüllen kann, dann ist sie nur dann die richtige Person in ihrem Amt, wenn mensch Heiko Maas für einen guten Außen– und Christine Lambrecht für eine gute Verteidigungsministerin hielt.
Mehrheiten müssen gefunden werden
Ein paar Gedanken nun noch zum Bundeskanzler und seinen Erwartungen: Wenn er wirklich noch Gesetze vor der Neuwahl verabschieden möchte, dann muss er das tun, was Kanzler in einer parlamentarischen Demokratie zu tun haben: sich eine Mehrheit suchen. Die FDP ist vergrault, AfD und BSW kommen nicht in Frage, bleibt also noch die CDU/CSU.
Nur hier an die staatspolitische Verantwortung der Opposition zu appellieren, hilft nicht weiter. Nein, die Union ist nach der Niederlage 2021 in der Opposition, das sollte auch Herrn Scholz mittlerweile klar sein. Er könnte natürlich Friedrich Merz vorschlagen, eine Koalition einzugehen, aber hat selbst ja bereits gesagt, dass er eigentlich eine Neuwahl möchte. Warum also noch warten?
Entscheidungsfreude befriedet
Zwei bis drei Punkte, die nicht gestaltende, sondern eher strukturelle Politik sind, sollten allerdings auch im Interesse der CDU/CSU liegen und vielleicht noch vor der vorgezogenen Wahl diskutiert werden: Das Bundesverfassungsgericht muss krisenfest und vor allem gegen Extremisten abgesichert werden. Wichtige Rüstungsprojekte sollten schnellstmöglich angeschoben werden, um nicht wichtige Zeit bei der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik und der NATO zu verlieren. Und wo noch umgehende Hilfe für die Ukraine nötig ist, sollte auch diese noch angeschoben werden.
Dass die SPD namens ihres Chefs Lars Klingbeil anmahnt, dass das Gezerre um einen Wahltermin ein Ende haben müsse, ist einer Kanzlerpartei unwürdig. Ähnlich wie in der Ukraine gibt es auch hier eine Person, die jedes Gezerre mit einer kleinen Entscheidung beenden könnte: Putin könnte seinen Krieg beenden und Scholz könnte die Vertrauensfrage auch bereits im November oder Dezember stellen. So einfach kann es sein, wenn die Männer, die an den Schalthebeln der Macht sitzen, sie verantwortungsvoll einsetzen.
HMS/Mitarbeit AS
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